Cinema Moralia – Folge 157
Die Banalität des Dösens |
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Nach den neuen Leitlinien nicht mehr förderungwürdig: François Ozons Frantz | ||
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH) |
»Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
Und führt die Sternen auff. Der Menschen müde Scharen
Verlassen feld und werck / Wo Thier und Vögel waren
Trawert itzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan!«
Andreas Gryphius, »Abend«
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»Ich bin in der Kritischen Theorie zu Hause. Die Kritische Theorie sagt, dass es immer einen Ausweg gibt. Wenn die Wirklichkeit den Menschen demütigt und entmündigt, dann glauben wir eben nicht an diese Wirklichkeit. Dann behalten wir uns vor, eine andere zu wählen.« – so Alexander Kluge im aktuellen »Philosophie Magazin« (4/2017). Diese Sätze enthalten alles, was deutsche Filmemachen wissen müssen, um mit der Förderung angemessen zu verfahren – wenn sie nicht Bomben bauen wollen.
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Seit Jahren bereits betreibt die deutsche Filmförderung eine Art Live-Selbstmord, eine Selbstentleibung vor Publikum. Man kann dabei zugucken, wie die Förderung sich selbst abschafft und zu einem Punkt führt, an dem keiner mehr begreift, wozu es sie überhaupt noch gibt. Dieser Punkt ist nahe. Nach der FFA-Entscheidung vom Dienstag ist die deutsche Filmförderung einen großen Schritt weiter – auf diesem Weg ohne Wiederkehr, dem Weg in den Abgrund.
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Der FFA-Verwaltungsrat hat am Dienstag neue Leitlinien für die Projektförderung verabschiedet. Es war immerhin keine einstimmige Entscheidung, sondern eine Kampfabstimmung. Schon der erste satz dieser Leitlinien ist – denkt man einen Augenblick nach – komplett absurd:
»Die FFA sollte – im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften – Kinofilme fördern, die einen hohen qualitativen Anspruch haben sowie gleichermaßen absolut und/oder relativ
wirtschaftlich erfolgreich im In- und Ausland ausgewertet werden können (wirtschaftlich-kultureller Filmbegriff)«
Das »gleichermaßen« macht sprachlich/gedanklich keinen Sinn. Zudem kann wirtschaftlicher Erfolg auch meinen: Ein Film der 1000 Euro gekostet hat, kann mit 1100 Euro Einnahmen, wirtschaftlich 10% Gewinn machen. Das meint die FFA aber nicht.
Endgültig ad absurdum führt den Satz das Wort »können«. Das heißt alles und nichts. Es meint ein Potential. Alle können.
Entscheidend bleibt subjektives Zutrauen.
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Bei den deutschen Produzenten bewirkt die Pressemitteilung gelinde Panik. Die dürfte übertrieben sein. Die neuen FFA-Richtlinien sind nicht verbindlich und werden an den herrschenden Verhältnissen leider auch zum Schlechten nichts ändern, Sie sind keine Revolution von Rechts. Typisch für den deutschen Film ist das Weiterwurschteln im Schlechten.
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Der Filmproduzent Martin Hagemann hat dazu gestern auf Facebook Treffendes gepostet:
»Welche Filme wollen wir? Wo ist unser Publikum? Der Verwaltungsrat der FFA hat gestern entschieden, seinen Gremien Leitlinien an die Hand zu geben. Darin werden neben einigen EU-subventions-rechtlichen Beschwichtigungsformeln (›kulturelle Erwägungen‹) Marken gesetzt, nach denen in Zukunft erfolgreiche von nicht-erfolgreichen Projekten in den Fördergremien unterschieden
werden sollen.
Förderungswürdig sind nach Meinung des Verwaltungsrats Spielfilme mit einem Budget ab 2.5mio€ und zu erwartenden 250.000 Zuschauern, beim Dokumentarfilm sind es ein Mindestbudget von 500.000€ und 50.000 zu erwartenden Zuschauern.
Statt jetzt über diese für die FFA-Gremien nicht verbindlichen Leitlinien zu lamentieren, müssen halt diejenigen, die an einem lebendigen Kino und Filmen interessiert sind, welche jenseits kurzfristiger
Rentabilitätsüberlegungen und Banal-Entertainment-Strategien entstehen, ihre Interessen außerhalb der heimeligen Institutionen selber in die Hand nehmen.
Die Interessen des lebendigen Kinos können gar nicht von dem sogenannten selbsternannten ›Parlament des deutschen Films‹, dem Verwaltungsrat der FFA, vertreten werden; da helfen aber auch nicht die banal-ökonomistischen Regionalinteressen vieler Länderförderer und da wird auch die erhöhte Förderung
der BKM mit ihren ›freien Jurys für den künstlerischen Film‹ nichts ändern, wenn die Autoren und Autorinnen, Regisseurinnen und Regisseure, Produzentinnen und Produzenten, die Filmemacher und -macherinnen, die von der Notwendigkeit eines anderen Kinos und entschiedeneren Filmen überzeugt sind, nicht anfangen, ihr Publikum zu suchen und hoffentlich auch zu finden. Denn darin liegt die ganze Crux derjenigen, die sich zu Recht über immer stumpfere Förderpolitik
und den immer stumpferen deutschen Film aufregen: der publikumslose Festivalfilm ist dabei, ins Museum und auf die SVOD-Plattform zu wandern, mit denen es sich auch einrichten und einigermaßen frei arbeiten lässt. Das verändert aber auch die Filme und ist dann nicht mehr Kino, ist nicht mehr Öffentlichkeit, ist nicht mehr Filmkunst.«
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Um die Zahlen, die sich die Popcorn-Filmförderanstalt als Kriterium gesetzt hat, zu verdeutlichen, hier die Liste der 2016 gestarteten FFA-geförderten Filme, geteilt in ERFOLGREICH / NICHT ERFOLGREICH (gemäß neuer FFA-Leitlinie).
Die Zuschauerzahl von 250.000 haben folgende 25 in 2016 gestartete FFA geförderte Filme NICHT erreicht, Filme dieser Art sollen es in Zukunft nach Meinung des Vorstands, des Präsidiums und des Verwaltungsrats bei der FFA schwerer haben:
God Of Happiness
Frauen
Die Reise mit Vater
Babai
Jonathan
LenaLove
Jeder stirbt für sich allein
Liebe Halal
Ente gut! Mädchen allein zu Haus
Wild
Die Mitte der Welt
Unsere Zeit ist jetzt
Mängelexemplar
Nebel im August
Radio Heimat
Marie Curie
Antonio, ihm schmeckt’s nicht!
Gleißendes Glück
El Olivo – Der Olivenbaum
Grüße aus Fukushima
Verrückt nach Fixi
Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt
Frantz
Mullewapp
Ein Hologramm für den König
Die weiter unten stehenden 18 in 2016 gestarteten und von der FFA geförderten Filme, erreichten dagegen jeweils über 250.000 Zuschauer, es sollten nach Meinung des Verwaltungsrats in Zukunft solche Filme stärker gefördert werden.
Auffällig ist dabei der hohe Anteil an Kinder- und Jugendfilmen unter den nach Meinung der FFA erfolgreichen deutschen Filmen. Genau die Hälfte der geförderten und gemäß Leitlinien erfolgreichen Filme sind für das jüngere und jüngste Publikum. Dies
erinnert übrigens fatal an die Anfangsjahre des FFG, ich erinnere mich (leider) noch gut an das »Lümmel von der ersten Bank« – Franchise der 60er.
Wenn man sich die derzeitige Entwicklung dieser spießigen deutschen Variante der amerikanischen Superhero-Franchises anschaut, kann man jetzt schon die Voraussage wagen, dass eine konsequente Umsetzung der Leitlinien der FFA diese selber in den nächsten Jahren direkt Gegen die Wand setzen würde (letzterer Titel steht übrigens auch für eine Art von Film, die nicht mehr gefördert werden würde, da das Budget viel zu klein war).
Hanni & Nanni hatte in der Startwoche nur 135.000 Zuschauer, Conni & Co. 2 – Das Geheimnis des
T-Rex ist nach 6 Wochen gerade mal bei 200.000 Tickets gelandet. In Zukunft mehr davon?
Hier die erfolgreichen 2016er Filme nach FFA Auffassung:
Unfriend
Colonia Dignidad
Tschiller: Off Duty
Paula
Die Vampirschwestern 3 – Reise nach Transsilvanien
Das Tagebuch der Anne Frank
Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Pettersson und Findus
Vier gegen die Bank
Die wilden Kerle – Die Legende lebt
Smaragdgrün
Conni und Co
Tschick
SMS für Dich
Toni Erdmann
Der geilste Tag
Bibi & Tina: Mädchen gegen Jungs
Willkommen bei den Hartmanns
Für den Dokumentarfilm sah es bei der FFA schon immer eher mau aus, hier zuerst die vier 2016 gestarteten Dokumentarfilme, die zuvor FFA Förderung bekommen hatten und die nach den neuen Kriterien nicht mehr gefördert werden sollen (unter 50.000 Zuschauer und Budget zu klein)
Austerlitz
Cahier africain
Mali Blues
Transit Havanna
Auch der Filmpreisgewinner »Bester Dokumentarfilm« Cahier africain würde damit der »notwendigen Selektion« (so bezog sich der Vorstand der FFA auf die Leitlinien), zum Opfer fallen.
Einziger FFA geförderter und 2016 gestarteter Dokumentarfilm, der den neuen Kriterien genügte, war demnach:
Und die beiden anderen deutschen (nicht FFA geförderten) Dokumentarfilme (von insgesamt 81 gestarteten), die 2016 überhaupt die 50.000er Zuschauerschwelle überspringen konnten, waren:
Südafrika – Der Kinofilm
Power to Change – Die Energierebellion
Das ist die Lage. Bei allem Lamento müssen wir uns fragen, wo unser Publikum ist, und wie wir es in Zukunft erreichen wollen und können. Angesichts der Digitalisierung helfen uns dabei nicht mehr 50 Jahre alte Institutionen, in denen vorwiegend ältere Herrschaften einem Businessmodel hinterher trauern, das von dem Mangel an Filmen und dem Mehrfachverkauf dieser Filme über eine geregelte Auswertungskaskade (Kino-DVD-payTV-freeTV) bestimmt war.
Ich bin der Meinung, dass in
Zukunft gewährleistet werden muss, dass die Macher und Macherinnen der Filmentwicklung und Produktion während dieser oft langjährigen Arbeit von dieser leben können (deutlich mehr Geld in die Entwicklung), dass die Förderungen in einem bundesweit abgestimmten intelligenten Mix aus automatischer, erfolgsbedingter Förderung und Gremienarbeit ihre Arbeit gemeinsam machen (erster Schritt: jeder Erstförderer geht mit 35% in ein Projekt). Dazu bedarf es der Politik, die das
filmpolitische Heft in die Hand nehmen muss. Dazu bedarf es aber auch der Bereitschaft des noch lebendigen Teils der Branche, sich endlich über moderne Kriterien einer kulturellen Filmförderung, die neben der Produktion auch all den Kinos hilft, die sich dem moderenen, publikumsnahen kulturellen Kinomachen verschrieben haben, auseinandersetzt.
50 Jahre FFG – 50 Jahre sind genug !
(disclosure: ich bin stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat der FFA, war
an der Abstimmung über die Leitlinien beteiligt, ich bin ferner Stellvertreter in der BKM Vergabejury und Mitglied der AGDOK. Ich gehöre zu den älteren Semestern in diesen Institutionen).
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Banalität ist ein gutes Stichwort. Es gäbe schon mal dein ganz einfaches – nicht zureichendes – Kriterium für bessere Filmförderung. Die Produzenten, die die eingereichten Zuschauererwartungsbehauptungen unterschreiten, müssen im Verhältnis zur Unterschreitung Fördergelder zurückzahlen. Das führt dazu, dass Produzenten in Zukunft nicht Zuschauerluftschlösser malen, weil das auf sie selbst zurückfällt.
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»Meine Haltung ist folgende: Wenn eine Wirklichkeit mich unwirtlich behandelt, dann interessiert mich nicht die Wirklichkeit oder die Wahrheit, sondern mich interessiert der Ausweg. Wenn das Floß sinkt, können wir immer noch schwimmen lernen.« (Alexander Kluge)
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Das »Kurdische Filmfestival« in Berlin, das am Donnerstag-Abend eröffnet wird (bis einschließlich 21. Juni), findet zum 7. Mal statt. Allerdings keineswegs jährlich, sondern 2017 zum ersten Mal seit 2011. Grund dafür waren in erster Linie Geldprobleme. In diesem Jahr ist das Festival vom Hauptstadtkulturfonds gefördert. Es gibt aber weiterhin politische Schwierigkeiten: Die türkische Regierung protestiert und behindert das Festival erwartungsgemäß, jene Erdogan-Versteher,
die es sich nicht mit dem neuen Sultan von Ankara verderben wollen, reden dessen Menschenrechtsverletzungen klein, und unterstützen keine Kurden, denn das könnte den Sultan erzürnen. Aber auch längst nicht alle Kurdenvertreter unterstützten in der Vergangenheit das Festival.
Es laufen 28 Filme, davon 11 Spielfilme, 8 Dokumentarfilme, 9 kurze und mittellange Filme im Programm, hinzu kommen drei längere Diskussionspanels (über »Kurdische Identität im Kino«, »Filmemachen
im Krieg« und »Frauen im kurdischen Kino«) sowie eine Masterclass mit der deutsch-kurdischen Regisseurin Ayce Polat am Wochenende.
Zuletzt waren 60 Prozent der Besucher Einwanderer (größtenteils kurdisch & türkisch), 40 Prozent Deutsche.
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Aber was überhaupt heißt »kurdisch«? Ist dies eine Sprache, eine Ethnie, eine Religion, eine Region, ein Staat? Dies genau ist das Problem, die Frage, die das Festival ausloten will. Es gibt größere Gruppen von Kurden in fünf Staatsgebieten: Der Türkei (= nach kurdischer Sprachregelung »Nord-Kurdistan«; Syrien = »West-Kurdistan«; Irak = »Süd-Kurdistan«; Iran = »Ost-Kurdistan«; und im Gebiet der ehemaligen UdSSR. Im Irak hat man de facto Unabhängigkeit, auch weil die Staatsmacht so
schwach ist, da gibt es Versuche, einen eigenen Staat zu errichten. In Syrien herrscht Krieg und Kurden fungieren als Verbündete des Westens, in der Türkei dagegen sind sie »Terroristen«, im Iran herrscht Totschweigen. In allen Regionen gibt es verschiedene innerkurdische Fronten, auch Streit und unterschiedliche Radikalisierungsgrade: Manche wollen eigenen Staat, manche unabhängige Regionen, wieder andere einfach Anerkennung als Volksgruppe. Es gibt ca 57 Mio Kurden in der
Welt, ca ein Drittel im Exil. Es gibt am ehesten ethnische Homogenität, aber keine gemeinsame Religion, kein klares rein kurdisches Gebiet.
Denn Filme, die hier laufen, geht es einerseits darum, das Leben und den Alltag zu zeigen, die Normalität jenseits der Schlagzeilen. Andererseits gibt es diese Normalität nur eingeschränkt: Vieles ist von Unterdrückung, Krieg, von Exil geprägt. Das Festival wirft auch einen Blick auf die Heterogenität der Region: Es sind eben alle
(Ausnahme Iran) Vielvölkerstaaten.
Die Filme zeigen auch einen Kampf um Deutungshoheit des »Kurdischen«.)
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Im »Philosophie Magazin« 4/2017 findet sich ein sehr schönes Gespräch mit Alexander Kluge. Darin auch diese Beschreibung: »Ich sammle die Kräfte, die wir der Wirklichkeit entgegensetzen. Das findet in verschiedenen Formen statt. Wenn ich einen Film mache, muss ich mit vielen Leuten zusammenarbeiten. Das ist beim Schreiben anders. Da bin ich Autokrat. Da kommt mir nichts in die Buchstaben, was ich nicht selbst vertrete. Aber abgesehen davon sind das nur verschiedene Mittel, um mich auszudrücken. Um Schuhe oder Mobiltelefone herzustellen, brauchen wir Arbeitsteilung. Beim Denken hindert das.«
(to be continued)