15.06.2017
Cinema Moralia – Folge 157

Die Banalität des Dösens

Frantz
Nach den neuen Leitlinien nicht mehr förderungwürdig: François Ozons Frantz
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH)

50 Jahre FFG sind genug! Aber um das zu merken, muss man aufwachen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 157. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
Und führt die Sternen auff. Der Menschen müde Scharen
Verlassen feld und werck / Wo Thier und Vögel waren
Trawert itzt die Einsam­keit. Wie ist die zeit verthan!«

Andreas Gryphius, »Abend«

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»Ich bin in der Kriti­schen Theorie zu Hause. Die Kritische Theorie sagt, dass es immer einen Ausweg gibt. Wenn die Wirk­lich­keit den Menschen demütigt und entmün­digt, dann glauben wir eben nicht an diese Wirk­lich­keit. Dann behalten wir uns vor, eine andere zu wählen.« – so Alexander Kluge im aktuellen »Philo­so­phie Magazin« (4/2017). Diese Sätze enthalten alles, was deutsche Filme­ma­chen wissen müssen, um mit der Förderung ange­messen zu verfahren – wenn sie nicht Bomben bauen wollen.

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Seit Jahren bereits betreibt die deutsche Film­för­de­rung eine Art Live-Selbst­mord, eine Selbst­ent­lei­bung vor Publikum. Man kann dabei zugucken, wie die Förderung sich selbst abschafft und zu einem Punkt führt, an dem keiner mehr begreift, wozu es sie überhaupt noch gibt. Dieser Punkt ist nahe. Nach der FFA-Entschei­dung vom Dienstag ist die deutsche Film­för­de­rung einen großen Schritt weiter – auf diesem Weg ohne Wieder­kehr, dem Weg in den Abgrund.

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Der FFA-Verwal­tungsrat hat am Dienstag neue Leit­li­nien für die Projekt­för­de­rung verab­schiedet. Es war immerhin keine einstim­mige Entschei­dung, sondern eine Kampf­ab­stim­mung. Schon der erste satz dieser Leit­li­nien ist – denkt man einen Augen­blick nach – komplett absurd:
»Die FFA sollte – im Rahmen der gesetz­li­chen Vorschriften – Kinofilme fördern, die einen hohen quali­ta­tiven Anspruch haben sowie glei­cher­maßen absolut und/oder relativ wirt­schaft­lich erfolg­reich im In- und Ausland ausge­wertet werden können (wirt­schaft­lich-kultu­reller Film­be­griff)«
Das »glei­cher­maßen« macht sprach­lich/gedank­lich keinen Sinn. Zudem kann wirt­schaft­li­cher Erfolg auch meinen: Ein Film der 1000 Euro gekostet hat, kann mit 1100 Euro Einnahmen, wirt­schaft­lich 10% Gewinn machen. Das meint die FFA aber nicht.
Endgültig ad absurdum führt den Satz das Wort »können«. Das heißt alles und nichts. Es meint ein Potential. Alle können. Entschei­dend bleibt subjek­tives Zutrauen.

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Bei den deutschen Produ­zenten bewirkt die Pres­se­mit­tei­lung gelinde Panik. Die dürfte über­trieben sein. Die neuen FFA-Richt­li­nien sind nicht verbind­lich und werden an den herr­schenden Verhält­nissen leider auch zum Schlechten nichts ändern, Sie sind keine Revo­lu­tion von Rechts. Typisch für den deutschen Film ist das Weiter­wursch­teln im Schlechten.

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Der Film­pro­du­zent Martin Hagemann hat dazu gestern auf Facebook Tref­fendes gepostet:
»Welche Filme wollen wir? Wo ist unser Publikum? Der Verwal­tungsrat der FFA hat gestern entschieden, seinen Gremien Leit­li­nien an die Hand zu geben. Darin werden neben einigen EU-subven­tions-recht­li­chen Beschwich­ti­gungs­for­meln (›kultu­relle Erwä­gungen‹) Marken gesetzt, nach denen in Zukunft erfolg­reiche von nicht-erfolg­rei­chen Projekten in den Förder­gre­mien unter­schieden werden sollen.
Förde­rungs­würdig sind nach Meinung des Verwal­tungs­rats Spiel­filme mit einem Budget ab 2.5mio€ und zu erwar­tenden 250.000 Zuschauern, beim Doku­men­tar­film sind es ein Mindest­budget von 500.000€ und 50.000 zu erwar­tenden Zuschauern.
Statt jetzt über diese für die FFA-Gremien nicht verbind­li­chen Leit­li­nien zu lamen­tieren, müssen halt dieje­nigen, die an einem leben­digen Kino und Filmen inter­es­siert sind, welche jenseits kurz­fris­tiger Renta­bi­li­tätsü­ber­le­gungen und Banal-Enter­tain­ment-Stra­te­gien entstehen, ihre Inter­essen außerhalb der heime­ligen Insti­tu­tionen selber in die Hand nehmen.
Die Inter­essen des leben­digen Kinos können gar nicht von dem soge­nannten selbst­er­nannten ›Parlament des deutschen Films‹, dem Verwal­tungsrat der FFA, vertreten werden; da helfen aber auch nicht die banal-ökono­mis­ti­schen Regio­nal­in­ter­essen vieler Länder­för­derer und da wird auch die erhöhte Förderung der BKM mit ihren ›freien Jurys für den künst­le­ri­schen Film‹ nichts ändern, wenn die Autoren und Auto­rinnen, Regis­seu­rinnen und Regis­seure, Produ­zen­tinnen und Produ­zenten, die Filme­ma­cher und -mache­rinnen, die von der Notwen­dig­keit eines anderen Kinos und entschie­de­neren Filmen überzeugt sind, nicht anfangen, ihr Publikum zu suchen und hoffent­lich auch zu finden. Denn darin liegt die ganze Crux derje­nigen, die sich zu Recht über immer stumpfere Förder­po­litik und den immer stump­feren deutschen Film aufregen: der publi­kums­lose Festi­val­film ist dabei, ins Museum und auf die SVOD-Plattform zu wandern, mit denen es sich auch einrichten und eini­ger­maßen frei arbeiten lässt. Das verändert aber auch die Filme und ist dann nicht mehr Kino, ist nicht mehr Öffent­lich­keit, ist nicht mehr Filmkunst.«

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Um die Zahlen, die sich die Popcorn-Film­för­der­an­stalt als Kriterium gesetzt hat, zu verdeut­li­chen, hier die Liste der 2016 gestar­teten FFA-geför­derten Filme, geteilt in ERFOLGREICH / NICHT ERFOLGREICH (gemäß neuer FFA-Leitlinie).
Die Zuschau­er­zahl von 250.000 haben folgende 25 in 2016 gestar­tete FFA geför­derte Filme NICHT erreicht, Filme dieser Art sollen es in Zukunft nach Meinung des Vorstands, des Präsi­diums und des Verwal­tungs­rats bei der FFA schwerer haben:

God Of Happiness
Frauen
Die Reise mit Vater
Babai
Jonathan
LenaLove
Jeder stirbt für sich allein
Liebe Halal
Ente gut! Mädchen allein zu Haus
Wild
Die Mitte der Welt
Unsere Zeit ist jetzt
Mängel­ex­em­plar
Nebel im August
Radio Heimat
Marie Curie
Antonio, ihm schmeckt’s nicht!
Gleißendes Glück
El Olivo – Der Oliven­baum
Grüße aus Fukushima
Verrückt nach Fixi
Robbi, Tobbi und das Flie­wa­tüüt
Frantz
Mullewapp
Ein Hologramm für den König

Die weiter unten stehenden 18 in 2016 gestar­teten und von der FFA geför­derten Filme, erreichten dagegen jeweils über 250.000 Zuschauer, es sollten nach Meinung des Verwal­tungs­rats in Zukunft solche Filme stärker gefördert werden.
Auffällig ist dabei der hohe Anteil an Kinder- und Jugend­filmen unter den nach Meinung der FFA erfolg­rei­chen deutschen Filmen. Genau die Hälfte der geför­derten und gemäß Leit­li­nien erfolg­rei­chen Filme sind für das jüngere und jüngste Publikum. Dies erinnert übrigens fatal an die Anfangs­jahre des FFG, ich erinnere mich (leider) noch gut an das »Lümmel von der ersten Bank« – Franchise der 60er.
Wenn man sich die derzei­tige Entwick­lung dieser spießigen deutschen Variante der ameri­ka­ni­schen Superhero-Fran­chises anschaut, kann man jetzt schon die Voraus­sage wagen, dass eine konse­quente Umsetzung der Leit­li­nien der FFA diese selber in den nächsten Jahren direkt Gegen die Wand setzen würde (letzterer Titel steht übrigens auch für eine Art von Film, die nicht mehr gefördert werden würde, da das Budget viel zu klein war).
Hanni & Nanni hatte in der Start­woche nur 135.000 Zuschauer, Conni & Co. 2 – Das Geheimnis des T-Rex ist nach 6 Wochen gerade mal bei 200.000 Tickets gelandet. In Zukunft mehr davon?
Hier die erfolg­rei­chen 2016er Filme nach FFA Auffas­sung:

Unfriend
Colonia Dignidad
Tschiller: Off Duty
Paula
Die Vampirsch­wes­tern 3 – Reise nach Trans­sil­va­nien
Das Tagebuch der Anne Frank
Rico, Oskar und der Dieb­stahl­stein
Pettersson und Findus
Vier gegen die Bank
Die wilden Kerle – Die Legende lebt
Smaragd­grün
Conni und Co
Tschick
SMS für Dich
Toni Erdmann
Der geilste Tag
Bibi & Tina: Mädchen gegen Jungs
Will­kommen bei den Hartmanns

Für den Doku­men­tar­film sah es bei der FFA schon immer eher mau aus, hier zuerst die vier 2016 gestar­teten Doku­men­tar­filme, die zuvor FFA Förderung bekommen hatten und die nach den neuen Kriterien nicht mehr gefördert werden sollen (unter 50.000 Zuschauer und Budget zu klein)

Auster­litz
Cahier africain
Mali Blues
Transit Havanna

Auch der Film­preis­ge­winner »Bester Doku­men­tar­film« Cahier africain würde damit der »notwen­digen Selektion« (so bezog sich der Vorstand der FFA auf die Leit­li­nien), zum Opfer fallen.
Einziger FFA geför­derter und 2016 gestar­teter Doku­men­tar­film, der den neuen Kriterien genügte, war demnach:

Ein letzter Tango

Und die beiden anderen deutschen (nicht FFA geför­derten) Doku­men­tar­filme (von insgesamt 81 gestar­teten), die 2016 überhaupt die 50.000er Zuschau­er­schwelle über­springen konnten, waren:

Südafrika – Der Kinofilm
Power to Change – Die Ener­gie­re­bel­lion

Das ist die Lage. Bei allem Lamento müssen wir uns fragen, wo unser Publikum ist, und wie wir es in Zukunft erreichen wollen und können. Ange­sichts der Digi­ta­li­sie­rung helfen uns dabei nicht mehr 50 Jahre alte Insti­tu­tionen, in denen vorwie­gend ältere Herr­schaften einem Busi­ness­model hinterher trauern, das von dem Mangel an Filmen und dem Mehr­fach­ver­kauf dieser Filme über eine geregelte Auswer­tungs­kas­kade (Kino-DVD-payTV-freeTV) bestimmt war.
Ich bin der Meinung, dass in Zukunft gewähr­leistet werden muss, dass die Macher und Mache­rinnen der Film­ent­wick­lung und Produk­tion während dieser oft lang­jäh­rigen Arbeit von dieser leben können (deutlich mehr Geld in die Entwick­lung), dass die Förde­rungen in einem bundes­weit abge­stimmten intel­li­genten Mix aus auto­ma­ti­scher, erfolgs­be­dingter Förderung und Gremi­en­ar­beit ihre Arbeit gemeinsam machen (erster Schritt: jeder Erst­för­derer geht mit 35% in ein Projekt). Dazu bedarf es der Politik, die das film­po­li­ti­sche Heft in die Hand nehmen muss. Dazu bedarf es aber auch der Bereit­schaft des noch leben­digen Teils der Branche, sich endlich über moderne Kriterien einer kultu­rellen Film­för­de­rung, die neben der Produk­tion auch all den Kinos hilft, die sich dem moderenen, publi­kums­nahen kultu­rellen Kino­ma­chen verschrieben haben, ausein­an­der­setzt.
50 Jahre FFG – 50 Jahre sind genug !
(disclo­sure: ich bin stell­ver­tre­tendes Mitglied im Verwal­tungsrat der FFA, war an der Abstim­mung über die Leit­li­nien beteiligt, ich bin ferner Stell­ver­treter in der BKM Verga­be­jury und Mitglied der AGDOK. Ich gehöre zu den älteren Semestern in diesen Insti­tu­tionen).

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Banalität ist ein gutes Stichwort. Es gäbe schon mal dein ganz einfaches – nicht zurei­chendes – Kriterium für bessere Film­för­de­rung. Die Produ­zenten, die die einge­reichten Zuschau­er­er­war­tungs­be­haup­tungen unter­schreiten, müssen im Verhältnis zur Unter­schrei­tung Förder­gelder zurück­zahlen. Das führt dazu, dass Produ­zenten in Zukunft nicht Zuschau­er­luft­schlösser malen, weil das auf sie selbst zurück­fällt.

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»Meine Haltung ist folgende: Wenn eine Wirk­lich­keit mich unwirt­lich behandelt, dann inter­es­siert mich nicht die Wirk­lich­keit oder die Wahrheit, sondern mich inter­es­siert der Ausweg. Wenn das Floß sinkt, können wir immer noch schwimmen lernen.« (Alexander Kluge)

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Das »Kurdische Film­fes­tival« in Berlin, das am Donnerstag-Abend eröffnet wird (bis einschließ­lich 21. Juni), findet zum 7. Mal statt. Aller­dings keines­wegs jährlich, sondern 2017 zum ersten Mal seit 2011. Grund dafür waren in erster Linie Geld­pro­bleme. In diesem Jahr ist das Festival vom Haupt­stadt­kul­tur­fonds gefördert. Es gibt aber weiterhin poli­ti­sche Schwie­rig­keiten: Die türkische Regierung protes­tiert und behindert das Festival erwar­tungs­gemäß, jene Erdogan-Versteher, die es sich nicht mit dem neuen Sultan von Ankara verderben wollen, reden dessen Menschen­rechts­ver­let­zungen klein, und unter­s­tützen keine Kurden, denn das könnte den Sultan erzürnen. Aber auch längst nicht alle Kurden­ver­treter unter­s­tützten in der Vergan­gen­heit das Festival.
Es laufen 28 Filme, davon 11 Spiel­filme, 8 Doku­men­tar­filme, 9 kurze und mittel­lange Filme im Programm, hinzu kommen drei längere Diskus­si­ons­pa­nels (über »Kurdische Identität im Kino«, »Filme­ma­chen im Krieg« und »Frauen im kurdi­schen Kino«) sowie eine Master­class mit der deutsch-kurdi­schen Regis­seurin Ayce Polat am Wochen­ende.
Zuletzt waren 60 Prozent der Besucher Einwan­derer (größ­ten­teils kurdisch & türkisch), 40 Prozent Deutsche.

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Aber was überhaupt heißt »kurdisch«? Ist dies eine Sprache, eine Ethnie, eine Religion, eine Region, ein Staat? Dies genau ist das Problem, die Frage, die das Festival ausloten will. Es gibt größere Gruppen von Kurden in fünf Staats­ge­bieten: Der Türkei (= nach kurdi­scher Sprach­re­ge­lung »Nord-Kurdistan«; Syrien = »West-Kurdistan«; Irak = »Süd-Kurdistan«; Iran = »Ost-Kurdistan«; und im Gebiet der ehema­ligen UdSSR. Im Irak hat man de facto Unab­hän­gig­keit, auch weil die Staats­macht so schwach ist, da gibt es Versuche, einen eigenen Staat zu errichten. In Syrien herrscht Krieg und Kurden fungieren als Verbün­dete des Westens, in der Türkei dagegen sind sie »Terro­risten«, im Iran herrscht Totschweigen. In allen Regionen gibt es verschie­dene inner­kur­di­sche Fronten, auch Streit und unter­schied­liche Radi­ka­li­sie­rungs­grade: Manche wollen eigenen Staat, manche unab­hän­gige Regionen, wieder andere einfach Aner­ken­nung als Volks­gruppe. Es gibt ca 57 Mio Kurden in der Welt, ca ein Drittel im Exil. Es gibt am ehesten ethnische Homo­ge­nität, aber keine gemein­same Religion, kein klares rein kurdi­sches Gebiet.
Denn Filme, die hier laufen, geht es einer­seits darum, das Leben und den Alltag zu zeigen, die Norma­lität jenseits der Schlag­zeilen. Ande­rer­seits gibt es diese Norma­lität nur einge­schränkt: Vieles ist von Unter­drü­ckung, Krieg, von Exil geprägt. Das Festival wirft auch einen Blick auf die Hete­ro­ge­nität der Region: Es sind eben alle (Ausnahme Iran) Viel­völ­ker­staaten.
Die Filme zeigen auch einen Kampf um Deutungs­ho­heit des »Kurdi­schen«.)

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Im »Philo­so­phie Magazin« 4/2017 findet sich ein sehr schönes Gespräch mit Alexander Kluge. Darin auch diese Beschrei­bung: »Ich sammle die Kräfte, die wir der Wirk­lich­keit entge­gen­setzen. Das findet in verschie­denen Formen statt. Wenn ich einen Film mache, muss ich mit vielen Leuten zusam­men­ar­beiten. Das ist beim Schreiben anders. Da bin ich Autokrat. Da kommt mir nichts in die Buch­staben, was ich nicht selbst vertrete. Aber abgesehen davon sind das nur verschie­dene Mittel, um mich auszu­drü­cken. Um Schuhe oder Mobil­te­le­fone herzu­stellen, brauchen wir Arbeits­tei­lung. Beim Denken hindert das.«

(to be continued)