Cinema Moralia – Folge 162
Unsere Wahlempfehlung |
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Anatol Schusters Film Luft: sehr originell, überaus gelungenen, beim »First Step«-Nachwuchsfilmpreis nominiert | ||
(Foto: Pro-Fun Media) |
»Geht zur Wahl. Damit die Rechten nicht zu stark werden!«
Nicolas Wackerbarth, Regisseur, am Samstag nach dem Gewinn des Filmkunstpreises in Ludwigshafen
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Wir werden Ihnen keine Parteien zur Wahl empfehlen, aber ich werde Ihnen sagen, wen ich nicht wähle. Zum Beispiel die SPD: Denn die SPD muss dafür, dass sie die letzte Große Koalition einging, anstatt ein Minderheitskabinett Merkel zu dulden, bestraft werden, sie muss auf ein Stimmen-Niveau absinken, dass sie zwingt, sich zu erneuern.
Berliner haben einen weiteren Grund, nicht SPD mit der Zweitstimme zu wählen, aber unbedingt mit der Erststimme. Der Grund heißt Tim Renner. Wer den
Volksbühnen-Killer, Peymann-Abwickler und Chris-Dercon-Kumpel nicht im nächsten Parlament haben will, muss dafür sorgen, dass möglichst viele SPD-Direktkandidaten gewählt werden. Au0er natürlich in Charlottenburg. Da kandidiert Renner.
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Wer will, dass die AfD nicht zur dritten Kraft und im wahrscheinlichen Fall einer neuen Großen Koalition zur »Opposition« werden, der muss die »Linke« wählen. Denn nach Lage der Dinge haben weder FDP, noch GRÜNE eine Chance, die AfD zu überflügeln.
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Über epd wurde jetzt ein »Offener Brief zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien« verbreitet.
Rund 50 Wissenschaftler und andere Vertreter der Zivilgesellschaft sprechen sich darin für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus. Unter anderem fordern sie, den Online-Auftrag von ARD und ZDF weiter zu fassen und den Archivauftrag zu erweitern.
Das richtet sich auch direkt gegen die AfD, gegen die fanatischen Wutbürger und dummen Bewohner des Tals der
Ahnungslosen, die gern »Staatsfunk« sagen und »Zwangsgebühren« – das sind Kampfbegriffe, die dazu da sind, die öffentlich-rechtlichen Medien zu diskreditieren. Als seien ARD und ZDF mit dem Fernsehen der DDR zu verwechseln.
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Die Unterzeichner formulieren trotz der Realität unseres Fernsehprogramms kühn das Gegenteil: »Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden. Die Demokratie benötigt einen offenen Prozess der Meinungsbildung. In diesem Prozess kommt den öffentlichrechtlichen Medien eine unverzichtbare Rolle zu. Sie sind auch und gerade in der digitalen Medienwelt wichtiger denn je.«
Darum fordert der Brief eine Ausweitung.
»Der Online-Auftrag muss weiter gefasst werden. ... Dazu gehört, dass der Auftrag von nicht mehr zeitgemäßen Einschränkungen befreit wird, die die Erfüllung der Öffentlichkeit stiftenden Funktion beeinträchtigen.
– Daher fordern wir, dass die gesetzlich vorgesehene Löschfrist für bestimmte öffentlich-rechtliche Sendungen im Online-Angebot abgeschafft wird. Das Verbot der Presseähnlichkeit entspricht – zumal in der restriktiven Interpretation der
Rechtsprechung – nicht den Bedingungen der Content-Aufbereitung im Internet und muss aufgehoben werden.
– Dann könnte auch die bisherige Differenzierung zwischen sendungsbezogenen und nicht sendungsbezogenen Telemedien mitsamt der aufwendigen Ausweis und Nachweispflicht für den Sendungsbezug vollständig fallen.
– Der eng gefasste Archivauftrag muss erweitert werden. Die Archive des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellen einen wertvollen Teil
des kollektiven Gedächtnisses der Bundesrepublik und der öffentlichen Meinungsbildung dar. Die bereits finanzierten Inhalte müssen langfristig im Internet verfügbar sein. Die beste Möglichkeit zur Fortentwicklung eines zeitgemäßen Online-Auftrags liegt darin, dass der Gesetzgeber diese unzeitgemäßen Vorgaben aufgibt und die Fortentwicklung des Telemedienauftrags weitgehend in die Hände der Anstalten legt. Der Gesetzgeber sollte sich darauf beschränken, dafür ein
Verfahren bereitzustellen, das sowohl die Beteiligung Betroffener als auch der Öffentlichkeit gewährleistet und – unter Wahrung europäischer Vorgaben – deutlich unaufwendiger ist als der bisher vorgesehene Drei-Stufen-Test.
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– Zur Herstellung von mehr Transparenz und im Hinblick auf die heutige Kultur sollten die Gremien öffentlich tagen, soweit es nicht um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geht.
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Die Grenze der Sparpolitik ist
erreicht, wenn Kürzungen auf Kosten der Auftragserfüllung und hohen Standards gehen. Daher muss die Medienpolitik der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Finanzierungsgarantie nachkommen und Sorge tragen, dass die Erfüllung und notwendige Fortentwicklung des Auftrags finanziert werden kann. Als öffentliche Auftraggeber müssen die Anstalten zudem sicherstellen, dass die Arbeit der Inhalteproduzierenden, der Urheberinnen und Urheber, angemessen bezahlt
wird. Wenn immer mehr Inhalte immer länger im Netz verbleiben, müssen diese Rechte entsprechend vergütet werden.
Im Übrigen ist es notwendig, angesichts digitaler Verbreitungswege und neuer Angebote Einsparpotenziale aufzuzeigen und dafür notwendige Reformen anzugehen. Kostensparende Kooperationen unter den öffentlichrechtlichen Anstalten sind ganz im Sinne sparsamen Wirtschaftens. Bund und Länder müssen allerdings die (kartell-)rechtlichen Voraussetzungen schaffen,
damit die Anstalten die ihnen von der KEF zunehmend abverlangten Kooperationen auch vornehmen können.
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Die Erhaltung eines Verbreitungsweges neben dem Internet muss gewährleistet werden, weil so der Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Angeboten für Personen sichergestellt wird, die nicht über einen Internetanschluss verfügen. Auch unter sicherheitsrelevanten Aspekten ist der terrestrische Ausspielweg notwendig, um im Gefahrenfall über eine vom Netz unabhängige
Verbreitungsinfrastruktur zu verfügen.«
Zu den Unterzeichnern des Briefs gehören neben vielen Wissenschaftlern zwei Politikerinnen: Julia Reda, Mitglied des Europäischen Parlaments als einzige deutsche Abgeordnete der Piratenpartei, und Tabea Rößner, Bundestagsabgeordnete der GRÜNEN.
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Piratenpartei? Gibts die noch? Oh ja. In Island stellen sie die Regierung, in anderen Ländern sind sie eine relevante Größe. Die Bundeszentrale für politische Bildung nennt sie »linksliberal«. Das schreibt die BpB weder über die FDP noch über die GRÜNEN.
Unabhängig vom derzeit geringen Machtfaktor drückt die Piratenpartei ein Lebensgefühl aus, das durchaus verbreitet ist.
Und die Piraten-Abgeordnete Julia Reda hat Erfolge zu verbuchen. Gemeinsam mit 70 Kollegen des
Europaparlaments hat sie einen Antrag eingereicht, um das ziemlich unsinnige, und viele Urheber enteignende Leistungsschutzrecht zu streichen. Dieses erschwert innovative Geschäftsmodelle, die die Artikel mehrerer Verlage zusammenbringen. Eine Reform des Urheberrechts ist von höchster Bedeutung für die nächsten zehn Jahre – sie muss und wird kommen.
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Im Berliner Tagessiegel nimmt Christiane Peitz Partei für Monika Grütters. Das hört sich dann so an: »Sie kann verdammt stur sein. Und zäh. Manche nennen es auch Ungeduld. Für eine Bilanz ihrer vier Jahre als Kulturstaatsministerin nimmt sich Monika Grütters in diesen Tagen weniger Zeit als für die Diskussion der Baustellen. Dazu gehören das Mammutprojekt einer Strukturreform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Intendanz des Humboldt-Forums nach der Eröffnung des
Schlosses und das Projekt eines zentralen Filmhauses in Berlin.
... Grütters vereint Programmatik und Pragmatik; der Gegensatz zu ihrem unmittelbaren Vorgänger und CDU-Parteikollegen Bernd Neumann könnte kaum größer sein. ... Neumann beherrschte die Kunst des Kompromisses, suchte den Konsens. ... Grütters tickt anders. Seit Beginn ihrer Amtszeit im Dezember 2013 verfolgt die 55-Jährige eine eigene Agenda, bezieht Stellung, agitiert, argumentiert, mischt sich ein. Eine
Überzeugungstäterin. ... Seit Dezember 2016 macht sie als Berliner CDU-Landesvorsitzende eher eine unglückliche Figur, handelt oft zögerlich, widersprüchlich. Umso deutlicher ihre Entschlossenheit bei der Kultur, sie ist ihr Terrain, ihre Welt.«
Es geht um alles Mögliche in dem Text, nur um Filmpolitik geht es kaum. Auch das hat seine Gründe.
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Erste Schritte, letzte Schritte. Am Montag wurden in Berlin die »First Steps«-Preise verliehen. Seitdem spätestens wissen wir, dass Aylin Tezel als Moderatorin ein Naturtalent ist. Aber wissen wir auch, wo der deutsche Filmnachwuchs wirklich steht?
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Echtes Kino voller Luft und Sonne, zwei junge Frauen und ihre Geschichte, die ganz und gar in Bildern erzählt wird, in erlesenem Farbdesign mit Musik Es geht um die Suche nach der wahren Liebe. Man kann diesen Film einfach nur spüren und genießen. Man kann mit ihm mitschwingen und sich mit jeder Pore von ihm durchdringen lassen. Er ist ein großes Wunder, das man bestaunen muss. So entschieden schiebt er alles beiseite, was man sonst von einem Film erwartet. Ein Film wie ein Gedicht, das
komplexe Zustände unseres Lebens auf die Leinwand bringt, mit allen Geschichten, Farben, Klängen und Strukturen. Kino, das mit ganz wenig unglaublich viel bewegt.
Anatol Schusters Film Luft ist ein sehr origineller, überaus gelungener Film und – mit sehr wenig Etat im Saarland und in Frankreich in prachtvoller Natur gedreht – auch eine gigantische Produktionsleistung der
Münchner Filmstudentin Isabelle Bertolone, die für diesen Abschlussfilm am Montag beim Nachwuchsfilmpreis »First Steps« nominiert war.
Ein zweites Beispiel: Julia Langhofs Lomo – ein mitunter witziges, souverän inszeniertes und sehr stilbewusstes Jugendmelodram ums Erwachsenwerden, über das Netz und was es mit uns allen tut. In einer Art Coming-of-Age-Matrix führt ein Abiturient ein Doppelleben als Internet-Idol und gefällt sich als Wahrheitsgenerator für seine Umgebung. Auch Nina Vukovics Studentenfilm Detour und das Drama Die beste aller Welten von Adrian Goiginger sind ausgezeichnete Beispiele
für die Fähigkeiten der Nachwuchsfilmer. Und es scheint, als ob junge, in Deutschland arbeitende – aber nicht immer deutsche – Filmemacher gerade unterwegs seien zu etwas Neuem. Wer wäre nicht diskret angeödet von den Dilettantismus-Etüden des sogenannten »deutschen Mumblecore«, vom Langsamkeitsfetischismus mancher älterer Filmemacher und von der Ästhetik der »Tatorte« und Fernseh-Serien – die eher Honigfallen für Talente sind, als Startrampen.
Es sind
zum Teil ausgezeichnete Filme, die für die »First Steps«-Awards nominiert waren.
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Die Veranstaltung selbst und der etwas billige Glitter drumherum hat mit einem Nachwuchspreis hingegen sehr wenig zu tun und befriedigt eher die Geschmäcker der älteren Funktionäre.
Ein »Mercedes-Benz Driving Event« für die Nominierten lockte bereits am Sonntag, nach dem »Networking Dinner« gab es dann noch eine »Beauty-Lounge« – kann man das eigentlich auch anders, als auf Amerikanisch ausdrücken? – und einen Empfang der GALA – bestimmt ein Heft, das jeder
Jungregisseur unterm Kopfkissen liegen hat.
Mit jungen Lebenswelten hat das alles wenig zu tun, eher schon mit der Abrichtung für ein deutsches Pseudohollywood, für eine Glamourwelt, die zu den nominierten Filmen in himmelschreienden Widerspruch steht.
Die wirklichen Probleme beginnen ysowieso erst jetzt, nach den Preisen und nach dem allerersten Kinofilm.
Denn den Anfängern geht es relativ gut im deutschen Film – wirklich schwierig wird es auch für
erfolgreiche Jungfilmer, ihren nächsten Kinofilm zu stemmen, und nicht nur eine Kino-Eintagsfliege zu bleiben, sondern sich in der deutschen Filmszene zu etablieren.
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Es ist schon mehr als paradox, es ist geradezu pervers, dass immer mehr Filmhochschule-Plätze und Nachwuchsförderprogramme und -preise für viel Geld aus dem Boden gestampft werden – und die bundesdeutsche Filmförderanstalt FFA erklärt nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand, dass es ihr am liebsten wäre, wenn viele Filme gar nicht erst gemacht würden.
Die meisten der gestern nominierten Filme könnten unter normalen, nicht anfängerbegünstigenden deutschen
Förderbedingungen gar nicht entstehen, weil die Besserwisser und Schlaumeier in den Gremien sie nicht fördern und stattdessen in seitenlangen Papieren erklären, warum solche Filme angeblich kein Publikum finden.
Hier müsste die Noch-Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters ansetzen, wollte sie ihren regelmäßigen Jubel-Pressemitteilungen zum deutschen Film wirklich Taten folgen lassen. Oder eine neue, hoffentlich bessere Kulturstaatsministerin.
Bis jetzt wird
anspruchsvolles Kino schon von der Kulturpolitik erdrosselt, und ist nurmehr unter prekären Bedingungen überhaupt möglich.
Man kann daher allen Wählern nur raten sich am Sonntag zu überlegen, welche der Parteien wenigstens ein bisschen was an der Lage des deutschen Kinos verbessert... Und wenn man keine findet, sollte man vielleicht wenigstens die nicht wählen, die in den den letzten vier Jahren nichts besser gemacht haben.
(to be continued)