Cinema Moralia – Folge 167
Frühstück mit Julie Delpy |
![]() |
|
Julie Delpy, Gewinnerin des European Achievement in World Cinema, mit Presenter Volker Schlöndorff | ||
(Foto: EFA/API/Daniel Hinz) |
»Das Gefühl, das jetzt viele Leute angesichts der ›Me too‹-Affäre haben: Da schreien irgendwelche Opfer auf, die Vorwürfe sind noch überhaupt nicht geprüft, aber die Beschuldigten sind eigentlich schon ruiniert. Kevin Spacey wird aus allen Hollywood-Filmen herausgeschnitten, gewaltige Schäden und Aushöhlung aller rechtlichen Standards von Anhörung von Beschuldigten, von Beweiswürdigung, Unschuldsvermutung und so weiter. Das wird vielleicht nicht ganz zu Unrecht einer bestimmten Mitte-Links-Position in der Gesellschaft zugeschrieben, und viele Leute denken sich: Müssen wir uns wirklich vorschreiben lassen, wie wir sprechen? Und wo bleibt eigentlich der Standard des guten zwanglosen Lebens, wo man vielleicht auch mal scherzen kann und wo nicht alles so ernst gemeint ist? Genau diese Terrains besetzt die Rechte jetzt, und es genügt ja auch … damit die einfachen Leute gar nicht mehr fragen: Zu welcher ökonomischen Politik stehen die denn ein? Das ist, glaube ich, einer der größten politischen Fehler, den diese zartfühlende Sprachpolitik der neoliberalen Linken hervorgebracht hat.«
Robert Pfaller, Philosoph, deutschlandfunk, 24.11.2017
+ + +
»Three! Two! One! Yeah!!!« – sechs Schweden auf der Bühne jubelten, so wie man es von Schweden erwartet. Gutgelaunt, nicht sehr prätentiös, leicht machomäßig angehaucht und alles in allem doch irgendwie kühl. Dabei war es ein Triumph! Sechs Europäische Filmpreise gab es am Wochenende für The Square vom Schweden Ruben Östlund – nachdem der Film bereits in Cannes mit der
Goldenen Palme den wohl wichtigsten Filmpreis der Welt gewonnen hatte.
»We wanted it to be wild, entertaining and exiting … I am really happy for this price. Thank you, thank you«, freute sich Regisseur Östlund auf der Bühne.
The Square ist eine glänzende Satire auf einen Kunstbetrieb, der sich oft selbst zu ernst nimmt, der von Doppelmoral, Selbstgefälligkeit und
politischer Correctness beherrscht wird, ein Betrieb, der immer ein gutes Gewissen hat, und in dem doch die Kunst zum Glamourfaktor für die Reichen und Mächtigen verkommt.
Östlunds Film zielt dabei keineswegs nur auf den Kunst-Museumsbetrieb. Er ist smarte Gesellschaftskritik, die jeden von uns meint, auch Filmkritiker, Eltern, Lehrer und jene braven Bürger mit vermeintlich gutem Gewissen, die wie wir alle gern anders reden, als wir handeln – und so ganz frei ist auch das
europäische Kino nicht von solchen Haltungen. Insofern kann man der Europäischen Filmakademie, die die fünf Hauptpreise per Mitgliedermassenabstimmung ermittelten, zugute halten, dass in dieser Auszeichnung auch ein Stück Einsicht und Selbstkritik zu erkennen ist. Eine Selbstkritik, von der man sich in anderen Zusammenhängen mehr wünschen würde.
+ + +
Völlig leer ausgegangen sind am Wochenende dafür andere gute, oder zumindest interessante europäische Filme: The Killing of a Sacred Deer des Griechen Yorgios Lanthimos war dreimal nominiert, genauso wie das russische Miserabilismusdrama Loveless. Je zweimal nominiert waren die Filme Happy End von Michael Haneke, Frantz von François Ozon, und 120 BPM von Robin Campillo, sowie Die andere Seite der Hoffnung von Aki Kaurismäki.
Das deutsche Kino
war dagegen mal wieder komplett abwesend: Hatte 2016 noch Toni Erdmann triumphiert, war diesmal kein einziger deutscher Film auch nur in einer Nebenkategorie nominiert. Aber man hatte es schon im Vorjahr ahnen können, dass es sich bei Toni Erdmann um eine Eintagsfliege handelt – zu schwach ist das
deutsche Autorenkino im Vergleich zu Frankreich, Österreich und Skandinavien. Die EFA-Nominierungen bestätigten nur dieses bekannte Bild: Europäisches Kino, das heißt eben nicht wirklich Vielfalt, sondern oft Einfalt. Eine wirklich blühende Filmlandschaft gibt es nur in Frankreich, das auf sechs Nominierungen kam. Daneben gibt es einzelne große Regisseure, die oft schon zu den Älteren gehören, wie Michael Haneke oder Aki Kaurismäki.
+ + +
Aus Frankreich kommt auch Julie Delpy, die als Schauspielerin begonnen hatte und längst Regisseurin ist. Die Verleihung des Ehrenpreises für Delpy war das eigentliche Highlight des Abends: »I am getting this award for surviving for 30 something years«, setzte Delpy an, »für keeping my integrety, you know what I mean«. und jeder erwartete schon hier irgendein weiteres »Me too«. Es sei feministisch, seine Integrität zu bewahren, sagte Delpy, aber das Filmbusiness mache es einem
nicht gerade leicht: »I just had the most horrible professional experience of my life…« Jetzt aber, oder? Die Spannung war greifbar, die Luft bleiern dicht – aber nicht von sexueller Belästigung, sondern von ganz anderen, härten, weil materielleren Zwängen berichtete Delpy: Nach acht Monaten verletzender und demütigender Verhandlungen sei drei Wochen vor Drehbeginn ein Investor abgesprungen, und jetzt fehlten ihr 600.000 Dollar.
Deshalb rief Delpy auf zu ihrer
persönlichen Tombola und verloste ein Frühstück mit ihr – »not on my bedroom« – als Hauptpreis.
+ + +
Da lachten alle – aber es war nicht wirklich lustig... Zwischen Spaß, Mitleid, Scham, Selbst-Demütigung war dies vielmehr der Augenblick der Wahrheit. Denn hinter all der zur Schau getragenen Harmonie, hinter dem falschen Glamour des europäischen Films tobt ein harter Verteilungskampf. Denn es gibt nicht mehr sondern immer weniger Geld für den einzelnen europäischen Film, und alle Kinowerke, die etwas Besonderes wollen, die mehr wollen als stromlinienförmige
Unterhaltung, haben es besonders schwer.
Das öffentliche Fernsehen steigt aus der Filmfinanzierung aus – Talkshows und Sportrechte sind billiger, und auch die Filmförderer finanzieren neuerdings Serien und Games. So sind Regisseure zunehmend gezwungen, um Geld zu betteln, anstatt dass man die Filmkunst auch nur annähernd so großzügig mit öffentlichen Mitteln finanzieren würde wie Oper, Theater oder Kunstmuseen.
Das Europäische Filmpreis möchte gern so etwas wie
der Oscar des Europäischen Kinos sein. Aber das Europäische Kino hat es viel schwerer als vor dreißig Jahren, als man den Europäischen Filmpreis erstmals verlieh.
Julie Delpy sprach es aus: Es geht ums Geld. »Since films are not just about entertainment, art, raping women, but also about money – I will ask for your generous help. Be generous. I will do anything to make this film.«
+ + +
Was wir leider noch nicht wissen, ist, ob Julie Delpy am nächsten Morgen die 600.000 Euro zusammen hatte. Vielleicht sucht sie noch einen Frühstückspartner.
+ + +
Der Name klingt technokratisch und kompliziert. »SatCab-Online-Verordnung« – dabei geht es aber um etwas, das wir alle nutzen, und zwar täglich mehr: SatCab steht für »Satellit-Kabel-Online«. Am Dienstag hat das Europäische Parlament darüber beraten und abgestimmt, welche europäischen Fernseh- und Rundfunkprogramme in welcher Weise und zu welchen Bedingungen auch Online-Verfügbar sein sollen – etwa über Mediatheken, wie sie auch alle öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland haben.
+ + +
Es war ein Gefecht von Sozialdemokratie gegen Konservative. Sozialdemokraten wollten den öffentlich-rechtlichen Sendern auch die EU-weite Online-Verwertung ihrer Programme gestatten, einschließlich der Filme und Serien, die sie immerhin bereits angekauft und – in ganz Europa via Satellit – gesendet haben.
Letztere wollten das bis gestern allgemein geltende »Territorialprinzip« bei Mediatheken grundsätzlich beibehalten, also das Recht, Filme in jedem
europäischen Land einzeln zu verkaufen. Angenommen wurde das »Ursprungslandprinzip« für Nachrichten und verwandte Sendungen, während es für Filme und Serien einstweilen noch beim Territorialprinzip bleibt.
Der deutsche Berichterstatter Tiemo Wölken (SPD) war für das Ursprungslandprinzip eingetreten, weil es den Konsumenten einen besseren Zugriff auf Mediatheken im EU-Ausland erlaubt hätte. Die Blockierung mit der Meldung »Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar« wäre
dann in vielen Fällen weggefallen.
Nun bleibt es bei einer Regelung, die Netflix und ähnliche globale Anbieter gegenüber den Öffentlich-rechtlichen einseitig bevorzugt.
Kein Wunder, dass sich außer den Produzentenlobbys gestern auch der »Verband Privater Rundfunk und Telemedien« (VPRT) freute.
+ + +
Was an der ganzen Debatte befremdet, ist vor allem der schrille, hysterische Ton, in dem der – legitime, aber inhaltlich vorgestrige – harte Einsatz vieler Produzenten-Lobbys für das Festhalten am Territorialprinzip vorgetragen wird und das undifferenzierte Flankieren dieser Ansichten durch manche Medien.
So schwante der FAZ wieder mal der Untergang des Abendlandes: Sie räumte Christoph Palmer, dem Chef der Allianz Deutscher Produzenten, den Platz für ein
riesiges Gefälligkeitsinterview ein – hier ein Zitat, das den Ton verdeutlicht: »die Befürworter des Online-Durchgriffs der Sender – ARD und ZDF, SPD und Piraten im EU-Parlament und der Bundesverband der Verbraucherzentralen«, und gab einem freien Autor aus München breite Möglichkeiten, um gegen Wölken und seine Positionen zu polemisieren.
Von »Showdown« schrieb dann Michael Hanfeld noch in einem »Europas Filmurheber« betitelten Text, der suggeriert, als
seien Filmproduzenten identisch mit den Urhebern eines Films. Im weiteren Text schreibt der Autor mit guten Gründen dann lieber von den »Kreativen«. Ein schwammiger Begriff.
+ + +
Hier muss man erstmal gegen die Legendenbildung argumentieren: Niemand will die Vergütung von Rechten beseitigen. Es geht nur darum, dass im vereinten Europa auch die Rechte und ihre Vergütung europaweit organisiert werden müssen. Das ist anstrengend.
Das Europäische Parlament ist ja im Übrigen auch keine Mafia, die brave Bürger enteignen will. So wenig wie Produzenten selbstlose Bettelmönche sind, die im Leben nichts anders tun, als »Verbraucherwohlfahrt« zu leisten
– so das absurde Newspeak-Wording aus der Pressemitteilung der Produzentenallianz.
Und weiter: Produzenten sind auch keine Urheber. Genausowenig, wie die Fernsehsender, mit denen sie sich jetzt streiten. Urheber sind nur die Filmregisseure, und eventuell Drehbuchautoren und Editoren. Urheberrechte darf man übrigens auch nicht abtreten, auch nicht für teures Geld, auch nicht, wenn man selber das will. Es ist wie mit den eigenen Nieren – die darf man auch nicht
verkaufen.
Worum es tatsächlich geht, ist der Leistungsschutz – das Recht von Nichturhebern, mit fremden Stoffen zu handeln. Leistungsschutz ist in Deutschland ein Begriffsfetisch. Er lenkt ab von der de facto Ausbeutung der tatsächlich Kreativen durch manche Sender und Verlage, aber auch durch manche Produzenten.
+ + +
Man könnte ja auch mal fragen, warum man denn in einem offenen Europa ohne Grenzen nicht auch Filme entgrenzen, und allen zugänglich machen soll? Wenn wir mit guten Gründen gegen Sonderwege, regionalistische Spinnereien und gegen Seperatismus eintreten – warum soll dann im Kino plötzlich das Katalonien-Prinzip ausgerufen werden?
Warum können Produzenten denn ihre Ware nicht europaweit verkaufen?
Aber das ist nur die eine Seite. Denn Kultur im weiteren Sinn lebt
natürlich von Differenzierung. Und die muss geschützt werden. Wir wollen schließlich nicht alle den gleichen Käse essen – so argumentieren die Statthalter des Territorialprinzips.
Aber – dies wieder das Gegenargument – wir freuen uns natürlich, dass wir auch in Deutschland und überall echten französischen Käse kaufen dürfen, auch den politisch-inkorrekten, der uns schadet, und nicht gezwungen sind, nur Deutsches zu essen.
+ + +
Man kann es ganz gut mit den Telefonrechten vergleichen. Roaming war teuer, das hat die EU abgeschafft, und keiner jammert über das Schicksal der armen Telefongesellschaften, die eine Finanzierungsmöglichkeit verlieren.
Und worüber wir jetzt noch gar nicht gesprochen haben: Jeder der weiß, wie es geht, kann sowieso europaweit alle Mediatheken aufrufen und die entsprechenden Filme downloaden. Dafür braucht man nur technisches Wissen, keine illegalen
Programme.
Trotzdem ist das Thema kompliziert. Darum sind die Argumente der Produzentenlobbys zu einfach, zu einseitig.
+ + +
Einen interessanten Beitrag zur glücklicherweise langsam abflauenden »Mee Too«-Debatte liefert der österreichische Philosoph Robert Pfaller. In seinen neuen Buch »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (S. Fischer, Frankfurt/Main 2017) fragt er ob unsere Gesellschaft zu empfindlich ist? Pfaller mokiert sich über das Verständnis für »irgendwelche möglichen Verletzlichen«, zartfühlende Sprachpolitik und die aus den USA nun auch nach Europa
überschwappende Tendenz, seine Mitmenschen mit ständigen Sprach- und Verhaltensregulierungen zu belästigen. Pfaller sieht in der sogenannten sensiblen Sprache ein politisches Ablenkungsmanöver und »neoliberales Symptom.« Mit der sprachlichen Sensibilisierung gehe nämlich eine »Brutalisierung« der ökonomischen und politischen Verhältnisse einher.
Die »Aufpassergruppen« der »neuen Mittelschicht« würden durch allerlei Sprach- und Verhaltenstabus vor allem dafür
sorgen, »dass sich die Probleme in der Gesellschaft ja nur in Miniaturform darstellen.«
In den Sprachregelungen sieht Pfaller »eine Propaganda der Einschüchterung«, die ein Entblößen der eigenen Schwäche belohne: »Wenn du nur die größte Empfindlichkeit an dir entdeckst und sie öffentlich machst, dann kriegst du dafür ein kleines Zuckerl – aber nur solange, bis der nächste, noch empfindlichere daherkommt, dann kriegt der das Zuckerl.«
Die neuen entpolitisierten
Empfindlichkeitspolitiken – »Sexualpolitik, Religionspolitik, Bildungspolitik« – fördern nach Pfaller vor allem eine »zunehmende Infantilisierung« der Verhältnisse und verstellen den Blick auf die wahren Probleme und ihre Lösung.
+ + +
Warum stürzen Politiker über dumme Macker-Sprüche, aber nicht über Waffenlieferungen an Saudi-Arabien? Solche Phänomene untersucht der Philosoph Robert Pfaller in seinem neuen, im besten Sinne provozierenden Buch.
Mich begeistert, wie zielsicher Pfaller das Herz der gegenwärtigen Debatten trifft. Tatsächlich erleben wir ja allerorten, wie die Kultur durchgeschrubbt wird, um das Individuum vor Schmutz zu schützen. Und da ist natürlich die »Me too«-Debatte und der Diskurs
um Sexismus nur das prominente Beispiel, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben.
Man mag sagen, das ist begrüßenswert, dass es eine solche Kampagne gibt. Doch Pfaller beleuchte die andere Seite, die wir eben auch sehen müssen. Anstatt dass die Leute sich gemeinsam gegen die neoliberale Ausbeutung stemmen, kümmert man sich darum, dass die eigenen Gefühle geschützt werden. Das ist, wenn man so will, nicht nur infantil, sondern auch narzisstisch.
Svenja Flaßpöhler im
deutschlandfunk, 4.12.2017
+ + +
Buchtipp:
Robert Pfaller: »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur«, S. Fischer, Frankfurt/Main 2017, 256 Seiten, 14,99 EUR
(to be continued)