Cinema Moralia – Folge 168
We too: Substanz statt Schmuh!! |
||
Nicht mal Kraume, Eidinger & Elsners Familienfest – einer von allen Filmen, die beim FFF in Baden-Baden leer ausgingen... | ||
(Foto: Lars Kraume) |
»Antwort eines sowjetischen Künstlers auf gerechte Kritik«
Dimitri Shostakowitsch, Untertitel zur 5. Symphonie, im November 1937»Was die Männer für ihre Überzeugung leiden und dulden, werden die Frauen auch zu ertragen wissen. ... Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht allein' ein Recht, sondern eine Pflicht aller Frauen.«
Louise Otto (1819-1895), Frauenrechtlerin, 1843»Die FFA sollte – im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften – Kinofilme fördern, die einen hohen qualitativen Anspruch haben sowie gleichermaßen absolut und/oder relativ wirtschaftlich erfolgreich im In- und Ausland ausgewertet werden können.«
aus den FFA »Leitlinien«, 13.06.2017»Es war in diesen Tagen beunruhigend zu sehen, dass manche Kreative ihr Werk nicht einmal verteidigten.«
Aus der Jurybegründung in Baden-Baden, 2017
+ + +
Vor ein paar Wochen, gab es eine auffällige Wortmeldung beim »FernsehfilmFestival Baden-Baden«. Da verzichtete die diesjährige Studentenjury – bestehend aus Studierenden der Filmschulen in Babelsberg, Ludwigsburg und München – darauf, überhaupt irgendeinen einen Preis zu vergeben.
Man fragt sich nicht lange warum, wenn man auf die Liste der Wettbewerbsfilme blickt. Ein trauriges Bild schon von den Themen und den 08/15-Bildern her. Manches kenne ich, anderes glücklicherweise nicht.
+ + +
In der Begründung der Studenten, die man hier komplett nachlesen kann, heißt es: »Vieles war Stückwerk statt Kunstwerk, Konsens statt Krawall, Bravheit statt Braveness, Asthma statt Aufbruch. Es war in diesen Tagen beunruhigend zu sehen, dass manche Kreative ihr Werk nicht einmal verteidigten. Teilweise entstand der Eindruck der Uneinigkeit zwischen den
Verantwortlichen – darüber, von welcher gemeinsamen Vision einzelne Filme angetrieben wurden.
Das ist, was wir beobachtet haben, und das reicht uns so nicht.
Ein Film, der ausgezeichnet wird, muss nicht makellos sein.
Er muss uns jedoch grundlegend begeistern und in die Zukunft weisen.
Keiner der Filme hat dies für uns in ausreichender Weise getan.
Aus diesem Grund hat sich die Studentenjury mehrheitlich dazu entschieden, dieses Jahr keinen Preis zu
vergeben.
Uns trieb nicht Uneinigkeit zu dieser Entscheidung. Vielmehr war es die Erkenntnis, dass nicht ein einziger Film auch nur ein einziges Jurymitglied wirklich zu begeistern vermochte.«
+ + +
Bravo! Bravo erst recht für die schlagenden Bemerkungen: »Wir sind überzeugt, dass Fernsehen mehr kann und mehr muss. Nicht nur Filme, auch Preise haben eine Verantwortung.«
+ + +
Wann gibt es eigentlich endlich einen »Me Too«-Hashtag für Ästhetik? Wann erzählen »Kreative« öffentlich und massenhaft davon, wie ihre Kreativität von Funktionären und Dramaturgen erstickt wurde? Fehlt der Mut? Oder sind wir alle glücklich? Solange es wichtiger ist, wenn Harvey Weinstein mit einem Duschen gehen will, als wenn ein Fernsehredakteur oder Förderungs-Söldner einem das Drehbuch massakriert, liegen die Prioritäten falsch.
Vielleicht muss man das aber gar nicht
aufrechnen. Vielleicht genügt es zu sagen, dass Ästhetik nicht weniger wichtig ist, als der Rest, und dass es mich irritiert, dass künstlerische Integrität den Künstlern hierzulande immer vergleichsweise unwichtig zu sein scheint.
+ + +
»Die Studierenden Ihrer Hochschule für Fernsehen und Film München« richteten soeben einen offenen Brief an die CSU, bzw die bayerische Staatsregierung, der »Für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk« eintritt, und den Verantwortlichen eine klare Mängelliste vorhält.
Der Brief ist leider für mich gerade einstweilen nur beim »Blickpunkt Film« nachzulesen, insofern kann ich für
die Richtigkeit der Zitate in diesem Fall nicht verbürgen.
»Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, sehr geehrter Herr Staatsminister Dr. Spaenle, sehr geehrte Frau Staatsministerin Aigner,« schreiben die Studis »mit großer Sorge«.
Sie rekurrieren auf den »Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und die damit lauter werdenden Stimmen nun auch im Parlament, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schwächen oder gar abzuschaffen.« Da genügte es zwar auch, die FAZ und andere sogenannte »Qualitätsmedien« zu konsultieren,
aber die Grundidee stimmt natürlich:
»Wir erkennen ... durchaus, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten seit jeher die mit Abstand wichtigsten Partner für die deutschen Filmhochschulen und damit den gesamten deutschen Film- und Fernsehnachwuchs waren und sind.«
Dann werden Prestigefilme aufgelistet, »Filme ..., die mit Oscars oder anderen bedeutenden Preisen bedacht wurden und den Studierenden den erfolgreichen Eintritt in die Branche ermöglicht haben«, um die Politiker zu beeindrucken, die
»Strahlkraft des Bayerischen Rundfunks«
Dann kommt die Substanz: »immer kleiner werdende Budgettöpfe«, auch durch die Nichtbayern, die im Bayern-Reservat wildern, »deutliche Reduktionen in der Anzahl und Ausstattung von Produktionen«, die »beim BR besonders dramatisch zu sein« scheinen. Die »ohnehin bereits enorm eingeschränkte Nachwuchsförderung« werde »de facto abgeschafft.« Die Folgen der allgemeinen Sparmaßnahmen führen zur Reduktion der BR-Beteiligungen im Nachwuchsbereich um etwa 70%!
+ + +
»Der Film- und Fernsehnachwuchs generell, aber auch speziell in Bayern, braucht daher die Unterstützung der Politik, damit die sehr hochwertige und kostspielige Ausbildung motivierter und kreativer junger Leute an der HFF in Zukunft nicht ins Leere läuft. ...
Es ist unserer Ansicht nach auch die Aufgabe der Politik und eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den aktuellen Entwicklungen entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass das öffentlich-rechtliche
Fernsehen aufgrund seiner Finanzierung über Rundfunkbeiträge Freiheiten haben soll und muss, wie es rein marktwirtschaftlich operierende Unternehmen sich nicht immer erlauben können. Dabei geht es nicht nur darum, kulturelle Minderheiten zu repräsentieren, sondern auch und vor allem darum, dem noch nicht etablierten Nachwuchs Chancen und Möglichkeiten für seine Entfaltung zu geben, die den künstlerisch-kreativen und wirtschaftlichen Standort auch in Zukunft erfolgreich
prägen sollen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender werden immer wieder für ihr angeblich wenig originelles und auf ein älteres Publikum ausgerichtetes Programm kritisiert. Wir erkennen die Bemühungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten, ihre Programme zu reformieren und zu modernisieren. Zeitgemäßes, hochwertiges und mutiges filmisches Erzählen kostet aber Geld!
...
Eine vielfältige und florierende Kulturlandschaft ist kein Luxus, sie ist ein Bürgerrecht und
einer der großen Werte unserer westlichen Welt. Und gerade Bayern zeigt vorbildhaft, wie hochwertige kulturelle Inhalte und wirtschaftliche Erfolge vereinbar sind.
Eine rückwärtsgewandte und kulturfeindliche Politik darf in einem Land wie Deutschland, gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte, keinen Nährboden haben. Die Diskussion über Rundfunkbeiträge sollte die zu schützenden Grundwerte dieses Systems nicht in Frage stellen und daher keinesfalls den kurzsichtigen
und populistischen Kräften überlassen werden.«
+ + +
Alles richtig. Einziges Problem: Die Studenten »bitten«, sie fordern nicht. Sie treten nicht als Staatsbürger auf, die die Dienstherren des Ministerpräsidenten und seiner Staatsregierung sind, sondern als Untertanen. Wie immer.
Sie glauben allen Ernstes, dass sie mit Floskeln, die großkopferten Provinzler beeindrucken könnten: »Vorreiter und Triebfeder ... für eine bedeutende und vielfältige Film- und Fernsehlandschaft.« Mensch, ihr Säckel! Das würde der Söder nicht
anders sagen.
Was werden die Studenten tun, wenn ihnen seine Majestät abschlägige Bescheide ausstellt?
+ + +
»In einer Welt, in der die bewährten Finanzierungsstrukturen Abnutzungserscheinungen aufweisen, jedoch nach wie vor die Arbeitsrealität der produzentischen Tätigkeit bestimmen und gleichzeitig neue Modelle und Player vielseitige Möglichkeiten bieten, ist die Stärkung der Position der unabhängigen Produzenten eine essenzielle Notwendigkeit, um Innovation, Qualität und Vielfalt der deutschen und europäischen Filmlandschaft zu garantieren.«
Hammer ey! Das ist
nicht der neue Tocotronic-Song, sondern ein Satz aus den »Leitlinien« des »Verband Deutscher Filmproduzenten« (VDFP), vulgo »Altproduzentenverbands«, de facto der Jungen Unabhängigen der deutschen Produzentenszene. Ist schon lustig, dass die jetzt die in der Branche mehr als
umstrittenen »Leitlinien« der FFA durch eigene Leitlinien kontern.
Vielleicht ein listiger Schachzug. Kurz vor Weihnachten traf sich der VDFP jedenfalls in Köln, und verabschiedete ein Papier.
+ + +
Was wirklich darinsteht, ist Folgendes:
– Die bewährten Finanzierungsstrukturen haben Abnutzungserscheinungen.
– Eine vielfältige Filmlandschaft ist notwendig.
– Neben den unabhängigen Produzenten gibt es auch abhängige Produzenten.
– Unabhängige Produzenten tragen das Hauptrisiko, sind aber die letzten in der Verwertungskette
– Risiken müssen flexibler und gerechter verteilt werden.
- Der VDFP will angemessene Verwertungsfenster, einen klaren Platz für Kino und den Nachwuchs sowie
– Quoten für nationale Produktionen,
– Quoten für europäische Produktionen.
– Der VDFP ist bereit, »neuen Verwertern« – sprich: Streamingdiensten – Raum zu geben.
- Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der EU sind gut, müssen aber so organisiert werden, dass auch unabhängige Produzenten weiterhin etwas verdienen können.
– Auch in einem vergleichsweise potenten Kinomarkt wie dem deutschen kann man Filme nicht finanzieren.
– Daher braucht man Subventionen in Form von Filmförderung.
– Stoffentwicklung ist besonders riskant. Dafür wollen die Produzenten mehr Geld bzw. Absicherung.
– Scheitern von
Stoffentwicklung ist branchenüblich.
– Derzeit können Produzenten mit Film nicht genug verdienen.
– Die Verleiher verdienen derzeit zu viel, die Produzenten zu wenig.
– Öffentlich-rechtliche Sender haben immer weniger Geld für Kinofilme. Darum funktioniert das an Sender gekoppelte Fördermodell nicht länger.
Sender sollten daher nicht länger die ersten Entscheider für einen Kinofilm sein.
– Die öffentlich-rechtlichen Sender engagieren sich zu wenig für qualitativ hochwertige Filme.
– Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland läuft Gefahr, seinen Kultur- und Bildungsauftrag zu vernachlässigen.
– Filmförderung darf nicht länger an Senderbeteiligung gekoppelt werden.
– Die Partikularinteressen der Länder schaden den Interessen des nationalen Filmmarktes.
– Das System der Länderförderung macht Filme unnötig teuer.
– Die Posten der Geschäftsführer und Intendanten und Gremien der Filmförderung sollten zeitlich begrenzt werden.
– Gremien sollten deutlich verschlankt werden.
– Gremien sollten nicht länger abhängig
besetzt werden.
– Gremien sollten deutlich verschlankt werden.
– Die angebliche »Filmschwemme« ist nicht das eigentliche Problem.
– Wir brauchen Strukturen, die das Neue nicht nur zulassen, sondern aktiv suchen.
+ + +
Im Prinzip fordert dieses Papier somit eine komplette Revolution der derzeitigen Verhältnisse. Es sagt nur keiner. Will man nicht, oder weiß man nicht, wie?
Oder fehlt der Mut zu kämpfen?
Zudem taugt das Papier nicht zum Manifest. Es ist ein wenig lang geraten und hätte einen guten Redakteur vertragen: Die Sätze sind zu lang, und in der Aussage zu unklar, zu wischiwaschi, zu wenig zitierfähig.
Wir haben es trotzdem versucht.
Und wenn es im nächsten Jahr noch jemanden gibt,
der auch freien Journalisten Pressemeldungen schickt, dann werden wir uns – versprochen – ganz viel Mühe geben, die Belange unabhängiger Produzenten zu stärken
+ + +
Fazit: Bei so hasenfüßigen Etablierten und so schüchternem Nachwuchs bleibt wenig Hoffnung. Außer der, dass die Verhältnisse ohne Zutun aller Salon-Revoluzzer implodieren und von selbst den tatsächlichen Umsturz des Bestehenden erzwingen.
(to be continued)