Tage der Jugend |
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Yulia Lokshinas Tage der Jugend | ||
(Foto: Yulia Lokshina) |
Von Dunja Bialas
Die Isarmetropole ist ein Ort der Filme und des Filmschaffens. Kurz erinnert sei daran, dass die Unterzeichner des Oberhausener Manifests mehrheitlich Münchner waren, und an die sogenannte »Münchner Gruppe«, die sich um Rudolf Thome, Max Zihlmann und Klaus Lemke herum als Gegenbewegung zu den »Oberhausenern« bildete. Vor genau fünfzig Jahren wurde die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) gegründet, die eine Reihe erfolgreicher Alumni hervorgebracht hat.
Die Stadt München selbst würdigt das Filmschaffen des Nachwuchses seit 1985 mit einem eigenen Preis, dem Starter-Filmpreis. Der Name ist Programm: zugleich Starthilfe, Türöffner und Signal für den Beginn einer möglichen Filmkarriere wird der Preis ganz am Anfang des Filmschaffens verliehen. Drei Auszeichnungen werden ex aequo vergeben, die je mit 6000 Euro dotiert sind, hinzu kommt ein Produktionspreis im selben Wert. Unter den vergangenen Preisträger sind viele namhafte Regisseurinnen und Regisseure zu finden, darunter Maren Ade, Benjamin Heisenberg, Ralf Westhoff, Katja von Garnier, Romuald Karmakar, Rainer Kaufmann, Nicolas Humbert und Ute Wieland.
Die Preisträger 2017 werden erstmals bei den Filmkunstwochen in einem gemeinsamen Programm gezeigt. Das ist möglich, denn dieses Jahr haben ein kurzer und drei mittellange Filme das Rennen gemacht, darunter auch zwei Spielfilme, was für den in den letzten Jahren vom Dokumentarfilm dominierten Preis erwähnenswert ist. Die Namen der Preisträger sollte man sich für die Zukunft merken: Gewonnen haben Moritz S. Binder mit seinem Spielfilm Thumb, Michael Ciesielski mit seinem Kurzspielfilm Kleinheim, Annelie Boros mit dem Dokumentarfilm Fuck White Tears, in dem die Entstehung des eigenen Films zugleich Plot des Films ist. Yulia Lokshina erhielt für ihren sehr sinnlichen Dokumentarfilm über ein russisches Sommerferienlager Tage der Jugend den Produktionspreis.
Was treibt die Starter-Regisseure an, Filme zu machen? Alle vier studieren derzeit noch an der HFF München, haben aber bereits ein anderes Studium hinter sich, eine Ausbildung in der Tasche oder einschlägige Erfahrungen bei Film- und Fernsehproduktionen gesammelt. Oft sind es persönliche Gründe, Lebenserfahrung oder der eigene Werdegang, die sie zum Filmemachen gebracht haben. Die in Moskau geborene Yulia Lokshina sagt, ein wichtiger Antrieb fürs Filmemachen sei, die Welt verstehen zu wollen. »Das Nichtverstehen ist viel eher die Norm im Leben als eine Ausnahme.« Für ihren Film Tage der Jugend begibt sie sich auf die Spuren der patriotischen Bewegung ihres Landes, die bis in die Zeit ihrer Großeltern zurückreicht. Sie besuchte das Sommer-Camp auf Sachalin, um nachzuempfinden, wie sich das Aufwachsen am »anderen Ende dieses riesigen Landes« anfühlt, auch, wenn es darum geht, die Liebe zum Vaterland zu finden. Überrascht hat sie die Zartheit und Fragilität, die sich inmitten der Erziehungsdogmen auftat. Tage der Jugend ist so auch mit einem sehr großen Gespür für die Stimmungen gedreht, die in den Gesichtern der Jugendlichen ablesbar werden. Besonders erwähnt sei deshalb auch Kameramann Zeno Legner, der bei den Kammerspielen München gelernt hat und seit fünf Jahren Kamera an der HFF studiert. Da Tage der Jugend den Produktionspreis erhielt, der würdigen soll, wenn ein Projekt mit geringen Mitteln oder gegen widrige Umstände entsteht (Motto: Filmemachen um jeden Preis), sei hier noch die Produktionsfirma WirFilm erwähnt, eine Initative von HFF-Studierenden. Deren Ziel ist, »Menschen und ihre Ideen kennenzulernen und die jeweilige Vision im Team dann so umzusetzen, dass ein Film entsteht, der gesellschaftlich relevante Themen aufgreift und gleichzeitig unterhaltsam ist, der Neues wagt, uns bewegt und zum Nachdenken anregt.«
Die gesetzte Selbstaufgabe der Produktionsfirma kann als Leitgedanke für den Starterfilmpreis gelten, dessen Vergabe-Kriterien der kreative Umgang mit dem Medium und die stilistische Innovation sind. Der Kurzspielfilm Kleinheim zeigt innovativen Umgang mit der Realität, der an das Wirklichkeitsexperiment von Dogtooth des Griechen Giorgos Lanthimos erinnert. Zwar fallen hier keine Flugzeuge vom Himmel, die Leute eines Dorfes leben jedoch ebenso abgeschieden von der Welt. In einer Mischung aus Schlaraffenland (»ach, hätt ich jetzt gern ein Eis«, schwupp, schon landet es, von einer Drohne abgeworfen, auf dem Hemd) und The Truman Show hat Michael Ciesielski eine großartige Parabel über die bayerische Dorfabgeschiedenheit geschaffen.
Annelie Boros hat in Fuck White Tears ihre eigenen Erfahrungen, in Kapstadt einen Film über die Studentendemonstrationen zu machen, verarbeitet. Befragt von den schwarzen Demonstrierenden, was ihre Motivation als Weiße aus Deutschland sei, diesen Film zu machen, gelangt sie zu den weitreichenden postkolonialistischen Fragestellungen, denen sich die guten Dokumentarfilme heute stellen. Was ist meine Motivation? Bis wohin kann ich Anteilnahme zeigen? Ab wann wird es Exploitation, und die Bilder, die ich finde, dienen nur noch meinem Projekt? Ein wichtiger, sich selbst befragender Film, der Fragen eröffnet, anstatt sich über Antworten zu verschließen.
Thumb von Moritz S. Binder schließlich ist ein beeindruckendes Beispiel für einen Spielfilm, der ganz und gar mit filmischen Mitteln erzählt. Dialoge sind nur spärlich gesetzt. Keywan und sein todkranker Vater begeben sich auf eine letzte gemeinsame Reise. Es ist eine Fahrt, die beide zusammenführen wird, und an deren Ende doch die unausweichliche Trennung steht. Die Geschichte vom Abschiednehmen zweier Generationen inszeniert Binder als bilderstarkes und feinfühliges Roadmovie, in dessen Verlauf unzählige Transiträume durchlaufen werden. Binders Inszenierung erweist ein großes Gespür für die Zeit, die Szenen brauchen, um sich fast beiläufig und ganz und gar entdramatisiert zu entfalten.
Moritz S. Binder hat zuvor als Journalist und Fernsehpublizist gearbeitet. Umso beeindruckender, dass sein Film eine ganz und gar kinematographische Gestalt angenommen hat.
Alle Filme sind bei den Filmkunstwochen am heutigen Donnerstag, 27.7., in Anwesenheit der Preisträger zu sehen (Monopol, 20:30 Uhr). Im Oktober folgt die feierliche Preisverleihung.
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Transparenznote: Die Autorin unseres Specials ist organisatorische Leiterin und Programmberaterin der 65. Filmkunstwochen.