Gedächtnis und Geburtstag |
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Der Wein und der Wind von Cédric Klapisch eröffnete gestern die Filmkunstwochen und ist noch einmal im Rio Filmpalast und im ABC zu sehen | ||
(Foto: Studiocanal) |
Von Dunja Bialas
Als Fritz Falter vor 65 Jahren in München die Filmkunstwochen aus der Taufe hob, sah die Kinowelt noch anders aus. Die Lichtspieltheater waren oftmals riesige Paläste mit 700 und mehr Sitzplätzen, man ging gewohnheitsmäßig ins Kino. 1952 nahm das Fernsehen in Deutschland seinen regeluären Sendebetrieb auf, ein Vorbote der medialen Wende. Im selben Jahr erhob Falter sein Schwabinger Occam-Lichtspieltheater zum Filmkunst-Studio und wurde damit zum risikofreudigen Pionier, der sich gegen die üblichen Verleihpraktiken widersetzte. 1953 führte er erstmals die »Internationalen Filmkunstwochen« durch, zusammen mit den Kinos Rex und dem Sollner Studio. »Es war ein Versuch, mitten in der Saure-Gurken-Zeit im Sommer ein anspruchsvolles Reprisen-Programm zu machen. Und auch das wurde und ist bis heute ein Erfolg«, so Falter in einem Interview 1970.
Heute sieht sich das Kino anderen Herausforderungen gegenüber. Die große Konkurrenz sind Online-Dienste wie Netflix und technische Neuerungen, die aus jedem Wohnzimmer ein kleines Home-Kino machen können. Dagegen setzen die Kinos das gemeinschaftliche Filmerlebnis, hohe Projektionsqualität und ein ausgesuchtes Arthouse-Filmprogramm.
München weist im Vergleich zum übrigen Deutschland, wo Kino sich oftmals mit durchkommerzialisierten Häusern verbindet, eine Besonderheit auf: Die meisten der Kinos sind traditionelle Familienbetriebe, die in zweiter oder gar dritter Generation die Münchner mit Filmen versorgen, wie zum Beispiel der Rio Filmpalast, der von der Familie Reich gebaut wurde, oder das Sendlinger Tor Kino, das sich seit Kriegsende mit der Familie Preßmar verbindet. Andere Kinos werden seit einem halben Jahrhundert und mehr von den gleichen Betreibern geführt, wie die Theatiner Filmkunst, die dieses Jahr ihren 60. Geburtstag feiert, fast ebenso lang von Marlies Kirchner programmiert, oder das ABC Kino, das seit genau 50 Jahren von der Familie Kuchenreuther betrieben wird.
Im Jubiläumsjahr haben sich elf Kinos gefunden, die bei den Filmkunstwochen mitmachen. Vier über hundertjährige Kinos sind beteiligt: das Neue Maxim in Neuhausen wurde letztes Jahr von vier befreundeten Kinoliebhabern rundum erneuert, das Arena im Glockenbachviertel und die Museum Lichtspiele an der Isar blicken auf eine lange Tradition zurück, das ABC Kino direkt an der Münchner Freiheit ist heute bestandsgeschützt. Frisch renoviert und umgebaut wurde auch das Neue Rex in Laim, das schon bei den ersten Filmkunstwochen mitmachte und dieses Jahr Eröffnungskino ist. Das Studio Isabella wurde von 1961 an von Fritz Falter geleitet und nimmt seitdem bei den Filmkunstwochen teil. Das Neue Rottmann, ehemals »Gastarbeiterkino«, widmet sich seit 1982 der Filmkunst. Im westlichen Landkreis der Stadt versorgt das Filmeck Gräfelfing traditionell bei den Filmkunstwochen sein Publikum mit einem besonderen Programm. Und mitten in der Innenstadt lädt das City-Kino zur 65. Geburtstagsfeier ein.
Mit vielen Reihen fächern die Kinobetreiber, die alle selbst die Filme auswählen, ein reichhaltiges Programm auf, das sich wieder wie ein echtes Festivalprogramm anfühlt. Traditionell gibt es »beste Filme« zu sehen. Es ist das Herzstück der Filmkunstwochen, die sogenannten Repertoirefilme zur Wiederaufführung zu bringen und ein Angebot an die Kinobesucher, Verpasstes nachzuholen. Mehr noch aber steht dieses Jahr im Fokus, Querverbindungen herzustellen und kleines Cineastentum zu befördern: So ist noch einmal Höhere Gewalt von Ruben Östlund zu sehen (Di 25.7., 17:00 Uhr, ABC), der dieses Jahr die Goldene Palme von Cannes gewann, oder Whiplash (Sa 22.7., 21:45 Uhr, ABC), der erste Film des diesjährigen Oscar-Abräumers Damien Chazelle, der bereits hier Justin Hurwitz komponieren ließ, dessen Lieder La La Land (Mi 26.7. und Do 27.7., 17:30 Uhr, Filmeck Gräfelfing) zum Mega-Erfolg machte.
Kleine und große Filmgeschichte kann in den beiden Geburtstagsprogrammen der City Kinos (»Happy 65!« gratuliert Isabella Rossellini, Mickey Rourke, Roberto Begnini u.a.) und der Theatiner Filmkunst zum deren 60. Geburtstag (24 Filme des italienischen Neorealismo, der französischen Nouvelle Vague und des Weltkinos, ein eigener Text folgt) erfahren werden. Zwei soeben restaurierte, 50jährige Werke der Filmgeschichte gelangen zur Neuaufführung (Die Reifeprüfung, Mo 31.7., 21:45 Uhr, ABC, und Belle de Jour, Di 1.8., 21:45 Uhr, ABC). Die Reihe »In Memoriam« erinnert an die letzthin Verstorbenen, die großen Kameramänner Michael Ballhaus (Die Zeit der Unschuld, Mi 12.8., 17:00 Uhr, ABC) und Raoul Coutard (Außer Atem, Di 15.8., 21:45 Uhr, ABC, und Passion, Di 11.8., 21:45 Uhr, ABC) oder Kult-Regisseur Jonathan Demme (Philadelphia, Mo 10.8., 21:45 Uhr, ABC).
Die François-Ozon-Reihe des Arena und die Hommage an Isabelle Huppert zeigen, das Film seit den 60er Jahren nicht weniger cineastisch geworden ist. So wird in allen beteiligten Kinos mit dreizehn Highlights das Können der französischen Grande Dame hochgehalten. Darunter zu finden sind auch Malina, der erstmals in französischer Fassung zu sehen ist und von Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther produziert wurde (Di 8.8. 17:00 Uhr, ABC) oder Das Schlafzimmerfenster (in Originalfassung am Fr 4.8., 21:45 Uhr, ABC), zu dem der Vergewaltigungs-Thriller Elle (Di 25.7., 18:00 Uhr, Rio Filmpalast / Sa 12.8., 21:45 Uhr, ABC) wie ein spätes Echo erscheint.
Die Filmstadt München, ein Dachverband der in München ansässigen Filmfestivals, gibt mit vier Programmen Einblick in ihre Vielfalt. Das Frauenfilmfestival Bimovie zeigt Sworn Virgin, der ein Frauenschicksal in Albanien erzählt (Mo 24.7., 18:00 Uhr, Rio Filmpalast), Cinema Iran präsentiert den detektivischen A Dragon Arrives! (So 30.7. / So 6.8., 21:00 Uhr, Neues Maxim), die Türkischen Filmtage zeigen Köpek – Geschichten aus Istanbul (Do 3.8., 18:00 Uhr, Neues Rottmann) und das DOK.fest präsentiert seinen Publikumsliebling Zwischenstation (Do 10.8., 21:15 Uhr, City Kinos). Zu allen Vorstellungen sind Gäste anwesend. Außerdem präsentieren die Filmkunstwochen die Gewinnerfilme des Starter-Filmpreises (ein eigener Text folgt): Am 27.7. sind im Monopolkino um 20:30 Uhr die ausgezeichneten Nachwuchstalente Moritz S. Binder, Annelie Boros, Michael Ciesilski und Yulia Lokshina mit ihren Filmen zu Gast.
Mit einem Rahmenprogramm wird auch aus den Kinos hinausgeführt. Ein Renner ist seit Jahren der »Sommernachts(t)raum«, eine filmische Stadtwanderung mit Bollerwagen und Beamer, bei dem nicht nur Kurzfilme gezeigt werden, sondern auch über den entsprechenden Stadtteil erzählt wird. Dieses Jahr führt die Wanderung über die labyrinthischen Wege des Olympiadorfes, die Filme hat das Kurzfilmfestival »Bunter Hund« ausgesucht (Fr 21.7. und Fr 28.7., 21:00 Uhr, Treffpunkt: U-Bahnhof Olympiazentrum, Ausgang Nord, der Eintritt ist frei).
Ebenso ein Renner sind die Late Night Film Lectures, die einen unterhaltsamen Blick auf eher kuriose Auswüchse der Filmgeschichte werfen. Dieses Jahr werden die Filme von Peter Gehrig vorgestellt, der mit Der Platzanweiser letztes Jahr vom Filmfest München wiederentdeckt wurde (Sa 22.7., 22:30 Uhr, Werkstattkino) und das Filmschaffen des Kanadiers Arthur Hiller (Sa 29.7., 22:30 Uhr, Werkstattkino).
65. Filmkunstwochen, 19.7.-16.8.2017, diverse Spielstätten
Das ganze Programm finden Sie unter filmkunstwochen-muenchen.de
Die meisten Filme werden im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt.
Transparenznote: Die Autorin unseres Specials ist organisatorische Leiterin und Programmberaterin der 65. Filmkunstwochen.