68. Berlinale 2018
Generation Kplus |
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Einer der interessantesten, kraftvollsten Filme im Kplus-Programm: Supa Modo | ||
(Foto: Sächsischer Kinder- u. Jugendfilmdienst e.V. / barnsteiner-film) |
Von Christel Strobel
Der Eröffnungsfilm von Generation Kplus allerdings bleibt leider hinter diesen Ansprüchen zurück. Den Utrolige Historie Om Den Kæmpestore Pære (Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne; Regie: Philip Einstein Lipski, Amalie Næsby Fick, Jørgen Lerdam, Dänemark; empfohlen ab 8 J.) ist ein aufwändiger Animationsfilm, dessen Geschichte ganz originell beginnt, die aber einen immer monströseren Verlauf nimmt. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch des dänischen Autors und Karikaturisten Jakob Martin Strid und erzählt das Abenteuer vom Elefanten Sebastian und Kater Mika, die beim Angeln eine Flaschenpost mit einem geheimnisvollen Samenkorn finden. Die Freunde setzen es in die Erde und über Nacht erwächst daraus eine Birne, die ihr ganzes Haus fast erdrückt. Die Flaschenpost hat aber auch noch einen Brief des beliebten Bürgermeisters enthalten, der vor kurzem spurlos verschwunden ist, so dass jetzt der größenwahnsinnige Rivale freie Fahrt hat und droht, den sonnigen Ort am Meer durch den Bau eines überdimensionierten Hochhauses in ein dunkles Loch zu verwandeln. Die Riesenbirne erweist sich plötzlich als Schiff und schon finden sich der ängstliche Sebastian und der wasserscheue Mika samt einem völlig deplatzierten »verrückten Professor«, der auch noch den Namen Glycose trägt, auf der Fahrt zu einer geheimnisvollen Insel, wo sie hoffen, den Bürgermeister zu finden. Das »rasante Abenteuer« mit Piraten, See- und Luftmonstern entwickelt sich zum gigantischen Farbenrausch, das Augen und Ohren strapaziert und immer mehr vom Zauber des Anfangs verliert.
Ebenfalls aus Dänemark kommt Cirkeline, Coco Og Det Vilde Næsehorn (Cirkeline, Coco und das wilde Nashorn). Altmeister Jannik Hastrup, seit 1985 regelmäßig im Kinderfilmprogramm der Berlinale, stellt mit seinem 60-minütigen Zeichentrickfilm zum vierten Mal ein Abenteuer der kleinen Cirkeline vor. Eine schöne Ausgangsidee – Cirkeline und ihre Mäusefreunde reisen mit Prinzessin Coco und dem zickigen kleinen Nashorn in deren Heimat Afrika und lernen eine ihnen fremde Welt kennen – kann allerdings nicht ganz überzeugen, denn die Figuren sind etwas bieder geraten und die Geschichte nicht stringent genug erzählt.
Gordon och Paddy (Kommissar Gordon & Buffy; Regie: Linda Hambäck, Schweden) – der dritte Animationsfilm unter den 14 Langfilmen von Kplus – ist ein rundum gelungener Zeichentrickfilm und mit seinen 65 Minuten für jüngere Kinder gut geeignet, wobei sich auch Eltern amüsieren können. Erzählt wird von Gordon, dem gutmütigen Froschkommissar (Stimme: Stellan Skarsgård) und Hüter des Waldes, der seines Amtes langsam müde geworden ist. Da kommt ihm die arme Waldmaus Buffy – wie sich herausstellt klug und clever – als Assistentin gerade recht. Nun verfolgen sie gemeinsam den Nussdiebstahl, den die hysterischen Hasen angezeigt haben, und schützen die Waldbewohner vor dem Fuchs. Schließlich übergibt der amtsmüde Gordon seinen Posten an Buffy, die hochmotivierte Waldmaus, die bald ihre erste Bewährungsprobe am Fuchsbau bestehen muss. Das ist alles farbenfroh gezeichnet, die Tiere sind liebevoll charakterisiert und immer wieder ist die Geschichte mit stimmungsvollen Details angereichert, wie beispielsweise kleine Fenster, die am Abend in den Baumstämmen zu leuchten beginnen und eine atmosphärische Waldlandschaft zaubern. Gordon und Buffy könnte auch das Kinderkino hierzulande bereichern.
Mit Ceres (Regie: Janet van den Brand, Belgien/Niederlande; empfohlen ab 12 J.) ist ein Dokumentarfilm vertreten, der einen Blick in den Alltag von vier Kindern in der Landwirtschaft gewährt. Die Kamera kommt ihnen in Hof und Feld sehr nah: Geburt eines Kälbchens, Mitarbeit im Schweinestall, Mithilfe beim Aufstellen der großen Strohballen auf dem Feld. Janet van den Brand arbeitet in ihrem dokumentarischen Langfilmdebüt sehr gut die
Unterschiedlichkeit der elf-, zwölfjährigen Kinder heraus: Koen, ein sensibler Junge, liebt und pflegt die kleinen Ferkel, streichelt sie und ist traurig, als der Stall leer ist, nachdem die Schweine zum Schlachthof gefahren wurden. Sven hingegen liebt Computerspiele, hilft am elterlichen Hof mit, meint aber: »In der Schule rede ich mit keinem über meine Erlebnisse auf dem Hof, das interessiert doch keinen, wozu dann darüber erzählen.«
In Daan hingegen sieht man schon den
künftigen Bauern, der mal die Landwirtschaft übernehmen wird, während Jeanine sich mehr ihrem Aussehen und anderen Dingen zuwendet und an der Landwirtschaft eher geringes Interesse hat. Indem die Kamera immer ganz nah dran ist und sich auf die Betrachtungen, Gedanken und Gefühle der vier Kinder konzentriert, wird eine persönliche Beziehung zu ihnen hergestellt und Stadtkinder lernen eine weniger oder ganz unbekannte Welt kennen. Andererseits verengen die Nahaufnahmen das Bild, es
fehlt ein Überblick, was Landwirtschaft an Arbeit im Gesamten bedeutet, wie ein Bauernhof funktioniert. Der Dokumentarfilm CERES vermittelt einen Ausschnitt, den allerdings mit Empathie und Poesie.
Vom Land mitten in die Großstadt Paris führt Allons enfants (Cléo & Paul, Regie und Buch: Stéphane Demoustier, Frankreich, empfohlen ab 7 J.). Cléo ist dreieinhalb, aufgeweckt und spielt am liebsten Verstecken im Park, wo ihr kleiner Bruder sie suchen muss. Doch diesmal findet er sie nicht, und die Tagesmutter ist mit den beiden lebhaften Kindern offensichtlich überfordert. Auch Cléo, der der Film jetzt folgt, kennt sich nicht mehr aus, gerät in eine
Menschenmenge, die im Pokémon-Rausch durch den Park eilt und keinen Blick für das kleine Mädchen hat. Auf der weiteren Suche kommt Cléo durch einen Vergnügungspark und auf die angrenzende Straße. Dort gesellt sie sich zu einer jungen Frau, die offensichtlich auch ein Problem hat, wie ihr Gespräch am Mobiltelefon erkennen lässt. Zielstrebig sucht Cléo deren Nähe und Schutz, und die beiden »Verlorenen« machen neue Erfahrungen. Auch Paul findet sich – an anderer Stelle, aber alles
nicht so weit voneinander entfernt – allein zwischen Kindern wieder. Irgendwann sieht man von Ferne, dass beide Kinder behutsam in ein Auto mit Blaulicht geführt werden. So geht diese geradezu märchenhafte Odyssee durch die pulsierende Großstadt zu Ende.
Was am meisten an diesem ungewöhnlichen »Kinderfilm« beeindruckt, ist das unbefangene, natürliche Spiel der Kinder, insbesondere des Mädchens Cléo, was ein Blick auf die Besetzung erklärt, da es sich um die beiden Kinder
des Regisseurs Stéphane Demoustier handelt.
Auf sich gestellt ist auch der zwölfjährige Tomás in dem ab 12 J. empfohlenen Film Mochila de Plomo (Bleirucksack, Regie: Darío Mascambroni, Argentinien). Er lebt in schwierigen Familienverhältnissen, sein Vater lebt nicht mehr, seine Mutter kümmert sich nur sporadisch um ihn. Als der vermeintliche Mörder seines Vaters aus dem Gefängnis kommt und der Wirt aus diesem Anlass ein Essen für ihn und seine Freunde gibt, ist Tomás entschlossen, mit dem Entlassenen abzurechnen. Er hat die geladene Pistole vom Bruder seines Freundes im Rucksack. Tomás hört zwar noch vom Großvater, dass sich der Vater, nachdem er in schlechte Gesellschaft geraten ist, selbst umgebracht und dass Tomás’ Mutter auch Schuld daran hat, was zur Konfrontation zwischen dem Jungen und der Mutter führt. Die Begegnung aber des zu allem entschlossenen Jungen mit dem vermeintlichen Mörder endet in einem klärenden, ruhigen Gespräch. Wieder zu Hause, erwartet die Mutter ihren Sohn – das Ende ist hoffnungsvoll. »Bleirucksack«, ein spannender wie präzise erzählter Film über existenzielle Fragen wie Vergeltung, Widersprüche, Offenheit ebenso wie über eine Mutter-Sohn-Beziehung, beeindruckt durch die reduzierte, aufs Wesentliche gerichtete Gestaltung und wirkt noch lange nach.
Einer der interessantesten, kraftvollsten Filme im Kplus-Programm ist der von Tom Tykwer mitproduzierte und in Kenia entstandene Supa Modo (Regie: Likarion Wainaina, Deutschland/Kenia, empfohlen ab 9 J.), obwohl ein schweres Thema der Ausgangspunkt ist: Die neunjährige Jo ist an Leukämie erkrankt, liebt Actionfilme und möchte gerne selbst eine Superheldin sein. In ihrem Zimmer in der Kinderklinik hängen Plakate ihrer Lieblingshelden. Eines Tages kommt Jos resolute Mutter und setzt durch, dass ihre Tochter die Zeit, die noch bleibt, nicht in der Klinik, sondern zu Hause verbringen kann. Dort, in der ländlichen Umgebung, gibt es allerdings für das lebensfrohe Mädchen nicht viel, denn die anderen Kinder sind in der Schule und die einzigen Abwechslungen bieten das örtliche Kino – schon in der Klinik gab es Filmvorführungen – und Fußball, aber sie soll sich ja nicht zu sehr anstrengen. In dieser unsicheren Situation regt Jos Schwester ein wunderbares Spiel an, indem sie Jo ermuntert, an ihre magischen Kräfte zu glauben und animiert schließlich das ganze Dorf, einen »Superhelden-Film« mit Jo in der Hauptrolle zu drehen. Es wird Jos letzter Auftritt und die Aufführung des Films, der dies auch dokumentiert, wird für alle, auch für die zunächst ablehnende Mutter, ein bewegendes Erlebnis. Der kenianische Regisseur Likarion Wainaina schafft es spielend, Sympathie für die Akteure zu empfinden und ihre Mentalität kennenzulernen: Sehr direkt im Umgang miteinander, die klar sagen, was sie voneinander denken, impulsiv sind, dann löst sich wieder alles in Lachen auf – herzlich gelacht wird viel, das bleibt als Eindruck dieses bei aller Tragik optimistischen Films.
GENERATION 2018 ist bereits die 41. Ausgabe dieser Sektion der Berlinale. Angefangen hat alles 1978 – damals als »Kino für Leute ab sechs« – und hieß danach bis 2006 schlicht „Kinderfilmfest“, ab 2004 mit dem Zusatz »14plus«. Im Laufe von 30 Jahren wurden außergewöhnliche Kinderfilme aus der nationalen und vor allem internationalen Filmproduktion präsentiert und ausgezeichnet. Es waren herausragende Beispiele, die die Einstellung zum Kinderfilm in der Öffentlichkeit positiv prägten.
Ab 2007 wurde unter dem Begriff „Generation“ das Programm fürs junge Publikum erheblich erweitert und klar geteilt in Kplus und 14plus. Diese Maßnahme schlug seinerzeit erst mal Wellen und sorgte für Diskussionen unter den Fachbesuchern. Den Kindern war’s und ist’s egal. Sie kommen ins Kino, um einen tollen Film zu sehen.