15.02.2018
68. Berlinale 2018

Höllen­fahrt in den siebten Film­himmel?

Styx
Wenn alle Filme so werden wie Wolfgang Fischers Styx, wird die Berlinale ein Himmelreich...
(Foto: Zorro Film GmbH / 24 Bilder Film GmbH)

Endlich geht es um die Filme: Heute eröffnet die 68. Berlinale – Berlinale-Tagebuch, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Heute geht es los auf den Lein­wänden der Berlinale. Und man kann sagen endlich. Endlich geht es um die Filme. Nicht mehr um Polemik und Politiker, Manifeste und Proteste, den alten Direktor, der an seinem Sessel klebt und die neue Direk­torin, die noch gar nicht bestimmt ist.
Endlich geht es um die Filme. Um Regie­hand­schriften, um Stil­formen und Filmäs­the­tiken, Geschichten und Narrative und um all das, was sie reprä­sen­tieren, nämlich Erfah­rungen und Wahr­neh­mungs­weise anderer Menschen, anderer Kulturen und Lebens­weisen, Ideo­lo­gien und Welt­an­schau­ungen.

Sage und schreibe 385 Filme, die histo­ri­sche Retro­spek­tive und den Filmmarkt nicht mitge­rechnet, laufen an den nächsten zehn Tagen auf dem größten deutschen Film­fes­tival. Das sind mehr als in Cannes und Venedig, bei den über­le­genen Berlinale-Konkur­renten zusammen – und man versteht, warum hier viele von Masse statt Klasse reden, eine Reduktion fordern.

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Denn was ist der Sinn eines Film­fes­ti­vals? Sicht­bar­keit. Wer unsichtbar bleibt, hat schon verloren, und bei rund 400 Filmen ist der einzelne Film halt nur ein Viertel dessen wert, was er in Cannes ist, wo es bei gut 100 bleibt.

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Aber was kann man nicht alles sehen! Und wie kann man sehen!

Die Berlinale ist, was immer sich sonst noch über sie sagen lässt, ein riesiger Kosmos, ein Bilder-Fest der Kulturen und der Vielfalt. Zugleich muss und wird sich die Berlinale schon jetzt neu erfinden. Unsere Welt ist in Bewegung, mehr als Vielen lieb ist.
Zehn Tage lang wird man der Welt hier sehr nahe kommen. Zehn Tage können das Bewusst­sein erschüt­tern. Unter Umständen. Hoffent­lich.

Geht man nach dem Eindruck auf Papier­form, wird dies ein sehr span­nendes Festival. In der vorletzten Berlinale unter seiner Leitung will es der Berlinale-Direktor offenbar noch einmal allen zeigen. Vier deutsche Filme sind allein schon im Wett­be­werb zu sehen.
Aber Zahlen allein sind keine Qualität. Und Papier ist bekannt­lich geduldig. Manche Filme liefen bereits bei anderen Festivals wie Sundance, wie der Wett­be­werbs­bei­trag von Gus van Sant. Er bekam immerhin gute Kritiken.

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Besonders aufmerksam wird man in diesem Jahr das Panorama verfolgen, die größte aller Sektionen. Nach fast 30 Jahren gab Wieland Speck die Leitung auf und ein neues junges Team rund um Leiterin Paz Lazaro versucht einen Neuanfang.
Von der Kraft des Wider­stands sprachen sie in ihrem ersten öffent­li­chen Papier. Man darf gespannt sein, was das heißt.

Die 68. Berlinale möchte laut Pres­se­mit­tei­lung das Jubiläum der Revolte von 1968 begehen – aber nur eine Handvoll Filme im Programm haben mit ‘68 irgend­etwas zu tun, und manchmal nur sehr mittelbar.

Und wie steht es sonst mit dem Poli­ti­schen, das die Berlinale schon im Marketing für sich in Anspruch nimmt? Man wird in vielen Filmen Themen, Regionen und Menschen begegnen, die man auch schon aus den Nach­richten kennt.
Um die Flücht­linge kommt die Berlinale nicht herum. In vielen Filmen spielen sie eine Rolle.
Die Rechts­po­pu­listen und Rechts­extremen dagegen auffal­lend wenig.
Ohne »Me Too« geht es auch nicht – aller­dings stellt die Berlinale hier die inter­es­san­testen Fragen gerade nicht.

Denn die Verhält­nisse im Produk­ti­ons­studio kann sie nicht beein­flussen. Aber wie sieht es in der Berlinale selber aus: Berlinale-Mitar­beiter klagen über die Arbeits­be­din­gungen. Im Vorfeld gab es Anschul­di­gungen wegen Sexismus und Rassismus – die aber verschwanden wieder schnell aus den öffent­li­chen Medien.

Die Berlinale könnte auch die Initia­tive von Anna Brüg­ge­mann unter­s­tützen, die unter dem Namen »Nobo­dy­s­dolls« die »Me Too«-Debatte auf die betrof­fenen Frauen zurück­spie­gelt, und auf Festi­val­ebene führt. Unter­s­tützen hieße: Sie könnte sie gutheißen. Sie könnte sie öffent­lich promoten, auch gegenüber Sponsoren vertreten. Sie könnte den eigenen roten Teppich verändern. Nichts davon geschieht bisher.

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Die Berlinale versucht auch die Bericht­erstat­tung zu gängeln und prak­ti­ziert eine in der inter­na­tio­nalen Festi­val­welt einmalige Sperr­frist­re­ge­lung. Deswegen sollen wir hier nicht – was wir gern würden – über Filme wertend berichten dürfen, die auf der Berlinale ihre Welt­pre­miere haben.
Einer von Ihnen eröffnet am Frei­tag­abend das Panorama-Special Styx von Wolfgang Fischer. Die grandios erzählte poetische Geschichte des Aben­teuers einer Ärztin, die als Allein­seg­lerin dem Grauen und ihren eigenen Abgründen begegnet. Eine Höllen­fahrt.
Wenn alle Filme so werden, wird die Berlinale ein Himmel­reich.

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Endlich geht es um die Filme. Oder auch nicht. Noch nicht.