68. Berlinale 2018
Generation Kplus – Gläserner Bär und andere Preise |
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Dem Gefühl von Furcht wird in einer urbanen Wildnis mit dem Gefühl von Magie und Freiheit begegnet – Allons Enfants | ||
(Foto: Berlinale) |
Von Christel Strobel
Die 14 Langfilme und 19 Kurzfilme, die bei Generation Kplus in fünf Kinos zu sehen waren, begutachtete auch wieder eine Kinderjury, bestehend aus sechs Mädchen und fünf Jungen, nicht älter als die Kinder im Kino. Für die jeweils nächste Jury können sich interessierte Kinder aus Berlin mit einem Fragebogen bewerben, der nach jeder Vorstellung verteilt wird. Die Preisverleihung selbst findet im Haus der Kulturen der Welt statt, dem Ort, wo die Kplus-Filme erstaufgeführt werden. Hier kommt noch einmal richtig Stimmung auf, das junge Publikum im ausverkauften Auditorium (rund 1000 Sitzplätze) erwartet gespannt die Bekanntgabe, die Preisträger werden lautstark bejubelt und anschließend ist der Gewinner der Kinderjury noch einmal zu sehen – ein würdiger Abschluss dieser Berlinale-Sektion, die sich dem Kinonachwuchs widmet.
Und es ist immer wieder überraschend, welche Themen die Jury so stark ansprechen, dass sie den Film letztlich zum Preisträger küren. In diesem Jahr vergaben die jungen Juroren den Gläsernen Bären für den Besten Film an LES ROIS MONGOLS (Hand auf’s Herz) von Luc Picard, Kanada. Er führt nach Montreal 1970; in jenem Jahr verursacht die linksradikale-nationalistische »Front für die Befreiung Quebecs« in der Provinz den Ausnahmezustand. Während es draußen chaotisch zugeht,
bricht innen das Familienleben der zwölfjährigen Manon zusammen. Ihre Mutter ist durch die schwere Krankheit des Vaters gänzlich überfordert und gezwungen, ihre beiden Kinder in getrennte Pflegefamilien zu geben, wie es die staatliche Fürsorge verlangt. Manon aber ist nicht gewillt, ihren kleinen Bruder allein zu lassen und wird aktiv. Von den politischen Unruhen motiviert, gründet sie eine „revolutionäre Zelle“ und entführt zusammen mit ihren beiden Cousins eine
alte Dame im Rollstuhl in eine abgelegene Gartenlaube. Dort richten sie sich – nach anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten, denn die Entführte spricht nur Englisch – familiär ein und beziehen ihre »Geisel« auf unkonventionelle Weise mit ein: Sie soll ihnen nur Kuchen backen und Gutenachtgeschichten erzählen. Ansonsten wollen sie in der Freiheit selbstbestimmt leben, fern der Bevormundung der Erziehungsberechtigten, was ihnen in ein paar unbeschwerten
Tagen gelingt.
Hand auf’s Herz ist keine einfache Geschichte, aber konsequent auf der Seite der Kinder und aus deren Sicht erzählt. Der Showdown am Schluss – die Polizei rückt mit schwerem Gerät zur Geiselbefreiung an – wirkt zwar überzogen, aber das eigentliche Thema des Films bleibt sichtbar, nämlich: Wie gehen Erwachsene mit Kindern in Ausnahmesituationen um und wie
entwickeln Kinder Fantasie und Kreativität.
Die Kinderjury begründete ihre Preisvergabe so: »Dieser Film liegt uns besonders am Herzen, denn wir konnten sehr gut in die Geschichte eintauchen und die Schauspieler haben uns mit ihren Charakteren mitfühlen lassen. Die Geschichte der vier Kinder war trotz ihrer ernsten Situation humorvoll, das haben vor allem die Geschwister mit ihrer Liebe zueinander getragen. Die technische Seite wollen wir aber nicht vernachlässigen, denn die
Musik war sehr schön und passend und wir mochten die Kameraperspektiven sehr gerne.«
Eine Lobende Erwähnung vergab die Kinderjury an: Supa Modo von Likarion Wainaina, Deutschland / Kenia (Besprechung siehe Bericht vom 15.02.18) mit der Begründung: »Auf rührende und packende Weise wird die Geschichte eines todkranken Mädchens erzählt. Mit überzeugendem Schauspiel und einer
abwechslungsreichen Filmkulisse zeigt der Film, wie die Fantasie des Mädchens und die Menschlichkeit und Willenskraft des gesamten Dorfes die letzten Monate ihres Lebens zu etwas Besonderem machen.«
Außer den Gläsernen Bären der Kinderjury wird der Große Preis der Internationalen Jury von Generation Kplus (Amanda Duthie, Sanna Lenken, Carla Simón) für den Besten Film vergeben, dotiert mit 7.500 Euro, gestiftet vom Deutschen Kinderhilfswerk. Die Jury vergab den Preis an Sekala Niskala (Sichtbar und unsichtbar) von Kamila Andini, Indonesien / Niederlande / Australien / Katar
Auch dieser Film – eine außergewöhnliche
Länder-Koproduktion – handelt vom Tod und von Trauer, zeigt eine uns fremde Weise der Bewältigung. Erzählt wird von den auf Bali lebenden zehnjährigen Zwillingsgeschwistern Tantra und Tantri, die unzertrennlich waren, bis Tantra schwerkrank im Krankenhaus liegt. Seine Schwester Tantri bereitet sich in metaphorischen Kostümen und Bemalungen tanzend auf die Trennung vom Bruder vor. Als die Mutter ihr die Farbe aus dem Gesicht wäscht, bedeutet dies symbolisch, dass es
nicht so bleiben kann wie es war. Nicht zuletzt mit seiner ambitionierten ästhetischen Gestaltung richtet sich der Film eher an ein speziell interessiertes Publikum, wäre aber auch für das Fach Ethik an Schulen geeignet; bei Generation Kplus war er ab 11 Jahren empfohlen. Für die Jury ist der Film »ein poetisches Märchen über Leben im und aus dem Gleichgewicht« und begründete ihren Preis weiter: »Der Film begibt sich auf eine gefühlvolle Reise, getrieben von Kummer, Wut und
Akzeptanz. … Es ist ein Film, der dem Risiko, dem Authentischen sowie dem Mystischen in einem fein inszenierten, filmischen Tanz begegnet.«
Eine Lobende Erwähnung erhielt Allons Enfants (Cléo & Paul) von Stéphane Demoustier, Frankreich, das atmosphärisch visualisierte Großstadtabenteuer der dreieinhalbjährigen Cléo und ihres etwas älteren Bruders, die in einem Park mitten in Paris beim Versteckspiel zeitweise verloren gehen (Besprechung
siehe Bericht vom 15.02.18) mit der schönen Begründung: »Mit der Lobenden Erwähnung möchten wir einen Film würdigen, der eine realistische Situation zeichnet, die wir alle nachempfinden können. Dem Gefühl von Furcht wird in einer urbanen Wildnis mit dem Gefühl von Magie und Freiheit begegnet. Die kleinen Stars dieses Films liefern eine feinfühlige Performance jenseits ihres Alters«. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Und eine Anmerkung zum Schluss: Seit Jahren zeigt Generation Kplus immer wieder ausgewählte Filme anderer Sektionen auch in seinem Programm, so genannte »Cross-Filme«. Diesmal war es unter »Cross Section – Wettbewerb« eine Vorführung von
Isle of Dogs – Ataris Reise, für den Wes Anderson den Silbernen Bären für die Beste Regie bekam.