71. Filmfestspiele Cannes 2018
Konservative Revolution gegen die Populisten des Publikums |
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Cannes 2018 auf den Spuren von Viscontis Der Leopard von 1963... |
»Es muss sich alles verändern, damit alles so bleibt, wie es ist.«
Tommaso di Lampedusa: »Der Leopard«
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Endlich! Endlich geht es los, das schönste und vor allem beste Filmfestival der Welt: Der Rote Teppich vor dem Festival-Palais am Strand der Côte d’Azur ist bereits ausgerollt, und zur Melodie des »Karneval der Tiere« vom französischen Komponisten Camille Saint-Saens, die seit vielen Jahren jede Filmvorstellung im Festival von Cannes einleitet, werden heute Abend die 71. Filmfestspiele von Cannes eröffnet – und dieser riesengroße Kinokarneval wird für knapp zwei
Wochen den Nabel der Filmwelt bilden.
Und das Filmfestival zeigt Mut: Cannes verändert in diesem Jahr vieles, und erfindet sich neu. Gut so! Vor allem für das Kino.
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Eröffnet wird mit Todos los Saben, dem neuen Film des iranischen Autorenfilmers Asghar Farhadi, und dies ist gleich ein mehrfaches, auch kultur-politisches Statement: Farhadi kann in seiner Heimat unter der Zensur des Mullah-Regimes keine Filme machen, zumindest nicht die, die er machen will. Darum arbeitet er im Exil. Und dieses Exil, persönlich, aber auch kulturell in Form seiner heutigen Produktionsfirma liegt seit Jahren einmal mehr in Paris und nicht
in Berlin. Obwohl Farhadi zur deutschen Hauptstadt sogar einen besonders engen persönlichen Bezug hat: Vor acht Jahren gewann er hier auf der Berlinale für sein Scheidungsdrama A Separation den Goldenen Bären. Doch seitdem zeigte er alle seine weiteren Filme in Cannes.
Die Deutschen haben auch sonst viele gute Gründe, in den nächsten 14 Tagen aufmerksam nach Cannes zu blicken.
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»Wie ist das deutsche Kino vertreten?« wird zum Auftakt von Cannes immer gern gefragt. Nun – mit zwei Altmeistern des »Jungen Deutschen Films«: Margarethe von Trotta und Wim Wenders. Beide beschäftigen sich mit »großen Männern«... Mit dem Papst und mit Ingmar Bergman. Und beide gehen, wenn sie können, offenbar auch am liebsten an die Croisette.
Hier, wo noch immer das Erbe der Nouvelle Vague, der französischen Neuen Welle, die immer noch auch über Frankreich hinaus das Maß
aller Dinge im Autorenkino bildet, lebendig ist, kann man sehen, wie man ältere Filmemacher und Traditionen pflegt und integriert, ohne das Neue zu verraten. So läuft auch der neue Film des weit über 80-jährigen Jean-Luc Godard an den nächsten Tagen im Wettbewerb. Damit erinnert man auch an die wildeste aller Festivalausgaben vor genau 50 Jahren: In Paris tobte im Mai 1968 der Generalstreik, De Gaulle hatte das Land bereits verlassen, und unter dem Straßen-Pflaster lockte die
Revolution. Aber Godard und seine Regisseursfreunde waren nach Cannes gekommen und riefen am Strand die Film-Revolte aus:
Das Ergebnis war die Gründung der Quinzaine, der unabhängigsten von den vier Festival-Sektionen. Auch an ‘68 wird gedacht.
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Trotz aller Traditionspflege kämpft das Festival gerade einen heftigen Kampf um die Zukunft des Kinos. Und wo andere in alten Ritualen verharren, versuchen die Franzosen, sich selbst neu zu erfinden.
Man hat das Programm verjüngt versucht die Online-Presse, die zunehmend die Macht übernommen hat, in die Schranken zu weisen. Nicht die Medien, sondern die Filme und Filmemacher seien die Hauptsache, argumentiert Festivaldirektor Thierry Fremaux sehr klar. Die Filme, das heißt das
Kino.
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So positioniert sich das wichtigste Filmfestival der Welt, noch mehr als in der Vergangenheit als Bollwerk der Verteidigung des Kinos gegen den grassierenden Film-Populismus und den Angriff der Streaming-Dienste, des Internets und all jener, die behaupten, das Film gleich Film sei und das Kinos nichts Besonderes.
Es gab Streit mit dem Online-Dienst Netflix, nicht weil Cannes Netflix nicht mag, sondern weil Netflix seine Filme dem Kino vorenthält, und exklusiv haben will.
Netflix hat dem Kino offen den Kampf angesagt, es sieht in den dunklen Sälen mit großer Leinwand, ausgefeilter Tonanlage und perfekter Projektion keinen Partner, sondern einen Feind.
Als Startrampe und Werbe-Plattform wollen die Amerikaner den steuerfinanzierten roten Cannes-Teppich aber gern ausnutzen.
Diesem faulen Deal hat sich Cannes jetzt verweigert, und verkündet: Filme, die keinen Kinostart haben, würden vom Wettbewerb in Zukunft ausgeschlossen. Denn ein Filmfestival
aber ist Freund des Kinos.
Ob das Kalkül aufgeht, ist noch unklar: Denn auf lange Sicht war Cannes immer ein Festival der Film-Autoren.
Hier müssen weiterhin die Besten der Besten laufen.
Wenn aber bedeutende Regisseure mit Netflix arbeiten wollen – kann und will man sich ihnen dann auf Dauer verweigern? Der Ausgang dieser Schlacht ist offen. Die Debatte darüber wird aber nur eine unter vielen sein, die die kommenden zwei Festivalwochen prägt.
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»Es muss sich alles verändern, damit alles so bleibt, wie es ist.« – dieser Satz ist berühmt. Er stammt aus dem Roman »Der Leopard«, dessen Verfilmung durch Luchino Visconti den Satz noch bekannter machte.
Auch die Verantwortlichen der Filmfestspiele von Cannes, wo Viscontis Film 1963 seine Weltpremiere erlebte und die Goldene Palme gewann, haben sich den Satz offensichtlich zu Herzen genommen. Denn Cannes unternimmt gerade nichts Anderes, als den Versuch, sich und das
Autorenkino zu verändern und neu aufzustellen – bei laufendem Betrieb, denn in unseren schnelllebigen Zeiten, kann sich selbst Cannes keine Auszeit leisten, keine Findungsphase erlauben, in der sich in Ruhe bestimmen ließe, was Sinn und Funktion eines Filmfestivals im 21. Jahrhundert sein könnte.
Genau darum aber geht es. Darum, dem Kino, und jenen Filmen, die nur dort, nur auf der großen Leinwand und in der Gemeinsamkeit vieler Menschen im dunklen Saal ihre volle Wirkung entfalten, seinen Platz und diese Wirkung zu sichern.
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Mit seiner entschiedenen, kämpferischen Haltung, stellt Cannes die Grundsatzfrage: Was ist Sinn und Funktion eines Filmfestivals im 21. Jahrhundert?.
Und wo kann der Platz des Kinos liegen, in einer Zukunft, in der man nach dem »Visual Turn« Filme immer und überall sehen kann, auch jenseits des ursprünglichen Abspielorts für Filme?
Gegen die Demagogen der Effizienz, gegen die Fundamentalisten der »Neuen Medien«, gegen die Populisten des Publikums, die nicht etwa »dem Volk nicht aufs Maul schauen«, sondern nach dem Mund reden, und die Ressentiments der intellektuell downgegradeten Leser- und Zuschauerschaft bedienen.
Das Filmfestival von Cannes erfindet sich neu – eine konservative Revolution. Wieder einmal geht Cannes mutig voran und beweist so, dass nur hier der Nabel der Filmwelt
liegt.
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Wenn das Festival dann Pfingsten de Preise verkündet, und mit Terry Gilliams Don Quixote-Film zu Ende geht, dann feiert man damit auch die herrliche (und übrigens ökonomisch sehr einträgliche) Macht der Phantasie: Auch Filmemacher kämpfen gegen Windmühlen, und wir sehen ihnen dabei gerne zu.
(to be continued)