71. Filmfestspiele Cannes 2018
Die Anfälligkeit für das Äußerliche |
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Unsere glückliche Familie: Gewinner ist The Shoplifters |
Der Japaner Hirokazu Kore-eda gewinnt die Goldene Palme von Cannes für seinen 12. Spielfilm The Shoplifters. Dies ist eine überfällige Auszeichnung für einen Regisseur, der seit gut zwanzig Jahren ein Stammgast auf den beiden führenden Filmfestivals der Welt, in Cannes und Venedig, ist. Endlich, endlich ist der 55-Jährige damit nun im Olymp der Kinoregisseure angekommen!
Dies ist die erste Goldene Palme für einen Japaner, seit 1997 Shohei Imamura für Der Aal ausgezeichnet wurde – allerdings damals ex aequo mit Abbas Kiarostami. Kore-eda ist erst der vierte Japaner, der diesen Preis gewann (Imamura hatte bereits 1983 gewonnen).
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Die weiteren Wettbewerbs-Preise verteilen sich wie folgt: Großer Preis der Jury: BlacKkKlansman von Spike Lee; Beste Regie: Pawel Pawlikowski (für Cold War); Preis der Jury: Capernaüm von Nadine Labaki; Spezial Goldene Palme: Le livre d’image von Jean-Luc Godard; Bestes Drehbuch: Alice Rohrwacher Lazzaro felice ex aequo mit Nader Saeivar und Jafar Panahi (Three Faces); Beste Darstellerin: Samal Yeslyamova Ayka; Bester Darsteller: Marcello Fonte (Dogman).
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Der Hauptpreis ist gut. Auch in meiner persönlichen Besten-Liste hatte Kore-eda relativ weit vorn gelegen, aber dann doch erst an vierter Stelle.
Meine persönliche Goldene Palme wäre an Leto vom Russen Kiril Serebrennikov gegangen, den schönsten und interessantesten Film des Wettbewerbs, wenn schon nicht den besten. Der beste Film, ganz objektiv betrachtet, war wohl Burning von Lee Chang-dong – meine Nummer zwei. Direkt dahinter kommt Ash is the purest White von Jia Zhang-ke. Dann Kore-eda. Und schon hier kann man herummäkeln, wenn auch noch auf hohem Niveau.
Was dagegen wirklich ärgert sind die meisten anderen Preise. Das Preisbouquet, also die Konstellation aus The Shoplifters, BlacKkKlansman und Capernaüm, macht klar, dass die Jury offenbar zu keinem Moment ernsthaft über Filmkunst debattiert hat. Vielmehr ist offenkundig: Filme mit einer eher platt (sorry, Spike Lee) zur Schau getragenen, nach fünf Filmminuten gesetzten und sehr eindeutigen politischen Botschaft haben Preischancen, und Filme mit Kindern in tragender Rolle. Ist das der weibliche Blick?
Wenn diese Entscheidung jedenfalls ausformuliert, was »weiblicher Blick« heißen könnte, dann wäre dieser ein schmieriger, inhaltistischer, er ist altmodisch und sentimental, im schlechtesten Sinn des Wortes gutmenschelnd und politisch korrekt.
Im Ergebnis ist die Palme also zwar gut, aber aus den falschen Gründen vergeben worden.
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Eine »Spezial Goldene Palme« für Jean-Luc Godard – das enthüllt eigentlich am besten den sanften Irrsinn, der in der Jury geherrscht haben muss.
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Man möchte ja schon gerne mal wissen, wie es in so einer Jury zugeht. Zwei Wochen lang ist da eine Gruppe von erwachsenen, selbstbewussten Menschen von einem Festival in eine Art luxuriöse Geiselhaft genommen worden. Nach den Filmen gibt es einen Empfang. Oder zwei, oder drei. Man muss nur die täglichen Branchenmagazine lesen – »Hollywood Reporter«, »Variety«, »Screen«, die in Cannes überall herumliegen, und deren Lektüre Pflicht wie Zeitvertreib ist, und einem nebenbei klar macht, was man alles verpasst hat – um sich darüber keine Illusionen zu machen, womit vor allem die weiblichen Jurymitglieder ihre Zeit verbringen – da können sie tagsüber noch so schöne Reden über »Me Too« und Sexismus halten – am Abend wird aufgetakelt, der hauchdünne Fummel jenes Modeschöpfers angezogen, mit dem man gerade einen Vertrag hat, und dann die Haut auf der Party des Abends noch ein bisschen zur Schau getragen.
Aber was macht dann, sagen wir mal Kristin Stewart, wenn sie nachts um drei endlich in ihr Hotelzimmer kommt? Liest sie noch eines jener Bücher zur Einführung in den Poststrukturalismus, aus dem sie dann in Interviews klug zu zitieren versucht? Vielleicht. Also sagen wir: Léa Seydoux, nachts um drei nach drei Filmen und zwei Partys leicht angesäuselt im Hotel. Öffnet sie dann noch ihr Laptop, guckt auf ihre Facebook-Seite und ins E-Mail-Fach? Dort dürfte sie dann pro Tag etwa 200 Mails vorfinden, in denen ihr ihr erweiterter Bekanntenkreis Ratschläge gibt à la: Der Film X war super, der muss unbedingt einen Preis kriegen, oder der Film Y war ja eine Katastrophe, den dürft ihr nicht auszeichnen.
Natürlich ist das jetzt zugespitzt, aber so stelle ich mir das vor.
Neben dergleichen persönlichen Beeinflussungen geht es in einer Jury immer darum, wer sich mit wem versteht. Wenn dann entschieden wird, zählen solche persönlichen Bündnisse mehr als Geschmack. Und es zählt natürlich Argumentationsfähigkeit: Wer sich sehr für oder gegen etwas einsetzt, wer sich sicher ist, und wer das auch noch gut begründen kann, wird in so einer Jury den Ton angeben – so lange er
freundlich bleibt, nicht dominant ist, und zu allen nett zu sein versucht. Da gibt es dann Leute, die haben eine politische Agenda, die steht schon vorher fest: Der und der soll gewinnen. Andere gucken einfach naiv. Aber Jurys machen Kompromisse.
Man möchte es sich ja gar nicht zu genau vorstellen, wie ist das wohl ist in der Jury.
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»Die Jury ist auch vom Festival instrumentalisiert worden«, sagt Engin nach der Preisverleihung: Das Festival habe »politische Preise« und einen Cineasten wie Kore-eda gewollt.
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FIPRESCI-Preise:
Wettbewerb: Burning (Lee Chang-dong)
Un Certain Regard: Girl (Lukas Dhont)
Nebensektionen: One Day (Zsófia Szilàgyi)
Goldene Palme für den besten Kurzfilm: All These Creatures (Charles Williams)
Lobende Erwähnung: Yan bian shao nian (Wei Shujun)
Caméra d’Or für den besten Debütfilm: Girl (Lukas Dhont)
Un Certain Regard:Bester Film: Gräns (Ali Abbasi)
Spezialpreis der Jury: Chuva e Cantoria na Aleida dos Mortos (Joao Salaviza / Renee Nader Messora)
Bester Schauspieler: Victor Polster in Girl
Beste Regie: Sergei Loznitsa für Donbass
Bestes Drehbuch: Meryem Benm'barek für Sofia
Cinéfondation
1. Preis: The Summer of the Electric Lion (Diego Céspedes)
2. Preis: Calender (Igor Polauhin), The Storms in Our Blood (Shen Di) (ex aequo)
3. Preis: Inanimate (Lucia Bulgheroni)
Quinzaine des réalisateurs
Art Cinema Award: Climax (Gaspar Noé)
Prix SACD (bester französischsprachiger Film): En liberté (Pierre Salvadori)
Label Europa Cinema Award: Troppa grazia
(Gianni Zanasi)
Illy Preis für den besten Kurzfilm: Skip Day (Ivette Lucas, Patrick Bresnan)
Carosse d’Or: Martin Scorsese
Semaine de la critique
Nespresso Grand Prize for La Semaine de la Critique : Diamantino (Gabriel Abrantes, Daniel Schmidt)
Prix SACD: Benedikt Erlingsson und Ólafur Egill Egilsson für das Drehbuch von Woman at War
Canal+ Short Film Award: A Wedding Day (Elias Belkeddar)
Gan Foundation Support for Distribution Prize: Sir (Rohena Gera)
Louis Roederer Foundation Rising Star Award: Félix Maritaud für Sauvage (Camille Vidal-Naquet)
Leica Cine Discovery Award: Ektoras Malo : I Teleftea Mera Tis
Chronias (Jacqueline Lentzou)
(to be continued)