08.03.2018
Cinema Moralia – Folge 172

Der Oscar als Filter­blase

Vom Winde verweht
Würde Vom Winde verweht heute noch beim Oscar triumphieren?

Keine schlechten Witze über Weinstein und die Frauen, keine guten über Trump – die 90. Oscar-Verleihung zeigt: Nicht nur das amerikanische Kino, auch dessen wichtigster Preis rutscht in die Krise – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 172. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Es begann alles wie in einer Wochen­schau der 1950er Jahre – das 4:3-Format und der Nach­rich­ten­spre­cher­text befrie­digten die Nostalgie. Es wirkte aber auch, gerade ange­sichts der Debatten, die die Filmszene in der letzten Zeit erschüt­tert haben.

Dazu passte dann auch der große Sieger des Abends: The Shape of Water von Gullermo del Toro ist ein verdienter Preis­träger in den Haupt­ka­te­go­rien. Ein sehr guter Film, und eine im Kostüm der Fantasie-Filme versteckte Kritik am erzre­ak­ti­onären White-Trash-Amerika unter Donald Trump. Aber eben auch ein Film, der als Märchen und Histo­ri­en­s­tück in einem, der ganz direkten Konfron­ta­tion mit dem bösen Clown im Weißen Haus und der häss­li­chen Fratze des Ameri­ka­ni­schen Traums ausweicht, und insofern konsu­mierbar bleibt.

Trotzdem war The Shape of Water, der zuletzt im Trend der Prognosen etwas zurück­ge­fallen war, eine kleine Über­ra­schung. Viele hatten auch auf die bittere Komödie Three Bill­boards Outside Ebbing, Missouri gewettet. Auch dies ist eine Kritik an den aktuellen ameri­ka­ni­schen Abgründen, vor allem am Rassismus. Aber auch hier hebt der Film manches auf und weicht aus – diesmal aufs sichere Terrain des Humors. Immerhin und zu recht bekam Three Bill­boards Outside Ebbing, Missouri zwei Darstel­ler­preise. Haupt­dar­stel­lerin Frances McDormand war auch die eine, die immerhin das zweite unter­grün­dige Haupt­thema des Abends ansprach: »Me Too«. Sie forderte alle nomi­nierten (und wenig ausge­zeich­neten) Frauen des Abends auf, aufzu­stehen, und formu­lierte ihr persön­li­ches Plädoyer für Inklusion.

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Das war die Ausnahme. In sonstiger Hinsicht enttäuschte der Oscar-Abend viele vorab geäußerte Erwar­tungen in Bezug auf Me Too. Weder gab es erkenn­bare Soli­da­ri­täts­kund­ge­bungen und Zeichen – die Mehrheit der Damen kam nicht wie noch beim Golden Globe im aske­ti­schen schwarzen Kleid auf den roten Teppich, und auch die, die es taten, zeigten viel Haut. Wenn man dann noch einen Blick in manche, nach offen­kun­digen Schön­heits­ope­ra­tionen der Stars, masken­haften erstarrten Frau­en­ge­sichter warf, die auf dem roten Teppich vorab oder in den Zuschau­er­reihen während­dessen zu sehen waren, so erzählten diese mehr als alle wohl­feilen Manifeste und Inter­viewstate­ments, wie es um Frau­en­gleich­be­rech­ti­gung in Hollywood und um Femi­nismus in der Film­in­dus­trie tatsäch­lich bestellt ist – allemal in einer bestimmten Gene­ra­tion.

Auch an bestimmten Preisen und Nomi­nie­rungen war dies erkennbar: Einen Ehren­preis gab es zwar für Agnes Varda, die frau­en­be­wegte, fast 90-jährige fran­zö­si­sche Regis­seurin der Nouvelle Vague. Aber beim Doku­men­tar­film­preis zeichnete man ihren poeti­schen Erin­ne­rungs­film nicht aus, sondern eine inhalts­las­tige Doping­doku, bei der natürlich nur die bösen Russen dopen.

Und Wonder Woman, der erste Film mit einer weib­li­chen Super­heldin, der vor neun Monaten und lange vor Weinstein und »Me-Too« noch als femi­nis­ti­sches Statement gefeiert wurde, war nicht einmal in irgend­einer Kategorie nominiert, obwohl er doch auch das seltene Beispiel eines Films bietet, der von einer Frau auf dem Regie­stuhl gemacht wird – so viel zu tatsäch­li­chen Verweib­li­chung Holly­woods.

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Was sind ansonsten die versteckten Botschaften der 90sten Oscar­ver­lei­hung? Die Veran­stal­tung war lahm, geradezu feige: Keine schlechten Witze über Weinstein und die Frauen, keine guten über Trump – offenbar ist das alles ein zu schlüpf­riges Terrain.

Wieder war der Oscar der Schau­platz einer Paral­lel­welt: Das Geld verdient Hollywood mit Block­bus­tern und Super­helden, aber auch den besten unter ihnen versagt man dann die Preise. Kaum Nomi­nie­rungen, wenn, dann vor allem in tech­ni­schen Kate­go­rien und kaum Auszeich­nungen also für Dunkirk, für Star Wars, für  Blade Runner.

Dafür schmückt man sich mit kleinen feinen Arthouses­tü­cken – und einer großen Ausnahme, wie dem Film Guillermo del Toros. Alles beim Alten in Hollywood. Einer­seits.
Ande­rer­seits muss man sich fragen, wohin es führt, wenn der Oscar zur Filter­blase wird: Würden Vom Winde verweht, Ben Hur oder Alfred Hitch­cocks Thriller heute noch beim Oscar trium­phieren?
Nicht nur das ameri­ka­ni­sche Kino, auch dessen wich­tigster Preis rutscht in die Krise.

(to be continued)