Cinema Moralia – Folge 172
Der Oscar als Filterblase |
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Würde Vom Winde verweht heute noch beim Oscar triumphieren? |
Es begann alles wie in einer Wochenschau der 1950er Jahre – das 4:3-Format und der Nachrichtensprechertext befriedigten die Nostalgie. Es wirkte aber auch, gerade angesichts der Debatten, die die Filmszene in der letzten Zeit erschüttert haben.
Dazu passte dann auch der große Sieger des Abends: The Shape of Water von Gullermo del Toro ist ein verdienter Preisträger in den Hauptkategorien. Ein sehr guter Film, und eine im Kostüm der Fantasie-Filme versteckte Kritik am erzreaktionären White-Trash-Amerika unter Donald Trump. Aber eben auch ein Film, der als Märchen und Historienstück in einem, der ganz direkten Konfrontation mit dem bösen Clown im Weißen Haus und der hässlichen Fratze des Amerikanischen Traums ausweicht, und insofern konsumierbar bleibt.
Trotzdem war The Shape of Water, der zuletzt im Trend der Prognosen etwas zurückgefallen war, eine kleine Überraschung. Viele hatten auch auf die bittere Komödie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri gewettet. Auch dies ist eine Kritik an den aktuellen amerikanischen Abgründen, vor allem am Rassismus. Aber auch hier hebt der Film manches auf und weicht aus – diesmal aufs sichere Terrain des Humors. Immerhin und zu recht bekam Three Billboards Outside Ebbing, Missouri zwei Darstellerpreise. Hauptdarstellerin Frances McDormand war auch die eine, die immerhin das zweite untergründige Hauptthema des Abends ansprach: »Me Too«. Sie forderte alle nominierten (und wenig ausgezeichneten) Frauen des Abends auf, aufzustehen, und formulierte ihr persönliches Plädoyer für Inklusion.
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Das war die Ausnahme. In sonstiger Hinsicht enttäuschte der Oscar-Abend viele vorab geäußerte Erwartungen in Bezug auf Me Too. Weder gab es erkennbare Solidaritätskundgebungen und Zeichen – die Mehrheit der Damen kam nicht wie noch beim Golden Globe im asketischen schwarzen Kleid auf den roten Teppich, und auch die, die es taten, zeigten viel Haut. Wenn man dann noch einen Blick in manche, nach offenkundigen Schönheitsoperationen der Stars, maskenhaften erstarrten Frauengesichter warf, die auf dem roten Teppich vorab oder in den Zuschauerreihen währenddessen zu sehen waren, so erzählten diese mehr als alle wohlfeilen Manifeste und Interviewstatements, wie es um Frauengleichberechtigung in Hollywood und um Feminismus in der Filmindustrie tatsächlich bestellt ist – allemal in einer bestimmten Generation.
Auch an bestimmten Preisen und Nominierungen war dies erkennbar: Einen Ehrenpreis gab es zwar für Agnes Varda, die frauenbewegte, fast 90-jährige französische Regisseurin der Nouvelle Vague. Aber beim Dokumentarfilmpreis zeichnete man ihren poetischen Erinnerungsfilm nicht aus, sondern eine inhaltslastige Dopingdoku, bei der natürlich nur die bösen Russen dopen.
Und Wonder Woman, der erste Film mit einer weiblichen Superheldin, der vor neun Monaten und lange vor Weinstein und »Me-Too« noch als feministisches Statement gefeiert wurde, war nicht einmal in irgendeiner Kategorie nominiert, obwohl er doch auch das seltene Beispiel eines Films bietet, der von einer Frau auf dem Regiestuhl gemacht wird – so viel zu tatsächlichen Verweiblichung Hollywoods.
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Was sind ansonsten die versteckten Botschaften der 90sten Oscarverleihung? Die Veranstaltung war lahm, geradezu feige: Keine schlechten Witze über Weinstein und die Frauen, keine guten über Trump – offenbar ist das alles ein zu schlüpfriges Terrain.
Wieder war der Oscar der Schauplatz einer Parallelwelt: Das Geld verdient Hollywood mit Blockbustern und Superhelden, aber auch den besten unter ihnen versagt man dann die Preise. Kaum Nominierungen, wenn, dann vor allem in technischen Kategorien und kaum Auszeichnungen also für Dunkirk, für Star Wars, für Blade Runner.
Dafür schmückt man sich mit kleinen feinen Arthousestücken – und einer großen Ausnahme, wie dem Film Guillermo del Toros. Alles beim Alten in Hollywood. Einerseits.
Andererseits muss man sich fragen, wohin es führt, wenn der Oscar zur Filterblase wird: Würden Vom Winde verweht, Ben
Hur oder Alfred Hitchcocks Thriller heute noch beim Oscar triumphieren?
Nicht nur das amerikanische Kino, auch dessen wichtigster Preis rutscht in die Krise.
(to be continued)