01.02.2018
Cinema Moralia – Folge 171

Die Phantome der Produ­zenten

Der letzte Mohikaner
Daniel Day-Lewis in Michael Manns The Last of the Mohicans

Alarmismus und Interesse: Produzenten, Barbaren und andere Korrekte, der deutsche Film am seidenen Faden – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 171. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Entschei­dung des Akade­mi­schen Senats der Alice Salomon Hoch­schule, das Gomringer-Gedicht zu übermalen, ist ein erschre­ckender Akt der Kultur­bar­barei. Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs, das ist eine der wich­tigsten Lehren aus der Geschichte. Wer dieses Grund­recht durch vermeint­liche political correct­ness unter­höhlt, betreibt ein gefähr­li­ches Spiel.«
Kultur­staats­mi­nis­terin Grütters zur geplanten Über­ma­lung eines Gedichts von Eugen Gomringer

»Alleen/
Alleen und Blumen/
Blumen/
Blumen und Frauen/
Alleen/
Alleen und Frauen/
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewun­derer«.

Eugen Gomringer: »avenidas«, das inkri­mi­nierte Gedicht auf der Fassade der Alice Salomon Hoch­schule in Berlin

Thomas Frickel, Regisseur und Vorsit­zender der »Arbeits­ge­mein­schaft Doku­men­tar­film« (AG Dok) und die FAZ, haben zumindest eines gemeinsam: Sie schrecken vor nichts zurück, auch nicht vor dem Bündnis mit dem Klas­sen­feind, wenn es darum geht, eine poli­ti­sche Agenda zu verfolgen. So schrieb Frickel am letzten Samstag einen sehr lesens­werten, wenn auch aus meiner Sicht arg alar­mis­ti­schen Artikel in der FAZ.
In seiner Funktion als Funk­ti­onär greift er in die Beratung der Minis­ter­prä­si­denten zum »Tele­me­di­en­auf­trag« von ARD und ZDF ein. Die Media­theken der Sender sollen die bereits von den Bürgern finan­zierten Programme diesen Bürgern nur eng begrenzt bereit­stellen, damit die Produ­zenten sie dann den gleichen Bürgern noch mal verkaufen können, als DVD oder Stream. Das ist wie ein Bäcker, der sich die Semmel bezahlen lässt, sie aber nach dem zweiten Bissen dem Kunden aus der Hand reißt, um sie nochmal zu verkaufen mit dem Argument, er habe sie ja noch nicht aufge­gessen.
Frickel spricht von »Enteig­nung« und meint natürlich nicht das Publikum, sondern die Produ­zenten.

+ + +

Natürlich ist alles kompli­zierter. Frickel hat gute Argumente. Aber die Debatte um die Media­theken läuft in die falsche Richtung.

+ + +

Zustim­mung gab es dafür heute auf Facebook unter anderen vom Kölner Produ­zenten Arne Birken­stock. Er schrieb über gewal­tigen Verän­de­rungen, denen die gesamte Film- und Medi­en­land­schaft unter­liegt, und den sich daraus erge­benden Chancen und Heraus­for­de­rungen, denen sie nur gemeinsam begegnen kann. »Wir brauchen Lösungen, die dem öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk die Wandlung zur Plattform ermög­li­chen UND die exis­tenz­be­dro­hende wirt­schaft­liche Situation der Kreativen nicht weiter verschärft! Die einsei­tige Enteig­nung unab­hän­giger Produ­zenten zugunsten gebüh­ren­fi­nan­zierter Sender durch die Medi­en­po­litik befördert den Nieder­gang der Krea­tiv­wirt­schaft und verhin­dert den dringend notwen­digen Menta­li­täts­wandel bei den Sender­hier­ar­chen.«

Dem kann man nur zustimmen. Es muss eine Lösung geben, die den neuen digitalen Verhält­nissen – jeder will alles zu jeder Zeit sehen können – gerecht wird, und nicht analogen Retro­pa­ra­diesen nach­trauert.
Die deutschen Produ­zenten sollten aber sehr, sehr vorsichtig sein mit dieser derzeit sehr schicken Art der Kritik! Denn das Problem ist ja nicht, dass die Filme in der Mediathek der Sender stehen, sondern dass die Produ­zenten dafür nicht ange­messen bezahlt werden.

+ + +

Die FAZ ist hier nun aller­dings alles andere als inter­es­se­lose neutrale Partei: Im Gegenteil führt sie – nachdem Frank Schirr­ma­cher zunächst mit der Digi­ta­li­sie­rung neue Heils­ver­spre­chen verbunden hat, bevor er sich zum Apoka­lyp­tiker wandelte – einen Kreuzzug gegen Google und Co, und gegen die Media­theken. Die FAZ selbst verkauft aber Texte als digitalen Content im Netz und auf DVD und an Archive weltweit und hat mir zum Beispiel noch nie einen Cent für derartige Verwer­tungen meiner Texte bezahlt. Sie und andere Verlage zwingen im Gegenteil ihren Autoren Knebel­ver­träge auf – maskiert mit dem schönen Wort »Leis­tungs­schutz«, der mit Unter­s­tüt­zung dummer Medi­en­po­li­tiker nirgendwo so groß ist, wie in Deutsch­land.
Aber Tages­zei­tungen auf Papier sind ein ster­bendes Medium. Der ÖR-Rundfunk hingegen bezahlt Autoren sehr wohl auch für digitale Auswer­tung, wenn auch oft nicht ange­messen.

+ + +

Zur Zeit hört man auf Produ­zen­ten­seite trotzdem zuviel schrilles Gejammer und keine inno­va­tiven Vorschläge. Auch die Rede von »Enteig­nung« ist hyste­risch. De facto geht es um einen Kampf um die Fleisch­tröge und um Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit.
Die deutschen Produ­zenten sollten hier wenigs­tens so ehrlich sein, zuzugeben, dass sie ohne die Aufträge der geschol­tenen Sender längst schon über den Status der Exis­tenz­be­dro­hung hinaus wären und einfach mausetot.
Das flotte Bashing der »gebüh­ren­fi­nan­zierten Sender« (fürs Werbe und Bezahl­fern­sehen arbeiten die wenigsten, und das aus guten Gründen) findet gerade viel Beifall – aber immer von der falschen Seite: AfD und andere Popu­listen, die hinter allem eh nur eine gebüh­ren­fi­nan­zierte Lügen­presse sehen wollen.
Wir müssen mit den Sendern die Medi­en­po­litik verändern!

+ + +

»Es ist natürlich Geschmacks­sache, wenn er [Daniel Day-Lewis] einem in jenen Rollen weniger gut gefällt, in denen er sich ganz den Konven­tionen einer Epoche fügen muss wie in Die Zeit der Unschuld (1993) oder auch in ›Lincoln‹. Immerhin muss er hier keinen dieser Bärte tragen wie in Gangs of New York oder There Will Be Blood, die sein markantes Gesicht und das Wetter­leuchten seiner Mimik eher verbargen. Aber jeder wird ohnehin unter den 21 Filmen, die Day-Lewis seit 1971, seit Bloody Sunday gedreht hat, seinen Favoriten finden, in dem die Stärken des Films und die seines Spiels zur Deckung kommen.
Ich würde immer Michael Manns Der letzte Mohikaner (1992) allen anderen vorziehen, wegen seines mitreißenden physi­schen Spiels, wegen der Dynamik und Beweg­lich­keit, die Day-Lewis seinem Falken­auge mitgibt, wenn er mit langem Gewehr und auf Mokassins durch die Wildnis läuft.«
Peter Körte, FAS vom 28.1.18

+ + +

»Vermut­lich wird Phantom Thread von Paul Thomas Anderson, der in den deutschen Kinos am Donnerstag unter dem Titel Der seidene Faden anlaufen wird, mit der Zeit verblassen wie die Anemonen, die in den zahl­rei­chen Vasen des Wohn- und Atelier­hauses, in dem dieser Film vornehm­lich spielt, jenen Zustand eleganten Verfalls erreicht haben, in dem sie erst ihre wahre Schönheit offen­baren. Und erinnern werden wir uns an Daniel Day-Lewis, der angekün­digt hat, jetzt mit dem Schau­spielen Schluss zu machen, wie er mit unver­gleich­li­cher Grazie und Energie durch die Wälder rannte, damals, 1992, in dem besten seiner Filme, in Michael Manns Der letzte Mohikaner.
Zwar blitzt in seinem nunmehr letzten Film sehr oft noch das einst unwi­der­steh­lich jungen­hafte Lächeln auf, mit dem er damals Madeleine Stowe gewann. Doch heute wirkt es, als friere es sofort in seinem Gesicht fest, und in der gebeugten Haltung, die er jetzt meistens einnimmt, ist kaum noch etwas zu ahnen von der Spann­kraft, von der Körper­lich­keit seines Spiels, in dem damals noch eine Lust ausbrach, die nicht zur Rolle, sondern ganz allein dem Darsteller gehörte – die Lust am eigenen Können, am eigenen Körper und an der eigenen Attrak­ti­vität.
Mit dem Älter­werden hat das nichts zu tun. Aber mit der Methode. Längst hat the method (acting) über Daniel Day-Lewis und sein riesiges Talent gesiegt. Das ist das Trau­rigste, was sich über diesen Film sagen lässt, der mit so großer Sorgfalt gear­beitet ist, dass man sich im Zuschau­er­sessel kaum zu rühren wagt, um das geschmack­volle Arran­ge­ment nicht zu stören. Ja, die Methode hat den Schau­spieler klein­ge­kriegt. Penibel wirkt Day-Lewis inzwi­schen, restlos und auch beflissen aufge­gangen in der Rolle, die er spielt. Das war schon in Gangs of New York so, wo Bill the Butcher wirkte, als käme er aus dem Schmie­ren­theater. Reynolds Woodcock nun im seidenen Faden ist diskreter, eleganter. Aber er wirkt wie eine Mario­nette, in Gang gebracht von der sensiblen, detail­ver­narrten, minu­tiösen Technik von Day-Lewis. Nur lebendig wird sie nicht.«
Verena Lueken, FAZ vom 31.1.18

(to be continued)