Cinema Moralia – Folge 171
Die Phantome der Produzenten |
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Daniel Day-Lewis in Michael Manns The Last of the Mohicans |
»Die Entscheidung des Akademischen Senats der Alice Salomon Hochschule, das Gomringer-Gedicht zu übermalen, ist ein erschreckender Akt der Kulturbarbarei. Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs, das ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte. Wer dieses Grundrecht durch vermeintliche political correctness unterhöhlt, betreibt ein gefährliches Spiel.«
Kulturstaatsministerin Grütters zur geplanten Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer»Alleen/
Alleen und Blumen/
Blumen/
Blumen und Frauen/
Alleen/
Alleen und Frauen/
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer«.
Eugen Gomringer: »avenidas«, das inkriminierte Gedicht auf der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin
Thomas Frickel, Regisseur und Vorsitzender der »Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm« (AG Dok) und die FAZ, haben zumindest eines gemeinsam: Sie schrecken vor nichts zurück, auch nicht vor dem Bündnis mit dem Klassenfeind, wenn es darum geht, eine politische Agenda zu verfolgen. So schrieb Frickel am letzten Samstag einen sehr lesenswerten, wenn auch aus meiner Sicht arg alarmistischen Artikel in der FAZ.
In seiner Funktion als Funktionär greift er in die Beratung der
Ministerpräsidenten zum »Telemedienauftrag« von ARD und ZDF ein. Die Mediatheken der Sender sollen die bereits von den Bürgern finanzierten Programme diesen Bürgern nur eng begrenzt bereitstellen, damit die Produzenten sie dann den gleichen Bürgern noch mal verkaufen können, als DVD oder Stream. Das ist wie ein Bäcker, der sich die Semmel bezahlen lässt, sie aber nach dem zweiten Bissen dem Kunden aus der Hand reißt, um sie nochmal zu verkaufen mit dem Argument, er habe sie ja noch
nicht aufgegessen.
Frickel spricht von »Enteignung« und meint natürlich nicht das Publikum, sondern die Produzenten.
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Natürlich ist alles komplizierter. Frickel hat gute Argumente. Aber die Debatte um die Mediatheken läuft in die falsche Richtung.
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Zustimmung gab es dafür heute auf Facebook unter anderen vom Kölner Produzenten Arne Birkenstock. Er schrieb über gewaltigen Veränderungen, denen die gesamte Film- und Medienlandschaft unterliegt, und den sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen, denen sie nur gemeinsam begegnen kann. »Wir brauchen Lösungen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Wandlung zur Plattform ermöglichen UND die existenzbedrohende wirtschaftliche Situation der Kreativen nicht weiter verschärft! Die einseitige Enteignung unabhängiger Produzenten zugunsten gebührenfinanzierter Sender durch die Medienpolitik befördert den Niedergang der Kreativwirtschaft und verhindert den dringend notwendigen Mentalitätswandel bei den Senderhierarchen.«
Dem kann man nur zustimmen. Es muss eine Lösung geben, die den neuen digitalen Verhältnissen – jeder will alles zu jeder Zeit sehen können – gerecht wird, und nicht analogen Retroparadiesen nachtrauert.
Die deutschen Produzenten sollten aber sehr, sehr vorsichtig sein mit dieser derzeit sehr schicken Art der Kritik! Denn das Problem ist ja nicht, dass die Filme in der Mediathek der Sender stehen, sondern dass die Produzenten dafür nicht angemessen bezahlt werden.
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Die FAZ ist hier nun allerdings alles andere als interesselose neutrale Partei: Im Gegenteil führt sie – nachdem Frank Schirrmacher zunächst mit der Digitalisierung neue Heilsversprechen verbunden hat, bevor er sich zum Apokalyptiker wandelte – einen Kreuzzug gegen Google und Co, und gegen die Mediatheken. Die FAZ selbst verkauft aber Texte als digitalen Content im Netz und auf DVD und an Archive weltweit und hat mir zum Beispiel noch nie einen Cent für derartige
Verwertungen meiner Texte bezahlt. Sie und andere Verlage zwingen im Gegenteil ihren Autoren Knebelverträge auf – maskiert mit dem schönen Wort »Leistungsschutz«, der mit Unterstützung dummer Medienpolitiker nirgendwo so groß ist, wie in Deutschland.
Aber Tageszeitungen auf Papier sind ein sterbendes Medium. Der ÖR-Rundfunk hingegen bezahlt Autoren sehr wohl auch für digitale Auswertung, wenn auch oft nicht angemessen.
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Zur Zeit hört man auf Produzentenseite trotzdem zuviel schrilles Gejammer und keine innovativen Vorschläge. Auch die Rede von »Enteignung« ist hysterisch. De facto geht es um einen Kampf um die Fleischtröge und um Verteilungsgerechtigkeit.
Die deutschen Produzenten sollten hier wenigstens so ehrlich sein, zuzugeben, dass sie ohne die Aufträge der gescholtenen Sender längst schon über den Status der Existenzbedrohung hinaus wären und einfach mausetot.
Das flotte
Bashing der »gebührenfinanzierten Sender« (fürs Werbe und Bezahlfernsehen arbeiten die wenigsten, und das aus guten Gründen) findet gerade viel Beifall – aber immer von der falschen Seite: AfD und andere Populisten, die hinter allem eh nur eine gebührenfinanzierte Lügenpresse sehen wollen.
Wir müssen mit den Sendern die Medienpolitik verändern!
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»Es ist natürlich Geschmackssache, wenn er [Daniel Day-Lewis] einem in jenen Rollen weniger gut gefällt, in denen er sich ganz den Konventionen einer Epoche fügen muss wie in Die Zeit der Unschuld (1993) oder auch in ›Lincoln‹. Immerhin muss er hier keinen dieser Bärte tragen wie
in Gangs of New York oder There Will Be Blood, die sein markantes Gesicht und das Wetterleuchten seiner Mimik eher verbargen. Aber jeder wird ohnehin unter den 21 Filmen, die Day-Lewis seit 1971, seit Bloody Sunday gedreht hat, seinen Favoriten finden, in
dem die Stärken des Films und die seines Spiels zur Deckung kommen.
Ich würde immer Michael Manns Der letzte Mohikaner (1992) allen anderen vorziehen, wegen seines mitreißenden physischen Spiels, wegen der Dynamik und Beweglichkeit, die Day-Lewis seinem Falkenauge mitgibt, wenn er mit langem Gewehr und auf Mokassins durch die Wildnis läuft.«
Peter Körte, FAS vom 28.1.18
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»Vermutlich wird Phantom Thread von Paul Thomas Anderson, der in den deutschen Kinos am Donnerstag unter dem Titel Der seidene Faden anlaufen wird, mit der Zeit verblassen wie die Anemonen, die in den zahlreichen Vasen des Wohn- und Atelierhauses, in dem dieser Film vornehmlich
spielt, jenen Zustand eleganten Verfalls erreicht haben, in dem sie erst ihre wahre Schönheit offenbaren. Und erinnern werden wir uns an Daniel Day-Lewis, der angekündigt hat, jetzt mit dem Schauspielen Schluss zu machen, wie er mit unvergleichlicher Grazie und Energie durch die Wälder rannte, damals, 1992, in dem besten seiner Filme, in Michael Manns Der letzte Mohikaner.
Zwar blitzt in
seinem nunmehr letzten Film sehr oft noch das einst unwiderstehlich jungenhafte Lächeln auf, mit dem er damals Madeleine Stowe gewann. Doch heute wirkt es, als friere es sofort in seinem Gesicht fest, und in der gebeugten Haltung, die er jetzt meistens einnimmt, ist kaum noch etwas zu ahnen von der Spannkraft, von der Körperlichkeit seines Spiels, in dem damals noch eine Lust ausbrach, die nicht zur Rolle, sondern ganz allein dem Darsteller gehörte – die Lust am eigenen Können, am
eigenen Körper und an der eigenen Attraktivität.
Mit dem Älterwerden hat das nichts zu tun. Aber mit der Methode. Längst hat the method (acting) über Daniel Day-Lewis und sein riesiges Talent gesiegt. Das ist das Traurigste, was sich über diesen Film sagen lässt, der mit so großer Sorgfalt gearbeitet ist, dass man sich im Zuschauersessel kaum zu rühren wagt, um das geschmackvolle Arrangement nicht zu stören. Ja, die Methode hat den Schauspieler kleingekriegt. Penibel wirkt
Day-Lewis inzwischen, restlos und auch beflissen aufgegangen in der Rolle, die er spielt. Das war schon in Gangs of New York so, wo Bill the Butcher wirkte, als käme er aus dem Schmierentheater. Reynolds Woodcock nun im seidenen Faden ist diskreter, eleganter. Aber er wirkt
wie eine Marionette, in Gang gebracht von der sensiblen, detailvernarrten, minutiösen Technik von Day-Lewis. Nur lebendig wird sie nicht.«
Verena Lueken, FAZ vom 31.1.18
(to be continued)