Cinema Moralia – Folge 176
Cameron Bailey soll neuer Berlinale-Direktor werden? |
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Wird Cameron Bailey »es«? |
Wir sitzen noch an der Croisette, bei fast berlinalehafter Kälte, freuen uns, weiterhin ausgezeichnete Filme zu sehen – da überschlagen sich die Nachrichten aus Berlin.
Gerade erst wurden wir gestern Mittag in einer offiziellen Pressemitteilung des Arsenal darüber informiert, dass Christoph Terhechte die Leitung des Forums recht überraschend bereits im Juni diesen Jahres verlässt, da bekamen wir aus Deutschland noch weitere, weitaus wichtigere Nachrichten: Sie
bestätigen sehr glaubwürdig jene Informationen, die an den Café-Tischen in Cannes bereits während der letzten Tage die Runde machten: Danach hat sich die Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der vakanten Frage der Zukunft der Berlinale-Leitung nun entschieden. Offenbar soll die bisherige Leitungsstruktur derart verändert werden, dass die Berlinale in Zukunft von einer Doppelspitze geführt werden wird.
Und die eine Hälfte dieser Doppelspitze steht allem Anschein nach fest: Cameron Bailey soll neuer Berlinale-Direktor werden! Bislang war Bailey der künstlerische Leiter des Filmfestivals von Toronto (TIFF). Erst Mitte April war gemeldet worden, dass Bailey das TIFF, für das er bereits seit 2008 arbeitet, in Zukunft als Co-Direktor führen werde. Aber wir
wissen ja vom Fußball, dass Verträge manchmal nur deswegen verlängert werden, um die Ablösesumme hochzutreiben.
Bailey ist geborener Brite, seine Eltern stammen aus Barbados. Als Bailey acht Jahre alt war, zog die Familie nach Kanada. Insofern wäre es zu oberflächlich, die Entscheidung für ihn nur darauf zurückzuführen, dass die Berliner Kulturpolitik offenkundig eine besondere Neigung für Großbritannien hat.
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Die Entscheidung für Bailey ist in vieler Hinsicht eine positive und spannende Überraschung: Zum einen, weil der Brite es verstanden hat, das Amerika-lastige TIFF international breiter aufzustellen, und den einseitig kommerziellen und industriehörigen Ort Toronto auch künstlerisch aufzuwerten, indem er qualitätvolle Filme von anderen Festivals abwarb.
Das ästhetische Profil, die Lust, das Kino jenseits von Hollywood-Dramaturgie, Europudding und TV-Ästhetiken wieder
sichtbar zu machen oder es überhaupt erst zu entdecken und zu Hollywood Alternativen zu formulieren – all dies wird von einem neuen Berlinale-Chef aber im Gegensatz zu Toronto unbedingt erwartet.
Die Entscheidung für den neuen Berlinale-Chef ist auch deshalb sehr erfreulich, weil es damit tatsächlich eine Entscheidung jenseits der provinziellen deutschen Branchennetzwerke geworden ist: Keine Nachfolge aus dem Bereich der deutschen Förderung, der Sender, der Verbände, der
Filmkritik. Sondern ein Ausländer, der im Verhältnis zu den eingeschliffenen Verfahrensweisen in Deutschland auch ein Außenseiter ist, der frischen Wind bringen wird, der nicht weiß »wie man etwas zu machen hat«, wer »wichtig« ist, oder »mit wem man sprechen muss« im deutschen Filmsumpf, der zugleich eine international bekannte und Persönlichkeit ist – aber natürlich nicht undiplomatisch und ungeschickt.
Mit dem Fall Chris Dercon über den man ähnliche Sätze formulieren
konnte, bevor er an der Volksbühne krachend scheiterte, kann man Baileys voraussichtliche Berufung trotzdem nicht vergleichen – schon deswegen, weil die Berlinale nicht wie die Volksbühne eine unvergleichliche Tradition hat, und weil sie weitaus weniger funktioniert. Die Berlinale braucht in Zukunft eine klare Umorientierung gegenüber den letzten 15 Jahren.
Am ehesten wird Bailey in Berlin dem Verdacht entgegenwirken müssen, zu industriehörig und zu angelsächsisch
orientiert zu sein.
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Eine offizielle Bestätigung dieser Nachricht steht noch aus. Erst Anfang Juni sollen nach jetzigem Stand die Ergebnisse dem Berlinale-Aufsichtsrat vorgelegt werden. Es ist allerdings zu erwarten, dass er den »Empfehlungen« der Staatsministerin folgen wird.
Dann wissen wir, wie gut unsere Informanten wirklich waren.
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Aber wer wird jetzt der zweite Teil der Doppelspitze? Spekuliert wird über eine Fülle weiterer Persönlichkeiten, vor allem aus Deutschland, und unter Berücksichtigung des angenommenen wesentlichen äußeren Kriteriums: Es müsse ein Frau werden. Übrig bleiben zwei Namen. Maria Köpf, so heißt es von verschiedener Seite, könnte von ihrer Position als Hamburger Förderchefin wieder nach Berlin wechseln, wo sie viele Jahre bereits als Produzentin für X-Filme und Zentropa
arbeitete.
Wahrscheinlicher allerdings ist der Ernennung von Bettina Reitz. Reitz selbst hat sich zu diesen Spekulationen, die es bereits seit über einem Jahr gibt, immer nur klug abwiegelnd geäußert. Sie hat ihr Interesse allerdings auch nie dezidiert ausgeschlossen. In Cannes fiel bei verschiedenen Gelegenheiten auf, wie präsent sie war: Interviews gebend, sich zeigend und, wie ein Regisseur fand, »Hof haltend wie die Königin von Saaba«. Da fiel noch mehr auf, dass die
Kulturstaatsministerin in diesem Jahr nicht nach Cannes gekommen war – sie hatte den Deutschen Katholikentag vorgezogen, und damit auch die Gelegenheit verpasst, noch einmal am Beispiel von Cannes zu lernen, wie ein wirklich gut aufgestelltes Festival funktioniert und sich präsentiert.
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Wie soll eine solche Doppelspitze aber überhaupt zusammenarbeiten? Dazu werden sich in den nächsten Monaten noch viele Nachfragen stellen. Man könnte auch einfach von der Machtfrage sprechen. Zugespitzt formuliert: Nehmen wir einmal an, es gäbe die Überlegung, die Berlinale wieder auf ihren früheren Zeitpunkt, den Sommer zu verlegen – wer könnte solche Entscheidungen treffen, wenn sich beide nicht sowieso einig sind? Möchte die Kulturstaatsministerin dann das letzte Wort
haben – »divide et impera«?
Zuständigkeiten wie Filmauswahl und Sponsorengewinnung kann man aufteilen, grundsätzliche Strategieentscheidungen aber nicht.
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Mit diesen neuen Nachrichten zerschlagen sich auch einige andere Überlegungen der letzten Wochen: Grütters sei nicht fündig geworden, es werde nun wieder »an eine interne Lösung« gedacht, hatte »Screen« erst kürzlich geschrieben und zugleich neue Namen ins Kandidatenkarussell geworfen: Torsten Neumann etwa, den bewährten Leiter des Filmfestivals Oldenburg, der dort seit Jahren einen hervorragenden Job macht.
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Jetzt haben sich die Hoffnungen mancher Mitarbeiter des abtretenden Direktors Kosslick zerschlagen. Die ersten Matrosen verlassen das Berlinale-Schiff: Christoph Terhechte, seit 18 Jahren Leiter des »Internationalen Forums des Jungen Films«, und seit 1997 Mitglied im Forum-Auswahlkomitee, seit 2002 zudem Mitglied im Auswahlkomitee des Wettbewerbs der Berlinale, gibt zum Juni 2018 die Forums-Leitung ab. Dazu hieß es, »Christoph Terhechte möchte sich nun neuen beruflichen
Aufgaben stellen.« Diese Aufgaben findet er dem Vernehmen nach in Marokko, wo Terhechte neuer Leiter des Filmfestivals von Marrakesch werden soll.
Bereits im letzten Jahr war Wieland Speck, der Leiter des Panorama, der seit Anfang der 90 Jahre der Sektion vorstand, von seiner Position zurückgetreten – auf einem Beraterposten zu bleiben, dazu hatte ihn Kosslick erst mühsam und mit sanftem Druck überreden müssen.
Aber auch andere Positionen in der höheren
Berlinale-Hierarchie sind nach dieser Nachricht keineswegs mehr sicher. Was wird unter einer neuen Leitungsstruktur zum Beispiel aus Frauke Greiner, die der Berlinale-Presseabteilung bereits seit den letzten Jahren von Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln vorsteht?
(to be continued)