08.08.2018
71. Locarno Filmfestival 2018

Tropfen auf heiße Stirnen

Menschen im Sommer
Wäre Locarno doch nur in Berlin...

Nichts geht in Locarno, nur die Filme sind gut – Notizen aus Locarno, 1. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Nichts geht in Locarno. Die dummen Busse, die saudumme Fahr­rad­re­ge­lung, das Wetter auf der Piazza, man kann hier wahn­sinnig werden im Arbeits­alltag, wie bei keinem zweiten A-Festival.
Es ist heiß, zu heiß, auch zu feucht, nicht so wie in Berlin, sondern beklem­mend schwül, die Hemden werden hier nach Minuten nass.
Das Internet der Stadt (FreeWi­fiLo­carno) funk­tio­niert sehr oft gar nicht, das des Festivals meistens nicht. In dem vom Hotel dell'Angelo, einem der ganz wenigen verläss­li­chen Orte hier, wissen zwar noch nicht mal die meisten Kellner das Passwort, aber man bekommt es dann doch heraus und hat noch einen Grund mehr, hier immer wieder herzu­kommen.

Und so geht es weiter: Da die Kinos zu weit ausein­an­der­liegen, als dass man schnell hin und herspringen könnte, braucht man Busse und Fahrräder. Weil Locarno im Gebirge liegt, sind die meisten Leih­fahr­räder Elek­tro­bikes, die ohne Antriebs­hilfe sind meist private, die von irgend­wel­chen urig ausse­henden, braun gebrannten und muskulös gestählten über 50-jährigen Schweizer Sport­gra­naten den Berg hoch­ge­treten werden.
Die E-Bikes der privaten Verleiher und der Touris­mus­behörde muss man mindes­tens drei Monate im Voraus und für viele Franken reser­viert haben, sonst gibt es keine mehr. Dafür aber gibt es die Räder des Festival-Vertrags­part­ners. Die sind für Akkre­di­tierte kostenlos, aller­dings nur für drei Stunden am Tag ausleihbar. Denn, so ein sehr freimü­tiger Firmen­an­ge­stellter: »Das ist ja eine Werbe­maß­nahme, in der es darum geht, E-Bikes bekannt zu machen. Darum sollen möglichst viele Leute mal ein E-Bike ausleihen.« Später bekommen wir dann zufällig mit, dass für bestimmte (welche?) Akkre­di­tierte doch Fahrräder länger ausleihbar sind, und zwar maximal zwischen 9 und 18 Uhr. Um 18 Uhr ist man hier aber im Kino, um 9 haben die Pres­se­vor­füh­rungen bereits begonnen.
Der Festi­valsponsor bietet also Räder an, die de facto unbe­nutzbar bzw. nur unter sehr unprak­ti­schen Einschrän­kungen benutzbar sind. Selbst für Kranke und Gehbe­hin­derte machen die Sponsoren keine Ausnahmen, und das Festival hat sich dies­be­züg­lich auch nicht gekümmert.
Wie andere Kollegen verzichten wir auf dieses Angebot.

Es gibt Busshuttle des Festivals. Die fahren aber nur von A nach Z und halten bei keiner der nahe­lie­genden Zwischen­sta­tionen, zum Beispiel Festi­val­kinos, an. Sie fahren auch nur alle etwa 20 Minuten, so dass sehr viele Leute regel­mäßig zu den Filmen zu spät kommen. Immerhin gilt hier nicht die Regel vieler anderer Festivals, nach der es nach Vorstel­lungs­be­ginn keinen Einlass gibt. Die Eingangs­kon­trol­leure, ihrem Aussehen nach meist sehr junge Volon­teers, lassen einen jederzeit rein – so ist in den Vorstel­lungen ein Kommen und Gehen.

Die Kinos selbst sind mit Ausnahme des »ExRex«, das jetzt »GrandRex« heißt, und des ganz neu gebauten PalaCi­nema mit seinen drei Sälen ein Desaster: Man kann keinem Filme­ma­cher empfehlen, seine Filme in Locarno zu zeigen – die Projek­tion ist zu hell, die Akustik nicht vorhanden, die Stühle unbequem, viele Kinosäle sind nicht klima­ti­siert.
Über die Tatsache, dass die meisten Lokale krass über­teuert und die Ange­stellten oft extrem unfreund­lich sind, und dass es hier vielen nur darum geht, möglichst viel von ihrer Gummi­pizza für knapp 20 Franken (18 Euro) den Touristen anzu­drehen, habe ich hier erst vor zwei Jahren geschrieben – das kann man nachlesen, denn es gilt heute wie damals.
Das »Hotel del Angelo« ist eine Oase in dieser Wüste, nicht nur wegen des besten Stein­pilz­ri­sottos der Stadt. Die Kellner sind freund­lich, teilweise richtig liebens­wert und verschmitzt. Die Qualität des Essens ist weit überm Durch­schnitt und die Preise für Locarno fast schon billig.

+ + +

Das Einzige, was gut ist, sind die Filme. Auch das war nicht immer so. Aber in diesem Jahr habe ich bisher keinen wirklich schlechten Film gesehen, und anderen ging es genauso.

(to be continued)