04.12.2019
Cinema Moralia – Folge 208

Attrappen aus Pappe, ange­messen elitär...

Bin im Wald
Peter Handke liest viel und geht gerne in den Wald. Kann sein, dass er sich verspätet.
(Foto: Piffl Medien / zero one film)

Förderer-Software, Kinos als Kulturort, die Verluderung kommunaler Filmpolitik und Peter Handke als Filmemacher – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogängers, 208. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Tape my head and mike my brain,
stick that needle in my vein.«
Thomas Pynchon

»Sobald aber die einfachen Leute um ihren Anteil am Sozi­al­pro­dukt sich raufen müssen, über­treffen sie an Neid und Gehäs­sig­keit alles, was unter Literaten oder Kapell­meis­tern beob­achtet werden kann. Die Glori­fi­zie­rung der präch­tigen underdogs läuft auf die des präch­tigen Systems heraus, das sie dazu macht. Berech­tigte Schuld­ge­fühle derer, die von der physi­schen Arbeit ausge­nommen sind, sollten nicht zur Ausrede werden für die Idiotie des Land­le­bens«.
Adorno, Minima Moralia

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Die Software ist schuld. Heißt es. Das Medi­en­board, die Förderung in Berlin-Bran­den­burg, bittet zwar an diesem Donnerstag zur Weih­nachts­feier, aber alle möglichen, keines­wegs nur unbe­kannte Filme­ma­cher und -innen und auch Jour­na­listen nicht voll­kommen unbe­kannter Medien sind nicht einge­laden. Bezie­hungs­weise doch, wie ein Anruf bei der freund­li­chen Pres­se­stelle ergab. Denn zwar gibt es natürlich keinen Anspruch auf derartige Einla­dungen, auch keinen, der aus früheren entspre­chenden Einla­dungen abge­leitet werden könnte. Den hatten wir auch – dies fürs Protokoll – gar nicht gestellt. Sondern nur nach­ge­fragt, zumal in der sozialen Doppel­rolle als Bericht­erstatter und antrag­stel­lender, mitunter gar geför­derter Filme­ma­cher.
Wir wollten nur wissen, ob denn die Nicht-Einladung Absicht war oder viel­leicht wollte man ja auch Geld sparen? Zum Beispiel für den bestimmt nicht ganz billigen alljähr­li­chen Cannes-Empfang, den das Medi­en­board immer zusätz­lich zum sowieso schon statt­fin­denden German-Films-Empfang ausrichtet. Irgendwo müssen die deutschen Cannes-Besucher ja etwas zu essen bekommen.
Aber nichts von alldem, sondern wieder nur ein Soft­ware­fehler – wie zuletzt beim Berlinale-Empfang des Medi­en­boards. Neue Software zwar, aber alter Fehler, der nun tatsäch­lich mehr als ein halbes Dutzend mir bekannter Filme­ma­cher traf.
Wir haben uns zurück­ge­meldet, wie es mili­tärisch, preußisch heißt, und werden berichten. »Zeit gewonnen. Alles gewonnen!« schrieb schon der preußi­sche Leutnant Heinrich von Kleist.

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Ein Mann­heimer Licht­spiel­theater warb 1913 mit dem Slogan »Kommen Sie nur herein, unser Kino ist das dunkelste in der ganzen Stadt«. (Zitiert nach Friedrich Kittler, »Gram­mo­phon – Film – Type­writer«, S.186)

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Heidel­berg und Mannheim – die beiden so gegen­sätz­li­chen wie kulturell verbun­denen Städte können eigent­lich nicht zufällig gewählt sein für dieses Thema, und wenn doch, dann hat der Zufall hier einen Genie­streich voll­bracht: Denn der 15. Bundes­kon­gress der Kommu­nalen Kinos, der am kommenden Wochen­ende (6.-8.12.) in diesen beiden Städten statt­findet, hat das Oberthema »Cinema and the City«. Damit setzt der BKF (Bundes­ver­band Kommunale Film­ar­beit) fort, was beim vorigen Kongress begonnen wurde: Die Diskus­sion über das eigene Selbst­ver­s­tändnis als Veran­stal­tungsort. Wenn das Kino mehr ist, als eine über­dachte Abspiel­fläche mit mehr oder weniger bequemen Plätzen, die sich auch in einer städ­ti­schen Mehr­zweck­halle, einer Schulaula oder in einer provi­so­risch hoch­ge­zo­genen Zelt­land­schaft befinden könnte, was ist es dann?
Die vorläu­fige Antwort, die gegeben wurde, lautet: Ein Kulturort. Wenn man Kultur danach nicht allzu breit und popu­lis­tisch definiert, nicht im Sinne des Konsu­mismus als WiNeWaWiKrie (»Wir nehmen was wir kriegen«) oder JeKaMiMa (»Jeder kann mitmachen«), sondern ange­messen elitär, als Ort des Beson­deren für alle, dann bedeutet »Kulturort Kino« die Musea­li­sie­rung des Kinos. Das fordern manche mit guten Argu­menten schon länger.
Die Konse­quenzen fürs Programm sind da noch unklar, aber nichts spricht gegen Offenheit. Klar aber ist: Finan­ziell müssen Kinos, jeden­falls einige, weitaus besser ausge­stattet werden, wenn sie erst Museum sind. Was hätte man alles machen können mit dem Geld, das eine einzige Hamburger Elbphil­har­monie, eine einzige Berliner Hohen­zol­lern­schloss­at­trappe, ein einziger Opern­neubau in Frankfurt kostet?

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Kino als Kulturort, das bedeutet auch einen anderen Bau. Mit Archi­tek­turen des Kinos setzt sich darum der Kongress diesmal besonders ausein­ander: Man hätte sich dafür keine Bessere holen können, als die Wiener Archi­tektin Gabu Heindl – sie ist nicht nur theo­re­tisch gebildet, und hat im Gegensatz zu vielen Kino­be­trei­bern und den meisten Film­kri­ti­kern tatsäch­lich Siegfried Kracauer und Hannah Arendt gelesen. Sie hat auch praktisch gezeigt, was passiert, wenn man solche Autoren nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hat. So bei der Neuge­stal­tung des Foyers des Stadt­kinos im Wiener Künst­ler­haus. Bei der dies­jäh­rigen Diagonale hielt Heindl einen Vortrag von flirrend-verfüh­re­ri­scher Intel­li­genz, allein ihre Anwe­sen­heit ist Grund, die Veran­stal­tung zu besuchen.

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Kino­bau­weisen und Archi­tek­turen des Sehens sind das eine. Das andere ist die stadt­pla­ne­ri­sche Verortung des Kinos. Es gibt kaum bessere Orte, um die fatalen Folgen eines schlud­rigen Umgangs mit den städ­ti­schen – und schließ­lich steuer(unter)finan­zierten – Kultur­orten Kino zu besich­tigen als Mannheim und Heidel­berg.
Beide Kinos sind in prekärer räum­li­cher Lage: Gerade am letzten Wochen­ende ist das Cinema Quadrat, eines der tradi­ti­ons­reichsten Kommu­nalen Kinos Deutsch­lands aus seinem jahr­zehn­te­langen Quartier im Collini-Center ausge­zogen, hinein in den sonder­baren Ort einer ersten Etage eines zuvor abge­wi­ckelten ehema­ligen Kauf­hauses. Man hört, alles sei jetzt besser als zuvor, aber das will erst persön­lich besich­tigt werden. Allemal ist von Kino­ro­mantik auch hier wenig zu sehen, und das gele­gent­liche städ­ti­sche Gerede eines geplanten »Film­hauses« ist zur Zeit wieder sehr leise geworden.
Wie beim von beiden Städten getra­genen Film­fes­tival Mannheim-Heidel­berg zeigt sich auch am Umgang mit den Kinos eine Kultur­po­litik, die – sei es aus Naivität oder aus Bosheit oder aus unein­ge­stan­denen Minder­wer­tig­keits­kom­plexen einst stolzer Kurpfälzer – Kino und Film nicht versteht, und glaubt, das könne man so nebenbei machen und habe mit gewach­senen Orten nichts zu tun.
Auch in Heidel­berg zeigt sich eine grobe Vernach­läs­si­gung des kommu­nalen »Karlstor«-Kinos, das bisher verkehrs­günstig und zentral am Rand der Altstadt gelegen ist, nun aber in die Neubau­wüste des depra­vierten Rand­vier­tels Heidel­berg-Kirchheim verschoben werden soll, das mit öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln kaum zu erreichen ist, und das Kino zum langsamen Ersti­ckungstod verur­teilt – während das Mann­heimer kommunale Kino immerhin im neuen Quartier noch inner­s­täd­ti­scher liegt.

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Auch sonst ist der Dezember nicht nur Zeit der Weih­nachts­feiern, sondern grund­sätz­li­cher Besinnung: Am Potsdamer »Erich Pommer Institut« findet nächsten Mittwoch die zweite Veran­stal­tung der Reihe »reclaimt­he­truth« statt, die sich mit Dynamiken der Desin­for­ma­tion in sozialen Medien befasst: Romy Jaster, Philo­so­phin an der HU Berlin spricht über »Alles Fake News?«

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Last not least: Peter Handke, der am kommenden Dienstag den Lite­ra­tur­no­bel­preis bekommt, ist, daran wollen wir erinnern, auch Filme­ma­cher, als Regisseur, wie als Autor.

Viel­leicht sollte man sich, bevor man sich den zehnten Text über »Handke und Serbien« reinzieht, besser noch mal den wunder­baren Doku­men­tar­film von Corinna Belz Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte ansehen.
Inter­es­sant wäre auch hier einmal eine genauere Betrach­tung der Frage, ob Autor und Werk zu trennen sind, und was deren Nicht­tren­nung für Handke und sein Werk bedeutet?

Allemal gibt es eine Gemein­sam­keit zwischen den mora­li­sie­renden Debatten über Handke, Woody Allen und andere: Die Verwechs­lung von Film­kritik mit Hexenjagd und Tribunal und die Lust der vielen, den einen, der anders zu sein scheint als sie, vom Sockel zu stoßen.
Die derzei­tigen, also wir alle, aber auch wir als Leser und Publikum, sind mit unserer unbän­digen Skan­da­li­sie­rungs­lust, unserer Freude am Spektakel, daran beteiligt. Ein Grund mehr für Publi­kums­be­schimp­fung.

(to be continued)