Cinema Moralia – Folge 208
Attrappen aus Pappe, angemessen elitär... |
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Peter Handke liest viel und geht gerne in den Wald. Kann sein, dass er sich verspätet. | ||
(Foto: Piffl Medien / zero one film) |
»Tape my head and mike my brain,
stick that needle in my vein.«
Thomas Pynchon»Sobald aber die einfachen Leute um ihren Anteil am Sozialprodukt sich raufen müssen, übertreffen sie an Neid und Gehässigkeit alles, was unter Literaten oder Kapellmeistern beobachtet werden kann. Die Glorifizierung der prächtigen underdogs läuft auf die des prächtigen Systems heraus, das sie dazu macht. Berechtigte Schuldgefühle derer, die von der physischen Arbeit ausgenommen sind, sollten nicht zur Ausrede werden für die Idiotie des Landlebens«.
Adorno, Minima Moralia
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Die Software ist schuld. Heißt es. Das Medienboard, die Förderung in Berlin-Brandenburg, bittet zwar an diesem Donnerstag zur Weihnachtsfeier, aber alle möglichen, keineswegs nur unbekannte Filmemacher und -innen und auch Journalisten nicht vollkommen unbekannter Medien sind nicht eingeladen. Beziehungsweise doch, wie ein Anruf bei der freundlichen Pressestelle ergab. Denn zwar gibt es natürlich keinen Anspruch auf derartige Einladungen, auch keinen, der aus früheren
entsprechenden Einladungen abgeleitet werden könnte. Den hatten wir auch – dies fürs Protokoll – gar nicht gestellt. Sondern nur nachgefragt, zumal in der sozialen Doppelrolle als Berichterstatter und antragstellender, mitunter gar geförderter Filmemacher.
Wir wollten nur wissen, ob denn die Nicht-Einladung Absicht war oder vielleicht wollte man ja auch Geld sparen? Zum Beispiel für den bestimmt nicht ganz billigen alljährlichen Cannes-Empfang, den das
Medienboard immer zusätzlich zum sowieso schon stattfindenden German-Films-Empfang ausrichtet. Irgendwo müssen die deutschen Cannes-Besucher ja etwas zu essen bekommen.
Aber nichts von alldem, sondern wieder nur ein Softwarefehler – wie zuletzt beim Berlinale-Empfang des Medienboards. Neue Software zwar, aber alter Fehler, der nun tatsächlich mehr als ein halbes Dutzend mir bekannter Filmemacher traf.
Wir haben uns zurückgemeldet, wie es militärisch, preußisch heißt,
und werden berichten. »Zeit gewonnen. Alles gewonnen!« schrieb schon der preußische Leutnant Heinrich von Kleist.
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Ein Mannheimer Lichtspieltheater warb 1913 mit dem Slogan »Kommen Sie nur herein, unser Kino ist das dunkelste in der ganzen Stadt«. (Zitiert nach Friedrich Kittler, »Grammophon – Film – Typewriter«, S.186)
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Heidelberg und Mannheim – die beiden so gegensätzlichen wie kulturell verbundenen Städte können eigentlich nicht zufällig gewählt sein für dieses Thema, und wenn doch, dann hat der Zufall hier einen Geniestreich vollbracht: Denn der 15. Bundeskongress der Kommunalen Kinos, der am kommenden Wochenende (6.-8.12.) in diesen beiden Städten stattfindet, hat das Oberthema »Cinema and the City«. Damit setzt der BKF (Bundesverband Kommunale Filmarbeit) fort, was beim vorigen Kongress begonnen wurde: Die Diskussion über das eigene Selbstverständnis als Veranstaltungsort. Wenn das Kino mehr ist, als eine überdachte Abspielfläche mit mehr oder weniger bequemen Plätzen, die sich auch in einer städtischen Mehrzweckhalle, einer Schulaula oder in einer provisorisch hochgezogenen Zeltlandschaft befinden könnte, was ist es dann?
Die vorläufige
Antwort, die gegeben wurde, lautet: Ein Kulturort. Wenn man Kultur danach nicht allzu breit und populistisch definiert, nicht im Sinne des Konsumismus als WiNeWaWiKrie (»Wir nehmen was wir kriegen«) oder JeKaMiMa (»Jeder kann mitmachen«), sondern angemessen elitär, als Ort des Besonderen für alle, dann bedeutet »Kulturort Kino« die Musealisierung des Kinos. Das fordern manche mit guten Argumenten schon länger.
Die Konsequenzen fürs Programm sind da noch unklar, aber nichts spricht
gegen Offenheit. Klar aber ist: Finanziell müssen Kinos, jedenfalls einige, weitaus besser ausgestattet werden, wenn sie erst Museum sind. Was hätte man alles machen können mit dem Geld, das eine einzige Hamburger Elbphilharmonie, eine einzige Berliner Hohenzollernschlossattrappe, ein einziger Opernneubau in Frankfurt kostet?
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Kino als Kulturort, das bedeutet auch einen anderen Bau. Mit Architekturen des Kinos setzt sich darum der Kongress diesmal besonders auseinander: Man hätte sich dafür keine Bessere holen können, als die Wiener Architektin Gabu Heindl – sie ist nicht nur theoretisch gebildet, und hat im Gegensatz zu vielen Kinobetreibern und den meisten Filmkritikern tatsächlich Siegfried Kracauer und Hannah Arendt gelesen. Sie hat auch praktisch gezeigt, was passiert, wenn man solche Autoren nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hat. So bei der Neugestaltung des Foyers des Stadtkinos im Wiener Künstlerhaus. Bei der diesjährigen Diagonale hielt Heindl einen Vortrag von flirrend-verführerischer Intelligenz, allein ihre Anwesenheit ist Grund, die Veranstaltung zu besuchen.
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Kinobauweisen und Architekturen des Sehens sind das eine. Das andere ist die stadtplanerische Verortung des Kinos. Es gibt kaum bessere Orte, um die fatalen Folgen eines schludrigen Umgangs mit den städtischen – und schließlich steuer(unter)finanzierten – Kulturorten Kino zu besichtigen als Mannheim und Heidelberg.
Beide Kinos sind in prekärer räumlicher Lage: Gerade am letzten Wochenende ist das Cinema Quadrat, eines der traditionsreichsten Kommunalen Kinos Deutschlands aus seinem jahrzehntelangen Quartier im Collini-Center ausgezogen, hinein in den sonderbaren Ort einer ersten Etage eines zuvor abgewickelten ehemaligen Kaufhauses. Man hört, alles sei jetzt besser als zuvor, aber das will erst persönlich besichtigt werden. Allemal ist von Kinoromantik auch hier wenig zu sehen, und das gelegentliche städtische Gerede eines
geplanten »Filmhauses« ist zur Zeit wieder sehr leise geworden.
Wie beim von beiden Städten getragenen Filmfestival Mannheim-Heidelberg zeigt sich auch am Umgang mit den Kinos eine Kulturpolitik, die – sei es aus Naivität oder aus Bosheit oder aus uneingestandenen Minderwertigkeitskomplexen einst stolzer Kurpfälzer – Kino und Film nicht versteht, und glaubt, das könne man so nebenbei
machen und habe mit gewachsenen Orten nichts zu tun.
Auch in Heidelberg zeigt sich eine grobe Vernachlässigung des kommunalen »Karlstor«-Kinos, das bisher verkehrsgünstig und zentral am Rand der Altstadt gelegen ist, nun aber in die Neubauwüste des depravierten Randviertels Heidelberg-Kirchheim verschoben werden soll, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen ist, und das Kino zum langsamen Erstickungstod verurteilt – während das Mannheimer kommunale
Kino immerhin im neuen Quartier noch innerstädtischer liegt.
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Auch sonst ist der Dezember nicht nur Zeit der Weihnachtsfeiern, sondern grundsätzlicher Besinnung: Am Potsdamer »Erich Pommer Institut« findet nächsten Mittwoch die zweite Veranstaltung der Reihe »reclaimthetruth« statt, die sich mit Dynamiken der Desinformation in sozialen Medien befasst: Romy Jaster, Philosophin an der HU Berlin spricht über »Alles Fake News?«
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Last not least: Peter Handke, der am kommenden Dienstag den Literaturnobelpreis bekommt, ist, daran wollen wir erinnern, auch Filmemacher, als Regisseur, wie als Autor.
Vielleicht sollte man sich, bevor man sich den zehnten Text über »Handke und Serbien« reinzieht, besser noch mal den wunderbaren Dokumentarfilm von Corinna Belz Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte ansehen.
Interessant wäre auch hier einmal eine genauere Betrachtung der Frage, ob Autor und Werk zu trennen sind, und was deren Nichttrennung für Handke und sein
Werk bedeutet?
Allemal gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen den moralisierenden Debatten über Handke, Woody Allen und andere: Die Verwechslung von Filmkritik mit Hexenjagd und Tribunal und die Lust der vielen, den einen, der anders zu sein scheint als sie, vom Sockel zu stoßen.
Die derzeitigen, also wir alle, aber auch wir als Leser und Publikum, sind mit unserer unbändigen Skandalisierungslust, unserer Freude am Spektakel, daran beteiligt. Ein Grund mehr für Publikumsbeschimpfung.
(to be continued)