27.06.2019
36. Filmfest München 2019

Leider keine Ahnung

Virtual Worlds, Filmfest München
So entkommt man den Problemen vor Ort
(Foto: Virtual Worlds, Filmfest München)

Unsinn in zehn Thesen und nur eine Wahrheit: Wir haben uns das SZ-Interview mit Ministerpräsident Markus Söder zum Start des 37. Filmfest München genauer angesehen

Von Dunja Bialas

Mitt­ler­weile ist es so, dass kein Film­fest­auf­takt ohne öffent­liche Äuße­rungen unseres baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­denten auskommt. Damit ist nicht die feier­liche Rede gemeint, die in München immer hemd­sär­melig, möglichst jovial und mit osten­ta­tiver Weiß­wursch­tig­keit vorge­tragen wird. Das lässt sich unter Genre-Erfüllung verbuchen. Nein, seit Herr Söder sich letztes Jahr als »Cineast« geoutet hat, fühlt er sich als Film­fest­leiter berufen und stellt die Weichen des Festivals. Gegen Visionen ist nichts einzu­wenden, nur der selige Helmut Schmidt befand, man solle sie lieber ausku­rieren. Ande­rer­seits: ein wenig substan­ti­elle Grundlage sollten selbst Visionen haben. Söder scheint schlechte oder gar keine Berater an seiner Seite zu haben, die ihn fachlich briefen, deshalb greift er aus Verle­gen­heit gerne mal zu Fußball­ver­glei­chen, was in Bayern immer gut ankommt, obgleich Söder bislang lediglich im Aufsichtsrat des Rekord­ab­stei­gers 1. FC Nürnberg saß. Von seiner Unkenntnis hat er in der gestrigen Ausgabe der »Süddeut­schen Zeitung« Zeugnis abgelegt, und man kann gar nicht genug die Höflich­keit hervor­heben, mit der David Steinitz den söder­schen Unsinn durch­ge­wunken hat.

Daher ein paar kommen­tie­rende Anmer­kungen.

1. Unsinn: Söder ist ein Cineast

Gut, das Wort »Cineast« ist mitt­ler­weile in den ganz normalen Sprach­ge­brauch über­ge­gangen, ohne dass überhaupt an die ursprüng­liche Bedeutung noch gedacht wird. Im Lexikon der Film­be­griffe, heraus­ge­geben von der Uni Kiel, erfährt man, dass »Cineast« ein Koffer­wort aus dem fran­zö­si­schen »cinéma« und »enthousi­aste« ist. Definiert wird ein solcher als »schwär­me­ri­scher Verehrer der Film­kultur, ausge­wie­sener Kenner der Film­ge­schichte und der künst­le­ri­schen Quali­täten des Kinos.«

Laut Lexikon wäre Söder wohl eher als »Filmfan« einzu­ordnen, wie so viele, die von sich sagen, dass sie Filme mögen oder gerne ins Kino gehen. Auch wenn das Portfolio doch deutlich in Richtung Main­stream zeigt (Avengers: Endgame, Bohemian Rhapsody und zwei Doku­men­tar­filme: Die Nordsee von oben, Bayern sagenhaft). Viel­leicht ist Söder noch nicht einmal ein Filmfan, sondern nur jemand, der gerne unter­halten werden will.

2. Unsinn: Söders Faszi­na­tion für Utopien

Söder ist ein »Fan« (aha!) des Science-Fiction-Genres. Als solcher muss er auch nicht wissen, dass der von ihm genannte Film Inter­stellar als dysto­pi­sche Vision einzu­ordnen ist, wie viele andere Science-Fiction auch. Aber er sagt: »Diese Filme ermuntern einen, weiter­zu­denken und Utopien real zu machen.« Wie seine Pläne für die baye­ri­sche Luft- und Raumfahrt, die »tech­ni­sche und manchmal sogar philo­so­phi­sche Denk­an­stöße aus dem Kino« erhielten. »Bavaria One – Mission Zukunft« hat Söder seine Vision, die sein Konterfei trägt, genannt, die Bayern auf den Mond zu schießen. Nicht nur meine Freunde außerhalb Bayerns hielten das für eine gelungene Kaba­rett­nummer. 30 Millionen Euro hat Söder dafür im Doppel­haus­halt 2019/20 bekommen, anstatt 700 Millionen jährlich, wie im Wahlkampf angekün­digt. 25 Millionen Euro gehen in ein baye­ri­sches Satel­liten-Kompe­tenz­zen­trum, mit den rest­li­chen 5 Millionen darf Söder ein bisschen spielen.

3. Unsinn: Das Filmfest München soll an die Berlinale aufschließen. Erstmal. »Überholen kann man dann immer noch.«

Aus der söder­schen Perspek­tive erklärt sich dieser Irrglaube so: Er stuft das Filmfest als »Spit­zen­fes­tival« ein, wogegen nichts zu sagen ist. Aber auch die Berlinale und »diverse andere europäi­sche« Festivals, »die sehr erfolg­reich arbeiten: Cannes und Venedig zum Beispiel«. »Da sollte auch München seinen Platz finden«, meint Söder zu wissen. Es ist nun aber so, dass die genannten Festivals eben keine Spit­zen­fes­ti­vals sind. Sondern: soge­nannte FIAPF-akkre­di­tierte Festivals, die strenge Kriterien erfüllen müssen. Will man hier »seinen Platz finden«, genügt es nicht, ein bisschen Geld, ein »eigen­s­tän­di­geres Profil mit neuen Ideen und einem inten­siven Marke­ting­kon­zept« zu entwi­ckeln.

Will er, dass das Filmfest in den Kreis der Berlinale, Cannes und Venedig (»zum Beispiel«) aufge­nommen wird, muss das Festival einen inter­na­tio­nalen Wett­be­werb führen, der sich aus Welt­pre­mieren bzw. Auffüh­rungen von Filmen zusam­men­setzt, die noch nicht »außerhalb ihres Ursprungs­landes« gezeigt wurden, wie es im Fach­jargon heißt. Also ausschließ­lich Filme, die noch nicht in Cannes, Venedig, Tribeca, Sundance, Rotterdam und anderswo zu sehen waren, wo momentan das Filmfest nach Filmen Ausschau hält (oder »scoutet«).

Alles andere ist zwar ehrenwert, wie der mit 100.000 Euro höchst­do­tierte »CineCoPro Award«, den Diana Iljine und Christoph Gröner dieses Jahr einge­führt haben. Das spielt in der Liga des Baye­ri­schen Film­preises mit der Produ­zenten-Prämie von 100.000 bis 200.000 Euro. Bringt aber nichts für die Einstu­fung als A-Festival, deren Trophäen allein schon die Türöffner sind, auf die nichts mehr »oben drauf« gelegt werden muss. Oder für Fußball­ex­perte Söder gespro­chen: Wer in der Bundes­liga achtbar kickt, kommt nicht auto­ma­tisch in die Cham­pi­ons­le­ague.

4. Unsinn: »Film­mi­nis­terin« Judith Gerlach

Judith Gerlach ist Minis­terin für Digitales. Sie ist u.a. zuständig für Film, Video­spiele (Games) und inno­va­tive audio­vi­su­elle Formate, wie etwa Augmented und Virtual Reality (AR / VR). Daher weht auch der Wind für die Erwei­te­rung des Filmfests zum »Medi­en­fes­tival«. Alles wird in einen Topf geworfen und unter wirt­schaft­li­chen Aspekten evaluiert: »Bayern ist einer der führenden Standorte in Deutsch­land für audio­vi­su­elle Medien und deren Inno­va­tionen. Sie sind auch Motor für viele andere Wirt­schafts- und Tech­no­lo­gie­be­reiche sowie zentrale Bausteine für die Kultur- und Krea­tiv­wirt­schaft und Bayern als Kultur­staat.«

5. Unsinn: Das Filmfest muss Medi­en­fes­tival werden, weil man sonst den Anschluss verpasst

Söder verwech­selt, was auf Produk­ti­ons­ebene statt­findet, also die Wirt­schaft, mit Kultur. Ein Festival ist eine ganz besondere Auswer­tungs­platt­form mit einem spezi­fi­schen Publikum. Es gibt eigene Games-Festivals, VR findet seit einiger Zeit immer als Gimmick-Veran­stal­tungen im Rahmen der Film­fes­ti­vals statt, ohne dass sie sich umde­kla­rieren müssen. Wenn das Filmfest ein Festival für den Film bleiben sollte, heißt das nicht, dass die Film­wirt­schaft sich deshalb den tech­ni­schen Entwick­lungen verschließt. Als Allein­stel­lungs­merkmal, wie Söder sich das vorstellt, ist es unwichtig, will man in die Liga von Berlinale, Cannes, Venedig kommen (siehe oben).

6. Unsinn: »Geld schießt Tore, Geld zieht Kultur an. Das kann auch Stars anziehen.«

Sehr gut gekontert, David Steinitz: »Die Stars kommen aber nicht nach München, weil das Filmfest anruft, sondern weil sie ihre neuen Filme bewerben wollen und die deutschen Verleiher der Filme das orga­ni­siert haben.«

7. Unsinn: Der Influencer-Preis

Zitat Söder: »Youtuber sind häufig größere Stars als Film­schau­spieler. Das erste große Youtube-Festival soll in München sein.« Und: »Es ist unbe­stritten, dass Youtube eine eigene Plattform ist, die wir dringend respek­tieren sollten.«
Herr Söder, Sie als Beein­flusster: Schon mal was von den VideoDays gehört, dem größten Youtube-Festival Europas, das in Berlin und Köln von 2010 bis 2018 stattfand? Die letzte Ausgabe wurde abgesagt, aufgrund von unzu­rei­chenden Ticket­ver­käufen und dem Rücklauf von Sponsoren. Ist viel­leicht doch nicht so zukunfts­trächtig, Ihre »Idee im Anfangs­sta­dium«.

8. Unsinn: Edelkinos mit Bedienung am Platz als erfolg­rei­ches Konzept, um Zuschauer zu gewinnen (anstatt Kinos zu subven­tio­nieren)

Will man Kinos als nieder­schwel­lige Orte kultu­reller Praxis erhalten, ist der Weg, Zugangs­bar­rieren durch hohe Eintritts­preise zu schaffen oder Hoch­kultur vorzu­gau­keln, verfehlt. Es braucht eine Bestands­er­hal­tung in der Fläche, das heißt, in der Quantität, um Kino als kultu­relle Orte sichtbar zu halten. Das von Kultur­staats­mi­nis­terin Grütters ange­stoßene »Zukunfts­pro­gramm Kino« geht in diese Richtung. Söder steuert dagegen: »Das Thema muss man dem Markt über­lassen. Jeder Zuschauer muss selber entscheiden können, wo er seinen Film sehen möchte.« Dabei spricht er aus der Perspek­tive desje­nigen, der nicht ins Kino geht. Denn sonst müsste er auf zwingende Bestands­er­hal­tung pochen. Damit jeder selber entscheiden kann, wo er »seinen« Film sehen möchte. Viel­leicht am liebsten im Kino?

9. Unsinn: »Ich schaue mir einen Film dort an, wo er läuft.« Restrik­tionen, nach denen eine Kino­aus­wer­tung für Filme von Strea­ming­diensten für Festivals gefordert werden, hält Söder für »nicht zukunfts­fähig«.

Kinos zahlen eine Abgabe in die Film­för­de­rung, damit neue Projekte finan­ziert werden, Strea­ming­dienste erst seit kurzem, nach einem Kampf von Grütters mit dem Giganten Netflix (Amazon war schon vorher zahlungs­be­reit, Disney, Apple, Google & Co. werden folgen müssen). Wenn Kinos in der Auswer­tung über­gangen werden, müssen nicht nur Gesetze geändert werden, sondern muss sich der Markt insgesamt verändern. Dann sollten alle, auch Söder einmal überlegen, was es für Auswir­kungen hätte, wenn der Film aus dem Kino verschwindet und das Kino mit ihm.

10. Unsinn: »Ich habe zu Hause einen sehr großen Fernseher, auf dem ich nicht nur TV, sondern alle Strea­ming­dienste, aber auch Youtube intensiv nutze. Das ist so ziemlich der einzige Luxus, den ich mir leiste.«

Echt jetzt?

Und zum Abschluss eine erste Wahrheit:

»Wenn ich Sport mache, kommt mir oft Politik in den Sinn. Wenn ich Filme oder Serien anschaue, kann ich komplett abschalten.«