36. Filmfest München 2019
Leider keine Ahnung |
||
So entkommt man den Problemen vor Ort | ||
(Foto: Virtual Worlds, Filmfest München) |
Von Dunja Bialas
Mittlerweile ist es so, dass kein Filmfestauftakt ohne öffentliche Äußerungen unseres bayerischen Ministerpräsidenten auskommt. Damit ist nicht die feierliche Rede gemeint, die in München immer hemdsärmelig, möglichst jovial und mit ostentativer Weißwurschtigkeit vorgetragen wird. Das lässt sich unter Genre-Erfüllung verbuchen. Nein, seit Herr Söder sich letztes Jahr als »Cineast« geoutet hat, fühlt er sich als Filmfestleiter berufen und stellt die Weichen des Festivals. Gegen Visionen ist nichts einzuwenden, nur der selige Helmut Schmidt befand, man solle sie lieber auskurieren. Andererseits: ein wenig substantielle Grundlage sollten selbst Visionen haben. Söder scheint schlechte oder gar keine Berater an seiner Seite zu haben, die ihn fachlich briefen, deshalb greift er aus Verlegenheit gerne mal zu Fußballvergleichen, was in Bayern immer gut ankommt, obgleich Söder bislang lediglich im Aufsichtsrat des Rekordabsteigers 1. FC Nürnberg saß. Von seiner Unkenntnis hat er in der gestrigen Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung« Zeugnis abgelegt, und man kann gar nicht genug die Höflichkeit hervorheben, mit der David Steinitz den söderschen Unsinn durchgewunken hat.
Daher ein paar kommentierende Anmerkungen.
Gut, das Wort »Cineast« ist mittlerweile in den ganz normalen Sprachgebrauch übergegangen, ohne dass überhaupt an die ursprüngliche Bedeutung noch gedacht wird. Im Lexikon der Filmbegriffe, herausgegeben von der Uni Kiel, erfährt man, dass »Cineast« ein Kofferwort aus dem französischen »cinéma« und »enthousiaste« ist. Definiert wird ein solcher als »schwärmerischer Verehrer der Filmkultur, ausgewiesener Kenner der Filmgeschichte und der künstlerischen Qualitäten des Kinos.«
Laut Lexikon wäre Söder wohl eher als »Filmfan« einzuordnen, wie so viele, die von sich sagen, dass sie Filme mögen oder gerne ins Kino gehen. Auch wenn das Portfolio doch deutlich in Richtung Mainstream zeigt (Avengers: Endgame, Bohemian Rhapsody und zwei Dokumentarfilme: Die Nordsee von oben, Bayern sagenhaft). Vielleicht ist Söder noch nicht einmal ein Filmfan, sondern nur jemand, der gerne unterhalten werden will.
Söder ist ein »Fan« (aha!) des Science-Fiction-Genres. Als solcher muss er auch nicht wissen, dass der von ihm genannte Film Interstellar als dystopische Vision einzuordnen ist, wie viele andere Science-Fiction auch. Aber er sagt: »Diese Filme ermuntern einen, weiterzudenken und Utopien real zu machen.« Wie seine Pläne für die bayerische Luft- und Raumfahrt, die »technische und manchmal sogar philosophische Denkanstöße aus dem Kino« erhielten. »Bavaria One – Mission Zukunft« hat Söder seine Vision, die sein Konterfei trägt, genannt, die Bayern auf den Mond zu schießen. Nicht nur meine Freunde außerhalb Bayerns hielten das für eine gelungene Kabarettnummer. 30 Millionen Euro hat Söder dafür im Doppelhaushalt 2019/20 bekommen, anstatt 700 Millionen jährlich, wie im Wahlkampf angekündigt. 25 Millionen Euro gehen in ein bayerisches Satelliten-Kompetenzzentrum, mit den restlichen 5 Millionen darf Söder ein bisschen spielen.
Aus der söderschen Perspektive erklärt sich dieser Irrglaube so: Er stuft das Filmfest als »Spitzenfestival« ein, wogegen nichts zu sagen ist. Aber auch die Berlinale und »diverse andere europäische« Festivals, »die sehr erfolgreich arbeiten: Cannes und Venedig zum Beispiel«. »Da sollte auch München seinen Platz finden«, meint Söder zu wissen. Es ist nun aber so, dass die genannten Festivals eben keine Spitzenfestivals sind. Sondern: sogenannte FIAPF-akkreditierte Festivals, die strenge Kriterien erfüllen müssen. Will man hier »seinen Platz finden«, genügt es nicht, ein bisschen Geld, ein »eigenständigeres Profil mit neuen Ideen und einem intensiven Marketingkonzept« zu entwickeln.
Will er, dass das Filmfest in den Kreis der Berlinale, Cannes und Venedig (»zum Beispiel«) aufgenommen wird, muss das Festival einen internationalen Wettbewerb führen, der sich aus Weltpremieren bzw. Aufführungen von Filmen zusammensetzt, die noch nicht »außerhalb ihres Ursprungslandes« gezeigt wurden, wie es im Fachjargon heißt. Also ausschließlich Filme, die noch nicht in Cannes, Venedig, Tribeca, Sundance, Rotterdam und anderswo zu sehen waren, wo momentan das Filmfest nach Filmen Ausschau hält (oder »scoutet«).
Alles andere ist zwar ehrenwert, wie der mit 100.000 Euro höchstdotierte »CineCoPro Award«, den Diana Iljine und Christoph Gröner dieses Jahr eingeführt haben. Das spielt in der Liga des Bayerischen Filmpreises mit der Produzenten-Prämie von 100.000 bis 200.000 Euro. Bringt aber nichts für die Einstufung als A-Festival, deren Trophäen allein schon die Türöffner sind, auf die nichts mehr »oben drauf« gelegt werden muss. Oder für Fußballexperte Söder gesprochen: Wer in der Bundesliga achtbar kickt, kommt nicht automatisch in die Championsleague.
Judith Gerlach ist Ministerin für Digitales. Sie ist u.a. zuständig für Film, Videospiele (Games) und innovative audiovisuelle Formate, wie etwa Augmented und Virtual Reality (AR / VR). Daher weht auch der Wind für die Erweiterung des Filmfests zum »Medienfestival«. Alles wird in einen Topf geworfen und unter wirtschaftlichen Aspekten evaluiert: »Bayern ist einer der führenden Standorte in Deutschland für audiovisuelle Medien und deren Innovationen. Sie sind auch Motor für viele andere Wirtschafts- und Technologiebereiche sowie zentrale Bausteine für die Kultur- und Kreativwirtschaft und Bayern als Kulturstaat.«
Söder verwechselt, was auf Produktionsebene stattfindet, also die Wirtschaft, mit Kultur. Ein Festival ist eine ganz besondere Auswertungsplattform mit einem spezifischen Publikum. Es gibt eigene Games-Festivals, VR findet seit einiger Zeit immer als Gimmick-Veranstaltungen im Rahmen der Filmfestivals statt, ohne dass sie sich umdeklarieren müssen. Wenn das Filmfest ein Festival für den Film bleiben sollte, heißt das nicht, dass die Filmwirtschaft sich deshalb den technischen Entwicklungen verschließt. Als Alleinstellungsmerkmal, wie Söder sich das vorstellt, ist es unwichtig, will man in die Liga von Berlinale, Cannes, Venedig kommen (siehe oben).
Sehr gut gekontert, David Steinitz: »Die Stars kommen aber nicht nach München, weil das Filmfest anruft, sondern weil sie ihre neuen Filme bewerben wollen und die deutschen Verleiher der Filme das organisiert haben.«
Zitat Söder: »Youtuber sind häufig größere Stars als Filmschauspieler. Das erste große Youtube-Festival soll in München sein.« Und: »Es ist unbestritten, dass Youtube eine eigene Plattform ist, die wir dringend respektieren sollten.«
Herr Söder, Sie als Beeinflusster: Schon mal was von den VideoDays gehört, dem größten Youtube-Festival Europas, das in Berlin und Köln von 2010 bis 2018 stattfand? Die letzte Ausgabe wurde abgesagt, aufgrund von unzureichenden Ticketverkäufen und
dem Rücklauf von Sponsoren. Ist vielleicht doch nicht so zukunftsträchtig, Ihre »Idee im Anfangsstadium«.
Will man Kinos als niederschwellige Orte kultureller Praxis erhalten, ist der Weg, Zugangsbarrieren durch hohe Eintrittspreise zu schaffen oder Hochkultur vorzugaukeln, verfehlt. Es braucht eine Bestandserhaltung in der Fläche, das heißt, in der Quantität, um Kino als kulturelle Orte sichtbar zu halten. Das von Kulturstaatsministerin Grütters angestoßene »Zukunftsprogramm Kino« geht in diese Richtung. Söder steuert dagegen: »Das Thema muss man dem Markt überlassen. Jeder Zuschauer muss selber entscheiden können, wo er seinen Film sehen möchte.« Dabei spricht er aus der Perspektive desjenigen, der nicht ins Kino geht. Denn sonst müsste er auf zwingende Bestandserhaltung pochen. Damit jeder selber entscheiden kann, wo er »seinen« Film sehen möchte. Vielleicht am liebsten im Kino?
Kinos zahlen eine Abgabe in die Filmförderung, damit neue Projekte finanziert werden, Streamingdienste erst seit kurzem, nach einem Kampf von Grütters mit dem Giganten Netflix (Amazon war schon vorher zahlungsbereit, Disney, Apple, Google & Co. werden folgen müssen). Wenn Kinos in der Auswertung übergangen werden, müssen nicht nur Gesetze geändert werden, sondern muss sich der Markt insgesamt verändern. Dann sollten alle, auch Söder einmal überlegen, was es für Auswirkungen hätte, wenn der Film aus dem Kino verschwindet und das Kino mit ihm.
Echt jetzt?
Und zum Abschluss eine erste Wahrheit:
»Wenn ich Sport mache, kommt mir oft Politik in den Sinn. Wenn ich Filme oder Serien anschaue, kann ich komplett abschalten.«