28.06.2019
36. Filmfest München 2019

Die Kunst, sich selbst nicht zu vertei­digen

Diana Iljine
Steht im Schatten: Diana Iljine
(Foto: artechock)

Die Eröffnung des 37. Filmfest München lag buchstäblich im Schatten, wagte es dann aber doch, mit dem Eröffnungsfim The Art of Self-Defense Kante zu zeigen

Von Dunja Bialas

»München muss digitaler werden!« Mit dieser diffusen Forderung an die Stadt München beendete »Film­mi­nis­terin« Judith Gerlach ihre Rede. Die mit glän­zendem Haarband und züchtigem waden­langen Rock als Leni-Riefen­stahl-Germanin geklei­dete Minis­terin war von Minis­ter­prä­si­dent Söder zur Film­fes­teröff­nung geschickt worden. Der sonst so öffent­lich­keits­af­fine Söder meidet offenbar die Film­branche, die schon letztes Jahr mit Buhrufen auf seinen Auftritt reagiert hatte. Diesmal gab es an seine Adresse gerichtet eine Abmahnung von Ober­bür­ger­meister Dieter Reiter, seine Filmfest-Visionen nicht über die Medien zu verbreiten, sondern zuerst in den Sitzungen der Münchner Film­wo­chen GmbH zu disku­tieren. Ob das aber in der Sache hilft? Sieht man sich die Besetzung des Aufsichts­rats an, der über die Geschicke des Filmfests bestimmt, ist fest­zu­stellen: Das hier ist fest in der Hand der CSU. Bis auf den (jetzt ausge­schie­denen) Kultur­re­fe­renten Küppers und zwei der vier Frauen sitzen die Partei­ge­nossen von Söder zusammen. Auch im Stadt-Land-Verhältnis sieht es mau aus: Lediglich drei Reprä­sen­tanten der kommu­nalen Ebene sind Mitglied im 15-köpfigen Aufsichtsrat. Außerdem nur wenige Fach­ex­perten, ein Fern­seh­di­rektor, der ehemalige Geschäfts­füh­rende des FFF Bayern, ein BR-Intendant, der SPIO-Vorsit­zende Thomas Negele. Dennoch: die Geschicke des Filmfests werden durch den pari­tä­ti­schen Stadt-Land-Konsor­ti­al­ver­trag bestimmt, wie Diana Iljine im Interview mit der SZ am heutigen Freitag bekräf­tigt, und das muss Söder berück­sich­tigen. Und nicht die Stadt, die seinen Vorstel­lungen nach jetzt mit drei Millionen Euro nach­ziehen soll, vor voll­endete Tatsachen stellen.

Reiters Worte waren auch eine Reaktion auf das Interview, das Gerlach zum Tag der Film­fes­teröff­nung der »Bild«-Zeitung gegeben hatte, in dem sie ausfor­mu­liert: »Ich habe das Gefühl, dass unser Partner, die Stadt München, nicht am gleichen Strang zieht.« Den Strang, an dem gezogen werden soll, hat Söder vorge­geben, und so plappert Gerlach nach: »Wir müssen das Fest neu und größer denken. Auch in andere Rich­tungen. Zum Beispiel Themen wie virtuelle Realität und Games einbinden. Wir müssen aufschließen zur Berlinale. Wenn man das nicht tut und diesen Willen zur Verän­de­rung nicht hat, dann kann man es auch gleich bleiben lassen.« Die Minis­terin zeigt sich resi­gniert, depri­miert und schwarz­ma­le­risch, sollte die Stadt nicht die Pläne von Söder unter­s­tützen. »Dann kann man es auch gleich bleiben lassen«, patzt sie in Richtung Ober­bür­ger­meister. Auch der nahende Gasteig-Umbau macht ihr zu schaffen: »Es gibt keinen Plan B – aber wenn das Filmfest keinen Ort mehr hat, braucht man den auch gar nicht. Wenn kein attrak­tiver Platz gefunden wird, dann ist das Festival in München nicht mehr machbar. Das ist Fakt.« »Bild« versah die Münchner Zeitungs­kästen prompt mit der alar­mie­renden Botschaft: »Filmfest vor dem AUS!«

Der Schatten von Söder legte sich so auf die Eröffnung des Filmfests. Auch buchs­täb­lich verschwand Filmfest-Geschäfts­füh­rerin Diana Iljine im Schatten: die Licht­regie auf der Bühne erzeugte unfrei­willig ein impres­sio­nis­ti­sches Spiel mit der über­großen Silhou­ette des launigen Mode­ra­tors Michael Stadler. Iljine glitzerte mit Pail­le­ten­ho­sen­anzug dagegen an, was dann leider schon das einzige Glamouröse an diesem Abend blieb. Was ausblieb, war echte Feier­lich­keit oder ein Funke, der über­sprang, ein Zeichen des viel herbei­ge­re­deten Aufbruchs in eine neue Zukunft.

Der Abend wirkte seltsam herun­ter­ge­leiert. Nach der Vorstel­lung des Programms gab es die Aufzäh­lung der Sponsoren und Partner, bei dem sich die Festi­val­chefin als ein einziges perso­nif­ziertes Danke­schön gab. Ange­sichts der Diskus­sionen im öffent­li­chen Raum jedoch hätte sie sich vor versam­melter Branche lieber posi­tio­nieren sollen, auch ein wenig Gedan­ken­gla­mour hätte helfen können, aus dem Schatten des heim­li­chen Ober-Filmfest-Chefs Söder heraus­zu­treten. Auch der neue künst­le­ri­sche Leiter, Christoph Gröner, wurde nicht erwähnt (Dieter Reiter holte dies dann nach), geschweige denn, ihm ein Part auf der Bühne über­lassen. Das Gespräch mit den anwe­senden Filme­ma­chern hätte man den Film­jour­na­listen und Kurator führen lassen sollen, so wäre Gröner organisch in den Abend einge­bunden gewesen.

Mit The Art of Self-Defense eröffnete dann das Filmfest. Der zweite Film des texa­ni­schen Regis­seurs Riley Stearns spielt über­wie­gend in einem Karate-Club, der mit Nacht­un­ter­richts­stunden einen Dark Room eröffnet, in dem sich brachiale Gewalt entfes­selt. Weiter entfernt kann man gar nicht von »art« und »self-defense« sein, wenn sich die Karatekas Motor­rad­helme aufsetzen und als Kampf­trupp in die Stadt ziehen, um wahllos Menschen nieder­zu­schlagen. Doku­men­tiert wird das mit einer Video­ka­mera, und die so entstan­denen Snuff-Videos bringt der Karate-Sensei als VHS-Serie in Umlauf. Es geht also reichlich blutig und gewalt­tätig zu in dem Film. Aufge­fangen wird dies durch den Coun­ter­part Casey Davies, gespielt von Jesse Eisenberg, den man noch als Mark Zucker­berg in David Finchers The Social Network in Erin­ne­rung hat, dem aber auch durch sein Mitwirken in Filmen von Kelly Reichardt (Night Moves) oder Joachim Trier (Louder Than Bombs) der Inde­pen­dent anhaftet. Diese Doppel­ko­die­rung schöpft auch Riley Stearns aus, wenn er den Inde­pen­dent-Touch seines Films (die Handlung spielt in den 90er Jahren, signa­li­siert durch Retro-Farben und VHS-Kameras) mit der Bruta­lität seiner Handlung verschränkt. Der wenig selbst­be­wusste Casey Davies soll sich durch die Kara­te­stunden zum harten Mann wandeln, Ziel ist die »toxic mascu­li­nity« mit Metal-Sound, Schä­fer­hund statt Dackel, Deutsch statt Fran­zö­sisch als Hobby­sprache, Körper­s­täh­lung und Drauf­gän­gertum. Das funk­tio­niert zunächst tatsäch­lich, läuft sich aber in der Mitte des Films dann doch tot. Der Schluss, der vor keiner Konse­quenz zurück­schreckt, entschä­digt dann wieder für die Durst­strecke, während der man sich auch bereit­willig ausge­klinkt hat, da es doch unmo­ti­viert sehr brutal wurde.

Insgesamt ein unge­wöhn­li­cher und nicht ganz gelun­gener Film für eine Eröffnung also, wohl eher ein Jungsfilm, soweit es diese Kategorie überhaupt noch gibt. Der Film kann aber dennoch program­ma­tisch für das Filmfest gelten, nicht nur die ganz großen Namen (oder »Stars«) zu präsen­tieren, eher auch auf Neuzu­gänge zu achten und kantige Filme zu finden, die durch die Machart zumindest auffallen. Ein wenig von der Schlag­kraft und dem Mut der Karatekas hätte man sich an dem Abend für Diana Iljine aber gerne gewünscht.