36. Filmfest München 2019
Die Kunst, sich selbst nicht zu verteidigen |
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Steht im Schatten: Diana Iljine | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
»München muss digitaler werden!« Mit dieser diffusen Forderung an die Stadt München beendete »Filmministerin« Judith Gerlach ihre Rede. Die mit glänzendem Haarband und züchtigem wadenlangen Rock als Leni-Riefenstahl-Germanin gekleidete Ministerin war von Ministerpräsident Söder zur Filmfesteröffnung geschickt worden. Der sonst so öffentlichkeitsaffine Söder meidet offenbar die Filmbranche, die schon letztes Jahr mit Buhrufen auf seinen Auftritt reagiert hatte. Diesmal gab es an seine Adresse gerichtet eine Abmahnung von Oberbürgermeister Dieter Reiter, seine Filmfest-Visionen nicht über die Medien zu verbreiten, sondern zuerst in den Sitzungen der Münchner Filmwochen GmbH zu diskutieren. Ob das aber in der Sache hilft? Sieht man sich die Besetzung des Aufsichtsrats an, der über die Geschicke des Filmfests bestimmt, ist festzustellen: Das hier ist fest in der Hand der CSU. Bis auf den (jetzt ausgeschiedenen) Kulturreferenten Küppers und zwei der vier Frauen sitzen die Parteigenossen von Söder zusammen. Auch im Stadt-Land-Verhältnis sieht es mau aus: Lediglich drei Repräsentanten der kommunalen Ebene sind Mitglied im 15-köpfigen Aufsichtsrat. Außerdem nur wenige Fachexperten, ein Fernsehdirektor, der ehemalige Geschäftsführende des FFF Bayern, ein BR-Intendant, der SPIO-Vorsitzende Thomas Negele. Dennoch: die Geschicke des Filmfests werden durch den paritätischen Stadt-Land-Konsortialvertrag bestimmt, wie Diana Iljine im Interview mit der SZ am heutigen Freitag bekräftigt, und das muss Söder berücksichtigen. Und nicht die Stadt, die seinen Vorstellungen nach jetzt mit drei Millionen Euro nachziehen soll, vor vollendete Tatsachen stellen.
Reiters Worte waren auch eine Reaktion auf das Interview, das Gerlach zum Tag der Filmfesteröffnung der »Bild«-Zeitung gegeben hatte, in dem sie ausformuliert: »Ich habe das Gefühl, dass unser Partner, die Stadt München, nicht am gleichen Strang zieht.« Den Strang, an dem gezogen werden soll, hat Söder vorgegeben, und so plappert Gerlach nach: »Wir müssen das Fest neu und größer denken. Auch in andere Richtungen. Zum Beispiel Themen wie virtuelle Realität und Games einbinden. Wir müssen aufschließen zur Berlinale. Wenn man das nicht tut und diesen Willen zur Veränderung nicht hat, dann kann man es auch gleich bleiben lassen.« Die Ministerin zeigt sich resigniert, deprimiert und schwarzmalerisch, sollte die Stadt nicht die Pläne von Söder unterstützen. »Dann kann man es auch gleich bleiben lassen«, patzt sie in Richtung Oberbürgermeister. Auch der nahende Gasteig-Umbau macht ihr zu schaffen: »Es gibt keinen Plan B – aber wenn das Filmfest keinen Ort mehr hat, braucht man den auch gar nicht. Wenn kein attraktiver Platz gefunden wird, dann ist das Festival in München nicht mehr machbar. Das ist Fakt.« »Bild« versah die Münchner Zeitungskästen prompt mit der alarmierenden Botschaft: »Filmfest vor dem AUS!«
Der Schatten von Söder legte sich so auf die Eröffnung des Filmfests. Auch buchstäblich verschwand Filmfest-Geschäftsführerin Diana Iljine im Schatten: die Lichtregie auf der Bühne erzeugte unfreiwillig ein impressionistisches Spiel mit der übergroßen Silhouette des launigen Moderators Michael Stadler. Iljine glitzerte mit Pailletenhosenanzug dagegen an, was dann leider schon das einzige Glamouröse an diesem Abend blieb. Was ausblieb, war echte Feierlichkeit oder ein Funke, der übersprang, ein Zeichen des viel herbeigeredeten Aufbruchs in eine neue Zukunft.
Der Abend wirkte seltsam heruntergeleiert. Nach der Vorstellung des Programms gab es die Aufzählung der Sponsoren und Partner, bei dem sich die Festivalchefin als ein einziges personifziertes Dankeschön gab. Angesichts der Diskussionen im öffentlichen Raum jedoch hätte sie sich vor versammelter Branche lieber positionieren sollen, auch ein wenig Gedankenglamour hätte helfen können, aus dem Schatten des heimlichen Ober-Filmfest-Chefs Söder herauszutreten. Auch der neue künstlerische Leiter, Christoph Gröner, wurde nicht erwähnt (Dieter Reiter holte dies dann nach), geschweige denn, ihm ein Part auf der Bühne überlassen. Das Gespräch mit den anwesenden Filmemachern hätte man den Filmjournalisten und Kurator führen lassen sollen, so wäre Gröner organisch in den Abend eingebunden gewesen.
Mit The Art of Self-Defense eröffnete dann das Filmfest. Der zweite Film des texanischen Regisseurs Riley Stearns spielt überwiegend in einem Karate-Club, der mit Nachtunterrichtsstunden einen Dark Room eröffnet, in dem sich brachiale Gewalt entfesselt. Weiter entfernt kann man gar nicht von »art« und »self-defense« sein, wenn sich die Karatekas Motorradhelme aufsetzen und als Kampftrupp in die Stadt ziehen, um wahllos Menschen niederzuschlagen. Dokumentiert wird das mit einer Videokamera, und die so entstandenen Snuff-Videos bringt der Karate-Sensei als VHS-Serie in Umlauf. Es geht also reichlich blutig und gewalttätig zu in dem Film. Aufgefangen wird dies durch den Counterpart Casey Davies, gespielt von Jesse Eisenberg, den man noch als Mark Zuckerberg in David Finchers The Social Network in Erinnerung hat, dem aber auch durch sein Mitwirken in Filmen von Kelly Reichardt (Night Moves) oder Joachim Trier (Louder Than Bombs) der Independent anhaftet. Diese Doppelkodierung schöpft auch Riley Stearns aus, wenn er den Independent-Touch seines Films (die Handlung spielt in den 90er Jahren, signalisiert durch Retro-Farben und VHS-Kameras) mit der Brutalität seiner Handlung verschränkt. Der wenig selbstbewusste Casey Davies soll sich durch die Karatestunden zum harten Mann wandeln, Ziel ist die »toxic masculinity« mit Metal-Sound, Schäferhund statt Dackel, Deutsch statt Französisch als Hobbysprache, Körperstählung und Draufgängertum. Das funktioniert zunächst tatsächlich, läuft sich aber in der Mitte des Films dann doch tot. Der Schluss, der vor keiner Konsequenz zurückschreckt, entschädigt dann wieder für die Durststrecke, während der man sich auch bereitwillig ausgeklinkt hat, da es doch unmotiviert sehr brutal wurde.
Insgesamt ein ungewöhnlicher und nicht ganz gelungener Film für eine Eröffnung also, wohl eher ein Jungsfilm, soweit es diese Kategorie überhaupt noch gibt. Der Film kann aber dennoch programmatisch für das Filmfest gelten, nicht nur die ganz großen Namen (oder »Stars«) zu präsentieren, eher auch auf Neuzugänge zu achten und kantige Filme zu finden, die durch die Machart zumindest auffallen. Ein wenig von der Schlagkraft und dem Mut der Karatekas hätte man sich an dem Abend für Diana Iljine aber gerne gewünscht.