Kinos in München – Das Gabriel Filmtheater schließt
Das Ende des Kinos ist angebrochen |
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Kino als »Bioscop lebender Fotografie«, anno 1907 | ||
(Foto: Gabriel Filmtheater) |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
Fakt ist: Selbst wenn ein Kino in München keine Miete zahlen muss, kann der Immobilienmarkt zuschlagen. Im Falle des Gabriel-Kinos, das zum Ende des Jahres schließen wird, ist dies besonders tragisch. Das älteste Kino Münchens liegt seit 112 Jahren in der schwierigen Bahnhofsgegend. Schwierig, weil sich hier kaum nette Kneipen oder Cafés finden lassen (das Café Kosmos und das Bufet haben erst vor wenigen Jahren aufgemacht), die Teil der kulturellen Praxis des Kinobesuchs sein könnten. Unweit des Gabriels liegt das mächtige Mathäser, zur Zeit seiner Schließung strömten die Besucher wieder in das unscheinbare Haus an der Dachauerstraße.
Jetzt beginnt der Umbau des Hauptbahnhofs. Auf seinem Gelände wurde ein allgemeines Alkoholverbot ausgesprochen, das ab August ganztätig gilt. Die typische Amtsmasche, um die Drogen- und Alkoholikerszene zu vertreiben. Die Uhr des Hauptbahnhofs ist schon abgehängt. Das kann man durchaus metaphorisch sehen: Die alte Zeit will man hinter sich lassen, jetzt ticken die Uhren anders. Auf der Südseite, dem Schmuddeleck des Hauptbahnhofs mit Table-Dance-Bars, Casinos und zwielichtigen Videotheken, mit seinem dazu widersprüchlich sehr hohen Anteil an türkischen Läden, dem Klein-Istanbul, schlagen schon die ersten Hotelbesitzer Alarm. Es beginnt der Verdrängungskampf, große Ketten wollen die alteingesessenen kleinen Hotels vertreiben.
Dass sich dies auf die andere, die in die schöne Maxvorstadt hineinreichenden Nordseite des Hauptbahnhofs fortsetzen würde, war nur eine Frage der Zeit. Schon vor Jahren wurde eine Freundin aus ihrer Wohnung in der Dachauerstraße 2 hinaussaniert, mit Skandal-Methoden. Jetzt befindet sich dort ein Apartment-Hotel. Nur wenige Häuser weiter liegt das Gabriel. Regelmäßig fand und findet man sich dort ein, um die Pressevorführungen zu besuchen, das Gabriel ist eine regelrechte Pilgerstätte und zweite Heimat vieler Filmkritiker*innen. Früher konnte man sich gegenüber beim Discounter Gummibärchen für die Pressevorführung holen oder sich mit Kaisersemmeln ein billiges Mittagessen verschaffen, bevor es mit dem Filmmarathon am Nachmittag losging. Den Supermarkt gibt es schon lange nicht mehr. An seiner Stelle hat sich ein weiteres Hotel breit gemacht.
Das Gabriel und das dazugehörige Haus gehört der Familie Büche. Tochter Alexandra Gmell, die in fünfter Generation kurz davor ist, die Theaterleitung zu übernehmen, erzählte noch letztes Jahr im April, dass dies ein riesiger Vorteil sei. Es ermögliche Münchner*innen-freundliche Kinoeintrittspreise, denn nicht nur Studierende, auch »die Mama von zwei Kindern und ihre Freundinnen« sollen günstig ins Kino gehen können. Dass dies aber am Trend vorbeigeht, lässt sich unschwer am hohen Eintrittspreis-Niveau der Stadt ablesen, dem das neue Astor im Arri mit Karten ab 13 Euro nur noch wenig hinzufügen konnte. Eine Studie veröffentlichte im November 2018 den »großen Kino-Preis-Index«. München ist mit 11,26 Euro Durchschnittspreis die teuerste deutsche Kino-Stadt.
Tickets wie im Gabriel zu regulär 8 Euro (Kinotag 6,50) muss man sich also erst einmal leisten können. Als Kino. Finanziert wurde und wird der Spielbetrieb vor allem durch Vermietungen, für Pressevorführungen und Branchen-Screenings. Alexandra Gmell spricht im Interview leidenschaftlich über das Kino, in dem sie großgeworden ist. Papa Büche hatte es durch alle Flauten und Moden erfolgreich hindurchgeschippert, nur mit dem stärksten aller Feinde der Stadt hat man wohl nicht gerechnet: mit dem explodierenden Immobilienmarkt.
Der Familie Büche ist es nicht zu verdenken, dass sie zum Jahresende ihr Haus verkaufen wird. Das wirft mehr ab, als das Kino, selbst wenn es floriert, je einbringen könnte. Einen Denkanstoß in diese Richtung gab sicherlich auch der letzte Top-Sommer mit Sonne und hohen Temperaturen. Das Wetter: ist der ganz große Feind der Kinobetreiber. Entweder ist es zu schön, und alle drängen in die Biergärten und an die Isar, oder zu hässlich, und keiner will aus dem Haus. Oder, wie ein befreundeter Kinobetreiber sagt: Wetter ist immer.
So geht das Kinosterben im Zeitalter von Gentrifizierung, explodierenden Immobilienpreisen, des Klima- und Medienwandels mit Netflix & Co. unaufhaltsam weiter. Die Schließung des Gabriel ist insofern auch metaphorisch zu sehen, als es zur Gründer- und Pionierzeit des neuen Mediums aufmachte. Wenn es jetzt schließt: Heißt das, das Ende des Kinos ist angebrochen?
Aber, liebe Münchnerinnen und Münchner: Erst wenn das letzte Kino geschlossen wurde, werdet ihr merken, dass ihr auf Eurer Wohnzimmer-Couch einsam geworden seid. Und bis zu seiner Schließung halten wir »artechocken« das Gabriel noch in Ehren und zählen es zu unseren Geheimtipps, wo man preiswert täglich einen Film in OmU sehen kann (derzeit: Clint Eastwoods The Mule). Und danach geht’s ins Bufet.
Literatur:
– »Neue Paradiese für Kinosüchtige – Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro.