21.02.2020
70. Berlinale 2020

Auftakt in Dur und Moll

Sedat Aslan
artechock-Reporter Sedat Aslan, hier noch in Vorfreude auf die Berlinale
(Foto: arteshot)

Die Eröffnung der 70. Berlinale stand im Schatten der Anschläge von Hanau, versuchte aber trotzdem launig zu bleiben

Von Sedat Aslan

Vor der Eröff­nungs­gala der 70. Berlinale wirkt zunächst einmal alles wie gehabt: Schwarze Limou­sinen fahren vor, Stars steigen aus und lassen sich auf dem von Fans und Foto­grafen umstellten roten Teppich ablichten – nur der freund­lich winkende Mann mit Hut und rotem Schal ist nicht mehr da, um sie zu begrüßen. Statt­dessen stehen, durchaus in Schale geworfen, die beiden neuen Festi­val­leiter mitten­drin. Die ange­spannte Erwartung, dass es nun endlich losgehe, steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Wie der Bär auf den Plakaten ist auch Anke Engelke spurlos verschwunden, der treue Dieter scheint sie gleich mitge­nommen zu haben. Der Schau­spieler Samuel Finzi ist der neue Moderator, der mit einem, nennen wir es »fetzigen«, Einspieler auf die Bühne gelassen wird, als wäre man bei den Oscars, und den größ­ten­teils unbe­wegten Gästen mit offenem Hemd­kragen so etwas wie launige Großworte entge­gen­wirft.

Trotz des Metro­po­len­rangs ihres Austra­gungs­ortes, gerade im Vergleich zu Cannes und Venedig, haftete doch jeder Berlinale-Eröff­nungs­feier der Kosslick-Ära immer auch Provinz­mief an. Das lag nicht nur an den stoisch zur Schau gestellten unter­ir­di­schen Englisch­künsten, sondern auch am fast schamhaft-verknif­fenen Auftritt auf der Bühne. So, als wäre es einem peinlich, vor die Welt treten zu müssen und aus der ach so »char­mingly« zurück­hal­tenden Bundes­haupt­stadt so etwas wie Glamour und Show hinaus­senden zu wollen – als würde man offen anpreisen, dass man so etwas ja eigent­lich nicht so gut kann. Anke Engelke erklärte eine solche Pseudo-Authen­ti­zität zum Prinzip, was in den besten Momenten schrullig-sympa­thisch war, oftmals aber ein inter­na­tio­nales Humor-Vers­tändnis gerade nicht traf. Den heimi­schen Teil des Publikums im Berlinale-Palast scheint sie aber erreicht zu haben, wovon ein Spon­tanap­plaus für sie zeugt, als ihr Nach­folger sie kurz erwähnt.

Der »Neue« moderiert dann auch quasi durch­ge­hend in der Landes­sprache, anstatt, wie früher, größ­ten­teils auf englisch mit anhän­giger Selb­stü­ber­set­zung, was sicher die bessere Wahl ist. Hier hat man sich also Cannes zum Vorbild genommen. Seine Aufgabe, einen »Opening Monologue« zu geben, inter­pre­tiert der Leib-und-Seele-Schau­spieler Finzi allzu wörtlich, es ist ein sehr langer Monolog, der eher als Teil einer Perfor­mance denn der einer Mode­ra­tion gesehen werden muss, etwa wenn er seine Ausein­an­der­set­zung mit diesem Job-Angebot wie eine Parodie auf Peter Lorre in Fritz Langs Klassiker M – Eine Stadt sucht einen Mörder anlegt, bei der das Publikum nicht weiß, was es damit in diesem Rahmen anfangen soll, bis ein simpler Wortwitz (»M« stehe für »Moderator«) endlich, endlich die aufge­staute Anspan­nung auflöst.

Der mit dem Wechsel der Mode­ra­ti­ons­sprache beab­sich­tige Fluss stellt sich nicht ein, weil Finzi sehr fahrig agiert. Er muss sich von der ersten Reihe mehrfach souf­flieren lassen, es gibt einen unge­dul­digen Zwischenruf, das Publikum hängt in der Luft. Es wirkt, als würde Finzi die kolossale Aufgabe, einen Tag nach den Ereig­nissen in Hanau ein solches Festival zu eröffnen, äußerst belasten. Er möchte am liebsten alles sagen, was dazu gesagt werden muss, und tut das auch mehrfach. All dies ist vers­tänd­lich, besonders, wenn man selbst eine Migra­ti­ons­ge­schichte hat, wie er es in auto­bio­gra­phi­schen Anekdoten immer wieder betont, aber gerade dann ist ein stabiler Host als Medium umso wert­voller. Von den ameri­ka­ni­schen Show­größen kann man sich abschauen, wie sie gerade in einer derar­tigen Situation mit dem eigenen Wanken profes­sio­nell umgehen, ohne es zu negieren; man kann die persön­liche Betrof­fen­heit thema­ti­sieren, ohne zu verkrampfen oder sie zu poten­zieren. Bei aller Kritik muss man ihm für sein wahr­haf­tiges Mitgefühl und seinen Appell an die Politik, sie solle sich endlich einge­stehen, dass wir ein »Problem mit rechts« haben, Respekt zollen.

Nun könnte man sagen, das restliche Prozedere wäre so wie in den Vorjahren, nur mit mehr Einspie­lern. Die inter­na­tio­nale Jury sowie die Sektionen stellen sich erstmals selbst per Video vor, all dies eine gute Idee, um der Anony­mität zu begegnen, die aber um so deut­li­cher zeigt, dass sich die Berlinale aufgrund des Anspruchs, es allem und jedem recht zu machen, im Laufe ihrer Geschichte immer mehr zu einer eier­le­genden Woll­milchsau gewandelt hat.

Dass dies aber dennoch eine ganz andere Eröff­nungs­gala ist, wird spätes­tens klar, als Geschäfts­füh­rerin Mariette Rissen­beek in ihren aller­ersten Worten auf der Bühne des Berlinale-Palastes zu einer Gedenk­mi­nute für die Opfer von Hanau aufrufen muss, aufrufen will. Der geplante festliche Auftakt steht unüber­sehbar im Schatten von Hanau, und die Berlinale denkt nicht daran, dies zu verhohlen zu tun. Die eigens für diese Feier produ­zierten Filmchen wie den leidlich witzigen Opener will sie dann aber auch nicht weglassen. Der Spagat ist schwierig und nicht vollends gelungen, denn wie im Anfangs­mo­nolog wird man zwischen vorpro­du­ziertem Material und Tages­ak­tua­lität immer wieder von Dur zu Moll – und wieder zurück – geworfen; es war wohl zu wenig Zeit, ein anderes Konzept zu finden.

Die folgenden Reden stellen den poli­ti­schen Aspekt gegenüber dem Kultu­rellen aufgrund der aktuellen Ereig­nisse ins Zentrum. Die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters benennt den Akt als »rechts­extre­mis­ti­schen Terror« und macht mit Bezug­nahme auf Thüringen unter Standing Ovations klar, dass es niemals zu einer Zusam­men­ar­beit mit rechten Kräften kommen darf. Sie spricht auch die Aufar­bei­tung der unlängst bekannt gewor­denen NS-Vergan­gen­heit des Festi­val­grün­ders Alfred Bauer an. Auch Berlins Regie­render Bürger­meister Michael Müller findet deutliche Worte gegen Rassismus, Ausgren­zung und Gewalt.

Wenn dieser Tag doch tatsäch­lich das Anläuten eines konse­quenten gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Kampfes gegen rechts sein könnte…! Man wird wohl noch träumen dürfen. Warum sollte jetzt ein Ruck durch Deutsch­land gehen, wo es weder nach der Mordserie des NSU, dem Mord an Walter Lübcke oder dem Anschlag von Halle nach­haltig ruckte? Kurz zuvor: Im Zug nach Berlin spricht eine Passa­gierin aus Leipzig – angeblich Service­per­sonal bei der Berlinale – mit einem Schaffner unwi­der­spro­chen über »linkes Künst­ler­pack und all diese Ausländer«. War das ein Zitat? Würde es das besser machen, ange­sichts der Morde von gestern? Bei der Dame direkt mal nach­zu­fragen, traut man sich nicht. Schon lange nicht mehr.