70. Berlinale 2020
Auftakt in Dur und Moll |
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artechock-Reporter Sedat Aslan, hier noch in Vorfreude auf die Berlinale | ||
(Foto: arteshot) |
Von Sedat Aslan
Vor der Eröffnungsgala der 70. Berlinale wirkt zunächst einmal alles wie gehabt: Schwarze Limousinen fahren vor, Stars steigen aus und lassen sich auf dem von Fans und Fotografen umstellten roten Teppich ablichten – nur der freundlich winkende Mann mit Hut und rotem Schal ist nicht mehr da, um sie zu begrüßen. Stattdessen stehen, durchaus in Schale geworfen, die beiden neuen Festivalleiter mittendrin. Die angespannte Erwartung, dass es nun endlich losgehe, steht ihnen ins Gesicht geschrieben.
Wie der Bär auf den Plakaten ist auch Anke Engelke spurlos verschwunden, der treue Dieter scheint sie gleich mitgenommen zu haben. Der Schauspieler Samuel Finzi ist der neue Moderator, der mit einem, nennen wir es »fetzigen«, Einspieler auf die Bühne gelassen wird, als wäre man bei den Oscars, und den größtenteils unbewegten Gästen mit offenem Hemdkragen so etwas wie launige Großworte entgegenwirft.
Trotz des Metropolenrangs ihres Austragungsortes, gerade im Vergleich zu Cannes und Venedig, haftete doch jeder Berlinale-Eröffnungsfeier der Kosslick-Ära immer auch Provinzmief an. Das lag nicht nur an den stoisch zur Schau gestellten unterirdischen Englischkünsten, sondern auch am fast schamhaft-verkniffenen Auftritt auf der Bühne. So, als wäre es einem peinlich, vor die Welt treten zu müssen und aus der ach so »charmingly« zurückhaltenden Bundeshauptstadt so etwas wie Glamour und Show hinaussenden zu wollen – als würde man offen anpreisen, dass man so etwas ja eigentlich nicht so gut kann. Anke Engelke erklärte eine solche Pseudo-Authentizität zum Prinzip, was in den besten Momenten schrullig-sympathisch war, oftmals aber ein internationales Humor-Verständnis gerade nicht traf. Den heimischen Teil des Publikums im Berlinale-Palast scheint sie aber erreicht zu haben, wovon ein Spontanapplaus für sie zeugt, als ihr Nachfolger sie kurz erwähnt.
Der »Neue« moderiert dann auch quasi durchgehend in der Landessprache, anstatt, wie früher, größtenteils auf englisch mit anhängiger Selbstübersetzung, was sicher die bessere Wahl ist. Hier hat man sich also Cannes zum Vorbild genommen. Seine Aufgabe, einen »Opening Monologue« zu geben, interpretiert der Leib-und-Seele-Schauspieler Finzi allzu wörtlich, es ist ein sehr langer Monolog, der eher als Teil einer Performance denn der einer Moderation gesehen werden muss, etwa wenn er seine Auseinandersetzung mit diesem Job-Angebot wie eine Parodie auf Peter Lorre in Fritz Langs Klassiker M – Eine Stadt sucht einen Mörder anlegt, bei der das Publikum nicht weiß, was es damit in diesem Rahmen anfangen soll, bis ein simpler Wortwitz (»M« stehe für »Moderator«) endlich, endlich die aufgestaute Anspannung auflöst.
Der mit dem Wechsel der Moderationssprache beabsichtige Fluss stellt sich nicht ein, weil Finzi sehr fahrig agiert. Er muss sich von der ersten Reihe mehrfach soufflieren lassen, es gibt einen ungeduldigen Zwischenruf, das Publikum hängt in der Luft. Es wirkt, als würde Finzi die kolossale Aufgabe, einen Tag nach den Ereignissen in Hanau ein solches Festival zu eröffnen, äußerst belasten. Er möchte am liebsten alles sagen, was dazu gesagt werden muss, und tut das auch mehrfach. All dies ist verständlich, besonders, wenn man selbst eine Migrationsgeschichte hat, wie er es in autobiographischen Anekdoten immer wieder betont, aber gerade dann ist ein stabiler Host als Medium umso wertvoller. Von den amerikanischen Showgrößen kann man sich abschauen, wie sie gerade in einer derartigen Situation mit dem eigenen Wanken professionell umgehen, ohne es zu negieren; man kann die persönliche Betroffenheit thematisieren, ohne zu verkrampfen oder sie zu potenzieren. Bei aller Kritik muss man ihm für sein wahrhaftiges Mitgefühl und seinen Appell an die Politik, sie solle sich endlich eingestehen, dass wir ein »Problem mit rechts« haben, Respekt zollen.
Nun könnte man sagen, das restliche Prozedere wäre so wie in den Vorjahren, nur mit mehr Einspielern. Die internationale Jury sowie die Sektionen stellen sich erstmals selbst per Video vor, all dies eine gute Idee, um der Anonymität zu begegnen, die aber um so deutlicher zeigt, dass sich die Berlinale aufgrund des Anspruchs, es allem und jedem recht zu machen, im Laufe ihrer Geschichte immer mehr zu einer eierlegenden Wollmilchsau gewandelt hat.
Dass dies aber dennoch eine ganz andere Eröffnungsgala ist, wird spätestens klar, als Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek in ihren allerersten Worten auf der Bühne des Berlinale-Palastes zu einer Gedenkminute für die Opfer von Hanau aufrufen muss, aufrufen will. Der geplante festliche Auftakt steht unübersehbar im Schatten von Hanau, und die Berlinale denkt nicht daran, dies zu verhohlen zu tun. Die eigens für diese Feier produzierten Filmchen wie den leidlich witzigen Opener will sie dann aber auch nicht weglassen. Der Spagat ist schwierig und nicht vollends gelungen, denn wie im Anfangsmonolog wird man zwischen vorproduziertem Material und Tagesaktualität immer wieder von Dur zu Moll – und wieder zurück – geworfen; es war wohl zu wenig Zeit, ein anderes Konzept zu finden.
Die folgenden Reden stellen den politischen Aspekt gegenüber dem Kulturellen aufgrund der aktuellen Ereignisse ins Zentrum. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters benennt den Akt als »rechtsextremistischen Terror« und macht mit Bezugnahme auf Thüringen unter Standing Ovations klar, dass es niemals zu einer Zusammenarbeit mit rechten Kräften kommen darf. Sie spricht auch die Aufarbeitung der unlängst bekannt gewordenen NS-Vergangenheit des Festivalgründers Alfred Bauer an. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller findet deutliche Worte gegen Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt.
Wenn dieser Tag doch tatsächlich das Anläuten eines konsequenten gesamtgesellschaftlichen Kampfes gegen rechts sein könnte…! Man wird wohl noch träumen dürfen. Warum sollte jetzt ein Ruck durch Deutschland gehen, wo es weder nach der Mordserie des NSU, dem Mord an Walter Lübcke oder dem Anschlag von Halle nachhaltig ruckte? Kurz zuvor: Im Zug nach Berlin spricht eine Passagierin aus Leipzig – angeblich Servicepersonal bei der Berlinale – mit einem Schaffner unwidersprochen über »linkes Künstlerpack und all diese Ausländer«. War das ein Zitat? Würde es das besser machen, angesichts der Morde von gestern? Bei der Dame direkt mal nachzufragen, traut man sich nicht. Schon lange nicht mehr.