70. Berlinale 2020
Die neuen Leiden der jungen U. |
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Undine hütet die Stadtgeschichte | ||
(Foto: © Marco Krüger/Schramm Film / Berlinale) |
Von Dunja Bialas
Undine Wibeau ist die neue Petzold'sche Geistergestalt. Paula Beer spielt eine promovierte Historikerin, die Interessierte durch die Stadtgeschichte Berlins führt. Berlin ist vom Namen her ein »trockengelegter Sumpf«, erklärt sie. Christoph (Franz Rogowski) verliebt sich augenblicklich in sie. In diesem Moment birst das Aquarium im Museumscafé, spült die beiden unter sich weg. Sie bekommen Hausverbot.
Undine Wibeau, das ist natürlich die Undine aus dem neuzeitlichen Mythos. Die berühmteste Bearbeitung kam von dem preußischen Adeligen Friedrich de la Motte Fouqué, es war die Hochromantik, und die Geschichte von dem Wasserwesen, das Mensch wird, wenn sie sich in einen Menschen verliebt, faszinierte. Sie ist eine romantische Femme fatale, die dem Mann den Tod bringt, der es wagt, sie zu verlassen. Und sie wird wieder eins mit dem Wasserelement, wenn sie allein zurückbleibt, der Geliebte stirbt.
Eine Undine braucht also die Liebe als Essenz für ihr Leben. Auch Undine Wibeau. Ihr Nachname erinnert an Edgar Wibeau aus Ulrich Plenzdorfs »Die neuen Leiden des jungen W.«, und das verbindet sie dann wiederum mit einem neuzeitlich gedachten Sturm und Drang, angesiedelt in der DDR. Nicht zufällig gibt Undine Wibeau also Führungen, die entlang der historischen Demarkationslinie der Wendezeit und des städtebaulichen Wandels Berlins angesiedelt sind. In Berlin, dem trockengelegten Sumpf, braucht Undine die Liebe zum Überleben.
Petzold verwirrt. Seine Wiedergängerfiguren sind wieder da, sein Hinabtauchen in die historische Geschichte. Auch in seinen letzten Filmen hielt die Liebe die Figuren aufrecht, wurde zur Möglichkeit, Geschichte zu überwinden, Zeiten zu durchschreiten, den Unterschied von Leben und Tod zu fällen. Untergründig wurde immer die deutsche Geschichte miterzählt. Seine Arbeit am Mythos der Undine sieht wie in Shape of Water die Zusammenkunft von Wasserwesen vor, Rogowski spielt einen berufsmäßigen Tieftaucher, der im Wasser Turbinen repariert. Dabei begegnet er auch einmal einem Wels, ein legendäres Tier wie Loch Ness in einem klaren See. Zwei Meter soll der mächtige Fisch lang gewesen sein, seine Kollegen glauben ihm nicht. Die Videoaufzeichnung gibt ihm recht.
Trotz aller Tiefgründigkeit seines Themas verankert Petzold Undine aber weniger tief als etwa Transit oder Phoenix mit dem starken historischen Untergrund, der immer die Schrecken der deutschen Geschichte miterzählte. Undine, die als Fremdenführerin den Schlüssel zu den städtebaulichen Verwerfungen der deutsch-deutschen Geschichte in ihrer Hand hält, ist Freelancerin und kann jederzeit die Verbindung kappen.
Mehr als zu zeigen, wie die Geschichte bis in die Gegenwart hineinreicht, ist Undine vielleicht eher ein Film über die Trauer und das Abschiednehmen. Tode und Wiederbelebungen überlagern die Verbindung zwischen den Figuren, Liebestode, und die Trauer um den oder die Verflossene(n). Petzold ist darin romantisch, aber er ist nicht restaurativ, will kein Zurück zum Alten, wie die Rekonstrukteure des Berliner Stadtschlosses. Anstatt im »trockengelegten Sumpf« zu bleiben, so scheint er uns von der Leinwand zuzurufen, solle man lieber in tiefe Gewässer abtauchen und wieder einmal träumen, um lebendig zu bleiben. »Staying alive«: Das wird das Motto der Liebenden sein. Und am Ende zeigt sich die Möglichkeit einer Zukunft ohne die Last, sich fortwährend nach dem Vergangenen zu sehnen.