24.02.2020
70. Berlinale 2020

An Pinocchio denken

Pinocchio
Vorhandene Bilder durch neue ersetzen
(Foto: ©Greta de Lazzaris, Berlinale Presseservice)

Matteo Garrones PINOCCHIO in der Berlinale Special Gala: ein kleiner Triumph

Von Sedat Aslan

Wenn Sie an Pinocchio denken, welches Bild kommt Ihnen als erstes in den Sinn? Eine Illus­tra­tion aus einem alten Buch? Eine Puppe, die Sie als Kind besaßen? Oder doch die zumindest im englisch­spra­chigen Raum kano­ni­sche Disney-Version?
Bei mir ist es der Pinocchio aus der japa­ni­schen Zeichen­trick­serie, die sich ganz tief in mein Hirn gebrannt hat, als ich sie mit 4-5 Jahren im ZDF sah – zu einer Zeit, in der es nur drei Programme gab, die damals ungelogen auch noch eine Mittags­pause einlegten.

Ausge­rechnet Matteo Garrone, der Regisseur von nicht gerade zimper­lich zu nennenden Werken wie Gomorrha und zuletzt Dogman, widmet sich dieses univer­sellen Stoffes vom Holzbub, der zum Jungen aus Fleisch und Blut werden möchte, und nimmt dabei die Heraus­for­de­rung an, gegen all die vorhan­denen Bilder neue zu setzen. Ihm zur Seite steht Roberto Benigni als Gepetto, der 2002 in seinem eigenen, letztlich unbe­frie­di­gend geblie­benen Versuch selbst die Titel­figur gab. Soviel kann man schon vorweg­nehmen, als alter und guther­ziger Holz­schnitzer ist er natürlich viel passender besetzt, es macht Freude, ihm zuzusehen und es ist schade, dass er nur am Anfang und am Ende präsent ist.

Dies liegt an Garrones Ansatz, sich nah an Carlo Collodis Vorlage zu halten und diese nur behutsam zu bear­beiten – und dort ist Pinocchio die meiste Zeit eben auf sich alleine gestellt. Der erzie­he­ri­sche Geist eines pädago­gi­schen Märchens des späten 19. Jahr­hun­derts, das in diesem Fall zuerst als Fort­set­zungs­ge­schichte erschien, findet sich hier unbe­stritten wieder, auch die für die Vorlage charak­te­ris­ti­sche episo­dische Struktur bleibt in Garrones Adaption erhalten. Die stel­len­weise unheim­liche Tonalität ist beim Medi­en­wechsel auch nicht verloren gegangen, es finden sich unbe­hag­liche Bilder wie ein am Galgen baumelnder Pinocchio, so dass der Film für die ganz Kleinen zu aufregend sein könnte.

In diesem neuesten Werk zeigt sich nämlich eher der Garrone von »Tale of Tales«, der eine fanta­sie­volle und vor merk­wür­digen Kreaturen über­bor­dende Welt schafft. Hervor­zu­heben sind hierbei das Oscar-würdige Make-Up und Kostüm. Die grotesken Tierwesen und Mario­netten sind in dieser Weise tatsäch­lich selten im Kino zu sehen. Dort, wo man mit tradi­tio­nellen Mitteln nicht weiterkam, helfen CGI-Elemente, die aber längst nicht so essen­tiell für die visuelle Wirkung sind wie etwa die natur­gemäß pitto­resken toska­ni­schen und apuli­schen Schau­plätze. Man merkt, dass dies kein mit digitalen Effekten voll­ge­müllter Hollywood-Film ist, und das ist gut.

Man sollte aller­dings nicht erwarten, ein für Erwach­sene glei­cher­maßen heraus­for­derndes oder gar vers­tö­rendes Werk zu sehen, wie es etwa Guillermo del Toro vormacht. Die allzu saubere Bild­sprache, das behäbige Erzähl­tempo sowie der perma­nente Musik­ein­satz erinnern bisweilen sogar an einen der ARD-Märchen­filme, die häufig an Feier­tagen laufen. Er bleibt in dieser Hinsicht also durch und durch ein Fami­li­en­film, auch wenn „Pinocchio“ dafür mit 124 Minuten recht lang geraten ist.

Das Ensemble ist ausnahmslos hervor­ra­gend, neben Benigni ziehen insbe­son­dere Massimo Cecche­rini und Rocco Papaleo als Fuchs und Kater alle Register. Was ist mit Pinocchio selbst? Sein Darsteller Federico Ielapi agiert keines­wegs „hölzern“ (kleiner Scherz), sondern sprüht vor Energie. Was sein Character Design angeht, darf man schon eher zwie­ge­spalten sein: Einer­seits haben sich die laut Garrone vier Stunden in der Maske, die der kleine Federico täglich auf sich nehmen musste, gelohnt, denn die aufge­schminkte Maserung des Holzes gepaart mit der Geräusch­un­ter­ma­lung, die jede Bewegung des Buben mit Quiet­schen und Knarzen unter­s­tützt, ist nah an der Illusion, eine lebendige Mario­nette zu sehen; ande­rer­seits kratzt die Figur dadurch auch bedenk­lich nah am „Uncanny Valley“, der einen eher befremd­li­chen Effekt hat. Sollte dies beab­sich­tigt gewesen sein, ist es geglückt.

Fazit: Garrones Version ist wirklich gut gemacht und deutlich werk­ge­treuer als etwa die Disney-Adaption, diese bleibt jedoch aufgrund ihrer meis­ter­haften Verdich­tung des Stoffes und ihres ewig jungen Charmes unge­schlagen. Müssen Sie Ihr alther­ge­brachtes Pinocchio-Bild schlag­artig durch ein neues ersetzen? Sicher nicht – ich meinen lieb­ge­won­nenen japa­ni­schen Pinocchio sowieso nicht. Ein kleiner Triumph ist es dennoch, dass unsere europäi­schen Freunde es sich nicht haben entgehen lassen, noch vor den über­mäch­tigen Ameri­ka­nern ein aufwän­diges Live-Action-Remake fürs Kino, wie es ja gerade in Mode ist, reali­siert zu haben.