Cinema Moralia – Folge 210
Weimarer Verhältnisse... |
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Rüdiger Suchslands Von Caligari zu Hitler | ||
(Foto: Realfictionfilme) |
»In der Prätention des Professors liegt etwas tief Lächerliches. Was riskieren wir? Eine schlechte Rezension durch einen anderen Professor. Aber das ist kein sehr großes Lebensrisiko. Der Künstler riskiert seine ganze Hoffnung seine spes humana. Ein schlechtes Kunstwerk ist etwas selbstmörderisch Gefährliches.«
George Steiner, geboren 1930, gestorben am 4. Februar 2020»Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. ... Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.«
Adolf Hitler, am 02.02.1930»Oh my god. What‘s that?« – »Should I call anyone?« – »Call everyone.«
Aus: »Contagion« von Steven Soderbergh
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Es ist bitter aktuell geworden, auf das Kino der Weimarer Republik zu blicken und über »Weimarer Verhältnisse« zu sprechen. Beides werde ich tun, lange geplant an diesem Donnerstag und gleich doppelt dann morgen, am Freitag, jeweils in Heidelberg.
Es geht heute eher politisch los, in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte (nicht zu verwechseln mit der Ebert-Stiftung). Der erste Reichspräsident der Weimarer Republik kam nämlich aus Heidelberg. Dort werde ich Ausschnitte aus meinem Film »Von Caligari zu Hitler. Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen« zeigen, und darüber sprechen, ob die wieder in Mode gekommene Metapher von den Weimarer Verhältnissen angemessen ist, ob der Satz »Bonn ist nicht Weimar« auch für die »Berliner
Republik« noch gilt. Um die Antwort sehr grob vorwegzunehmen: Ich glaube, er gilt nicht mehr – was andererseits nicht heißt, dass die Rede von den »Weimarer Verhältnissen« nicht mitunter vereinfachender und interessegeleiteter Unsinn ist.
Diesen Donnerstag ab 19 Uhr – mit Filmausschnitten und anschließendem Publikumsgespräch.
Morgen dann gibt’s zwei Filme/Filmgespräch komplett im Heidelberger Programmkino/Karlstorkino.
Zunächst um 17.00 Uhr den Film Von Caligari zu Hitler (diesmal komplett).
Dann ab 19.30 Uhr »Das Cabinet des Dr. Caligari« von Robert Wiene mit Gelegenheit zur Diskussion und der Präsentation weiterer Filmausschnitte (open end...)
Der Anlass zu der Sonderveranstaltung ist das 25-jährige Jubiläum des Karlstorkinos.
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Die Emotionalisierung des Politischen, der Verlust der Nüchternheit, Hysterisierung und Infantilisierung der Öffentlichkeit und die Zersetzung der heterogenen, diversen Gesellschaft in Lager und Homogenitäts-Blasen – das ist es, was mit »Weimar« und »Weimarer Verhältnissen« gemeint ist.
Ihre aktuelle Gestalt ist der gesellschaftliche Wandel und Entwicklungen, die unter dem nicht sehr präzisen Marker »Political Correctness« subsummiert werden. Man muss
aufpassen, dass man bei diesem Schlagwort nicht auf den Zug der Rechtsextremen aufspringt. Umgekehrt dient das aber schnell einer reaktionären Linken oder naiven Millennials als Totschlagargument, um Einwände zu ersticken.
Wie kaputt die Debattenkultur, und wie verfahren der Zustand der Öffentlichkeit auch gerade in liberalen Gesellschaften ist, zeigt sich an »#MeToo«.
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Jetzt hat sich hier eine zu Wort gemeldet, die in »#MeToo«-Fragen auch nicht gerade ihre »finest hour« hatte, dafür aber so bitter bestraft wurde, wie kaum eine andere: Asia Argento.
»#MeToo ist dumm, fake und reaktionär geworden«, sagte die Schaupielerin/Regisseurin jetzt in einem Interview mit »Le Monde«. Der Kampf gegen Sexual-Verbrechen und
Missbrauch sei durch Manipulationen unterminiert worden, so Argento. Was als Kampf gegen Machtmissbrauch begonnen habe, sei zu etwas komplett anderem geworden.
»#MeToo ist ein Hollywood-Produkt geworden: Etwas dummes, verlogenes und reaktionäres: Ein Badge, ein Abendkleid.«
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Reaktionäre Moralisierung allerorten. Gerade sind im Kino und um es herum wieder lauter Heilige unterwegs: Greta Gerwig und Terrence Malick, um mal die Prominentesten zu nennen. Auch ihre Figuren stehen auf unangenehme Weise immer für das Richtige, so sehr, dass man es gar nicht mehr angucken kann.
Das Moralpredigen ist in, leider auch in den Filmen. Gute Frauen, gute Widerständler, alles Vorbilder: Die Frauen, die Figuren, die Schauspieler. Es packt einen der Ekel.
Im Kino geht es aber nicht um Heilige und Propheten. Sondern um die Apostaten. Es geht nicht um das Reine, sondern um das Schmutzige und Unreine. Perfektion ist der Terror, Imperfektion ist die Tugend. Hölle statt Himmel: Gute Regisseure sind Judas ähnlicher als Jesus.
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Auch sehr aktuell ist es, mal wieder ein paar Filme zum Thema Seuche anzuschauen. Aus Weimarer Zeiten würde ich da F.W.Murnaus Nosferatu empfehlen, in dem die Ratten das sinkende Deutschland verseuchen.
Ansonsten ist natürlich Steven Soderberghs Contagion der Film der Stunde, nicht
nur weil Hollywoods Vorzeige-Veganerin Gwynneth Paltrow in diesem Film als allererste stirbt, was natürlich nichts miteinander zu tun hat.
Etwas vergessen ist dagegen Outbreak von Wolfgang Petersen. Alle Arten des Zombiegenres bieten sich natürlich auch an, wenn man erstmal auf den Geschmack gekommen ist. Am passendsten vielleicht World War Z.
Mich wundert es, dass darüber noch keiner geschrieben hat.
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Gute Seuchen-Geschichten stellen unser gesamtes Gesellschaftsgefüge infrage. Die Seuche funktioniert wie das Leben: Dumm und ungelenkt, aber massiv. Durch keine soziale Bindung, ob Emotionen oder Vernunft gehemmt. Man kann mit ihr auch nicht kommunizieren. Genau deshalb ist »Seuche«, »Epidemie«, »Pandemie«, oder ganz klassisch »Die Pest« auch ein archetypischer Popmythos: Schreckgespenst und Projektionsfigur zugleich. Ein bisschen, man muss das so sagen, wie die AfD.
Ähnelt
Bernd (oder Björn oder Bastian?) Höcke nicht in seiner Schlaksigkeit auch ein wenig Nosferatu?
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Wer heute noch angemessen und kenntnisreich über Kinofilme schreiben will, der muss Serien anschauen. Zumindest gelegentlich.
Diejenigen unter den selbsternannten »Cinephilen« (und ich meine hier ausdrücklich nicht den namensgleichen »Hauptverband Cinephilie«) und »Kino-Aktivisten«, die sich zu schade sind für Serien, Fernsehen und Streams, die können zum Beispiel auch über Paula Beer übernächste Woche als Schwimmbadjungfrau in Christian Petzolds neuestem
Berlinale-Märchen »Undine« nichts Substantielles aussagen, wenn sie nicht »Bad Banks« gesehen haben.
Das gibt es jetzt in der ZDF-Mediathek – eine Alternative, wenn im Kino um die Ecke wieder nur Seniorenfilme und Wellness-Arthouse läuft.
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Man kann es aber auch übertreiben: In der »Süddeutschen« stehen unter der Rubrik »Neue Filme« neuerdings auch Werke, die bei Netflix herauskommen. Als ob es nicht schon genug Filme im Kino gäbe. Aber warum? Und warum nicht auch die Filme von Amazon und den anderen Streaming-Diensten. Warum nicht die vom ZDF. Das ist alles hochproblematisch, gerade auch moralisch.
Und dazu dann noch die völlig übertriebenen Hymnen: »Schon jetzt ein Klassiker« weiß der Kritikerpapst. Na dann
– aber hat er den Caligari schon mal gesehen? Und dessen noch viel besseres Münchner Pendant Nerven in der vom Filmmuseum restaurierten Fassung, zur Not auf DVD?
(to be continued)