Cinema Moralia – Folge 230
Der feuchte Traum aller Kinoabwickler |
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Südkorea als Rollenmodell – so wie im gerade angelaufenen Peninsula von Sang-ho Yeon? | ||
(Foto: Splendid/24 Bilder) |
»Eine Revolution ist kein Gastmahl, kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder Deckchenstricken; sie kann nicht so fein, so gemächlich und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich, zurückhaltend und großherzig durchgeführt werden. Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt, durch den eine Klasse eine andere Klasse stürzt.«
- Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung, Peking, 1968, S. 14»Über das eine gebieten wir, über das andere nicht.«
- Epiktet
Mami, Mami – darf man noch Rainer Werner Fassbinder sagen? Es gibt nicht nur eine moralische, ästhetische und politische Sprachpolizei, sondern auch eine ökonomische. Sie benutzt das Recht und seine Schwächen, um Personen, vorzugsweise berühmte, tote, die sich nicht wehren können, zu labeln.
Ein abschreckendes Beispiel, auf das ich gerade stieß, unter anderem bei Volker Pantenburg, in einem new filmkritik-Eintrag von 2013 und in einem Aufsatz von Michael
Töteberg aus der gleichen Zeit ist folgender Disclaimer: »Die Namensformen 'Fassbinder', 'Rainer Werner Fassbinder' und 'RWF' (als Wort und Bildmarke) sind registrierte Marken der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin.« Wie geht das? Wie kann das möglich sein? Schämt sich da niemand, zum Beispiel die Kulturstaatsministerin. Schade, dass man so einen Laden nicht einfach enteignen kann – schon für seine Frechheit. Aber der Tag wird kommen...
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Würde es Corona nicht geben, Peter Dinges und Monika Grütters und all die anderen deutschen Filmförderfunktionäre und ihre Lakaien in den Gremien und Verbänden hätten es erfinden müssen.
Was hätte ihnen Besseres passieren können? Seit Jahren erlebt man deutsche Filmförderer, ob von den Länderförderinstitutionen auf Podien und bei anderen öffentlichen Anlässen zur Lage des deutschen Films erklären, es gebe zu viele deutsche Filme. Seit Jahren propagieren sie die paradoxe Logik nach der weniger deutsche Filme ein besseres deutsches Kino schaffen. Wie das gehen soll, haben sie nie dazugesagt. Wie könnten sie auch? Hätten die deutschen Förderer die Zauberformel zur
Erschaffung künstlerisch wie ökonomisch erfolgreicher Filme, könnten sie die und genau die und nur die ja fördern. Stattdessen riskieren sie nichts und setzen auf vermeintlich sichere Chancen – ein Rezept, mit dem man auch in der Spielbank garantiert sein Geld verliert, nur etwas langsamer als die Hasardeure. Sie verteilen das Fördergeld auf vermeintlich große Namen, auf das Altbekannte, auf das bisher Erfolgreiche, auf das erprobte Rezept, auf die, die bisher Erfolg hatten
– obwohl ein professioneller Spieler weiß, dass jede Erfolgssträhne früher oder später zu Ende geht.
Sie fördern alles, sind bei jedem Film mit 3 oder 5 oder allenfalls 10 Prozent dabei, benehmen sich aber wie kleine König*innen, spreizen sich als Möglichmacher, wo sie doch eigentlich Dienstleister sind, die Steuergelder verwalten. Sie reden, als verstünden sie etwas von der Materie – aber sie riskieren nichts, am wenigsten ihren eigenen Job.
Sie säen nicht, sie
ernten nicht, aber der Vater Staat ernähret sie doch. Und jetzt entscheiden sie über Leben und Tod und gefallen sich dabei ganz ungemein und sind beleidigt, wenn man das, die Schwere ihres Amtes nicht gebührend anerkennt.
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Jetzt ist die Stunde dieser Abwickler gekommen. Wir erleben gerade den feuchten Traum all jener, die sich weniger deutschen Film wünschen, weniger Verleiher, weniger Filmkunst, weniger Experiment, weniger Independents, weniger Autorenkino.
Ihre Stunde scheint gekommen. Jetzt nutzen sie Corona, um sterben zu lassen, was aus ihrer Sicht nicht lebenswert ist.
Man muss dazu nur die Förderentscheide der letzten Monate lesen, zusammen mit den sogenannten Hilfsmaßnahmen.
Man muss dies abgleichen mit den Hilferufen der Tätigen, derjenigen, die tatsächlich Filme machen, oder herausbringen.
Dagegen helfen keine Kompromisse mehr, sondern Widerstand. Die Funktionäre aller Verbände müssen aufhören, immer noch mitspielen zu wollen, ausgerechnet mit denen, die sie seit Jahren nach Strich und Faden an der Nase herumführen.
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Es stimmt wohl, dass sich auch das Kino neu erfinden muss, wie Manfred Wilhelms neulich in der Blackbox geschrieben hat.
Erst recht aber muss sich die deutsche Kultur- und Filmpolitik neu erfinden.
Geleitet von zynischer Vernunft ist sie das Haupthindernis für eine funktionierende Filmkultur in Deutschland. Alles in allem – denn auch das ohne Frage vorhandene deformierte Bewusstsein und Selbstverständnis vieler Filmemacher ist am Ende das Resultat einer Kulturpolitik, die genau so eine Mentalität produzieren möchte.
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In einem – überfälligen – offenen Brief hat der Verband der unabhängigen Filmverleiher der einseitig auf Kinos, und hier wieder auf bestimmte Kinos ausgerichteten Krisenhilfe der Filmförderung – man könnte auch sagen: auf Mitglieder der politisch blendend vernetzten AG Kino – widersprochen und grundsätzliche Mängel der deutschen Krisenhilfe im Filmsektor aufgelistet.
In dem Brief heißt es: »Die Hilfe für die Kinos wurde von den Verantwortlichen bei BKM, FFA und Länderförderern nicht zu Ende gedacht. Es fehlt bis heute die Gesamtsicht auf die Filmwirtschaft und Filmkultur und deren Repräsentanten.«
Die Förderer verkürzten im Wesentlichen alle Hilfs-Bemühungen »auf diesen einen Ort« Kino, und schädigten damit »Filmwirtschaft und Filmkultur insgesamt. ... Ohne Filme kein Kino. ... weder startet die Wertschöpfung im Kino noch endet sie
dort.«
Die politisch erzwungene Reduzierung der Kino-Sitzplätze wird nämlich auch auf dem Rücken der Verleiher ausgetragen, obwohl diese im Gegensatz zu den über 100 Millionen Euro, die ohne Gegenleistung in die Taschen der Kinobetreiber geflossen sind, keinen Cent erhalten haben. »Dennoch sind wir in Vorleistung gegangen. Ohne uns hätten insbesondere die Arthousekinos, die im Fokus der Rettungsbemühungen stehen, seit der Wiedereröffnung der Kinos kein attraktives Filmangebot zu bieten.«
Zurückhaltung des Publikums.
Massive Umsatzrückgänge sind die Folge.
Die Konsequenz, die wir nun am Markt erleben, sind regelmäßige Startverschiebungen auf 2021 und danach oder gar der Verzicht auf Kinostarts.
Zugunsten von Streaming-Angeboten.
Vor allem das BKM wird von den Verleihern kritisiert, »die bisherige Ausgestaltung des BKM-Programms „Neustart Kultur“« und das »ausschließliche Festhalten an den althergebrachten Förderinstrumenten« – mit Branchenferne und Blauäugigkeit kann man die Vorwürfe zusammenfassen. Einmal mehr rächt sich jetzt, dass mit Monika Grütters eine filmferne Kulturfunktionärin auf den Posten der BKM, also des »Filmministeriums« gesetzt wurde. Die Dame gefällt sich wie jetzt mit der Entgegennahme von Preisen auf der Buchbranche, mit dem Verschleudern von Steuergeldern in ein Prestigeprojekt wie des Humboldt-Forum getauften wiederaufgebauten preußischen Stadtschlosses. Fürs Kino hat Monika Grütters kein Herz und keinen Sinn. Wenn sie so weitermacht, wird sie noch vor ihrer Ablösung nach den kommenden Wahlen als die größte Totengräberin des deutschen Kinos in die nationale Filmgeschichte eingehen.
»Wir wollen nicht akzeptieren,« heißt es, »dass die bisher begangenen Fehler erst im Nachhinein evaluiert werden, um dann die nicht mehr reparablen, strukturellen Schäden für die gesamte Kinobranche zu begutachten.«
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Entgegen ihren eigenen Erfahrungen glauben die Verleiher allerdings noch an Gespräche – vielleicht weil ihnen sowieso nichts anderes übrig bleibt: »Wir fordern deshalb dringend Gespräche zur Rettung der Kino- und Verleihbranche, mit dem Ziel, neue und angemessene Modelle zu entwickeln, die es der Filmwirtschaft ermöglicht, diese noch lange nicht ausgestandene Krise zu überleben.
Eines dieser Modelle kann konkret die Einführung einer der französischen
Referenzförderung entsprechenden Förderung sein, welche das CNC innerhalb weniger Wochen umgesetzt hat und das Anreize für Verleiher schaffte, Filme mit großem Zuschauerpotential auch unter den derzeitigen prekären Bedingungen zu starten. Der Erfolg dieser Notfall-Referenzförderung ließ sich eindrücklich beim Vergleich der aktuellen französischen und deutschen Kino-Besucherzahlen ablesen.«
»Es geht darum, schnelle und tatsächlich wirkungsvolle Hilfen bereit zu stellen, die der gesamten Wertschöpfungskette der Branche dienen. Es darf nicht sein, dass aus Mangel an Zeit oder Kenntnis zwar gut gemeinte, aber völlig unzureichende und ineffiziente Maßnahmen umgesetzt werden.«
Das stimmt alles. An die Hoffnung auf runde Tische und Runden im Hinterzimmer kann ich nicht glauben. Sogenannte »Gespräche« werden von den Zynikern in den Behörden allein zum Zeitspiel benutzt.
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Das vorläufige Fazit der Erfahrungen der letzten Monate ist deprimierend: Corona tötet die Kultur, killt die Veranstalter. Die Abwickler schauen zu, mit klammheimlicher Freude, mit kaum verhohlener Genugtuung, dass jetzt diesen lästigen Kostgängern endlich ein Ende gemacht wird.
Aber auch die abgewickelten Spielstätten, die toten Kinos, die zerstörten Arbeitsplätze, die plattgemachten Existenzen und vor allem die vernichteten Orte des Austauschs, des Dialogs, der
Aneignung von kulturellen Erfahrungen, auch diese sollten in den täglichen Meldungen der Corona-Opfer auftauchen.
Die Lufthansa wird mit Summen von – je nach Schätzung – 64.000 bis 120.000 Euro pro Arbeitsplatz – pro Mensch, der bei oder für Lufthansa arbeitet – vom Staat subventioniert. Für die Autofirmen und allerlei andere »systemrelevante« Institutionen könnte man ähnliche Rechnungen aufmachen. Man könnte auch mit wenigen statistischen Strichen vorrechnen, dass jeder bisher – glücklicherweise – verhinderte deutsche Corona-Tote dem deutschen Staat zwischen (je nach Angabe der Verbände und Ministerien) 120 und 480 Millionen Euro wert war – jeder einzelne!
Da sollte ein Bruchteil dieser Summe auch für die Kultur bereitstehen. Es bleiben aber nicht mal Brosamen.
Jaja, jetzt heißt es wieder, man soll hier nicht aufrechnen. Doch! Man muss hier aufrechnen. Willkommen in der Wüste des Realen!
Es ist an der Zeit für die Verbände und Institutionen des deutschen und europäischen Films, sich zusammen zu tun, und gemeinsam Handlungsdruck aufzubauen. Das geschieht nicht durch Nettigkeit, und nicht durch Kompromiss, die schon im Kopf eingebaut sind, bevor man seine »Gespräche« überhaupt beginnt. Das geschieht durch Unhöflichkeit und Penetranz und lautet Worte und praktischen Druck. Kann man alles hervorragend von den Gewerkschaften lernen.
Das geschieht zur Zeit noch
nicht.
Die Verbände pflegen zur Zeit noch ihre Eitelkeiten – wozu bei einigen auch die Standleitung zur Kulturstaatsministerin gehört. Solange das nicht aufhört, wird nichts passieren.
Was an Corona aber optimistisch macht, ist, dass wir beobachten können: Wenn der Druck groß genug ist, ist plötzlich alles möglich. Dann fließt auch das Geld in Strömen.
Die deutsche Filmbranche muss Streikfähigkeit erlangen, den Willen und die Fähigkeit, Handlungsdruck aufzubauen.
Wir werden nichts erreichen, wenn sich nicht hier harter, hartnäckiger Widerstand formiert. Kein Gremiengesabbel mehr, keinen Tee bei Monika.
Wir müssen selbst zur Seuche werden!
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PS: Gerade erreichte uns die in diesem Zusammenhang symptomatische Nachricht, dass der Kölnische Kunstverein dem Filmclub 813, dem besten Programmkino der Domststadt fristlos gekündigt hat.
Hier die Pressemitteilung im Wortlaut:
»Eilmeldung: Filmclub 813 droht fristlose Kündigung/Heute letzte Vorstellung
14. Oktober 2020«
Die letzte Vorstellung im Kino 813 in der BRÜCKE?
Dem Filmclub 813 e.V. wurde vom Kölnischen Kunstverein am 8.10.2020 überraschend außerordentlich und fristlos gekündigt. Die Übergabe der überlassenen Räumlichkeiten wie Kinosaal, Filmvorführraum und Büro in geräumtem und besenreinem Zustand soll am 16.10.2020, 12 Uhr erfolgen. Die Kündigung ist ungerechtfertigt und zudem juristisch unwirksam.
Wir wissen zur Zeit nicht, ob der Kölnische Kunstverein dazu bewegt werden kann, diese Kündigung zu revidieren.
Um unser Recht durchzusetzen, das Kino 813 in der BRÜCKE weiter bespielen zu können, rechnen wir mit einer juristischen Auseinandersetzung.
Sofern der Kölnische Kunstverein an der fristlosen Kündigung festhält, würde heute, am Mittwoch, den 14.10.2020 um 20 Uhr, die letzte reguläre auf unabsehbare Zeit Vorführung stattfinden. Die Leinwand bliebe dann bis auf weiteres dunkel.
Diese Kündigung bedroht einen einzigartigen Kulturort und die Existenz des bundesweit prämierten Filmclub 813 (u. a. Lotte-Eisner-Preis 2017) im ehemaligen und traditionsreichen Kino im British Council. Alleinstellungsmerkmal ist die Projektion analoger Filmkopien zu über neunzig Prozent.
Seit der Schließung der Kölner Cinemathek ist der Filmclub 813 das einzige Kino in Köln, das sich in seinem Programm systematisch dem filmhistorischen Erbe widmet.
Köln würde um das letzte historische Kino ärmer. Deshalb brauchen wir jegliche Unterstützung und Solidarität.
(to be continued)