Cinema Moralia – Folge 238
Ein Bärendienst fürs Kino |
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Wieder mal »on stake«: Die Zukunft der Berlinale | ||
(Zeichnung: rbb/24) |
Die Berlinale in den Sommer zu verlegen, war schon immer eine gute Idee. Auch die Älteren vergessen gern, dass die Berlinale bis zum Jahr 1980 tatsächlich ein heute trotz Klimawandel unvorstellbar warmes, hellsommerliches Festival war, weil sie im Juni stattfand, in etwa genau zu dem Termin im Jahresrhythmus, den sich kurz darauf der Münchner Oberbürgermeister Erich Kiesl unter den Nagel riss, und an dem Eberhard Hauff fünf Jahre nach Gründung der entsprechenden kostentreibenden GmbH das Filmfest München zum ersten Mal durchführte.
Die Vorverschiebung in den Winter durch den damals neu angetretenen Festivaldirektor (Und ZEIT-Filmedakteur! Das war noch ein Niveau!!) Wolf Donner war vor 40 Jahren eine mindestens schlaue Sache, festivalstrategisch jedenfalls, angesichts der Umstände, dass Berlin hinter Cannes schon immer das viel unwichtigere und banalere Filmfestival war, und dass Venedig sich 1980 gerade nach zehn Jahren, in denen es dort kein echtes Festival gab, neu gründete, und Berlin plötzlich zwischen zwei attraktiveren Orten und besseren Festivals lag. Man setzte sich damit im Jahresablauf vor das Filmfestival von Cannes und konnte so den Franzosen immerhin ein paar Filme abluchsen. Filmmärkte, wo es sie denn überhaupt auf Festivals schon gab, interessierten seinerzeit niemanden.
Als Carlo Chatrian und Mariette Riessenbeek vor zwei Jahren den unersetzlichen Dieter Kosslick als Berlinale-Direktor ersetzten, hatten ihnen die Wohlmeinenden unter den vielen Berlinale-Kritikern nicht nur zu einem deutlichen Schnitt in Programm und Personal geraten, sondern vereinzelt auch dazu, das Festival komplett in den Sommer zu verlegen. Am besten gegen Ende Juli. Das würde Carlo Chatrians altes Festival in Locarno zwar endgültig aus der ersten Reihe eliminieren, aber dafür mit genügend Abstand zu Cannes liegen. Die gerade unter Nicht-Europäern unvermindert angesagte Metropole Berlin könnte außer mit konkurrenzlos billigen Preisen und unzähligen Unterkünften auch mit warmen Spätsommernächten punkten, mit einem 24/7-Nachtleben, Bars und Clubs. Die schönen Seiten Berlins, die es tatsächlich auch gibt, bekommt der dick eingepackte und dauererkältete Besucher der Berlinale-on-Ice gar nicht mit. Und plötzlich würde sich sogar das typische Kosslick-Wohlfühlkino, das auch im ersten Chatrian/Riessenbeek-Jahr weiterhin viel zu viel im notorisch überladenen und konturlosen Berlinale-Programm vertreten war, weniger schlimm anfühlen.
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Es brauchte aber erst eine globale Seuche, um solche Ideen gegen den Willen der gesamten Funktionärs- und Politikerkaste und gegen das Zaudertum der Berlinale-Führung durchzusetzen. Zumindest ansatzweise.
Denn die jetzt verkündeten Corona-Reaktionen sind in vielen Details unklar und wirken so unschlüssig wie der Lockdown-Light der Bundesregierung.
Man hört bisher Widersprüchliches aus der Berlinale-Presseabteilung. Klar ist: Die Berlinale wird komplett verlegt. Und sie wird in der Verlegung tatsächlich zweigeteilt: Im März gibt es den Wettbewerb und wohl auch ein Festival für die Filmbranche, das heißt für Einkäufer und Rechte-Händler, für bestimmte Filmemacher, vielleicht auch für akkreditierte Journalisten. Das findet statt wie immer, nur um 2-3 Wochen nach hinten verschoben – wie es dann wirklich ist, das
weiß niemand so genau. Die größte Änderung aber ist: Das Publikum bleibt erstmal ausgeschlossen! Deswegen, weil man nicht genau weiß, ob ein Lockdown richtig aufgehoben ist, oder halb aufgehoben ist.
Dafür kann das allgemeine Publikum dann im Juni, zu einer viel angenehmeren, allerdings auch kino-unfreundlicheren Jahreszeit ins Kino gehen, und wird dort auch eine große Gala erleben.
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So ganz genau ist übrigens aus der Pressemitteilung nicht klar geworden, was da wie eigentlich ablaufen soll. Dort steht definitiv, im März wird eine internationale Jury die Filme des Wettbewerbs in Berlin sichten, und die Bären-Preise entscheiden. Dem Berliner Publikum werden die Preisträger und die Filmauswahl dann im Sommer »präsentiert«. Falls sie bis dahin nicht schon im Kino waren.
Aber wann kann zum Beispiel die Presse eigentlich die Filme sehen? Und das Fachpublikum? Ist die Presse auch unter der »Filmbranche« subsumiert, die zumindest virtuell beim European Film Market (EFM) teilnimmt?
Die Berliner Presse, zum Beispiel der notorisch populistische »Tagesspiegel«, hat andere Sorgen: Wird die Berlinale wie Cannes? Diese angstvolle Frage steht zwischen allen Zeilen, die im Charlottenburger Weltblatt zu lesen sind.
In Cannes kommt das normale Publikum normalerweise nicht rein. Die Berlinale hingegen sagt populistisch: Wir zeigen Filme, in die jeder rein kann. Als ob in die Filme von Cannes niemand rein könnte – diese Filme sind einfach dafür vorgesehen, im Kino vermarktet zu werden, und nicht um von einem Filmkunstfestival ins nächste zu wandern und irgendwann nach Mitternacht im Fernsehprogramm zu verschwinden. Es gibt sehr gute Gegenargumente gegen die Berlinale-Selbstdarstellung, und die Formel vom Publikumsfestival ist schon seit langem nur eine Ausrede dafür, dass die Berlinale nicht die Filme bekommt, die in Cannes laufen.
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Die Hintergründe sind bemerkenswert: Nach allem, was man hört, ist es so, dass das Festival nur deshalb zweigeteilt wird, weil der größte öffentliche Geldgeber, das Bundeskulturministerium, eine klassische Berlinale für den April jetzt nicht fest zusagen wollte. Die März-Veranstaltung wiederum ist zu unsicher. Man wollte eventuelle Ausfallkosten im Hause Grütters nicht garantieren.
Diese Nachricht schmerzt doppelt. Denn es ist das BKM gewesen, nicht etwa die
Berlinale-Leitung, die im vergangenen Herbst noch vor dem sogenannten Light-Lockdown sehr darauf gedrängt hat, den Termin im Februar zu bestätigen. Die Berlinale-Leitung selbst, die zwischenzeitlich mindestens fünf verschiedene Szenarien – von einer komplett virtuellen bis hin zu einer komplett analog stattfindenden klassischen Berlinale – erwogen hat, war seinerzeit von Grütters gezwungen worden, wider besseres Wissen oder bessere Ahnung den Februar-Termin zu
fixieren.
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Einmal mehr zeigt sich auch hier das Versagen der Bundeskulturpolitik, namentlich der Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Auf der einen Seite gibt der Bund nicht weniger als 630 Millionen Euro für ein Kolonialmuseum aus, eine Art Monika-Grütters-Denkmal, und füllt den leerstehenden, weil für sich genommen sinnlosen Wiederaufbau des preußischen Stadtschlosses größtenteils mit Raubkunst.
Da scheint mir ein sehr großes Missverhältnis vorzuliegen, und wieder einmal die bekannte Missachtung des Kinos.
Denn auf der anderen Seite scheut man sich, die Summe von 15 bis 20 Millionen Euro einmalig zu garantieren, und als Sicherheit zu hinterlegen, um einen eventuellen Ausfall der Berlinale im April finanziell abzufedern. Darum wird die Berlinale jetzt gezwungen, genau das zu tun, von dem sie seit Monaten gesagt hat, dass sie es auf keinen Fall tun will: Online gehen, das Festival und den Film-Markt virtuell zu veranstalten.
So wie die Festivals von Saarbrücken oder Duisburg es
getan haben – die spielen aber in einer deutlich niedrigeren Liga als die Berlinale.
Die echte Konkurrenz der Berlinale sind Festivals wie Cannes, Venedig, Locarno und San Sebastian. Und die haben es im letzten Jahr unter Corona-Bedingungen allesamt besser gemacht: Venedig und San Sebastian hatten das Glück, im Spätsommer genau zu der Zeit stattzufinden, in der wir alle einen kurzen Sommer der Corona-Lockerung erlebten. Man konnte also die Filme wie gehabt im Kino sehen. Mit
Gästen auf Pressekonferenzen und in Interviews diskutieren. Wenn man sich einigermaßen vernünftig verhielt, das heißt mit Maske im Kino war und auf Abstand zu den anderen Zuschauern.
Cannes und Locarno, die ungünstigere Termine hatten, hatten schon sehr früh gesagt: We better prefer not to – das heißt unter diesen Umständen würden sie einmal nicht stattfinden, bevor sie online gehen. So schmerzlich das ist, aber es sei eben besser, als dem Kino, dem man doch dienen wollte,
durch eine Virtualisierung einen Bärendienst zu erweisen.
Genau diesen Bärendienst erweist nun die Berlinale im Kino: zum Zeitpunkt, in dem wir schon mehr als ein Jahr nach dem ersten Lockdown uns alle sowieso schon stark dem Kino entwöhnt haben, setzt die Berlinale noch einen drauf.
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Wie nobel war da die Reaktion des Filmfest München, dessen Termin durch die Berlinale-Egozentrik nun fast mitgeschreddert wird:
»Die Berlinale hat sich angesichts der jüngsten Pandemie-Entwicklungen für ein zweistufiges Festivalformat für die kommende Ausgabe entschieden, mit digitalen Branchenangeboten im März und reinen Publikumsvorstellungen im Juni in Berlin. Angesichts unserer Erfahrungen in 2020 mit dem sequentiellen FILMFEST MÜNCHEN POP-UP können wir dieses
Vorgehen nur unterstützen und senden den Kolleg*innen beste Wünsche für die Umsetzung ihres Festivals.
Zugleich sehen wir unsere bereits seit längerer Zeit laufenden Planungen durch die Entwicklungen in Berlin weiter bestärkt, im Sommer 2021 das FILMFEST MÜNCHEN als Live-Festival mit innovativen Kino- und Open Air-Elementen in der ganzen Stadt zu gestalten. In unserem Festivalzeitraum vom 24. Juni bis 3. Juli 2021 werden wir Premieren und Begegnungen für ein breites Münchner
Publikum und die gesamte deutsche Filmbranche bieten.«
Festivaldirektorin Diana Iljine: »Wir stehen für Sommer, Sonne, München – für Begegnung vor Ort. Ein zentraler Teil der Belebung der gesamten deutschen Film- und Kulturbranche im kommenden Sommer wird auf dem FILMFEST MÜNCHEN stattfinden. Darauf freuen wir uns und wünschen den Berliner Kolleg*innen für ihre Planung gutes Gelingen.«
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Man wird sehen, was am Ende in Berlin herauskommt. Nun hat offen gesagt die Berlinale ganz andere und viel grundsätzlichere Probleme, die sie lösen muss, und gegen die die Pandemie ein laues Lüftchen ist: Sehr grundsätzliche Raumprobleme, Probleme der Ausrichtung, Probleme überhaupt in Zukunft in einer Film-Landschaft, in der das Kino sich verändert, ihren Platz zu behaupten.
(to be continued)