77. Filmfestspiele von Venedig 2020
Das Evangelium nach Abel |
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Ein Ausschnitt unser aller Leben in der Pandemie | ||
(Foto: BIENNALE CINEMA 2020 Press Service) |
»Es liegt in der Natur des Kinos, dass mit Wundern jederzeit zu rechnen ist.«
Michael Althen; FAZ, 05.09.2009
Der auch schon 69 Jahre alte Abel Ferrara haut zurzeit einen Film nach dem anderen heraus. Nicht jeder ist gut, aber jeder ist es wert, gesehen zu werden.
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»He is a maniac. He is a Maverick on tour.« – mit diesen Sätzen springt Sporting Life mitten hinein in sein Thema. Und das heißt Abel Ferrara. Oder auch nicht, denn wer Ferrara mal persönlich erlebt hat, weiß, was man auch aus seinen Filmen lernen kann: Dass man diesen Mann nicht zu fassen kriegt. Was Ferrara hier ziemlich früh über seinen Schauspieler Willem Dafoe sagt, das gilt auch für ihn selbst: »You are in and out in the same time.«
Auch sonst ist
dieser Film nicht einfach zu charakterisieren: »We are shooting a documentary about the art of making documentaries.« sagt Ferrara einmal, als er ein paar Round-Table-Interviews in Berlin gibt und auch die zum Teil recht dummen deutschen Presse-Fragen mit Würde über sich ergehen lässt.
Dies ist, wenn man so will, also ein Dokumentarfilm, aber keiner über Ferraras Leben und Werk. Ein paar Filmausschnitte gibt es schon – aber nur, wenn sie stellvertretend für den Autor sprechen. Man sieht hier Ferrara ziemlich oft, aber nur im Jahr 2020: Im Gespräch mit Dafoe, seinem Hauptdarsteller in mehreren Filmen, auf der Berlinale, wo sein Spielfilm Siberia im Wettbewerb lief, und hier stellt Ferrara subtil die Beliebigkeit der Berlinale aus, die Vulgarität der öffentlichen Präsentation der Filme dort, die völlig aus der Zeit gefallene Musik der Intros – als Beispiel, um die Beliebigkeit und Vulgarität der Welt zu zeigen, in der sich das Kino heute bewegen muss.
Man sieht auch Ausschnitte aus Ferraras Film Pasolini, da geht es ganz explizit um das Filmemachen selbst – also auch um den Filmkünstler Pasolini und seine Art des Filmemachens; Pasolini spricht in Interviews z.b. über die Krise unserer Kultur, die natürlich dann immer auch eine Krise des Kapitalismus ist. Es geht hier ganz explizit um das Filmemachen, um die Position des Films innerhalb unserer Kultur. Diese Passagen von Pasolini werden zitiert.
Dieser Film ist eigentlich ein Essay, in dem ein Künstler über sein Leben reflektiert, sich auch austauscht mit seinem Partner in Crime Willem Dafoe und seinem – wenn man so will – Alter Ego Pasolini, und sich in diesen Figuren spiegelt, sich aber auch an ihnen reibt. Es ist also kein eitles Spiegeln, sondern eher eine Selbstreflexion, bei der es auch darum geht: Wo sind die Unterschiede? Wo stehe ich? Werde ich meinen großen Vorbildern überhaupt gerecht? Kann ich selber noch in den Spiegel gucken?
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Pasolini sprach in seinem letzten Interview vom »Deathwish, which binds us together in this changing life state.« Das passt zu gut in die Gegenwart, um nicht von Ferrara zitiert zu werden.
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Wir lernen auch seine Frau kennen und sein Kind. Aber es wird hier nicht konventionell erzählt: Dieser Film ist ein musikalischer. Es ist auch ein fragmentarischer.
Zur Musik ist zu sagen: Ferrara macht selber Musik, und man kann ihn hier mindestens 5-6 Mal auf der Bühne sehen: Singen, Gitarrespielen. Wir sehen auch ein paar alte Musikausschnitte, Sachen aus den 50er und 60er Jahren, bekannte Popsongs wie z.b. „Runaway“ – dies ist ein Film, bei dem ganz offensichtlich alle Beteiligten sehr sehr viel Spaß haben. Fortwährend wird gelacht, Dafoe und Ferrara auch einfach miteinander, weil sie fröhlich sind, weil sie Spaß haben, und wir können uns vorstellen, dass es auch bei der Montage dieses Films, beim Zusammenstellen dieses vielen Materials so war, das auch auf eine sehr musikalische Art und Weise zusammengestellt ist und gewissermaßen sehr schnell wie eine DJ-Performance geschnitten ist, ein bisschen aus der Hüfte geschossen – das springt über aufs Publikum. Ich habe gestern eine Vorstellung gesehen, bei der alle herauskamen und strahlten und wirklich ein bisschen den Eindruck hatten: super!
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Dann sieht man Bilder aus New York und aus Rom, die Heimatstadt Ferraras und der Ort, an dem er zur Zeit vor allem lebt – beide Städte werden gezeigt auf dem Höhepunkt des Ausnahmezustands, in dem kaum ein Mensch auf der Straße zu sehen ist. Wir sehen tote Städte, einen einsamen Bus, der vollkommen leer durch die Gegend fährt. Nachrichten und Bilder, in denen die Regierenden und auch das Versagen Donald Trumps zu sehen sind – unter anderem ist dieser Film auch ungemein zeitgenössisch und gegenwärtig: eine harte ätzende Kritik an dem Amerika der Gegenwart, zugleich ist es natürlich auch ein Film, in dem Abel Ferrara über sich selbst über seine Kunst und über sein Leben reflektiert.
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Indem wir einen Ausschnitt aus unser aller Leben in der Pandemie sehen, bekommen wir mit dieser unglaublich intensiven Wirklichkeit ein sehr präzises Bild von diesem Regisseur und von seiner Welt, seinem Blick auf die Welt und seiner Haltung vermittelt.
Ferrara ist ein wilder Typ, ein Independent-Regisseur, der kulturell und politisch aus den 60er Jahren kommt, also aus der Zeit der Rebellion. Und der sich diesen Geist der Rebellion bewahrt hat.
Gleichzeitig sagt er Sätze wie: Ich bin Old-School. »That is one of the best things about being out we got a whole bag of tricks. You know, we gonna make it work.« Der Vorteil, wenn man älter ist, sei: »A bag full of tricks«. Die Zitate sind sehr spannend, mit denen Ferrara sein eigenes
Filmemachen skizziert. Insofern ist dieser Film auch eine Sammlung kleiner feiner Weisheiten über das Filmemachen, über Kino und damit natürlich über das Leben.
So zitiert er einen Satz, der wiederum auf den ehemaligen Schachweltmeister Bobby Fischer bezogen ist: Bobby Fischer denkt gar nicht an so viele Dinge, er denkt nicht psychologisch, er denkt einfach an den nächsten guten Zug »und so ist es bei uns auch«: »We are not playing games, we are just thinking about the next move.
Any fucking move can change the game.«
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Dieser Film Abel Ferraras ist es also nicht nur wert, gesehen zu werden. Er ist super.
(to be continued)