Cinema Moralia – Folge 247
Streitkultur als Utopie |
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Vereint in der Satire gegen die Corona-Maßnahmen: deutsche Schauspieler | ||
(Foto: #allesdichtmachen) |
Die Sprache der Kunst ist anders als die des Alltags, ihr Bild anders als das seine. Und eben diese Differenz ermöglicht die Subversion der Erfahrung, die den Alltag im Lichte der Wahrheit erscheinen lässt, Erkenntnis vermittelt, das gegebene transzendiert.
Herbert Marcuse»Geschmack klassifiziert – nicht zuletzt den, der die Klassifikation vornimmt.«
Pierre Bourdieu»Jede auf Identität zielende politische Utopie ist unfähig zu einer echten Streitkultur.«
Claus Leggewie, 1990
Umstritten – das ist der neue Adelstitel des demokratischen Zeitalters. Wenn jemand umstritten ist, verdient er Achtung, Wertschätzung, dann wird als Individuum wahrgenommen. Nicht nur als normierter Massenmensch und Amöbe in der Schwarmintelligenz. Diese Auszeichnung hat aber auch ihre Nachteile. Denn Aristokratismus, Geistes-Aristokratismus zumal, wird nicht gewollt, wird lächerlich gemacht oder sogar gelegentlich als »das Elitäre« und »Elitentum« politisch zum Abschuss freigegeben.
Dabei geht es einem Künstler-Aristokratismus nicht darum, höher zu stehen als andere, sondern weiter vorn. Avantgarde zu sein.
Aber das ist eine Debatte, die wahrscheinlich wirklich nicht in den Zusammenhang mit den Schauspielervideos von #allesdichtmachen gehört.
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Wer nur in Social Media unterwegs ist, der kann tatsächlich den Eindruck bekommen, dass alle alle alle gegen die Aktion der Schauspieler sind. Denn die Facebookblasen und die Twitter-Echoräume, jedenfalls die, unter denen ich als Leser unterwegs bin, die sind sich hier fast alle einig. Aber dieser Einigkeitsanschein ist ein Irrtum.
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Von der Aktion #allesdichtmachen, in der sich am Ende 53 Schauspieler in Videos mit unterschiedlicher Form (hier alle Filme) gegen die Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen und die Corona Politik der Bundesregierung wenden, hatte ich bereits Anfang letzter Woche erfahren. Eine Schauspielerin erzählte mir davon, zeigte mir ein paar der Filme, und fragte mich, was
ich davon hielte, ob ich ihr raten würde, mitzumachen.
Ich habe abgeraten. Nicht weil ich die Aktion an sich so schlecht fand. Im Gegenteil war sie mir von Anfang an zumindest sympathisch. Aber es war auch klar, dass sie nicht nur für einen Entrüstungssturm sorgen würde – so etwas kann und muss man aushalten, und ein politisches Statement gegen die Corona-Politik der Bundesregierung ist es vielleicht auch wert –, sondern weil absehbar war, dass die Ironie, wo sie denn
tatsächlich vorhanden war, nicht verstanden werden würde. Und weil absehbar war, dass sie den Teilnehmern in der deutschen Öffentlichkeit vor allem Ärger einbringen würde. Auch wenn ich es gut finde, dass das Leute auf sich genommen haben, kann man es Menschen, die man mag, nur abraten, da mitzumachen und das auch auf sich zu nehmen.
Außerdem ist vieles Weitere zu kritisieren: Die ästhetische Form der Filme, die leider in ihrer Mehrheit nur das ästhetische Mittelmaß spiegeln, das im deutschen Film sonst prägt. Und wenn Künstler bei etwas mitmachen, dann sollte doch die Kunst möglichst überdurchschnittlich sein. Oder ist das eine altmodische Ansicht?
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Natürlich kann man nun sagen, dass der Zeitpunkt für all das zu spät kommt und dass es noch ein paar bessere Ideen gegeben hätte, um gegen die Corona-Politik zu protestieren. Über alles das und über die ersten Reaktionen in den Medien habe ich dann auch relativ schnell am letzten Samstag an anderem Ort geschrieben und ein erstes Fazit formuliert. Es gibt allerdings aber noch einiges mehr zu alldem zu sagen.
Denn muss ich zugeben, dass ich schon am Freitagmorgen, als mich diverse Nachrichten erreichten, in denen ich auf die Aktion angesprochen wurde und nach meiner Meinung gefragt, schnell begriff, dass die Filme, egal, was man von ihnen halten möchte, zumindest eine große Wirkung entfalten. Das ist ein Erfolg.
Die Filme haben das erreicht, was keine einzige Kunst und Künstler-Aktion der vergangenen vierzehn Monate erreicht hat: eine Aufmerksamkeit für Kunst während Corona in nahezu allen Medien, und eine breite Debatte darüber, wie es Kunst und Künstlern unter den geltenden harten Beschränkungen geht.
Natürlich kann man sagen, das hätte noch besser laufen können, und viele der Kommentare war nicht besonders schmeichelhaft für die Beteiligten.
Was ihnen allerdings auch geglückt ist: Sie haben den faulen Konsens in unserem Land produziert, sie haben die Müdigkeit getriggert, sie haben Leute aufgeregt und wütend gemacht. Gerade auch, indem sie Reaktionen provoziert haben, die komplett unter der Gürtellinie lagen, haben sie aufgedeckt, wie manche Kreise in Zusammenhang mit dem Coronavirus reden, wir haben auch gedeckt, wie hysterisiert, wie irrational, wie übergriffig und wie vollkommen übertrieben gesellschaftliche Debatten derzeit in Deutschland laufen.
Das zumindest ist ein Erfolg dieser Aktion.
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Es ist ja sowieso eine Frage, um was für eine Aktion es sich hier überhaupt handelt. Klar scheint zu sein, dass es keine politische Stellungnahme ist, die etwa mit einer Rede der Bundeskanzlerin vergleichbar wäre oder mit einem politischen Kommentar – Gott sei Dank ist sie das nicht.
Der Philosoph Markus Gabriel hat in einem Gespräch bei 3sat »Kulturzeit« erklärt, dass es sich bei den Videos eben um eine Kunstaktion handele. »Jemand, der Macbeth spielt, laden Sie auch nicht ein in eine Talkshow Markus Lanz, um dort zu begründen warum er so viele Menschen umgebracht hat.«
»In diesen Videos
geht es um eine Analyse der diskursiven Diffamierung von Menschen, die sich Fragen stellen darüber, wie über diese Maßnahmen geredet wird. Auf dieser meta-medialen Ebene operiert diese Kunstaktion.«
Gabriel sieht eine Empörungskampagne am Werk und fällt ein vernichtendes Urteil über die sozialen Medien: »Nicht jede Meinung ist als Meinung relevant. Und es ist egal, wer wem zustimmt. Entscheidend sind die Gründe. Die sozialen Medien sind prinzipiell so gebaut, dass die liberale Demokratie unter die Räder einer irrationalen Empörungskampagne gerät.«
In einer rationalen Debatte gehe es darum, dass wir Meinungen zusammen mit Gründen präsentieren. Streit und Dissens seien wesentlich für den demokratischen Rechtsstaat.
Die Kampagne antizipiere immerhin die Rezeption. Im Zusammenhang hätten die Filme genau das bewirkt, was sie vorhersagen. »Viele der Regisseur und Schauspieler, die beteiligt waren, waren von der Heftigkeit der psychischen Gewalt, der sie plötzlich ausgesetzt waren, überrascht. Das heißt, dass in der Tat
die Meinungsfreiheit in Deutschland angegriffen ist dadurch, dass das Äußern einer Meinung zwar selbstverständlich möglich ist – wir sind nicht in irgendeiner Diktatur – das aber solche Shitstorms Gewalt auslösen. Und diese Gewalt hat alle Akteure betroffen. Eine rationale Debatte über diese Kunstaktion hat meines Erachtens noch nicht einmal begonnen.«
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Kunst ist nicht demokratisch, Kunst ist nicht korrekt.
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Vielleicht stimmt es nicht, das es einen zunehmend enger werdenden Meinungskorridor gibt. Vielleicht stimmt es auch nicht, dass es eine klare Mehrheit der Medien gibt, die mit geradezu nibelungentreuem Kadavergehorsam jede noch so idiotische Corona-Maßnahme der Regierung stützen. Und wenn nicht unterstützen, so doch zumindest Kritik daran klein fahren. Mit den besten Absichten. Weil sie glauben, die Gesellschaft stabilisieren zu müssen. Vielleicht sind diese ganzen Eindrücke falsch. Vielleicht können auch die Schauspieler genauso wie mit Widerspruch auch mit Zuspruch rechnen. Aber interessant ist es doch – und vielleicht sollte es uns, die wir an einer pluralen Medienlandschaft interessiert sind, zu denken geben –, dass offenbar viele andere diesen Eindrücken nicht teilen. Dass man das Gefühl hat: Die Schauspieler sagen etwas und sofort – quasi unmittelbar, ohne auch einmal nur nachzudenken, ohne auch nur zwei, drei Fragen zu stellen, wird ihnen mit aller Härte und aus allen Medienrohren widersprochen. Sofort muss gesagt werden, warum das ganz und gar unmöglich ist, was sie da machen. Ich habe in den letzten Tagen in mehreren Texten die Schauspieleraktion unterstützt. Ich habe das nicht gemacht, weil ich etwa ganz ihrer Meinung wäre, ich habe da eher ein sehr differenziertes Bild. Aber ich habe es gemacht, weil ich glaube, dass sie Verteidigung verdient haben gegen einen übermächtigen Shitstorm.
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Tatsächlich hat es einen Tag Schockstarre gebraucht, dann haben sich langsam langsam am Samstag und am Sonntag die Gegenstimmen etwas lauter gemeldet.
Eine wichtige von ihnen, ist die von Harald Martenstein im Tagesspiegel. Titel »Wie Mäuler gestopft werden«. Er hatte offenbar den gleichen Eindruck, wie ich: »Dass viele Künstler mit vielem nicht einverstanden sind, war lange Standard, weltweit. Wer heute den Mut hat, sich gegen die Regierung
und gegen den mit ihr verbündeten Teil der öffentlichen Meinung zu stellen, erlebt seit Jahren das Gleiche, täglich grüßt das Murmeltier. Solche Leute werden diffamiert, man greift ihre persönliche Integrität an, in diesem Fall mit Worten wie 'Schreihälse', 'Unrat', 'eklig' oder 'nicht mehr dicht', alle aus Medienkommentaren, nicht aus der Dreckschleuder Twitter. ›Kritik‹ klingt anders. Muss ich erwähnen, woher man diese Tonlage kennt?
Hier sollen Mäuler gestopft
werden, es geht darum, einzuschüchtern. Eine Entscheidung, zu der es Alternativen gibt, wird als alternativlos dargestellt. Es wird so getan, als gehörten die Kritiker, die für viele sprechen, zu einer kleinen, radikalen Minderheit. Ihre Positionen werden, wenn überhaupt, nur verzerrt oder höhnisch dargestellt. … Wo bin ich, welches Jahr, welches Land?«
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Was der Bundesrepublik fehlt, in der Kultur wie in der Politik, ist der Streit. Wir leiden unter einem krankhaften Harmoniebedürfnis, und einer Unfähigkeit zu streiten.
Vielleicht ist es verräterisch, dass die gute alte Utopie der Linken einmal »Diktatur des Proletariats« hieß. Nicht Demokratie des Proletariats, nicht Proletariat in Vielfalt oder Republik des Proletariats. Nein: es ging um Diktatur. Man kann in dieser Phantasie eine Ausgeburt linker Pluralitätsverachtung sehen und in so manchen heutigen Phantasien, auch auf der Rechten lebt sie fort.
Stattdessen möchte ich für Streit(kultur) als Utopie plädieren. Streitkultur hingegen setzt etwas völlig anderes voraus. Die Dauerhaftigkeit wechselnder Parteibildungen, unvermeidliche immer neue Oppositionen. Ganz gleich, ob rechts oder links – Pluralismus moderner Gesellschaften und das, was man die Offenheit einer offenen Gesellschaft oder die Multikulturalität nennen kann, ist das Gegenteil jeder auf Identität zielender politischen Utopie.
Im Begriff der Partei liegt definitionsmäßig bereits angelegt, dass sie nur ein Teil des Ganzen sein will. Das brave deutsche Spießbürgertum hat aber seit jeher gegen Parteibildungen optiert. Parteiwille wurde gleichgesetzt mit Fraktionsbildung und spalterischen Interessen. Es war Ralf Dahrendorf, der größte und seltene Liberale unter den deutschen politischen Denkern, der von einer politischen Kultur »experimentelle Gesinnung, konkurrierende soziale Kräfte und freiheitliche Institutionen« einforderte.
Gegen unsere polemologische Inkompetenz, die Unfähigkeit zu streiten, brauchen wir dringend Streitkompetenz. Das Aushalten von Widerspruch, von Widersprüchen.
Und die Akzeptanz, dass sich die meisten Menschen nicht dafür interessieren, diskursive Moral-Fleißbienchen zu sammeln, in dem sie immer nur das Mantra wiederholen: Wir müssen Leben retten. Wir wollen doch alle das Gleiche. Wir müssen zusammenhalten. Wir brauchen Solidarität – Pustekuchen!
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Noch ein paar sehr knappe Gedanken und Denkanstöße:
- Dass ein Rundfunkrat der ARD jetzt den beteiligten Schauspielern mit Sanktionen droht, ist keine Überreaktion, sondern ein unfassbarer Übergriff. Wer irgendwelchen Querdenkern und Idioten Argumente geben will, von »Staatsmedien«, »DDR-Verhältnissen« und »Corona-Diktatur« zu reden, der muss so handeln, wie dieser SPD-Politiker.
- Noch schlimmer und an Gestapo-Methoden und die von Neonazis aufgestellten Feindeslisten erinnernd ist die Idee des Anfertigens von »Listen« von Followern und Social-Media-Profilen der betroffenen Schauspieler, und von Journalisten, die deren Verhalten nicht kritisieren, wie er jetzt unter anderem von dem Physiker und fanatischen Lockdown-Hardliner Cornelius Roemer verbreitet wird.
Wer das für eine Mär hält, kann sich dazu in diesen Artikel der »Berliner Zeitung«, die den Fall dankenswerter Weise aufgegriffen hat.
Wehret den Anfängen!
Unsere Medien müssen ihr Verhalten ändern. Sie sollten das schnell tun. Medien sollten zweifeln, sie sollten zaudern, sie sollten Verständnis für den Zorn haben und zwar nicht nur den eigenen. Und sie sollten die eigenen Uniformen zerreißen.
(to be continued)