Cinema Moralia – Folge 248
#alleskaltmachen |
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Jan Böhmermann über das Problem der deutschen Filmlandschaft am 30. April 2021 | ||
(Foto: ZDF Magazin Royal) |
»I am silver and exact. I have no preconceptions.
Whatever I see I swallow immediately
Just as it is, unmisted by love or dislike.
I am not cruel, only truthful.«
- Sylvia Plath
Wir sollten unempfindlicher werden. Empfindsamer für Kunst und andere Menschen, aber unempfindlicher für die Gefühle des Tages, für das, was wir als Verletzungen, als Attacken wahrnehmen. Wir sollten anderen nicht gestatten, uns zu beleidigen, aber uns selber nicht beleidigt zu sein. Wer beleidigt ist, gibt dem anderen Herrschaft über sich. Wozu? Die Tugend des Stolzes scheint ebenso aus der Mode gekommen, wie die der Seelenruhe. Abwehrkräfte der Vergangenheit.
Filme sind ein ganz guter Impfstoff gegen Empfindlichkeiten. Solcher Impfstoff ist vielleicht noch wichtiger, als der andere, der noch in seinen banalen Feinheiten – Biontech oder Moderna? – allzuviel Platz in unseren Gedanken einnimmt.
Filme trainieren die eigene Empfindsamkeit ebenso, wie die Fähigkeit, sich dem Ungewohnten, dem Überraschenden, dem Irritierenden zu öffnen, es mindestens auszuhalten.
Gute Filme sind wie gute Gedanken Herausforderungen – also das Gegenteil von Selbstoptimierung.
Freunde erkennt man daran, dass sie einen nicht schonen, einem Filme und Gedanken zumuten, mit denen man nicht gerechnet hat, die einem neu sind.
Keine Triggerwarnungen zu verlangen, sollte schon eine Frage des sozialen Anstands sein.
Wer keine Zumutungen will, will sich nicht mehr verändern. »Ich will so bleiben, wie ich bin.« lautet der Werbeslogan. Modische Begriffe wie »Achtsamkeit« verklären diese Haltung nur, können die dahinter stehende (Denk-)Faulheit aber kaum vertuschen. Sie bleiben eben Mode.
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Stellen wir uns mal einen Augenblick vor, ein paar Dutzend deutscher Schauspieler hätten sich in den vergangenen Monaten zusammengefunden, und öffentliche Kurz-Videos zu einer Aktion namens #alleskaltmachen aufgenommen, in denen eine Schauspielerin zum Beispiel unter Tränen schluchzt: »Ich habe Angst vor dem Klimawandel!« Und eine zweite ohne eingestreute Ironiesignale verkündet: »Wir müssen per Gesetz jetzt sofort alle Veganer werden!« Und einen dritten Kurzfilm, in dem ein Kölner Tatortkommisssar mit entschlossenem Gesichtsausdruck eine angebissene Currywurst in die Biotonne wirft, und sagt: »Ich möchte den Veggie-Day jeden Tag! Die Regierung muss alle Schnellrestaurants und alle Autos und alle Kohlekraftwerke sofort verbieten.« Und ein vierter Spot, in dem ein weiterer Tatortkommissar in der Sonne liegt und mit süffisanter Geste sagt: »Ich finde es toll, dass es jetzt in Hamburg auch so warm ist wie auf Malle!« – was wäre dann passiert?
Vermutlich hätte es breite öffentliche Zustimmung gegeben. Luisa Neubauer hätte die Videos im Netz geteilt und per Tweets unterstützt. Katrin Göring-Eckardt hätte sie auf Facebook geliked und hätte gesagt, »Es ist gut, dass sich Schauspieler in dieser wichtigen Frage engagieren.«
Filmorganisationen hätten den Hashtag #gleichausschalten ins Leben gerufen, in dem man öffentlich überlegt, wie Filmproduktion ohne Emissionen möglich ist – zum Beispiel wieder per
Kamerahandkurbel wie in den zwanziger Jahren und durch die Rückkehr zum Stummfilm, weil dadurch stromsparend aufs Ton-Department verzichtet werden kann. Filmförderer hätten die Zentralisierung der gesamten deutschen Filmproduktion in Berlin gefordert, weil das natürlich lästige Reisekosten spart. Die leerstehenden Filmstudios in anderen Teilen der Republik könnten rückgebaut und in Ateliers für Startups umgewandelt werden, die sich mit nachhaltiger Klimaneutralität
beschäftigen.
Niemand hätte sich mit Kleinigkeiten aufgehalten, also der Frage, ob man statt von Klimawandel vielleicht nicht besser von »Erderwärmung« sprechen sollte, denn ein Klimawandel war ja auch schon die Eiszeit. Und ob nicht politisch korrekterweise die Vokabel »menschengemacht« hinzugefügt werden müsste, um die Schuldfrage klar zu stellen. Niemand hätte sich darüber aufgeregt, ob der Vergleich zwischen Hamburg und Mallorca vielleicht zynisch ist gegenüber den Menschen in der
Sahelzone, für die Erderwärmung noch etwas anderes bedeutet, als für deutsche Schauspieler. Und niemand hätte über missverständliche Ironie philosophiert, oder den Schauspielern vorgeworfen, dass sie Argumente für eine Öko-Diktatur zitieren, oder dass ihre Videos Bio-Terroristen ermutigen könnten.
Die wöchentliche Maybrit-Illner-Sendung hätte die Aktion allerdings links liegen gelassen und Wichtigeres verhandelt: »Neue Mutti brauch das Land: Was bringt eine Kanzlerin
Annalena Baerbock?!« Oder: »Vom Team Lockerung zum Team Dauerstreit: Spaltet Laschet die CDU?«
Dummerweise haben sich die 51 deutschen Schauspieler in #allesdichtmachen aber zur Corona-Pandemie geäußert. In diesem Fall ist mal wieder alles ganz anders. Einmal mehr wird die Pandemie zum Lackmustest – diesmal für die Verfassung der deutschen Öffentlichkeit.
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Ich werde in den nächsten Tagen noch einiges mehr zu #allesdichtmachen schreiben, und wer das jetzt als Drohung empfindet, oder davon genervt ist, muss es ja nicht lesen.
Aber diese Aktion und insbesondere ihr öffentlicher Umgang damit verraten zu viel über die Mechanismen unserer Öffentlichkeit, über die asozialen Netzwerke, in denen wir kommunizieren, über die Folgenlosigkeit unseres Redens von Empathie, über das Verlernen des Zuhörens und Wohlwollens, als dass man es
einfach übergehen sollte.
Sie verraten auch viel über unsere Filmkultur, und die latente Verachtung für Kino und Kinokünstler, zu denen Schauspieler ja gehören, auch unter denen, die gern vorgeben, das alles zu lieben.
Schauspieler, das konnte man gut beobachten, haben zu parieren, und wenn sie es nicht tun, wenn sie den Rahmen des Zugelassenen und von den Verwaltern von Anstand und öffentlicher Moral Erlaubten verlassen, dann weist man sie zurecht. Als ob es kein Recht auf Irrtum und Dummheit gäbe
– falls sie das hier in Anspruch genommen haben. Könnte man an sie Rücktrittsforderungen stellen, wie Politiker, wäre das in den letzten Tagen geschehen, jedenfalls bei manchen: Jan Josef Liefers redet zuviel, lautet der Vorwurf, Volker Bruch zu wenig, Dietrich Brüggemann mit den Falschen oder nicht mit den Richtigen (beim Tagesspiegel).
Wie schnell man dabei war mit Generalverdacht und übler Nachrede...
Ich kenne Volker Bruch nicht persönlich, und kann über seine Gedanken und politischen Ansichten nichts sagen, aber es hätte doch einigen auffallen können, dass man einen Mann, den man noch vor sechs Monaten für seine Initiative pro Flüchtlinge (»Los für Lesbos«) gefeiert hat, jetzt nicht im Verlagshaus öffentlich teeren und federn und als Nazi(-Sympathisanten) hinstellen kann.
Glaubt man ernsthaft, und will man gern unterstellen, dass Heike Makatsch, Richy Müller, Hanns Zischler, Inka Friedrichs, Ulrich Tukur oder Wotan Wilke Möhring Corona-Tote verhöhnen wollen oder mit den Rechtsextremisten sympathisieren?
Sind hier alle noch bei Sinnen? Was ist hier eigentlich los?
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Bin ich eigentlich der einzige, der die Ausführungen Jan Böhmermanns zum deutschen Film ziemlich enttäuschend findet?
Die Kritik an der Absurdität deutscher Filmfinanzierung, am albernen Filmtourismus und an dem im Prinzip guten, in der Praxis monarchistischen und autoritären Intendantenprinzip – geschenkt!
Aber was bleibt sonst? Viel zu lange hält sich Böhmermann mit Filmen auf, von denen niemand, den ich kenne, jemals irgendetwas gehört hat, mit grotesken Titeln, Peniswitzen und Nacktheit.
Nichts dagegen erfährt man zum Beispiel über die persönlichen Verflechtungen in der Branche. Nichts erfährt man über die Macht der Gremien. Nichts über die in verschiedenen Formen grassierende Korruption. Nichts über Jurys, die nach ihren Entscheidungen Anrufe von Produzenten bekommen, die nicht gefördert wurden und von denen die Jurys nun unter Druck gesetzt werden, worauf sie von der betreffenden Förderinstitution nicht den geringsten Schutz erhalten. Nichts über die
idiotischen Vorgaben, mit denen Förderer in künstlerische Freiheiten eingreifen. Nichts über die immer wieder von Produzenten eingeforderte, bisher nie geleistete Transparenz der Jurybesetzungen bei der FFA; nichts über die fehlende Transparenz der Gründe für Juryentscheidungen und vorausgehende Debatten.
Nichts über die Zusammensetzung von Gremien. Nichts über die Berlinale und Dieter Kosslick. Nichts über den deutschen Filmpreis. Nichts über die Vermischung von
Kultur und Wirtschaft, die weder wirtschaftlich ist, noch der Kunst dient.
Nichts, nichts, nichts...
Man kann das nun alles relativieren, und sagen »besser als nichts« oder »immerhin ein Anstoß«, man kann Gremienbashing reaktionär finden, oder darüber meckern, dass ich meckere, und das ist auch alles irgendwie richtig und irgendwie auch wieder nicht.
Aber Böhmermann greift das System nicht an, sondern kratzt an der Oberfläche. Nach dieser Sendung hat niemand unter den kulturpolitisch Verantwortlichen schlaflose Nächte.
Ich hätte mir mehr versprochen, zumal ich weiß, dass ich nur einer von vielen war, mit denen das Rechercheteam sich eine Stunde oder länger unterhalten hat. Und dass in diesen Gesprächen vieles zur Sprache kam, was in Böhmermann Sendung jetzt keinen Platz bekommen hat- eine Enttäuschung, gerade für einen Satiriker, der ja Mut genug hat. Den Mut, Julia Stoschek und die Nazivergangenheit ihrer Familie zu benennen, der den Mut hat, den Burda-Clan anzugreifen, der sich für keinen
plumpen Politikerwitz zu schade ist– in diesem Fall sich aber doch ziemlich aus der Affäre zieht.
Enttäuschend!
Beziehungsweise sagt es natürlich auch alles über den deutschen Film aus, dass ihn selbst Böhmermann nicht erklären kann, und nicht zu greifen kriegt.
(to be continued)