06.05.2021
Cinema Moralia – Folge 248

#alles­kalt­ma­chen

ZDF Royal
Jan Böhmermann über das Problem der deutschen Filmlandschaft am 30. April 2021
(Foto: ZDF Magazin Royal)

Wir sollten unempfindlicher werden: Schauspieler gegen Erderwärmung und Böhmermann gegen den deutschen Film – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 248. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»I am silver and exact. I have no precon­cep­tions.
Whatever I see I swallow imme­dia­tely
Just as it is, unmisted by love or dislike.
I am not cruel, only truthful.«

- Sylvia Plath

Wir sollten unemp­find­li­cher werden. Empfind­samer für Kunst und andere Menschen, aber unemp­find­li­cher für die Gefühle des Tages, für das, was wir als Verlet­zungen, als Attacken wahr­nehmen. Wir sollten anderen nicht gestatten, uns zu belei­digen, aber uns selber nicht beleidigt zu sein. Wer beleidigt ist, gibt dem anderen Herr­schaft über sich. Wozu? Die Tugend des Stolzes scheint ebenso aus der Mode gekommen, wie die der Seelen­ruhe. Abwehr­kräfte der Vergan­gen­heit.

Filme sind ein ganz guter Impfstoff gegen Empfind­lich­keiten. Solcher Impfstoff ist viel­leicht noch wichtiger, als der andere, der noch in seinen banalen Fein­heiten – Biontech oder Moderna? – allzuviel Platz in unseren Gedanken einnimmt.

Filme trai­nieren die eigene Empfind­sam­keit ebenso, wie die Fähigkeit, sich dem Unge­wohnten, dem Über­ra­schenden, dem Irri­tie­renden zu öffnen, es mindes­tens auszu­halten.
Gute Filme sind wie gute Gedanken Heraus­for­de­rungen – also das Gegenteil von Selbst­op­ti­mie­rung.

Freunde erkennt man daran, dass sie einen nicht schonen, einem Filme und Gedanken zumuten, mit denen man nicht gerechnet hat, die einem neu sind.

Keine Trig­ger­war­nungen zu verlangen, sollte schon eine Frage des sozialen Anstands sein.

Wer keine Zumu­tungen will, will sich nicht mehr verändern. »Ich will so bleiben, wie ich bin.« lautet der Werbe­slogan. Modische Begriffe wie »Acht­sam­keit« verklären diese Haltung nur, können die dahinter stehende (Denk-)Faulheit aber kaum vertu­schen. Sie bleiben eben Mode.

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Stellen wir uns mal einen Augen­blick vor, ein paar Dutzend deutscher Schau­spieler hätten sich in den vergan­genen Monaten zusam­men­ge­funden, und öffent­liche Kurz-Videos zu einer Aktion namens #alles­kalt­ma­chen aufge­nommen, in denen eine Schau­spie­lerin zum Beispiel unter Tränen schluchzt: »Ich habe Angst vor dem Klima­wandel!« Und eine zweite ohne einge­streute Ironie­si­gnale verkündet: »Wir müssen per Gesetz jetzt sofort alle Veganer werden!« Und einen dritten Kurzfilm, in dem ein Kölner Tatort­kom­misssar mit entschlos­senem Gesichts­aus­druck eine ange­bis­sene Curry­wurst in die Biotonne wirft, und sagt: »Ich möchte den Veggie-Day jeden Tag! Die Regierung muss alle Schnell­re­stau­rants und alle Autos und alle Kohle­kraft­werke sofort verbieten.« Und ein vierter Spot, in dem ein weiterer Tatort­kom­missar in der Sonne liegt und mit süffi­santer Geste sagt: »Ich finde es toll, dass es jetzt in Hamburg auch so warm ist wie auf Malle!« – was wäre dann passiert?

Vermut­lich hätte es breite öffent­liche Zustim­mung gegeben. Luisa Neubauer hätte die Videos im Netz geteilt und per Tweets unter­s­tützt. Katrin Göring-Eckardt hätte sie auf Facebook geliked und hätte gesagt, »Es ist gut, dass sich Schau­spieler in dieser wichtigen Frage enga­gieren.«
Film­or­ga­ni­sa­tionen hätten den Hashtag #gleich­aus­schalten ins Leben gerufen, in dem man öffent­lich überlegt, wie Film­pro­duk­tion ohne Emis­sionen möglich ist – zum Beispiel wieder per Kame­ra­hand­kurbel wie in den zwanziger Jahren und durch die Rückkehr zum Stummfilm, weil dadurch strom­spa­rend aufs Ton-Depart­ment verzichtet werden kann. Film­för­derer hätten die Zentra­li­sie­rung der gesamten deutschen Film­pro­duk­tion in Berlin gefordert, weil das natürlich lästige Reise­kosten spart. Die leer­ste­henden Film­stu­dios in anderen Teilen der Republik könnten rück­ge­baut und in Ateliers für Startups umge­wan­delt werden, die sich mit nach­hal­tiger Klima­neu­tra­lität beschäf­tigen.

Niemand hätte sich mit Klei­nig­keiten aufge­halten, also der Frage, ob man statt von Klima­wandel viel­leicht nicht besser von »Erder­wär­mung« sprechen sollte, denn ein Klima­wandel war ja auch schon die Eiszeit. Und ob nicht politisch korrek­ter­weise die Vokabel »menschen­ge­macht« hinzu­ge­fügt werden müsste, um die Schuld­frage klar zu stellen. Niemand hätte sich darüber aufgeregt, ob der Vergleich zwischen Hamburg und Mallorca viel­leicht zynisch ist gegenüber den Menschen in der Sahelzone, für die Erder­wär­mung noch etwas anderes bedeutet, als für deutsche Schau­spieler. Und niemand hätte über miss­ver­s­tänd­liche Ironie philo­so­phiert, oder den Schau­spie­lern vorge­worfen, dass sie Argumente für eine Öko-Diktatur zitieren, oder dass ihre Videos Bio-Terro­risten ermutigen könnten.
Die wöchent­liche Maybrit-Illner-Sendung hätte die Aktion aller­dings links liegen gelassen und Wich­ti­geres verhan­delt: »Neue Mutti brauch das Land: Was bringt eine Kanzlerin Annalena Baerbock?!« Oder: »Vom Team Lockerung zum Team Dauer­streit: Spaltet Laschet die CDU?«

Dummer­weise haben sich die 51 deutschen Schau­spieler in #alles­dicht­ma­chen aber zur Corona-Pandemie geäußert. In diesem Fall ist mal wieder alles ganz anders. Einmal mehr wird die Pandemie zum Lack­mus­test – diesmal für die Verfas­sung der deutschen Öffent­lich­keit.

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Ich werde in den nächsten Tagen noch einiges mehr zu #alles­dicht­ma­chen schreiben, und wer das jetzt als Drohung empfindet, oder davon genervt ist, muss es ja nicht lesen.
Aber diese Aktion und insbe­son­dere ihr öffent­li­cher Umgang damit verraten zu viel über die Mecha­nismen unserer Öffent­lich­keit, über die asozialen Netzwerke, in denen wir kommu­ni­zieren, über die Folgen­lo­sig­keit unseres Redens von Empathie, über das Verlernen des Zuhörens und Wohl­wol­lens, als dass man es einfach übergehen sollte.

Sie verraten auch viel über unsere Film­kultur, und die latente Verach­tung für Kino und Kino­künstler, zu denen Schau­spieler ja gehören, auch unter denen, die gern vorgeben, das alles zu lieben.
Schau­spieler, das konnte man gut beob­achten, haben zu parieren, und wenn sie es nicht tun, wenn sie den Rahmen des Zuge­las­senen und von den Verwal­tern von Anstand und öffent­li­cher Moral Erlaubten verlassen, dann weist man sie zurecht. Als ob es kein Recht auf Irrtum und Dummheit gäbe – falls sie das hier in Anspruch genommen haben. Könnte man an sie Rück­tritts­for­de­rungen stellen, wie Politiker, wäre das in den letzten Tagen geschehen, jeden­falls bei manchen: Jan Josef Liefers redet zuviel, lautet der Vorwurf, Volker Bruch zu wenig, Dietrich Brüg­ge­mann mit den Falschen oder nicht mit den Richtigen (beim Tages­spiegel).

Wie schnell man dabei war mit Gene­ral­ver­dacht und übler Nachrede...

Ich kenne Volker Bruch nicht persön­lich, und kann über seine Gedanken und poli­ti­schen Ansichten nichts sagen, aber es hätte doch einigen auffallen können, dass man einen Mann, den man noch vor sechs Monaten für seine Initia­tive pro Flücht­linge (»Los für Lesbos«) gefeiert hat, jetzt nicht im Verlags­haus öffent­lich teeren und federn und als Nazi(-Sympa­thi­santen) hinstellen kann.

Glaubt man ernsthaft, und will man gern unter­stellen, dass Heike Makatsch, Richy Müller, Hanns Zischler, Inka Fried­richs, Ulrich Tukur oder Wotan Wilke Möhring Corona-Tote verhöhnen wollen oder mit den Rechts­extre­misten sympa­thi­sieren?

Sind hier alle noch bei Sinnen? Was ist hier eigent­lich los?

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Bin ich eigent­lich der einzige, der die Ausfüh­rungen Jan Böhmer­manns zum deutschen Film ziemlich enttäu­schend findet?

Die Kritik an der Absur­dität deutscher Film­fi­nan­zie­rung, am albernen Film­tou­rismus und an dem im Prinzip guten, in der Praxis monar­chis­ti­schen und auto­ri­tären Inten­dan­ten­prinzip – geschenkt!

Aber was bleibt sonst? Viel zu lange hält sich Böhmer­mann mit Filmen auf, von denen niemand, den ich kenne, jemals irgend­etwas gehört hat, mit grotesken Titeln, Penis­witzen und Nacktheit.

Nichts dagegen erfährt man zum Beispiel über die persön­li­chen Verflech­tungen in der Branche. Nichts erfährt man über die Macht der Gremien. Nichts über die in verschie­denen Formen gras­sie­rende Korrup­tion. Nichts über Jurys, die nach ihren Entschei­dungen Anrufe von Produ­zenten bekommen, die nicht gefördert wurden und von denen die Jurys nun unter Druck gesetzt werden, worauf sie von der betref­fenden Förder­insti­tu­tion nicht den geringsten Schutz erhalten. Nichts über die idio­ti­schen Vorgaben, mit denen Förderer in künst­le­ri­sche Frei­heiten eingreifen. Nichts über die immer wieder von Produ­zenten einge­for­derte, bisher nie geleis­tete Trans­pa­renz der Jury­be­set­zungen bei der FFA; nichts über die fehlende Trans­pa­renz der Gründe für Jury­ent­schei­dungen und voraus­ge­hende Debatten.
Nichts über die Zusam­men­set­zung von Gremien. Nichts über die Berlinale und Dieter Kosslick. Nichts über den deutschen Filmpreis. Nichts über die Vermi­schung von Kultur und Wirt­schaft, die weder wirt­schaft­lich ist, noch der Kunst dient.
Nichts, nichts, nichts...

Man kann das nun alles rela­ti­vieren, und sagen »besser als nichts« oder »immerhin ein Anstoß«, man kann Gremi­en­bas­hing reak­ti­onär finden, oder darüber meckern, dass ich meckere, und das ist auch alles irgendwie richtig und irgendwie auch wieder nicht.

Aber Böhmer­mann greift das System nicht an, sondern kratzt an der Ober­fläche. Nach dieser Sendung hat niemand unter den kultur­po­li­tisch Verant­wort­li­chen schlaf­lose Nächte.

Ich hätte mir mehr verspro­chen, zumal ich weiß, dass ich nur einer von vielen war, mit denen das Recher­che­team sich eine Stunde oder länger unter­halten hat. Und dass in diesen Gesprächen vieles zur Sprache kam, was in Böhmer­mann Sendung jetzt keinen Platz bekommen hat- eine Enttäu­schung, gerade für einen Satiriker, der ja Mut genug hat. Den Mut, Julia Stoschek und die Nazi­ver­gan­gen­heit ihrer Familie zu benennen, der den Mut hat, den Burda-Clan anzu­greifen, der sich für keinen plumpen Poli­ti­ker­witz zu schade ist– in diesem Fall sich aber doch ziemlich aus der Affäre zieht.
Enttäu­schend!

Bezie­hungs­weise sagt es natürlich auch alles über den deutschen Film aus, dass ihn selbst Böhmer­mann nicht erklären kann, und nicht zu greifen kriegt.

(to be continued)