Cinema Moralia – Folge 252
Das Muster der Tapete überwältigt die Gefühle |
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Gehört, gelesen, zitiert: im »Filmdienst« ein Gespräch zu Kinobauten | ||
(Foto: © Beat Presser / Filmdienst) |
»Merken Sie sich folgendes: Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr.«
Erich Kästner, »Fabian«»Es beginnt sich womöglich auch in Deutsch-Fernsehland die Erkenntnis durchzusetzen, dass die epische (und auch komplexe) Erzählweise, die die Produktionen des Serienwunders sich herausnehmen, die womöglich einzige Abwehrchance gegen das Abwandern eines großen Publikumsteils zu Spezialanbietern darstellt. Und Potential dafür hat lagerfeuerbildend zu sein.
Dass sie nebenbei auch Medienkompetenz bzw. politische Bildung vermitteln können und somit einen zutiefst öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen, kommt als icing on the cake dazu.«
Martin Blumenau
Ich hätte ihn gern gekannt. Vielleicht hätten wir uns blöd gefunden. Aber es wäre den Versuch wert gewesen. Und selbst wenn, wäre es eine gegenseitige Bereicherung gewesen.
Der österreichische Journalist und Hörfunkmoderator Martin Blumenau ist gestorben. Eher durch Zufall lese ich einen Nachruf, dann noch einen, dann Wikipedia, dann seine Texte und so schält sich allmählich das Bild eines Menschen und Autors aus alldem hervor: »Und man gab ihm doch recht. Leidenschaft regiert, okay. Und wenn er Unsinn sagte, etwa dass Bob Dylans Feuer längst erloschen sei, verzieh man ihm, weil er es so feurig sagte. Oder weil er so frech grinste dabei.« Der Mann schrieb ausgezeichnet, über Fußball, über Bücher, Musik und Filme, und vor allem über Medien. Also über seinesgleichen, den Wandel des Journalismus, der auch ihm wie ein Verfall vorkam. Blumenau stritt sich, kritisierte Kollegen, kannte weder Angst noch Empfindlichkeiten. Davon könnten viele deutsche Kollegen lernen.
In einem Blogbeitrag, der »Das Ende des Sportjournalismus. Das Ende des Journalismus?« betitelt ist, macht er 2011 zum Beispiel klar, dass die Abschaffung der Sportredaktion in der »Presse« nur ein Vorbote eines allgemeinen Outsourcing, Copy-Paste-Berichten und sonstigem Post-Journalismus unter »Produktunterstützungs-« und PR-Kuratel darstellt.
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An der Berliner »Akademie der Künste« führte ich am Dienstag ein öffentliches Gespräch mit Bettina Böhler und Edgar Reitz über »Film als Erinnerungsarbeit«; also über Erinnerung als philosophischen Begriff verstanden – und deren Facetten nicht zuletzt im Film.
Ein überraschend anregender Abend.
Wie wird der Begriff der
Erinnerungsarbeit definiert? Edgar Reitz erklärte in der Ausstellung »Wenn wir Film montieren, leisten wir Erinnerungsarbeit« und schlug damit implizit die Brücke zu seiner Gesprächspartnerin.
Erinnerung im Film ist ein komplexer Vorgang. Denn jeder Film existiert nur in der Gegenwart. Wir sehen niemals ein zweites Mal den gleichen Film.
Zudem führt die Objektivität des Kameraobjektivs dazu, eine Art gesteigerte, objektivierte Erinnerung zu erzeugen. Wenn wir uns an einem Raum aus unserer Kindheit erinnern, dann sehen wir kaum Details, aber wir fühlen die Atmosphäre und unsere seinerzeitige Stimmung. Wenn dieser Raum aber auf einem Film festgehalten ist, dann
erkennen wir vieles, was wir längst vergessen haben. Das Muster der Tapete überwältigt das Muster der Emotionen, die Dinge regieren über die Gefühle.
Welches Gedächtnis meinen wir überhaupt, wenn wir von Erinnerung sprechen? Meinen wir das kollektive Gedächtnis oder das individuelle? Oder wie verschränken die beiden sich miteinander?
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Im Filmdienst führte Lars Henrik Gass mit dem FAZ-Kritiker und Roman-Autor Niklas Maak ein überaus lesenswertes Gespräch über die Zukunft von Kulturbauten und des Kinos.
»Natürlich gibt es eine kritische Geschichte des Theaters und des Museums«, erklärt Maak dort, »aber letzten Endes wurde die Form des Kulturtempels immer wieder aus dem Tempel
heraus in Frage gestellt, durch neue Formen von Kunst, etwa jener Art, die als Land Art tatsächlich das ganze Land miteinbegriff – oder als Performance Art extrem auch den städtischen Raum. Aber der Ort, an dem das verhandelt wird, ist immer das Museum geblieben. (...) Auch dadurch, dass nur bestimmte Leute Kuratoren werden, dass nur bestimmte Leute die Definition, was Kultur ist, in der Hand haben, bleiben wir – bei allem kritischen Anspruch – immer noch im White
Cube stecken. Und der White Cube ist ja auch ein sozioökonomischer ›White‹ Cube. Wenn wir schauen, aus welchen sozialen Milieus eigentlich Kuratorinnen und Kuratoren stammen – wer kann es sich überhaupt leisten, Kurator zu werden? – dann erkennt man, dass große Bevölkerungsschichten gar nicht in der Lage sind, diese kulturelle Sphäre zu betreten, weil es ökonomisch unmöglich ist. ... Deswegen haben wir heute bei allen Kritikalitätsgirlanden, die der
Kulturbetrieb rituell aufhängt, letzten Endes trotz aller Ausnahmen insgesamt ein sehr homogenes, immer noch sehr weißes, immer noch einer bestimmten oberen Mittelklasse entstammendes Milieu, aus dem sich die Entscheider rekrutieren.«
Diese Überlegungen münden in eine Verteidigung analoger Orte: »Ich glaube, dass die Behauptung, dass wir Kultur bald nur noch über digitale Endgeräte wahrnehmen, von Interessengruppen in die Welt gesetzt wurde. Wenn ich einen Digitalkonzern leite oder ein Start-Up für eine Theater-App, dann würde ich auch behaupten, dass keiner mehr ins Theater geht. Auch während der Corona-Zeit hat sich ja ein enormes Bedürfnis gezeigt, ins Museum oder ins Theater zu gehen und damit in einen physischen Erfahrungsraum einzutreten. Ich glaube, dass es dumm ist, das Digitale und die physische Erfahrung gegeneinander auszuspielen. Es wird bestimmt kulturelle Angebote geben, die sich dezentral verteilen. Es wird Möglichkeiten geben, morgens um elf ein Theaterstück zu sehen. Man muss das nicht gegen den physischen Erfahrungsraum der Kultur in der Stadt ausspielen...«
Andererseits sehe man »gerade in Berlin, wo das gesamte Geld wie mit einem Staubsauger auf die Museumsinsel und ans Kulturforum abgezogen wird; man baut dort im Prinzip Cluster, die eigentlich an ein feudales Konzept erinnern. Man will einen Louvre haben, einen Bilbao-Effekt, man schmeißt alles an einen Ort und blutet dafür – in Berlin ist das deutlich zu sehen – alle dezentralen Orte aus. Ich finde, das ist ein skandalöser Kulturbegriff, weil er eigentlich davon ausgeht, dass Kultur ein Renommieren an einem zentralen Ort bedeutet, während das Durchdringen des Alltags mit Werken der Kultur gar nicht mehr möglich ist, da man ja alles auf eine Stelle konzentriert.«
Und weiter: »Eine Stadtgesellschaft war immer ein Raum, der Freiheit, Selbstverantwortung, Abenteuer und Experimente ermöglichte; die Voraussetzung dafür ist informationelle Selbstbestimmung. Das ist auch eine Basis für elementare Kulturproduktion. Man bräuchte, wenn man über Kulturbauten nachdenkt, also nicht nur Theater, Museen oder Kinos, sondern auch ein Centre Pompidou für das digitale Zeitalter.
Das sind enorme Werte, die wir mit diesen Daten als Gesellschaft
generieren, wenn wir sie nicht freiwillig weggeben; mit denen könnten wir kulturelle Experimente finanzieren und uns eine gerechtere Bildungsverteilung leisten.«
Dann reden beide auch konkret über das Kino. Aber das sollte man hier nachlesen.
(to be continued)