Cinema Moralia – Folge 254
Man kann einen Club nur als Mitglied reformieren |
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Am Ende glauben die Macher von Fack ju Göhte noch selbst, dass das hier Filmkunst ist | ||
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH / Christoph Assmann) |
»Gelingende Kommunikation muss im operativen Geschäft schneller, direkter, offener und persönlicher werden, erst recht unter den Bedingungen digitaler sozialer Medien, die einzelne politische Akteurinnen unmittelbaren Diskussions Zusammenhang mit Bürgern bringen.
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Eng verknüpft mit der Aufgabe konsistent zu kommunizieren, ist die Aufgabe, zentrale Themenstränge kontinuierlich zu verfolgen. Es ist notwendig, klare, wertebezogene Grundbotschaften zu entwickeln und in der öffentlichen Kommunikation auch so oft zu wiederholen und weiterzutragen, dass sie erkennbar und mit der Partei verknüpft werden. Deshalb darf Kommunikation nicht punktuell gedacht werden, sondern bedarf der Ausdauer und Geduld.
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Aus der Addition von klug angesprochenen Einzelthemen ergibt sich noch keine Strategie. Wer erfolgreich kommunizieren will, muss eine auf die grundlegenden Werteframes bezogene und in sich stimmige Geschichte erzählen, in der die einzelnen Aspekte zueinander sinnvoll passen.«
Carsten Brosda, Kultursenator der Hansestadt Hamburg
Der Aufbruch in Deutschland muss auch ein Aufbruch der Filmpolitik sein. Aber will der deutsche Film mit der Ampel überhaupt einen Aufbruch wagen?
Es gibt im Augenblick wenig Ermüdenderes, als die billige FDP-»Skepsis« in linksliberalen Kreisen. Man sollte sich besser auf die offen liegenden Gemeinsamkeiten konzentrieren. Die Ampel ist die seltene Chance zu einer progressiven Politik.
Wer hat vor ihr Angst?
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Man sollte nicht Fernsehen schauen. Wenn man es doch tut, kann es einem passieren, dass man, wie ich neulich, plötzlich auf einen James-Bond-Film trifft: Leben und sterben lassen, der erste Film mit Roger Moore und das noch auf Englisch. Darin Jane Seymour, das unvergessliche Medium und Bond-Girl und überhaupt der Glaube ans Kartendeck und die Wahrheit, die es zu offenbaren behauptet.
Darin auch, lange vor »Black Lives Matter«, eine schwarze Frau, die eine Agentin spielt, in weißem Kleid, und die dann im Schlafzimmer ihre Afro-Locken-Perücke ablegt. Da sieht man, wovon die Macher von No Time to Die geklaut haben, und es war um 1971 bestimmt ein antirassistisches Statement, dass dieser Bond mit einer schwarzen Frau ins Bett geht. Das können sich die woken Anwälte des Antirassismus von heute nicht mehr vorstellen, – denn Bond ist ja ein Rassist.
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Monika Grütters war in den acht Jahren, in denen sie als Kulturstaatsministerin amtierte, sowieso für den deutschen Film nie eine liebende Mutter wie für das preußische Stadtschloss. Sie war auch nie eine sanfte Erzieherin, sondern sie war immer eine strenge Gouvernante. Wie es solche strengen Gouvernanten an sich haben, wollte sie vor allem Liebesbekundungen seitens ihrer Schützlinge. Wenn sie die dann bekam, dann war sie gnädig, dann war sie bereit, umgekehrt jenen Schützlingen auch das ein oder andere zukommen zu lassen.
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In zwei Monaten spätestens wird es einen neuen Kulturstaatsminister geben, vermutlich einen Sozialdemokraten. Das wird den deutschen Film verändern, und es wird ihn vor Aufgaben stellen, die er seit 20 Jahren nicht gewohnt ist.
Eine in jeder Hinsicht gute Nachricht.
Der deutsche Film steht damit sowohl vor strategischen Aufgaben wie vor handwerklichen Übersetzungsleistungen. Die handwerkliche Übersetzungsleistung ist zum Beispiel eine Forderung wie die, mehr Geld in die Stoffentwicklung zu geben.
Wichtiger aber sind die strategischen Aufgaben. Dazu gehören zum einen einige grundsätzliche Entscheidungen, die relativ früh zu treffen sind. Die Trennung von Wirtschaftsförderung und Kunstförderung wäre eine solche
Entscheidung. Die Abspaltung der Fernsehsender, also die Entscheidung, dass Fernsehsender nicht länger die Türsteher für Filmproduktionen sind, sondern dass sie möglicherweise sogar eine Ankaufs-Verpflichtung für bestimmte Filmproduktionen haben, wie das etwa in Österreich eine Selbstverständlichkeit ist, wäre eine weitere solche strategische Grundsatzentscheidung.
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Der Aufbruch in Deutschland muss auch ein Aufbruch der Filmpolitik sein.
Aber: Man kann einen Club nur als Mitglied reformieren.
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Es gibt viele Lebenslügen den deutschen Film betreffend. Einer davon ist das Gerede von der angeblichen »Filmflut«. Das ist nicht nur in der Formulierung ein ideologischer Begriff. Eine Flut suggeriert die Überflutung, die Katastrophe. Gegen Fluten baut man Dämme. Eine Filmflut gibt es so wenig wie eine »Flüchtlingsflut«.
Umgekehrt wird es präziser: Es kann gar nicht genug gute deutsche Filme geben. Es gibt zu viele schlechte deutsche Filme.
Filmflut ist nicht das Problem. Viel wichtiger ist eine Klarstellung des Erfolgsbegriffs: Der erste Schritt wäre eine Einordnung der Fördersumme im Verhältnis zum Zuschauer.
Der zweite wäre, Film als Kunst und Kulturgut anzuerkennen. Wäre Film Kunst, würde man ästhetische Diversität, Mut und Experiment belohnen.
Der dritte Schritt wäre die Neubestimmung der Rolle der Sender. Weil sie selber eine neue Rolle suchen und ihre Rolle neu definieren.
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Wie geht es dem deutschen Film? »Dem deutschen Film geht es ncht gut«, stellt die BKM in einem neuen Papier fest. Gemeint ist nicht Corona.
Nicht zufällig haben französische Filme in Cannes und Venedig gewonnen. Ein Film wie Titane, ein Film wie Zombi Child wäre in Deutschland unmöglich.
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Der Deutsche Kulturrat hat einige bemerkenswerte, inhaltlich wie formal überzeugende Forderungen in die noch nicht anberaumten Koalitionsverhandlungen hineingeworfen.
Verbände des deutschen Films könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Werden sie?
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Der deutsche Film braucht mehr Geld. Das ist klar. Die Etats müssen erhöht werden. Aber sie sollten erst dann erhöht werden, wenn die Rahmenbedingungen dafür geschaffen sind, dass dieses Geld auch zielführend eingesetzt wird. Wir haben gesehen, dass die BKM zuletzt 15 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt hat, die sinnlos in der deutschen Kinowüste versandet sind.
Die Logik, den Staat um immer mehr Geld anzubetteln, führt im Filmbereich nicht mehr weiter. Wichtiger ist es, das vorhandene viel zu viele Geld endlich sinnvoll einzusetzen.
Die zum deutschen Film veröffentlichten Wahlprüfsteine der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien geben überraschend viel Aufschluss über die Haltung, mit der die deutschen Parteien, insbesondere die zukünftigen Regierungsparteien, auf den Film blicken.
Es finden sich dort unter anderem auch dankenswerterweise schriftliche Commitments und Selbstverpflichtungen zur Erhöhung der Kulturetats.
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Die Menschen, die Film als Ware sehen, insbesondere im Bereich der Filmproduktion, des Filmverleihs und des Kinobetriebs, sollen und dürfen das tun.
Es gibt aber auch Menschen, die Film als Kunstwerk begreifen, und sich selbst als Künstler. Auch diese sollen und dürfen das tun.
Das essentielle Konfliktthema des deutschen Films ist die Frage, wie diese beiden Seiten zusammen gehen? Wie können sie verbunden oder institutionell zusammengeführt werden?
Dies geht aus meiner Sicht nicht mit Vermischungen beider Ebenen, auch wenn sich selbstverständlich mit mancher Filmkunst Geld verdienen lässt, und wenn ebenso
selbstverständlich manche kommerziell gedachten Filme und geplanten Filme sich im Nachhinein als Kunstwerke entpuppen.
Auf der Ebene der Produktion und der Förderung dieser Filme müssen beide Ebenen aber streng auseinandergehalten werden.
Die Vermischung beider Bereiche ist das Grundübel des deutschen Filmschaffens.
Diese Vermischung zwingt Filmkünstler, so zu tun, als könnten sie am Markt mit einem kunstfeindlichen Film wie Fack ju Göhte oder mit Til-Schweiger-Produkten mithalten. Und sie zwingt Kommerzfilmer wie die Constantin oder Til Schweiger, so zu tun, als wäre das, was sie in den Markt werfen, Filmkunst. Und im schlimmsten Fall zwingt es sie, das auch noch selber zu glauben.
(to be continued)