Cinema Moralia – Folge 262
Meta meta meta |
||
Gefangen in der Matrix, dem Durch-und-durch-Metaverse | ||
(Foto: Warner Bros. Entertainment) |
Zwei Beobachtungen in diesen Tagen. Vorige Woche, vor Beginn der Pressevorführung von Spider-Man: No Way Home: »Bitte nicht spoilern!!«, kam zur Begrüßung, statt des »Guten Morgen!« Kurz dachte ich: Wie? Gibt es da etwa was echt Überraschendes? Am Ende hat der kleine Spinnenmann dann wieder nur die Welt und vor allem sich selbst gerettet.
Aber trotzdem: Was soll man tun? Man kann auch
diesen Film nicht annähernd besprechen, wenn man nicht erzählt, worum es geht.
Die Geschichte der Erfindung des »Spoilerns« und der Angst vor ihr, die jünger sind als die Millennials und die es nur bei Filmen gibt, ist ein eigenes »Cinema Moralia« wert und muss ein andermal erzählt werden.
Die zweite Beobachtung aber war jene zu Beginn des neuen Matrix-Films: Bereits in den ersten Minuten heißt es da: »Unsere geliebten Chefs wollen eine Fortsetzung der Trilogie. Sie werden es mit oder ohne dich tun.« – Dies gilt dem Helden Thomas Anderson/Neo (Keanu Reeves), der gealtert, mit Burnout und therapiebedürftig sich seiner eigenen geistigen Gesundheit nicht mehr sicher ist – und wer die drei Vorgängerfilme kennt, ahnt, warum. Vor allem ist dieser Neo ein Software-Entwickler, der eine erfolgreiche Computerspiel-Trilogie kreiert hat. Und diese Trilogie heißt – genau: »Matrix«.
Sie ist es, die die Chefs mit oder ohne ihn in den Handel bringen werden – so kommentieren in der ersten von sehr vielen Metaebenen, die dieser Film noch öffnen wird, die Dialoge ironisch bis sarkastisch auch die »Sequelitis« in Hollywood und die Entstehungsgeschichte des Films, in dem die Szene läuft. Auch so kann Selbstverteidigung aussehen.
Zugleich ist das eine Bankrotterklärung: Denn Neo ist im neuen Film ein geniales Wrack, das sich – Vorsicht Spoiler! – die bisherigen drei Matrix-Filme allesamt nur eingebildet hat. Was für ein Unsinn, mit dem Hollywood auch noch mal eben eine extrem erfolgreiche Franchise aus den Angeln hebt und negiert. Es nimmt seine bisherigen Schöpfungen nicht mehr ernst.
+ + +
Man will in Hollywood von uns, dem Publikum, also, dass wir uns einerseits ganz naiv stellen, alles, noch die absurdeste Wendung passiv hinnehmen und so tun, als könnten wir irgendeinen dieser Marvel- und Matrix-Filme, diese vierten oder achten Aufgüsse eines vielleicht beim ersten oder zweiten Mal gelungenen Films noch so unschuldig ansehen wie zu Beginn. Als würden wir ernsthaft fürchten, Spider-Man oder Neo könnte was zustoßen, was nicht wieder nur von der Hollywood-Matrix, im nächsten Film auf der nächsten Ebene, einer russischen Matroschka-Puppe gleich, wieder aufgefangen und nihiliert würde. Als wären die Handlungsschritte nicht auch innerhalb dieser Filmhandlungen längst völlig folgenlos und darum uninteressant.
Wir sollen also nichts wissen. Und zugleich sollen wir alles mitdenken, verstehen, uns in die Rolle der Macher versetzen und mit ihnen paktieren in einem Schweigegelübde, um zu... ja, warum eigentlich? Um Spider-Man zu helfen? Um die Gewinne von Sony und Marvel in noch astronomischere Höhen zu befördern?
Interessiert mich beides nicht die Bohne. Was dem Publikum nutzt, unserem Publikum, den Lesern, darüber kann man debattieren. Aber die Gewinne der Konzerne sind wurscht.
+ + +
Hollywood verlernt das Erzählen. Darum dreht sich alles nicht mehr um Handlungen und Geschichten, sondern um Figurenbefindlichkeiten, um den Narzissmus künstlicher Gestalten, die niemanden außer ein paar Nerdy-Fans unter irgendeinem Stein ernsthaft interessieren. Und es dreht sich um das Erzählen des Erzählens.
Es steckt darin eine große Ratlosigkeit des Hollywood-Erzählens, die allerdings nicht uninteressant ist.
Man kann fragen, ob wir gerade den Tod des Hollywood-Remakes und Sequels erleben? Die Totgeburt von Steven Spielbergs West Side Story zeigt das ein weiteres Mal. Die Leute haben Remakes satt. Und sie haben es satt, dass tolle Filmuniversen – ja: Marvel, ja: Star Wars bis auf den letzten Tropfen ausgequetscht und dann noch dreimal aufgegossen werden.
+ + +
Man muss sich sowieso fragen, wie lange das noch so weitergeht. Wie lange es so weitergehen kann? Denn es ist unübersehbar, dass sich Hollywood totläuft, dass den Drehbuchautoren nichts mehr einfällt, dass das immer schnellere, immer kompliziertere Erzählen inzwischen durchdreht und in einen rasenden Stillstand mündet. Also keinen meditativen Stillstand, sondern einen destruktiven.
Der vermaledeite Serienboom tut ein Übriges: Die Filme verlernen zunehmend das dramatische Erzählen, das Erzählen in Höhepunkten. Stattdessen Epik aller Orten: Und dann und dann und dann...
Immerhin merkt man auf der großen Leinwand viel deutlicher, wie langweilig Serien und das Serienerzählen im Grunde sind. Es geht vor allem darum, die Leute bei der Stange zu halten, irgendwie am Abschalten zu hindern. Aber spätestens in der Mitte der zweiten Staffel fällt fast keinem der
so hochverehrten Showrunner noch irgendetwas Neues ein.
So läuft sich alles tot.
Weil es offenbar so ist, dass die Macher das selbst merken, selber ratlos werden, dass sie die gähnende Leere im rasenden Stillstand spüren, bauen sie ihre eigenen Probleme und die Fragen, die sie eigentlich selbst beantworten müssten, aber offenbar nicht mehr beantworten können, in ihre Stoffe ein. Ebenso wie ihre eigene Entscheidungsschwäche. Der letzte Spider-Man ist ein gutes Beispiel dafür: Er hat drei Spinnen-Männer, weil man sich offenbar für einen nicht entscheiden wollte oder konnte, und er hat acht Schurken, jeder von ihnen ein Mega-Schurke, weil man offenbar nicht sicher ist, ob einer reicht. Oder weil man die Schurken-Figuren im Hinblick auf die Zielgruppen ausdifferenzieren möchte. Der nächste Spider-Man hat dann 20 Schurken, die von einer Armee aus 80 Spinnen-Männern bekämpft werden.
+ + +
David Steinitz hat dieses Phänomen perverser Selbstreflexion kürzlich in einer herausragenden, weil dem Film und seinem Unsinn in seltener Weise angemessenen Rezension von »Spider-Man: No Way Home« herausgearbeitet. Wir zitieren: »Es stellt sich im Kino dann aber eine große Erleichterung ein. Man ist nicht allein! Denn die Macher scheinen selbst an einer entsetzlichen Spinnen-Fatigue zu leiden. Man kann sich die Drehbuchautoren sehr gut bei der Psychotherapie vorstellen. 'Ich muss schon wieder einen Spidey-Film schreiben', klagt da der vom Blockbuster-Burn-out geplagte Autor auf der Couch. Die Therapeutin nickt verständnisvoll und rät (mit Blick auf die Uhr, weil sie heute noch fünf andere Superhelden-Autoren behandeln muss): 'Überwinden Sie Ihr Trauma doch einfach, indem Sie es zum Thema des Films machen! Sagen Sie den Zuschauern ganz offen, dass Sie auch nicht mehr wissen, was Sie ihnen jetzt noch erzählen sollen, dass Sie quasi auserzählt sind und sich ab jetzt alles nur noch im Kreis drehen kann.«
+ + +
In Matrix Resurrections hat man die Szene der Einfachheit halber gleich direkt in den Plot eingewoben: Da sitzt Neo beim Psychoanalytiker und breitet ihm seine offenen Fragen zur ganzen bisherigen Matrix-Story aus, die er sich wie gesagt nur eingebildet hat. Was für Neo aber zuerst gut funktioniert, dann aber nicht mehr, weil der Psychoanalytiker eigentlich gar kein Psychoanalytiker ist, sondern...
Au Weia! Schon wieder Spoiler-Alarm!!
Schluss jetzt. Zeit, ein Ende zu machen, und noch schnell ein paar Geschenke einzukaufen. Frohes Fest!
(to be continued)