ABSTAND/ZOOM
C_CREDITS (Dezember 2020) |
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Bekannt für seine Vorspänne: James Bond | ||
(Foto: Screenshot Axel Timo Purr) |
Es gibt Sätze, die Menschen fallenlassen, so ganz nebenbei, die sie selber vielleicht gleich wieder vergessen, die aber im Gegenüber sitzenbleiben, und ab da zitiert man sie: wie mein Bruder einmal sagte. Mein Bruder war der Erste, den ich kennenlernte, der konsequent beim Abspann sitzenblieb. In meiner Fantasie tut er das noch immer, obwohl ich schon lange nicht mehr mit ihm im Kino war: Er sitzt. Das Licht wird heller. Alle um ihn herum schieben sich über ihn drüber und an ihm vorbei. Er sitzt. Der letzte Ton verklingt. Das Licht wird heller, dann steht er auf. Damals bin ich neben ihm sitzengeblieben, weil ich finde, dass er sehr bewusst mit Medien umgeht. Ich war trotzdem ungeduldig und beobachtete ihn. Er guckte mich an und dann, Zitat: »Der Abspann gibt Zeit, den Film noch mal zu reflektieren. Außerdem muss man nicht so schnell schon darüber sprechen und eine Meinung haben!« Das leuchtete mit damals total ein und das leuchtet mir heute total ein. Wir verließen den Saal an der bereits vor der Kinotür wartenden Schlange vorbei. Wir hätten spoilern können, kannten das Wort aber noch nicht. Das war das erste Mal, dass ich mir bewusst den Abspann, die CREDITS, angesehen habe.
CREDITS, das ist die Würdigung, die im Abspann, als Closing Credits, aber auch schon im Vorspann, als Opening Credits, gezeigt wird. Das Wort Abspann stammt wohl vom Pferde abspannen. Damit ist es erledigt, fertig und Feierabend. Die Würdigung dagegen ist etwas ganz anderes, dabei werden die MacherInnen gewürdigt. Meist stehen da zwar Namen, die einem in den seltensten Fällen etwas sagen, aber nichtsdestotrotz würdigt man so die Arbeit dieser Unbekannten. Das Was-sie-gemacht-haben bekommt man glücklicherweise als Zusatzinformation. In den CREDITS wird auch das Teamwork honoriert. Ein Gemälde kann eine Person signieren, aber an einem Film sind viele beteiligt. CREDITS sind sowohl Anerkennung, Danksagung, aber auch der Applaus-Moment. Der Moment, an dem das Team auf die Bühne kommt und sich verbeugt. Daneben ist es aber auch ganz profan eine Art Zeugnis oder Bezahlung. Wer da wie aufgeführt wird, wird in Verträgen festgeschrieben oder wurde durch Gewerkschaften ausgehandelt, z.B. hat sich die Gewerkschaft der DrehbuchautorInnen (Writers Guild of America) dafür eingesetzt, dass DrehbuchautorInnen genannt werden müssen. Außerdem entstanden über die Jahre Konventionen. In seiner Anfangszeit waren bei weitem nicht so viele Menschen an einer Produktion beteiligt wie heute und daneben war es einfach auch noch nicht üblich, bestimmte Positionen im Abspann zu benennen. In den frühen Filmen spannte sich der Film außerdem in den Rahmen des Titels und des THE END. Das ist in seiner feststehenden Absolutheit bis heute beruhigend.
Die Opening Credits laufen heute oft schon über oder in der laufenden Handlung, manchmal erzählt eine Titelsequenz eine fast schon eigenständige Geschichte, getrennt von der filmischen Handlung. Manchmal ist die Geschichte darin der Geschichte im Film vorgelagert oder beschreibt die Umstände, in denen diese stattfindet.
Aber selbst die reine Schrift kann im Film stattfinden, die »Opening Title Sequence« von Panic Room (2002) ist da fast eine Art Klassiker, hier ist der Text in die Filmwelt eingewoben. David Fincher hat übrigens schon bei Se7en (1995) einen Vorspann gemacht, dessen Eindeutigkeit einem erst nach dem Film klar wird.
In Drive beginnt der Film mit wenigen Infos: der Produktion und dem Regisseur. Dann treibt einen die Musik durch die ersten 10 Minuten des Films, die im Auszählen eines Football-Spieles enden, erst dann laufen die restlichen Opening Credits. Die gesamte Sequenz des Fahrers, der einen Job erledigt, könnte in einem anderen Film der Höhepunkt sein, hier ist es das Intro.
James Bond ist bekannt für seine Vorspänne und die Titelmusiken. Deren Ankündigung der erste Clou vor dem Filmstart ist und an deren Entwicklung man gut über Frauen und Objektifizierung diskutieren kann. (Bei YouTube kann man sich die ALL James Bond Credit Openings ansehen). Die CREDITS sind
ohnehin praktisch, um z.B. schnell ablesen zu können, welche Rolle Frauen und Männer in bestimmten Departments spielen.
Auch Closing Credits können auf oder im Bild beginnen, bevor sie dann meist in einen Rollabspann übergehen. Es gibt mittlerweile sehr, sehr lange Abspänne wie die der Herr der Ringe-Trilogie (über 18 Minuten zumindest auf der DVD). Oft läuft dabei gute Musik, zu der man sehr gut den Saal saubermachen kann. Zu der Zeit, in der ich in Kinos gearbeitet habe, waren das immer die schönsten und dynamischsten Aufräumminuten. Oft stand ich schon früh am Eingang und hörte die Musik bestimmter Filme. Beispielsweise habe ich immer versucht, pünktlich in den Abspann von den Watchmen (2009) zu kommen und Leonard Cohens »First We Take Manhattan« zu hören.
Bei Pixar-Filmen warten Menschen oft darauf, ob noch ein Gag kommt. Eigentlich lohnt der sich nie, aber immerhin kann man dann andere darauf hinweisen, dass sie etwas verpasst haben. Man gehört dann zu der Gruppe, die den Film wirklich gesehen hat. Manchmal wird auch eine vergessene Geschichte in 30 Sekunden fertig erzählt. Oder es gibt einen Zeitsprung. Outtakes und Making-Off Szenen oder Zusatz-Szenen. Als wäre da etwas aus dem ordentlichen Konstrukt des Filmes herausgeploppt.
Im Fernsehen läuft der Abspann schneller ab oder wird sogar verkleinert und läuft parallel zu einem neuen großen Bild schnell weiter und bei Netflix werden sie bei Serien automatisch übersprungen, um im Flow zu bleiben, vielleicht weil sie ein bisschen wie episches Theater sind und uns die Künstlichkeit bewusstmachen. Denn CREDITS zerstören die Illusion. Im Film wird der Schauspieler zu seiner Rolle, im Abspann werden sie wieder getrennt. Man könnte aber auch sagen, dass dabei nicht etwas zerstört wird, sondern dass man was vereint: Die Filmemachenden und ihre Figuren. Das einzige Mal, dass das überhaupt im Film passiert, sonst verschwinden die Machenden ja hinter ihren eigenen Bildern und die SchauspielerInnen hinter ihren Figuren. In den CREDITS reflektiert der Film über seine eigene Entstehung, seine Produktion, sein »Film-Sein«.