ABSTAND/ZOOM
B_ BRRRRRÄUTESCHULEN-BLAUPAUSEN (November 2020) |
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Mutterschaft, selbst definiert: Ema | ||
(Foto: Ema, Pablo Larraín © mm filmpresse) |
BLAUPAUSEN für das, was im Leben auf einen zukommen wird: Ganz sicher. Sicher. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Oder doch ganz anders. In den 60ern wurde einer in der Sekretärinnen-(ich habe das Wort drei Mal falsch geschrieben) schule die richtige Anschlagszahl pro Minute beigebracht. Mit dem Durchschlagpapier konnten die Schriftstücke verdoppelt werden, sie waren blau, aber sich sehr ähnlich.
Ich beginne mit einem TV-Tipp – schon alleine weil ich im Folgenden über Filme schreibe, die jüngst angelaufen sind und vielleicht nie mehr im Kino zu sehen sein werden, und beende mit einem Buch-Tipp. (»Tippse« auch ein Wort das – völlig zu Recht – verloren ist). Auf die Begriffe BRÄUTESCHULE und SEKRETÄRINNENSCHULE bin ich in der ARD Mediathek gestoßen und ihrer Retroreihe. Neben den einzelnen Retrospektiven aus den Archiven der Landesrundfunkanstalten gibt es auch sendeübergreifende und thematisch geordnete Themenreihen, eben z.B. »Frauen in den 60ern«. Die »Bräuteschule in München« von 1957 scheint ein gut laufendes Start-up gewesen zu sein, das von jungen Frauen aus allen Gegenden Deutschlands besucht wurde. Ich weiß nicht, inwiefern es sich von Hauswirtschaftsschulen unterschied, aber es schien wohl »kleiner« angelegt gewesen zu sein. Also, wo eine Braut ist, ist auch nur ein Bräutigam, und den zu ernähren und am Leben zu erhalten konnte man locker in fünf Wochen lernen. Ich frage mich, ob so ein Zertifikat nicht auch heute noch bei der Partnersuche helfen würde: »Denn da hat man was eigenes, da hat man sein Bräute-Diplom.«
Es ist doch schön, wenn man angeleitet wird, wie ein Instrument funktioniert, ein Gerät, eine Maschine, eine Lebensstation. Harun Farocki hat in Leben – BRD (1990) danach geguckt, wo wir was lernen, wie wir uns absichern für die Unwägbarkeiten auf unserem Weg. Übungen, Rollenspiele in Schulen, Behörden, Fortbildungsstätten und Kliniken. Jörg Adolph und Ralf Bücheler haben das in Leben – Gebrauchsanleitung 2016 aktualisiert.
Aber Filme können nicht nur BLAUPAUSEN eins zu eins zeigen, sondern eben auch welche sein. Man zeichnet die Linien ab und findet dabei eine offensichtliche Idee. Man sieht einen Film an und findet darin eine wahrscheinliche Bewegung. Oder eben sie wehren sich dagegen, sie eröffnen den Horizont für Alternativen jenseits der optimierenden BRÄUTESCHULE, sie wollen keine BLAUPAUSEN sein, sondern Versuche, Testgebiete, etwas Unkalkulierbares, Mögliches, wie das Leben eben auch.
Ema, Bohnenstange und Kajillionaire wischen alles weg: All die BRÄUTESCHULEN und sonstige Domestizierungsversuche und leben, mit all den Wagnissen, die es mit sich bringt, den Entscheidungen, die man fällt, aber auch dem dem man ausgesetzt ist. Dabei spielen die Brust und der Uterus eine große Rolle, die Selbstermächtigung des eigenen Körpers (in jedem Film und bei jeder Figur allerdings auf sehr unterschiedliche und manchmal auch fragwürdige Art und Weise). Es sind Erzählungen über Frauen und bisher »stiefmütterlich« (ha!) behandelte Themen, die wenig klassischen Heldenreisen entsprechen, aber doch vielleicht mehr mit uns zu tun haben als diese – auf keinen Fall aber weniger. Mutterschaft spielt darin eine Rolle, eine neue Rolle, eine komplexe, vielschichtige Rolle. Endlich. Und es sind eben keine Anleitungen, keine BLAUPAUSEN wie man ein Kind zeugt, es liebt und es als Personifikation der gelungenen Beziehung mit einem Mann betrachtet. Weil das ohnehin nie die einzige Geschichte war, obwohl sie so oft erzählt wurde.
Wunderschön und in seiner Seltsamkeit fast schon erhaben, d.h. befremdlich und etwas überwältigend ist Bohnenstange (Regie: Kantemir Balagov). Ein russischer Film, der sich auf den Dokumentar-Roman »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch bezieht. Die Bohnenstange Iya und ihre Freundin Masha treffen sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Leningrad wieder. Einer Stadt und in einer Zeit in der bei Fotografien gefragt werden muss, ob der oder diejenige noch lebt oder tot ist, weil der Tod in jeder Ritze steckt. In jedem Versuch, dem Tod zu entkommen, liegt dabei eine so stoische wie blühende Kraft. Die beiden Frauen lieben sich irgendwie, die eine anders als die andere. Sie arbeiten beide in einem Krankenhaus, in dem das mild lächelnde Gesicht des Oberarztes den Tod genauso mitdenkt wie das Leben. Es gibt ein Ungleichgewicht der Kräfte zwischen den beiden Frauen, ein zartes Wanken der sehr großen und sehr blassen Bohnenstange, der man ansieht, dass sie nicht weiß wie ihr geschieht und Mashas Kraft und Wille ein Kind zu zeugen, obwohl bei ihr da unten nichts mehr ist. Sie klemmen sich zusammen in ein kleines Zimmer, das mal behaglich erscheint und dann wieder eng und zugestellt. Sie verfolgen verschiedene Pläne oder werden von ihnen verfolgt. Der Mann und die Liebe zu einem Mann spielt keine Rolle. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ist hier – schon durch den Krieg – ohnehin ein anderes, als wir es gemeinhin kennen oder es aus den Filmen zu kennen meinen.
Pablo Larraíns Ema ist, wie mit einem bunten Schnuller durch die chilenische Stadt Valparaiso zu tanzen. Nicht weil du gefallen oder unterhalten willst, sondern weil du einfach tanzen musst. Mit Kraft, Charisma und Arroganz. Sie ist die Person um die andere tanzen, weil alle wissen, dass um sie herum das Leben passiert. Sie zieht es an und tut was damit. Ema ist keine Mutterfigur, setzten wir das Wort »klassisch« dazu, aber sie will Mutter werden. Sie ist nicht sympathisch und auch als Mutter stößt sie erst einmal ab, ganz wortwörtlich hat sie ihr adoptiertes Kind wieder zurückgeben. Was »natürlich« nicht geht, aber »natürlich« eigentlich doch. Ema ist dabei – anders als Cheryl im Roman von Miranda July, zu dem ich gleich komme – weder verträumt noch weltfremd, sie ist Energie. Im Hier und Jetzt. Auch wenn sich Ema dagegen wehrt, auch nur mit der Generation ihres Freundes zusammengesteckt zu werden, der 12 Jahre älter ist als sie, so passt sie doch zu Katharina Sieverdings brennender Sonne, vor der sie zu Beginn tanzt. Eine ältere Künstlerin. Choreographiert von eben jenem älteren Freund, der nur halbherzig versuchen kann, irgendwie bei ihrer Energie dabei zu bleiben, am Ende aber zugeben muss, dass er einfach mit- und überschwemmt worden ist von ihr und ihrer Vorstellung ihres Lebens. Apropos BLAUPAUSE, in der Mitte begibt man sich in viele blau eingefärbte Szenen, kühles Blau in dem sie mit verschiedenen Menschen Sex hat – ja, ein Kind muss gezeugt werden. Die Szenen sind das Gegenteil von der Zeugungs-Szene in Bohnenstange.
(Nachdem ich den Film gesehen habe, habe ich mich auf die Suche nach einem Begriff oder einer Wortkombination gemacht, die so etwas wie »The fear of missing out« beschreibt. Einen Ausdruck für eine Aggressivität die daraus resultiert, dass man selbst passiv sein muss. So eine Art passiv-aggressives Gefühl das aufkommt, wenn man Aktivität sieht. Man kann also mit dem Gefühl aus dem Kino gehen, man habe getanzt oder eben mit dem Gefühl, man habe eben gerade nicht getanzt, aber man würde gerne. Eine Art Passivitätsproblem. Neid auch etwas. Aber es hilft, den Soundtrack zu Hause zu hören.)
Kajillionaire von Miranda July passt gewissermaßen auch in diese Reihe, weil es um eine nicht-klassische Familie geht. Mutter, Vater, Tochter, ein Gauner-Trio. Die Tochter bekam keine Mutterliebe, sie durfte nicht zur Brust der Mutter und deshalb ist sie auf der Suche nach der Liebe. Kajillionaire, der so schön befremdlich und haarig anfängt, so sperrig und ästhetisch schwammig, endet dann so altbacken, so uninspiriert, so klassisch. Liebes-Film: »Ich bin echt gespannt darauf, wie es enden wird. Werden sie sich finden? Ja, Ach, toll wer hätte das gedacht? Die Liebe als Rettung? Logisch, ich mein, ich sehe ja alle Nase lang um mich herum, dass die Liebe rettet. Wenn sich zwei finden ist ein Stück des Leids der Erde geheilt. Ganz klar.« So sarkastisch July in ihrem ersten Roman »Der erste fiese Typ« endet, so absehbar hollywood-mäßig endet Kajillionaire. Die einfachste BLAUPAUSE ist dann eben doch das klassische Happy End. Eine Neugeburt in der Beziehung. Von der (fehlenden) Liebe der Eltern hinein in die Liebe einer Partnerschaft und ab direkt in die BRÄUTESCHULE.
Also schnell zur Buch-Empfehlung, zu Miranda Julys Roman: »Der erste fiese Typ«. Das Buch passt zu Ema und zu Bohnenstange und ist alleine schon zu empfehlen weil die Anfang 40-jährige Protagonistin einen Kloß im Hals hat: Globussyndrom, globus hystericus. Klingt, wie eine hysterische Erdkugel. Hystericus bezeichnet die Hysterie, von der man einst annahm, sie würde aus der Gebärmutter, also dem Uterus, kommen. Quatsch. Es ist ein Kloß im Hals, wie wir ihn wahrscheinlich jetzt alle ab und an haben, mit oder ohne Uterus. Cheryl arbeitet an ihrem Kloß und sie arbeitet auch an etwas anderem. Man folgt ihr und ihrer Gestaltung der Welt, ihren eigenen verwunschene Erzählungen über ihre Umgebung. Man landet, wie schon bei Julys The Future in Cheryls/Julys Kopf. Cheryl in ihrer eigenen Welt aus Systemen und auch seltsamen Verbindungen, der es dann aber – und von der Geschichte erinnert es stark an Ema – gelingt, ans Ziel zu kommen. Also sie ändert/bewirkt etwas. Ein bisschen magisch und ein bisschen abstoßend. Und eben ganz anders als wir es sonst sehen. Es gibt eben keine BRÄUTESCHULE und wahrscheinlich hat es sie auch nie gegeben.