ABSTAND/ZOOM
Film-Alphabet: V_VAGE |
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Das gibt es auch – vage nicht unbedingt in der guten Art und Weise, und zwar in: Liebe und Anarchie. | ||
(Foto: Netflix) |
Von Nora Moschuering
Diese Idee darf dabei nicht zu ausgereift daherkommen, als dass sie dem Anderen keinen Raum mehr für Gedanken und Mitarbeit lässt, sie darf aber auch nicht zu vage erscheinen, als dass der Andere im Uneindeutigen keine Vision, sondern nur Verplantes sieht. Jetzt ist mir das Wort dieses Textes schon in die negative Ecke gerutscht, da wollte ich es eigentlich gar nicht haben. Ich versuche es mal wieder rauszuholen.
Vage interessiert mich schon allein, weil es eines dieser Worte ist, bei denen man immer das Gefühl hat, es falsch zu schreiben. Das französische „vague“ oder das lateinische „vagus“ haben das „v“ gesetzt, aber es wird trotzdem wie ein „w“ ausgesprochen. Verwirrend (spricht man ja auch anders aus). Es bedeutet: Herumschweifend, unstet, schwankend, unbestimmt, regellos ... . Jedes einzelne dieser Worte steht zwischen etwas Unkonkretem und Unstetem und etwas Neugierigem und Offenen. Auch vage Andeutungen werden bspw. gemacht, weil es der/die Sprecher*in eigentlich besser weiß, aber nicht konkretisieren will, weil es entweder schlechte Nachrichten oder daraus resultierende Konsequenzen unleugbar in die Welt setzt (in der Politik) oder weil ansonsten die intensive Spannung verfliegt (in der Liebe).
Die Liebe hat zu Beginn oft vage Momente, etwas Antastendes, Hervorwagendes und sich wieder Zurückziehendes. In Nicolette Krebitz' A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe trifft diese junge Liebe zudem auch noch auf gesellschaftliche Skepsis, auf Ablehnung, weil man uns noch nicht daran gewöhnt hat, z.B. eben durch Filme. In A E I O U verlieben sich Anna (Sophie Rois) und Adrian (Milan Herms), der Altersunterschied ist beträchtlich, zudem stammen sie aus unterschiedlichen, gesellschaftlichen Zusammenhängen. Das Herantasten, das umeinander Herumschweifen, das regellose, intuitive Ausprobieren ist den beiden schön anzusehen, was aber umschlägt, sobald sie gemeinsam das Haus verlassen. Da ist sie also doch, die Unsicherheit, die auch zum Vagen gehört.
Schließlich fliehen sie nach Frankreich, mit dem vagen Wunsch sich vielleicht in jemand anderen verwandeln zu können, sich ein Collier anzulegen und im Kasino das Geld für die Zukunft zu gewinnen.
Der Film, der mit einer so klaren Prämisse im Titel startet, schweift mit den beiden ab, bleibt ihnen aber auf der Spur, einer Spur, die zwar nicht dem Alphabet folgt, aber doch klar und deutlich ist. Das ist es eben, was das Vage schön und nicht beliebig macht.
A E I O U könnte auch den Untertitel tragen, den eine schwedische Serie als Titel trägt: Liebe und Anarchie, mit zwei Staffeln auf Netflix. Die Konstellationen ähneln einander, eine ältere Frau und ein jüngerer Mann, die sich verlieben. Die beiden Männer sind jeweils beide in den Zwanzigern, was vielleicht für die Männer dieser Generation spricht. Aber es ist nicht nur die Spannung mit der Umwelt, sondern natürlich auch die zwischen den Liebenden an sich, die als Individuen aufeinandertreffen (bei A E I O U allerdings mehr als bei Liebe und Anarchie): Ausbildung, Lebenserfahrung, Wissen, Machtkonstellationen (das eine Mal ist es eine Lehrerin, das andere Mal die Chefin). Alles spielt eine Rolle, gleichzeitig gibt es eine enorme Freude daran, zu lieben. Lisa Langseth und Emma Bucht, die bei Liebe und Anarchie Regie geführt haben, lassen Sofie (Ida Engvoll) und Max (Björn Mosten) sinnlose Regeln für die andere Person finden, mit deren Durchführung sie nicht nur ihren, sondern auch den Alltag aller anderen irritieren. Das ist zwar in der zweiten Staffel schon ein bisschen abgedroschen, aber innerhalb der Beziehung der beiden konsequent. Wobei man sowohl bei A E I O U, als auch bei Liebe und Anarchie, an der Ausarbeitung des männlichen Parts und seines Hintergrundes mehr arbeiten hätte können und sollen. Sie bleiben etwas vage – und das dieses Mal nicht unbedingt in der guten Art und Weise.
Aber kann ein Film eigentlich an sich vage sein? Ein Bild folgt immer auf das nächste, das ist so. Da entscheidet sich keines spontan um, wiederholt sich oder bleibt gar stehen, der Film ist zielstrebig bis zum letzten Bild. Das man dennoch den Eindruck bekommen kann, er schweife herum, denke nach, probiere aus, zeigt, wie vielseitig er ist: Er kann alles, auch vage sein.
Weils gerade lief und weils gerade geendet hat, noch zwei Filme aus dem Programm des Filmfests München. War Pony von den Regisseurinnen Riley Keough und Gina Gammell ist ein Film über zwei Lakota-Jungen in einem Reservat in South Dakota, sie haben dafür eine lobende Erwähnung bekommen. Die beiden Hauptpersonen Matho (LaDainian Crazy Thunder) und Bill (Jojo Pabteise Whiting) sind Laiendarsteller aus dem Reservat. Laiendarsteller haben immer etwas vages, weil
sie auf der Schwelle zwischen Schauspieler und Protagonisten stehen – erst recht, wenn sie auch aktiv an der Filmentwicklung beteiligt waren, wie die beiden. Sie tragen den Film, mit ihrer Lässigkeit, dem stoischen Ertragen von Situationen und dem Aufbrechen in anderen. Matho und Bill leben und überleben zusammen mit ihren Freunden in dem Reservat. Der Film bricht dabei immer wieder mit filmischen Gepflogenheiten, bis hin zu einem schönen, aber auch etwas surrealen
Befreiungsschlag zum Schluss. Ich hätte gerne mehr zur Entstehung des Filmes gewusst, aber die beiden Regisseurinnen waren nicht da und die Aufzeichnung des Filmgesprächs in Cannes ist nicht sehr ergiebig, sondern, im Bereich Zusammenarbeit, sehr vage. Man habe 7 Jahre Hand in Hand gearbeitet, jeden Tag wurde neu kalibriert, viel mehr kommt nicht, außer dass sie „Very aware“ und alles sehr „challenging“ war.
Der zweite Film, ein Beispiel für fehlende
Vagheit, ist Felix von Groeningen und Charlotte Vandermeerschs Acht Berge: ein neoromantischer, konservativer Buddy-Bergfilm. Zwei bärtige Männer, die ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, eine Ziege schlachten, ein Kind zeugen und dabei so wenig wie möglich sprechen. Das war so dermaßen massiv und konkret wie die Berge im Hintergrund und dazu auch noch ein Erzähler, der alles erklärt. Und was zum Schluss an Vagheit und Offenheit übrig geblieben wäre, picken die
Rabenvögel in kleinen, fleischigen Häppchen weg.
Aber nicht nur das Filmfest ist zu Ende gegangen, sondern auch die Nonfiktionale in Bad Aibling. Motto war dieses Jahr: „Der gute Ton“ und ja, das ist vage, aber konkret genug, um darüber diskutieren zu können. Darunter versammelten die Macher*innen wieder eine Reihe wohl ausgewählter älterer – ich möchte schreiben Klassiker des Dokumentarfilms und neuerer Dokumentarfilme – die mal dazu werden. Nur zwei seien herausgegriffen: Step Across the Border (1990) von Nicolas Humbert und Werner Penzel und Rebecca Zehrs A Sound Of My Own (2021), der den Nonfiktionale-Preis der Stadt Bad Aibling gewonnen hat. Zwei Musikfilme oder im weitesten Sinne Musiker*innen-Porträts die versuchen, den Film selber als Musik einzusetzen und darin eine Poesie und einen Rhythmus finden, der der jeweiligen Musik entspricht, ohne in die Abstraktion zu rutschen. Schönste Szene in Step Across the Border, der mit dem britischen Musiker Fred Firth herumschweift: Schlafende Menschen in der Tokioer S-Bahn, ein Wecker klingelt. Klingelt. Eine Geigenspielerin und Gitarrenspieler spielen zum Metronom des Weckers. Zum Schluss sieht man die Abdrücke eines Lakens auf der Haut der Geigenspielerin. Zehr begleitet Marja Burchard, die Tochter von Christian Burchard, dem Gründer der Jazzrockband „Embryo“ oder begleitet Marja Zehr? So ist es bei beiden Filmen (bei Step Across the Border etwas mehr), die Bilder sind eine Begleitung der Musik, aber auch umgekehrt. Die Bilder ordnen sich nicht unter, sondern geben der Musik was dazu, bzw. beides vereint sich zu einem.
Ich habe zu Beginn geschrieben, dass das Wort vage durchaus zwei Richtungen einschlagen kann, jetzt habe ich aber nur Filme beschrieben, in denen ich es als positiv empfunden habe. Dabei weiß ich, was die Jury des Förderpreis Neues Deutsches Kino auf dem Filmfest meinte, wenn sie sich manchmal konkretere und verdichtetere Filme wünscht, sagen wir also mal weniger vage, nur fällt mir gerade kein Film ein, der mir im negativen Sinn zu vage und unentschlossen ist. Aber die gibt es, Filme bei denen das Unentschiedene und Unbestimmte stört und aus Ideen- oder Haltungslosigkeit Lücken gelassen werden oder Längen bleiben und die in eine unbestimmte Langeweile abkippen, die einem nicht mal Platz zur Reibung lassen, weil sie gar keine Angriffsfläche bieten. Aber das jetzt nur sehr vage, weil, wie schon gesagt, gerade fällt mir da kein Beispiel ein, und so schließe ich eher ein bisschen offen, so dass sich jeder oder jede selber Gedanken darüber machen kann.