Cinema Moralia – Folge 271
Ist weniger mehr? |
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Gefördert und dennoch unterfinanziert: Und morgen die ganze Welt | ||
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen) |
»Selbst das mindeste, was man von den Trägern politischer Macht verlangen konnte, eine ordentliche Verwaltung dieses Landes, erweist sich als entsetzliche Illusion.«
Pier Paolo Pasolini»Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden«
Rosa Luxemburg»Wer 'Russia Today' und 'Sputnik' verbietet, wird künftig ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen, die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in, zum Beispiel, Russland zu kritisieren. Besteht die Stärke liberaler Gesellschaften nicht genau darin, auch – pardon my French – allerlei Scheißdreck aushalten zu können?«
Deniz Yücel, Präsident des deutschen PEN-Zentrums
Wer in einem Leichnam sucht, findet nur Würmer.
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Wir hatten es vor ein paar Wochen geschrieben: »Schluss mit der Flickschusterei«. Die Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG), die gerade bei der zuständigen Behörde, dem BKM, im Gange ist, ist eigentlich überflüssig. Denn es kann nicht um die soundsovielte Novelle gehen, sondern es muss ganz grundsätzlich um das Fördersystem und seine Veränderung oder Neuerfindung gehen. Nur dann haben die ganzen Diskussionen und Stellungnahmen, die jetzt die größeren Runden oder zu
viert in Hinterzimmern stattfinden, überhaupt irgendeinen Sinn.
Es gibt immerhin ein paar positive Signale aus der zuständigen Behörde. Signale dafür, dass man sich auch dort darüber im Klaren ist, dass sehr grundsätzliche Dinge passieren müssen, und dass man bereit ist, dafür tatsächlich etwas zu tun.
Inzwischen wird sogar in Fernsehsendern sehr klar zwischen Publikumserfolg, künstlerischer und inhaltlicher Relevanz und künstlerischer Qualität eines Films
unterschieden. Viel klarer, als die Funktionäre der Filmförderung dazu willens oder in der Lage sind. Da stehen einzelne Menschen noch immer auf dem Standpunkt, dass man all dies überhaupt nicht definieren kann, es sich jeder Definition entzieht – mit dem Ergebnis, dass dann die immer irgendwie gleich oder ähnlich besetzten Gremien die Entscheidung darüber fällen, was gefördert wird, was also relevant und qualitativ wertvoll und potentiell erfolgreich ist.
Man kann dann
doch so viele Hinterzimmerrunden, Workshops, Fokus-Gespräche und runde Tische veranstalten – wenn der Wille fehlt oder die Bereitschaft der Beteiligten, wirklich etwas zu verändern und auf die Bedürfnisse der Filmemacher und derjenigen, die mit Filmen Preise bekommen oder Geld verdienen, zu hören, dann bleibt dies alles sinnlos und nur ein Partizipationstheater.
Zumindest die FFA (Filmförderanstalt des Bundes), die noch nie durch Innovation oder kreative Gedanken aufgefallen ist, scheint inzwischen zu ahnen, dass ihre beste Zeit vorbei ist. Längst wird über die mögliche Abschaffung der FFA, oder ihre Unterordnung in größere Förderzusammenhänge innerhalb der deutschen Branche immer offener und immer öfter geredet – einzelne Verbandsfunktionäre fordern diese Abschaffung längst, genauso wie in den Koalitionsrunden bereits deren Für und Wider diskutiert wurde. Das Konglomerat dieser ganzen deutschen Förderbehörden, die nie wirklich zusammengearbeitet haben, sondern offen miteinander konkurrieren und dann doch alle die gleichen Filme finanzieren, muss zerschlagen und neu geordnet oder zusammengefasst oder abgeschafft werden. So wie es ist, kann es nicht bleiben.
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Bei den Debatten, die wir gerade um den deutschen Film führen, geht es seit einigen Jahren immer wieder darum, die Zahl von fertiggestellten Filmen zu reduzieren. Als sei das ein Allheilmittel. Als sei die Reduktion an sich schon ein Pluspunkt, etwas, das allen, also »der Branche«, »der Szene«, dem gesamten deutschen Film, und letztlich sogar den Filmen, die dann wegreduziert sind, irgendwie nutzen würde.
Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen sich sehr viele einig sind. Aber
warum eigentlich? Natürlich gibt es Filme, die nur gemacht werden, weil man sie fertigstellen muss, um das investierte Geld nicht an die Förderer zurückzahlen zu müssen. Aber deren Zahl ist gering. Ihr gegenüber stehen mindestens ebenso viele Filme, die nicht gemacht wurden, obwohl alle sie machen wollen, obwohl alle Beteiligten an diese Filme glauben. Nur die Fördergremien nicht. Oder es gibt richtige Ausreden als Argumente, warum man nicht gefördert wurde: »Es gab zu viele Anträge.«
Gerade Filme aus Deutschland, die besonders erfolgreich sind, die etwas Innovatives haben oder zumindest etwas Publikumsträchtiges – nehmen wir mal ganz unverfängliche Beispiele: Toni Erdmann, Systemsprenger, Und morgen die ganze Welt – sind zwar gefördert worden, aber nicht zureichend. Sie waren unterfinanziert. Sie sind also ein Beispiel für die Irrtümer der Filmförderung, nicht für ihre Weisheit. Trotzdem haben die zuständigen FörderfunktionärInnen die Chuzpe, sich mit diesen Filmen, die sie eigentlich verhindern wollten, im Nachhinein zu brüsten.
Wenn wir die Masse der Filme, die in Deutschland hergestellt werden, reduzieren mit dem Argument, dass Masse keine Klasse ist – und wer würde das als solches bestreiten? – woher wissen wir dann, dass die richtigen Filme reduziert werden und nicht die falschen? Nicht gerade die dummen und geschmacklosen Filme, die mit irgendwelchen merkwürdigen Argumenten diese diffusen Selektionsmechanismen überstehen. Woher wissen wir, dass nicht genau das, was jetzt schon eine marginalisierte Position hat, erst recht wegmarginalisiert werden wird?
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Es ist eine Form der Perversion, wenn Filmförderer, die, wie ihr Name schon sagt, dafür zuständig sind, Filme zu fördern, und für nichts anderes – zum Beispiel nicht dafür, sich in kreative Entscheidungen oder in die von gewählten Volksvertretern verantwortete Filmpolitik einzumischen –, sich neuerdings in der Position der Filmverhinderer gefallen, wenn sie in hohem Ton und angeblich auf dem riesigen Fels ihrer Erfahrungen stehend, erklären, warum es unbedingt
weniger Filme geben muss, damit diese wenigen Filme Erfolge haben können, und warum zu viele Filme gemacht werden, anstatt dann eben ihre Richtlinien so umzubauen, dass sie wenige Filme fördern, aber nicht darüber reden, was für Filme nicht gemacht werden sollen. Und anstatt zu erklären, was eigentlich erklärt werden müsste: Warum viel zu viele falsche Filme gemacht werden, warum viel zu wenig gute Filme gemacht werden, viel zu wenig Filme, die Erfolge beim Publikum oder Erfolge bei
Film-Festivals oder im Ausland oder bei der Filmkritik oder am besten bei allen zusammen haben.
Welche Filme sollen denn nicht mehr gemacht werden? Hanni & Nanni?, Leberkäsjunkie? Ostwind? Immenhof? Oder wird es am Ende auf irgendwelche forschenden, »schwierigen« Dokumentarfilme und vor allem auf Studentenarbeiten hinauslaufen, weil man den Filmstudenten einredet, sie sollten doch besser mit einem Kurzfilm ihren Abschluss machen. Und der läuft in Hof und dann hat er schon Glück, und das war’s dann mit der Regie-Karriere.
Oder Arbeiten von älteren Filmemacherinnen,
denen man subtil und sanft einredet, »dass Sie doch ein bisschen alt sind fürs Geschäft, dass Ihre Themen vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren... Aber doch heute nicht mehr... Bitte das sehen Sie doch selber ein... Oder?«
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Die Branche ist hart genug – man siehe zum Beispiel die Entscheidung zur alljährlichen Auswahl zum Deutschen Filmpreis durch die sogenannte Deutsche Filmakademie. Dazu braucht man keine Filmförderung mehr.
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Pressemitteilung des Wagenbach Verlags: Ben Becker liest Pasolini! Also genau der Mann, bei dem ich immer schon an Pasolini gedacht habe. Der wird auch das überleben.
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Was ist Wahrheit? Ich wasche meine Hände in Unschuld.
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»Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden« – was sagt uns das berühmteste Rosa-Luxemburg-Zitat? Ein drei Jahre alter Deutschlandfunk-Beitrag, der noch immer online steht, präsentiert die interessante, sehr zeitgemäße Lesart der Berliner Philosophin Bini Adamczak. Laut Adamczak formuliert Luxemburg in ihrem Text, der das berühmte Zitat enthält, eine doppelte Kritik: Luxemburg lehnt Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit und demokratischer
Verfahrensweisen auch dann ab, wenn sie dem Kampf gegen die »Konterrevolution« dienen. Luxemburg beharre dagegen darauf, dass Sozialismus nur auf einer demokratischen Grundlage, unter Mitwirkung aller, entwickelt werden könne. Andernfalls sei er zum Scheitern verurteilt.
»'Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden', meint nun genau das: dass sich keine Regierung der Welt, keine politische Bewegung hinstellen und von sich behaupten kann, ein fertiges Konzept bereits in
der Tasche zu haben, das sie nun von oben dekretieren kann. Sondern die Entwicklung eines Gemeinwesens, das nicht herrschaftlich organisiert ist, muss immer mit allen gemeinsam geschehen – und das heißt eben auch, mit denen, die eine andere Meinung haben.«
Wir sollten diese Analyse und die Bemerkungen Adamczaks ernst nehmen, und in unsere Gegenwart übersetzen.
Sie bedeutet dann: Gewünschte Ansichten, und das »angemessene Denken« lassen sich nicht gewaltsam erzwingen: »Wenn wir die Bedingungen der Demokratie verändern, dann muss diese Veränderung selbst demokratisch sein, sonst wird sie autoritär und konterkariert ihren eigenen Anspruch.«
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In den Freibeuterschriften von Pierre Paolo Pasolini gibt es einen interessanten Text, der den Titel trägt »Der Faschismus der Antifaschisten«.
Darin erklärt der Regisseur und Autor, wie banale Selbstverständlichkeiten des demokratischen Lebens durch das Beharren auf »Reinheit der Prinzipien« ins Gegenteil verkehrt werden.
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Der Meinungskorridor wird enger, Streitkultur weniger, sie ist zumindest erkennbar weniger gewollt. Eine von mehreren Gemeinsamkeiten zwischen unseren gesellschaftlich-kulturellen Diskursen über den jetzigen Ukraine-Krieg und andere Themen der vergangenen zwei Jahre ist jene, dass die Gesellschaft sich in Lager aufspaltet oder aufspalten lässt: Für und Wider. Da geht es wenig um Fakten und sehr viel und Bekenntnisse. Jeder weiß, nicht erst seit dem berühmten Spruch, dass im Krieg als erstes die Wahrheit stirbt, dass etwa 50 Prozent aller Nachrichten über einen Krieg sich als falsch erweisen. Das sind Ergebnisse von Medien- und Politik-Forschern. Trotzdem glauben wir fast alles, was wir hören und lesen, und nahezu alles, was wir sehen. Obwohl allein schon ein Blick auf die verschiedenen Karten der verschiedenen Fernsehsender und erst recht jener, die zum Beispiel bei den Verteidigungsministerien der EU-Staaten veröffentlicht werden, klarmachen, dass ein großer Teil von ihnen nicht stimmen kann, wenn ein anderer großer Teil von ihnen stimmt. Oder eben umgekehrt. Auch wenn es einem nicht gefallen kann, so trifft es doch zu, dass auch die berichteten Fakten oft relativ sind – wohlgemerkt: die berichteten, nicht die tatsächlichen. Für Werte, Ziele, Hoffnungen und andere Ansichten gilt das erst recht.
Daraus kann nur folgen, dass wir uns dem Bekenntniszwang entziehen, sowohl dem, der auf uns ausgeübt wird – wir müssen nicht zu allem eine Meinung haben und wir müssen nicht öffentlich zu bestimmten Werten oder politischen Handlungen oder Nationen »stehen«. Wir können auch einfach mal schweigen, oder uns mit starken Worten zumindest zurückhalten. Hier ist weniger mehr.
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Klar: Das offenkundige Gegenargument hier lautet, dass der Autor dieser Sätze selber nicht schweigt.
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Sich dem Bekenntniszwang zu entziehen, heißt daher vielleicht noch viel mehr, nicht auf andere Menschen solche Bekenntniszwänge auszuüben. Und ihnen überhaupt nicht vorzuschreiben, was sie zu sagen haben, was sie sagen dürfen und vor allem was sie auf keinen Fall sagen dürfen.
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Wenn es über jemanden – zum Beispiel einen Künstler, einen Denker oder einen Politiker – bei uns heißt, er sei »umstritten«, dann ist dies oft die Vorstufe dazu, ihn oder seine Kunst oder beides zu canceln.
Jetzt wird Deniz Yücel »umstritten« genannt. War er vor Jahren noch, als es gegen die Türken und Erdogan ging, Freiheitskämpfer und Heros der Meinungsfreiheit, die bei uns bitteschön, richtig frei ist, ist er nun unter Beschuss. Nicht wegen seiner oben zitierten Kritik am Verbot von »Russia Today«, das jeder Kundige, wenn es denn sein muss, eh durch VPN umgehen könnte, sondern weil er öffentlich gefordert hatte, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten. Ich persönlich finde das falsch und sogar ein bisschen gefährlich, aber es ist albern, noch viel falscher und noch viel gefährlicher, dass jetzt mehrere frühere PEN-Präsidenten Yücel wegen dieser Ansichten zum Rücktritt aufgefordert haben. »Zurücktreten ist nicht« macht Yücel klar.
Und verteidigt seine Rede- und Meinungsfreiheit: »Ich bin kein Pressesprecher, ich bin Präsident und Autor. Sofern ich nicht ausdrücklich auf etwas Bezug nehme, worauf wir uns in den Gremien geeinigt haben, spreche ich nur in der Ich-Form. Generell finde ich die Vorstellung merkwürdig, dass ein PEN-Präsident für alle Mitglieder sprechen soll, kann oder muss. Der PEN kann nur als Verein von Autoren und Schriftstellern, also Individualisten, existieren.« Konflikte innerhalb des PEN gehörten zu einer solchen Institution, so Yücel: »Schließlich ist die Vereinsgeschichte voller Streitereien und Zerwürfnisse. Das war immer alles hochpolitisch, aber es galt immer auch der schöne Satz von Tucholsky: 'Stubenreine Dackel züchten kann jeder, die Seele des Vereins ist der Knatsch.'«
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Nichts ist falsch. Drücken. Aufwachen!
(to be continued)