Cinema Moralia – Folge 285
Tote können nicht mehr sterben |
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Zwei Seiten eines Films: Das Plakat von Schweigend steht der Wald in Deutschland (re) und in Frankreich (li)... | ||
(Foto: Alpenrepublik) |
»Willkommen in der Dunkelheit/ In der Dunkelheit
In der Einsamkeit/ In der Traurigkeit/ Für die Ewigkeit
Willkommen in der Wirklichkeit
Und wanderst du im tiefen Tal/ Seid ihr bereit?
Und sei Dein Dasein ohne Licht/ Seid ihr soweit?«
– Rammstein»Ihr werdet sehen, sie lassen uns nicht einmal mehr die Augen zum Weinen.«
– Aus: »Der Leopard«»Bürokratie ist immer der erste Feind.«
– Werner Herzog
Seine Bilder waren wie Filme. Film-Noirs. Dabei hat er, im herkömmlichen Sinn nie einen Film gemacht. Er hat in Sète gelebt, dem Ort der Maler und des Lichts.
Aber es gab wenige moderne Maler, deren Bilder ähnlich faszinierend und Kino-artig waren wie die von Perre Soulages. Tief und plastisch, beweglich und flimmernd, flirrend. Man konnte sich in ihnen verlieren. Jetzt ist Soulages, der Mann, der auf allen drei ersten Documentas vertreten war, mit 102 Jahren in Nimes gestorben.
Ein schönes Interview gibt es im Netz und eine ganze Menge Filme bzw. Filmausschnitte mit ihm findet man auf YouTube, darunter auch ein Porträt von ARTE.
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Wie wir schon neulich schrieben: die Stimmung ist nicht gut. Inflation, Krieg und auch der Stand des Weltkinos machen die Stimmung nicht besser.
Gleichzeitig hat man bei vielen Akteuren der deutschen Medienszene den Eindruck, dass sie den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen haben. Oder anders gesagt dass es ihnen immer noch viel zu gut geht.
Jeder kocht immer noch sein eigenes Süppchen, kaum irgendwo wird an einem Strang gezogen, nur höchst selten werden eingefahrene Grenzen
überschritten. Ohne all das wird es aber nicht gehen.
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Neulich habe ich über den Produzentenverband geschrieben. Die gute Nachricht der vorvergangenen Woche lautet: Der Produzentenverband wird nun doch nicht mit der Produzentenallianz über eine Fusion verhandeln.
Während ich neulich noch länger über die Aufgaben von Produzenten nachdachte, fiel mir wieder der wunderbare Nachruf ein, den Michael
Althen in der FAZ zum Tod von Bernd Eichinger schrieb. Es war einer der allerletzten Texte, den Michael geschrieben hatte, bevor er selber viel zu früh starb. Ich weiß nicht, ob er zu diesem Zeitpunkt schon von seiner schweren Erkrankung wusste. Dass er irgendetwas davon unbewusst gespürt hat, glaubt man bei diesem Text ganz bestimmt. In diesen Tagen, im Oktober 2022 wäre Michael Althen 60 Jahre alt geworden.
Auch wenn man nicht Filmproduzent ist, lohnt sich die Lektüre seines Textes. Ist man Filmproduzent, dann kann man hier erfahren, was letztendlich diesen Beruf ausmacht: Passion und Risikobereitschaft. Beides auch manchmal jenseits der vernünftigen Grenzen.
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Diese Woche startet Saralisa Volms Schweigend steht der Wald, ein Film, den man leicht unterschätzt. Der Unterschied zwischen den zwei sehr verschiedenen Werbeplakaten zu diesem Film in Deutschland und in Frankreich symbolisieren überaus treffend die beiden Filmkulturen: Platt und bieder gegen beziehungsreich und doppeldeutig.
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Trotzdem kann man hoffen, dass das deutsche Genrekino und Filme, die sich etwas von den didaktischen Konventionen des deutschen Film-Mainstreams lösen, von Filmstarts wie diesem, ermutigt werden. Oder von einem Projekt wie dem, das jetzt die »Mitteldeutsche Medienförderung« zusammen mit dem Deutsch-Polnischen Filmfonds (Entwicklungs-)gefördert hat: Krux der Debütfilm von von Ulrike Tony Vahl. Ein Historiendrama, das vom Untergang eines vorpommerschen Dorfs am Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt, und das 2023 gedreht werden soll.
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»Das einzige was zählt, ist, was ich auf der Leinwand sehe. Seelenqualen sind mir völlig egal.«, erzählte Werner Herzog auf dem Filmgespräch bei der Viennale, die gerade in Wien stattfindet. Dieses Statement zeigt nicht nur, worauf es tatsächlich ankommt im Kino und anderen Künsten, nämlich nicht das Drumherum, nicht Produktionsbedingungen und auch nicht »Content«, sondern das Sichtbare. Es zeigt auch, wie weit sich Herzog schon von den derzeit herrschenden Diskursen und den Verhältnissen, die sie prägen, verabschiedet hat.
Man kann sie, erst recht in Wien gesprochen, auch als Kommentare zur immer noch untergründig weiterblubbernden Debatte um Ulrich Seidl begreifen:
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Es ist zum Beispiel vollkommen egal, ob eine Filmkritikerin den Eindruck hat, dass es einem Kind bei einer bestimmten Szene in Ulrich Seidls »Sparta« schlecht ging, genauso wie es vollkommen egal ist, dass ich den Eindruck habe, dass die Kinder bei diesem Dreh Spaß hatten. Wir sind hier beide komplett inkompetent, und sehen nur, was wir sehen wollen. Wenn ein Kind kurz weint, kann das viele Gründe haben: Es kann unter Umständen einfach sehr gut spielen; es kann geübt haben, kurz zu weinen; es kann auf geschickte Weise vom Regisseur und den anwesenden Betreuern hervorgerufen sein; es kann müde sein; es kann traumatisiert sein. Ist diese letzte vage Möglichkeit ein Grund, alle anderen Möglichkeiten auszuschließen? Ist sie ein Grund, in Zukunft die Arbeit mit Kindern beim Film massiv zu behindern, sie praktisch in vielem unmöglich zu machen? Vor allem ist sie kein Grund, einem Regisseur retrospektiv den Prozess zu machen, ihn öffentlich an den Pranger zu stellen.
Tatsächlich geht es in der Kunst mehr um die Kunst, als um das Weinen oder wie Herzog sagt, die Seelenqualen von Beteiligten. Sie sind schon deswegen uninteressant, weil es auch jenseits der Kunst zu Seelenqualen kommt, und weil man natürlich das Anliegen haben kann, eine Welt ohne Seelenqualen zu schaffen. Nur ist dieses Anliegen ziemlich aussichtslos, wie die Erfahrung zeigt.
Auch möchte ich die Frage stellen, ob mit den Seelenqualen möglicherweise dann auch die Kunst zu Ende ginge? Und ob eine Welt lebenswert wäre, in der es keine Kunst gibt? Kann ja sein. Kann aber auch nicht sein.
Ich bin jedenfalls Kunstkritiker geworden, weil ich mich lieber mit Kunst beschäftige als mit Seelenqualen. Und mit Seelenqualen vor allem dann, wenn sie Kunst erzeugen.
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Die anderen Fragen (die nach Produktionsbedingungen) sind keineswegs irrelevant. Irrelevant ist es allerdings, was Filmkritiker über sie denken – jedenfalls, soweit es über das ganz private Urteil eines jeden Bürgers und Zuschauers hinausgeht. Denn wir Filmkritiker sind komplett inkompetent in Bereichen, die Kinderpsychologie betreffen. Ebensowenig sind wir Spezialisten im Bereich Arbeitsrecht, im Bereich Klimaschutz, in Fragen der Energiesicherheit oder
in Fragen der richtigen Ernährung. Trotzdem schleicht sich eine Tendenz ein, dass wir Filmkritiker uns mit allem möglichen Kram beschäftigen, der die Rahmenbedingungen einer Filmproduktion betrifft – etwa Ernährung, »Green Producing«, Arbeitsrecht und neuerdings auch Kinderpsychologie – und uns dafür immer weniger mit dem befassen, was eigentlich allein unsere Expertise und damit auch unsere eigentliche Arbeit ausmacht: Ästhetik. Filmkunst. Die Frage nach dem Ort
eines bestimmten Films in der Kunstgeschichte und in der Gegenwartskunst, nach dem Verhältnis eines Films zu anderen Filmen, zu anderen Kunstwerken, zur Literatur und natürlich nach dem Verhältnis des Films zu den politischen, sozialen, kulturellen und insbesondere philosophischen und weltanschaulichen Fragen und Debatten, die die Gegenwartsgesellschaft gerade so beschäftigen.
Des Films, nicht der Produktionsbedingungen.
Und ja: Ich weiß, dass man beides nicht
glasklar trennen kann. Es geht um eine Tendenz.
Mit aktivistischer Filmkritik hat das alles sowieso nichts zu tun. Filmkritik, wenn sie sich richtig versteht, ist eher passivistisch als aktivistisch: Sie lässt den Film kommen; sie lässt sich vom Film sagen, wie dieser Film gesehen werden will, anstatt eine Schablone über diesen Film zu stülpen, die sowieso nicht passt, und die nur wie der Wald funktioniert, aus dem es so herausschallt, wie man hineingerufen hat.
Filmkritik sollte bescheidener sein, sollte sich auf ihre
Kernaufgaben konzentrieren. Anders gesagt: Schuster bleib bei deinen Leisten.
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»'Alle Offenbarungen des sizilianischen Wesens', sagte der Fürst, 'kommen aus krankhafter Träumerei, auch die heftigsten! Unsere Sinnlichkeit ist Sehnsucht nach Vergessen; unsere Flintenschüsse und Messerstiche Sehnsucht nach dem Tod; eine Sehnsucht nach wolllüstiger Unbeweglichkeit – das heißt: wiederum nach Tod – sind unsere Trägheit und auch unsere Eisgetränke; unsere grüblerische Art richtet sich auf das Nichts, als wollten wir die Rätsel des Nirvana lösen. Etwas Neues zieht uns nur an, wenn es schon verblichen ist.'«
Bei anderer Gelegenheit sagte Tomaso di Lampedusa, der Verfasser des »Leopard« diesen Satz: »Das eigentliche Interesse der Literatur sind die verlorenen Paradiese.«
Diesen Satz kann man getrost auf die ganze Kunst übertragen, und vielleicht sollte ihn sich das Kino jedenfalls zu Herzen nehmen: Nur Filme die Imaginäre zeigen, die Phantasien wecken (und vielleicht auch schon abbilden) sind es wert überhaupt gemacht zu werden.
Warum sollte die schlichte Wirklichkeit interessant sein? Oder so etwas Banales wie objektive Wahrheit?
Die ist nur viel einfacher zu filmen, als das Paradies oder die Hölle oder andere, ähnlich diskrete Räume.
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Es gibt einen neuen Medienstaatsvertrag, der nach langem hin und her hinter den Kulissen und nach Stellungnahmen der Verbände, die noch immer nur auf eine Weise veröffentlicht sind, die eigentlich einer Nichtveröffentlichung gleichkommt, nun sehr plötzlich und ohne weitere öffentliche Debatte fast schon fertig vorliegt.
Im Juli des kommenden Jahres soll der neue Staatsvertrag in Kraft treten. Schon vergangene Woche wurde mit der Unterzeichnung durch die Länderchefs begonnen. Fast alle Ministerpräsidenten unterzeichneten am letzten Freitag die Änderung des Medienstaatsvertrags, wie die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Demnach werden drei Länderchefs, die die Ministerpräsidentenkonferenz in Hannover früher verlassen mussten, ihre Unterschrift in Kürze noch nachholen. Danach muss der Staatsvertrag, der zum 1. Juli 2023 in Kraft treten soll, noch sämtliche Länderparlamente passieren.
Man kann sich fragen, ob da überhaupt noch was dran zu ändern ist, und ob er all die vielen klugen Anregungen der um Anregung gebetenen Verbände und Branchen Teilnehmer und auch einfacher Bürger bzw. Zuschauer berücksichtigt.
Das scheint aber unbedingt nötig zu sein, um die grassierende, alle paar Wochen aufkommende Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu befriedigen. Affären wie die beim rbb sind für den schleichenden Vertrauensverlust weniger gefährlich, als
der durch eindeutige Umfragen in der breiten Bevölkerung grassierende Eindruck – egal ob der nun sachlich zutreffend ist oder nicht – die Medien würden nur selektiv berichten, man könne nicht ungestraft »alles sagen«, die Medien seien zu regierungsnahe, zu konformistisch, zu unkritisch, zu staatstragend und würden über viele Themen, etwa die Corona Pandemie oder den Ukraine Konflikt nur einseitig berichten.
Jetzt, in den letzten Tagen, ist plötzlich die Rede von einem »Medienkonvent«, der vor allem von den notorischen Kritikern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks flehentlich herbeigesehnt wird.
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Es ist Herbst, es ist wieder viel los. Wir bleiben dran.
(to be continued)