Cinema Moralia – Folge 293
Hinterm Horizont geht's weiter… |
||
Wenigstens ein Lichtblick: Christoph Hochhäuslers Bis ans Ende der Nacht | ||
(Foto: Berlinale / Christoph Hochhäusler) |
»In den letzten 20 Jahren ist ein deutsches Kino entstanden, das von Anpassung, Angst und falschen kommerziellen Vorstellungen geprägt ist. Diesen deutschen Gremienfilm gilt es abzuschaffen, wenn das Kino der Zukunft sein Publikum mit interessanten, spannenden, abgründigen und künstlerisch besonderen deutschen Filmen finden möchte. ... Mehr Energie für die Kunst, weniger den verkrusteten und überkommenen Strukturen.«
Aus den »Frankfurter Positionen« 2018
Filmpolitik ist heute vor allem Politik, nicht Film. Warum hat eigentlich niemand in der ganzen Branche irgendetwas darüber geschrieben oder es zum Thema gemacht, dass die sogenannte Kulturstaatsministerin im Gegensatz zu ihren Vorgängern im Verwaltungsrat der FFA sitzt, und dass sie offenbar auch wirklich hingeht.
+ + +
Man muss sich nur einmal in Ruhe reinziehen, wer da alles drinsitzt, und wer nicht – ich hatte es schon wieder verdrängt –, um zu verstehen, warum der deutsche Film so ist, wie er ist.
Filmemacher sind in der Unterzahl, selbst wenn man den Begriff wohlwollend auslegt. Es dominiert die Schwerindustrie, Arthouse ist ein willkommenes Ornament, Kunst und unabhängige Künstler sind so gut wie nicht vertreten.
Sie aber sollen den deutschen Film dann retten, und einmal pro Dekade in den Wettbewerb von Cannes bringen. Der Verwaltungsrat fliegt zum Carpet Rouge in der Business Class hinterher.
+ + +
Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen. – Menschen meiner Generation kennen diesen Satz. Angeblich stammt er von Helmut Schmidt. Zu dem Kanzler, der sich selbst »leitender Angestellter der Bundesrepublik« nannte, hätte dieser Satz jedenfalls gepasst.
Trotzdem würde man sich heute auch in der Filmpolitik einen wie Helmut Schmidt zurückwünschen. Einen der jedenfalls nicht um klare Worte verlegen war, der Probleme benannte und den Finger in die Wunde legte, statt
wegzuschauen. Einen der auch deswegen »Schmidt-Schnauze« hieß, weil er Dinge sagte, die unbequem sind, und weil er überhaupt Dinge sagte. Die heutige Politikergeneration hat vor allem ein Desinteresse und sagt nichts. Sie macht zwar sogenannte Öffentlichkeitsarbeit und »kommuniziert« im Twittertakt, aber hinter den vielen Worten verbirgt sich in der Regel nur das große Nichts. Nur ja nix Falsches sagen. Das gilt ganz sicher auch für die Kulturpolitiker.
Aber kommen wir zurück zu Helmut Schmidt. Wie gesagt, zum Arzt sollte gehen, wer Visionen hat. Beim deutschen Film reicht aber bald kein Arzt mehr. Wenn der deutsche Film nicht jetzt bald zum Arzt geht, kommt nämlich irgendwann der Leichenbestatter.
+ + +
Visionen brauchen wir. Wenn die Zukunft des deutschen Films nicht visionär gedacht wird, dann wird es sie nicht geben. Und ein deutsches Kino, das Hollywoods Durchschnitt nachäfft, regionale Schauspielstars als Regie-Quereinsteiger feiert, um die echten nicht zum Zuge kommen zu lasen, und ab und an ein »Großes Fernsehspiel« auf Leinwandgröße aufbläst, das brauchen noch nicht mal die Deutschen.
+ + +
Vor fast fünf Jahren wurden in Frankfurt die »Frankfurter Positionen zur Filmpolitik« verabschiedet. Über 100 Filmschaffende und Branchenangehörige wirkten daran mit.
In der Folge bildete sich gleich eine Handvoll von Initiativen. Manche Gründung mag nur eine Frucht der allgemeinen grassierenden Unruhe gewesen sein, und gewissermaßen eine
Vorahnung jenes Erdbebens, das dann in Form der Pandemie die ganze Kulturbranche erschüttern sollte. Viele aber waren ein Indiz dafür, dass im deutschen Film gar nichts mehr rund läuft, und dass neben den alten Fördergesetzen die alten typischen eingefahrenen politischen Wege, aber ebenso auch die Akteure und Institutionen einer Runderneuerung bedürfen. Das geübte Hickhack der Verbände, das routinierte Gegeneinander, manchmal aber auch das allzu ölige Miteinander und Ineinander
führte nur noch zu rasendem Stillstand. Nicht mehr aber zu irgendetwas Schöpferischem; oder auch nur zu gutem ökonomischem Überleben.
Also kam es zu Neugründungen. Manche sind thematisch auf einen spezifischen Punkt konzentriert, wie etwa »Film macht Schule«. Der »Hauptverband Cinephilie« ist eine der
wichtigsten Neugründungen; gerade auch, weil hier die verschiedenen klassisch im Gegensatz befindlichen Bereiche Kreative Entwicklung, Produktion und Vertrieb einmal auf Augenhöhe in einer Organisationsform zusammengefunden haben und der Austausch produktiv wird. Eine weitere ist die »Initiative Zukunft Kino + Film«, ein
Zusammenschluss unabhängiger Verbände und Netzwerke, von Kino- und Filmfachleuten. Sie versteht sich als Plattform für Austausch, Nachfragen und Debatte, und wird für die gemeinsamen Interessen und Ziele öffentlich eintreten.
Zum dynamischen Verbund der IZK+F gehören unter anderem die AG Animationsfilm, AG Kurzfilm, Bundesverband Regie, Crew United, Hauptverband Cinephilie, Bundesverband kommunale Filmarbeit, Verband der deutschen Filmkritik, Zukunft Deutscher Film.
Ein repräsentativer Querschnitt der Filmbranche. In deren Forderungen und Vorschläge fließen diverse Impulse ein, die von den Frankfurter Positionen ausgehen.
Gemeinsam ist den Teilnehmern wie auch den anderen Initiativen, dass sie alle einen Paradigmenwechsel in der deutschen Filmkultur und ihren politischen wie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fordern.
+ + +
Vor fünf Jahren wurde nach den Frankfurter Positionen geschrieben: »Das Gespräch muss weitergehen und zu konkreten Veränderungen führen.«
Es ist weitergegangen, aber es hat nicht zu konkreten Änderungen geführt. Eigentlich genügt es, sich die vier (großartigen) »Thesen zur Filmkultur«, die damals von Regisseur Edgar
Reitz formuliert wurden, noch einmal durchzulesen; eigentlich genügt es, danach noch einmal die Frankfurter Positionen zur Hand zu nehmen. Dann versteht man, worum es geht, und dann muss man sich entscheiden.
»Politik ist das langsame Bohren harter Bretter.« Auch so ein Satz. Dieser Satz von Max Weber trifft unverändert zu, und er trifft auch auf die deutsche Filmförderpolitik zu. Aber das allein ist es nicht. Politik ist auch das widerstandslose Bohren in Styroporplatten und das Rennen gegen Schaumstoffwände. Die Kulturstaatsministerin, nein: die sogenannte Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist eine solche Kulturstaatsministerin gewordene Schaumstoffwand. Sie sagt zu allem Ja und Amen, außer wenn es um Veränderung geht. Sie hat immer gute Laune, außer wenn es um die Ukraine geht. Sie lacht über alles, selbst über die Filmemacher und ihre durchaus nicht zum Lachen gemeinten Anliegen. Nichts ist schlimmer als das Dauerlachen dieser Ministerin.
+ + +
Nach fünf Jahren ist es Zeit für eine Wiedervorlage und eine Weiterentwicklung der Positionen und der darin artikulierten Wünsche nach Abschaffung des Gremienfilms und für eine grundlegende Neuordnung des Deutschen Films.
Ein erster Schritt dazu wurde jetzt unternommen. Unter dem Titel »Für einen Neuanfang im deutschen Film« stellt die Initiative jetzt ihr Konzept für eine Reform der Filmförderung vor. Hier, auf der Seite des »Verband der Deutschen Filmkritik«, der zu den Unterzeichnern gehört, kann man es nachlesen.
Filmförderung ist kompliziert. Darum sind es auch diese Forderungen, die versuchen, dieser Komplexität Rechnung zu tragen. Der geforderte Neuanfang ist radikal und entschieden, aber er ist keine Revolution. Er bewegt sich innerhalb eines Systems, das Kunst unter die Kuratel von Wirtschaftlichkeit und Publikumserfolg stellt, und damit dem Film eine Sonderrolle zuweist, die man fast allen anderen Künsten, die man gern staatlich alimentiert, nie zumuten würde.
Aber es nimmt diese wesensfremden Elemente ernster, als es die Förderrichtlinien und ihre politischen Auftraggeber jemals taten.
Denn wenn schon Wirtschaftlichkeit und Publikumserfolg, dann muss man anerkennen, dass ein Film, der mit 100.000 eingesetzten Euro 10.000 Zuschauer bekommt, um ein Vielfaches wirtschaftlicher ist, als einer der mit 10 Millionen 100.000 Zuschauer bekommt. Zur Zeit passiert genau dies auf keiner Ebene des Förderzirkus.
+ + +
Zusammenfassend geht es in dem Papier vor allem um mehr Klarheit und Transparenz und um eine komplette Trennung der zur Zeit auf allen Ebenen unselig vermischten zwei Säulen der Filmförderung: die künstlerische und die wirtschaftliche.
Alle können alles beantragen. Da es aber rein kommerziellen Projekten schwer fallen dürfte, ihren künstlerischen Wert nachzuweisen und manchen künstlerisch ambitionierten Vorhaben, ihre ökonomischen Erfolgsaussichten, trennen
sich die Felder relativ. Zugleich bleibt niemandem ein Feld grundsätzlich verschlossen. Realistische Selbsteinschätzung und Mut werden belohnt, das »Frisieren« von Anträgen wird sinnlos. Und da die Gesamtetats der Förderung immer zu gleichen Teilen aufgesplittet werden, werden die Chancen künstlerisch ambitionierter Projekte verbessert.
Das Fernsehen bleibt bei allen Entscheidungen außen vor, hat aber eine harte Ankaufsverpflichtung ex post.
Die Transparenz wird deutlich erweitert.
Jeder Zuschauer ist der Filmförderung gleich viel wert, anstatt wie jetzt in der Referenzförderung Blockbuster gegenüber Filmkunst zu befördern.
Auch jedes Filmfestival ist der Referenzförderung gleich viel wert, anstatt wie bis jetzt einigen wenigen alteingesessenen Festivals oder den großen von Vorgestern (Hofer Filmtage!) grundlos einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den vielen engagierten neuen Playern zuzuschustern.
+ + +
Man muss es lesen, man darf Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge machen, uns kritisieren. Bitte billige Polemik nur, wenn sie launig formuliert ist und Lust an echter Auseinandersetzung erkennen lässt. Von Beileidsbekundungen bitten wir generell abzusehen.
+ + +
Ich teile bei Weitem nicht jeden Einzelpunkt des Papiers. Vor allem das Vertrauen in Jurys und andere Gremien fehlt mir, es ist schon zu oft und zu nachhaltig erschüttert worden. Wenn schon subjektive Entscheidungen unumgänglich sind, dann bitte nach dem Intendantenprinzip, wie es in Dänemark oder beim Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB) praktiziert wird. Dort sind Verantwortungen klar zuzuordnen, und die Subjektivität der Entscheidung, die es auch in Jurys gibt, wird
durch totale Transparenz ausgeglichen. Man weiß immer, wer schuld hat.
Das Problem beim MBB – und die große Differenz zu Dänemark – ist nicht, dass eine allein entscheidet, sondern dass die Amtszeiten nicht klar begrenzt sind. So erst entstehen in vielen Förderinstitutionen – übrigens auch bei der FFA – monarchisch anmutende Strukturen, despotisches Gebaren und eine Amtsdauer, die die Regierungsjahre vieler absolutistischer Fürsten weit
übersteigt.
+ + +
Aber die Richtung stimmt. Mit dem Konzept »Für einen Neuanfang im deutschen Film« ist eine erste Grundlage gelegt, auf der man aufbauen kann. Hinter diese Grundlage gibt es jetzt kein Zurück mehr, die weitere Diskussion wird versuchen, sie zu ignorieren, aber sie wird sich auf sie beziehen müssen. Die Kulturstaatsministerin, die sich derzeit im Ministerium eingegraben hat, um dort mit ihren Referenten an dem lange hinausgezögerten, nun für die Berlinale angekündigten filmpolitischen »Aufschlag« zu basteln, wird dessen Niveau und Klarheit erst einmal einholen müssen. Dass sie es nicht überbieten wird, darauf sind wir bereit zu wetten.
+ + +
Nichts weniger als die Erneuerung der Filmkultur steht jetzt auf der Agenda. Das sollte eine Kulturstaatsministerin doch interessieren.
+ + +
Die Zukunft des deutschen Films muss visionär gedacht werden. Visionen bedeuten Entwürfe – Designs –, die mutig al fresco in die Debatte geworfen werden. Vorurteilsfrei müssen sie sein, und vorgabenfrei. Tabus darf es nicht geben.
Gerade das Undenkbare muss gedacht und diskutiert werden dürfen. Zum Beispiel: Die Abschaffung des Kulturföderalismus, die totale Transparenz aller Gremien, Quoten für europäische Filme und für Filmkunst, Kunstsubventionen statt Standortsubvention und rückzahlbare Darlehen, Förderbanken mit zinslosen Darlehen zur Zwischenfinanzierung, das Ende der Indienstnahme von Kunst für politische und gesellschaftliche Zwecke, staatliche Filmmuseen und -bibliotheken in
jeder Stadt, öffentlich-rechtliche Kinos als Opernhäuser des 21. Jahrhunderts, Film und Medienkunde als Pflichtfach an den Schulen, die Gleichstellung (ästhetisch wie politisch wie ökonomisch) von Kino und Film gegenüber anderen Künsten.
Aber das wäre mehr als nur radikal und entschieden. Es wäre eine Revolution.
Offenlegung: Der Autor ist Mitglied im Beirat des VDFK, der das Papier hier mitgezeichnet hat. Er arbeitet für manche, die er hier lobt, für alle anderen möchte er arbeiten.
(to be continued)