Cinema Moralia – Folge 296
Der Riss in der Wirklichkeit |
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Frau hat das Wort: Barabara Wurm ist die neue Forums-Leiterin der Berlinale | ||
(Foto: ÖFM/© Mercan Sümbültepe) |
»Humankind cannot bear very much reality.«
T.S Eliot»We are in charge, but not in control.«
Dänische Filmförderung
Beim Regiesalon des Bundesverband Regie ging es am Mittwoch in Berlin um die Zukunft des Kinos. Ein weites Feld, doch zugleich ein Thema, das keine Kompromisse erlaubt. Sie suche mit ihren Produktionen nach dem Riss in der Wirklichkeit, sagte die Filmemacherin Anna de Paoli da zu Beginn und erinnerte sich, dass man bei Filmförderung ihre ersten dffb-Filme moralisch fragwürdig fand. Aber, so Anna de Paoli weiter: »Moralisch fragwürdig – das ist ja eigentlich das, worum es geht.«
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Das moralisch Fragwürdige und den Riss in der Wirklichkeit, den möchte ich endlich auch wieder im »Internationalen Forum des Jungen Films« sehen.
Das Forum, die Älteren erinnern sich, war einmal die interessanteste Sektion der Berlinale – auch in jenen Zeiten, in denen die Berlinale unter Moritz de Hadeln bis 2001 noch wirklich ein Festival ersten Ranges war.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Seitdem hat vor allem das Forum unter der Popularisierungspolitik von Dieter Kosslick gelitten. Solange Christoph Terhechte, der Nachfolger der Gründer Ulrich und Erika Gregor von 2002-2018 die Forums-Leitung innehatte, gab es zwar aus meiner Sicht eine ganze Menge zu vermissen und zunehmend auch zu kritisieren. Aber noch immer war das Forum eine Alternative zum Übrigen und der Ort, an dem man im Zweifelsfall die interessantesten Sachen sehen
konnte. Vor allem aber war es eine Sektion mit relativ klarem Profil.
Seit 2018 ist auch damit Schluss. In der neuen Berlinale des Direktorenpaares Chatrian und Rissenbeck ist alles diffus geworden. Nie war die Chance so groß, neben diesem schlecht kuratierten Kraut-und-Rüben-Programm präzise, klare, aber eben auch zum divers interessierten Berlinale-Publikum offene und wagemutige Entscheidungen zu treffen und mit einem glasklaren, pointierten Profil zu punkten. Die wirklich
unabhängige »Woche der Kritik« hat es – quasi ohne Geld – dem vergleichsweise gut ausgestatteten Forum vorgemacht.
Demgegenüber ist das Forum stur und puritanisch und vor allem langweilig geworden, und hat alles Spielerische ans Panorama und Encounters verloren. Man muss allerdings um die Filmemacher auch buhlen. Das hat schon Dieter Kosslick nicht verstanden.
Es ist zwar ungerecht so zu kommentieren wie dies viele Berliner Lokaljournalisten tun, die die Berlinale als ein zweites Locarno bezeichnen. Aber man tut dem Forum kein Unrecht an, wenn man feststellt, dass es eine gesichtslose Sektion geworden ist, die den meisten internationalen Gästen nichts zu sagen hat, und die in der Berlinale ihren Platz verloren hat. Die Aufspaltung in Forum und Forum Expanded macht das alles zusätzlich kompliziert.
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Auch in diesem Jahr habe ich zumindest zwei gute Filme beim Forum gesehen, den rumänischen Film Between Revolutions von by Vlad Petri, der auch den Preis der internationalen Filmkritik erhalten hat, und die argentinische Komödie Arturo a los 30 von Martin Shanly. Mit Interesse habe ich auch die Bilanz des Kollegen Wolfgang
Lasinger letzte Woche gelesen – und ich will das positive Fazit gern glauben, zumal dies vor allem mit älteren Regisseuren belegt wird, die bereits zu den Zeiten der Gregors im Forum liefen.
Es ist ja jetzt nicht der Platz, die aus meiner Sicht sehr zahlreichen Fehler, Versäumnisse und die vollkommen verquer ausgerichtete Direktion unter Cristina Nord noch einmal in ihren Einzelheiten zu kommentieren. Sie wird eine Übergangsfigur bleiben. Nord hatte sich früh mit Teilen des
Forums-Teams überworfen, hatte es in der Pandemie allemal nicht leicht gehabt, und sie hat sich selbst alle Möglichkeiten und die Unterstützung der Gutwilligen verbaut, als sie sich schon nach einem Jahr an einer anderen Institution beworben hatte.
Man hat jedenfalls schon länger nicht mehr das Gefühl, man müsse das Forum sehen. Dass ich mit diesem Eindruck nicht allein stehe, zeigt etwa die enttäuschte Bilanz, die die geschätzte niederländische Kollegin Dana Linssen im Filmkrant zog.
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Nun könnte aber alles anders werden. Denn das Forum meldet, dass Barbara Wurm zur Nachfolgerin von Cristina Nord ernannt wurde.
Das ist eine wunderbare Entscheidung! Und ein Verlust für das Auswahlkomitee der Chatrian-Berlinale, das damit eine seiner wenigen profilierten Personen verliert. Wurm ist Filmwissenschaftlerin und Slavistin. Sie hat für viele Festivals gearbeitet und ist in ihrer zukünftigen Aufgabe viel erfahrener als ihre Vorgängerin. Leicht wird sie es trotzdem
nicht haben.
Wurm selbst wird in der Pressemitteilung wie folgt zitiert:
»Ich betrachte es als Chance und als Ehre, das Forum leiten zu dürfen, diese so mutige wie geschichtsbewusste Sektion der Berlinale. Für mich als eine von vielen Kinogänger*innen ist das Forum durch die enge filmkulturelle und programmatische Anbindung an das Arsenal eine Art 'home base', ein Ort des gemeinsamen Entdeckens und Diskutierens, der kuratorisch zum Handlungs- und Möglichkeitsraum wird. Hier trifft
die Geschichte des Films auf seine Gegenwart, hier öffnet sich das Kino der Welt. Ich nehme die Herausforderung, das Forum in diesen politisch, kulturell und gesellschaftlich so fragilen Zeiten zu leiten, sehr gerne an – mit Offenheit und Verantwortungsbewusstsein.«
Wir gratulieren und wünschen Barbara Wurm viel Glück. Schon im Eigeninteresse von Menschen, die das Kino lieben und spüren, was sie mit dem Forum in den letzten Jahren verloren haben.
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Sehr anregend war der erwähnte BVR-Regiesalon – nicht nur für den schwelenden Konflikt zwischen Regisseuren und Drehbuchautoren. Es ging auch um das Verhältnis zwischen Industrie und Autorenfilm, oder wie es der Dramaturg Timo Gössler formulierte: zwischen Stereotypen und Utopie.
Dabei stimmt es nicht, wie gesagt wurde, dass Utopien heute zu entwickeln oder zu denken sind. Wir können sie nur heute weniger glauben.
Allzu oft wird in Deutschland aber über Film geredet, als sei er eine Medizin. Gegen das Böse, für Verbesserung der Welt, Ermutigung und Vielfalt.
Das stimmt leider nicht. Gerade wenn Film zum Träger wichtiger Inhalte wird und so gewollt ist, fehlt ihm die Qualität.
Wenn ästhetische Originalität mit dem politisch Gewollten gleichgesetzt wird, existiert sie selten.
Empowerment im Filmbereich müsste heißen, dass man machen darf, was man machen will. Es kann nicht heißen, dass man machen darf, was man machen soll.
Utopien können nicht verordnet werden.
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Solche Anregungen kann auch die Kulturstaatsministerin gut brauchen.
Der von Claudia Roth jetzt endlich nach langer Verzögerung vorgelegte Entwurf erster Grundsätze zukünftiger Filmförderung – Eckpunkte sind dies keineswegs, vielmehr wurden alle Ecken und Kanten weggeschliffen – zeigt vor allem, wie wenig die Ministerin in der Materie ist, dass sie noch nicht verstanden hat, wo die Probleme des deutschen
Films liegen und dass sie einseitig auf die Produzentenverbände hört, diese offenbar mit der ganzen Filmlandschaft verwechselt.
Roths Eckpunkte-Papier hat ein paar gute, aber viel zu allgemein gefasste und in verschiedenste Richtungen interpretierbare Ideen. Es gibt viel Geschwurbel – etwa die Formulierung, die FFA solle zu einer »Filmagentur« werden. Was soll denn das sein? Man denkt sofort an die »Bundesagentur für Arbeit« – und fürchtet das Schlimmste: Film und
Kunst nicht mehr als Bürgerrecht, sondern als Almosen. Und vor allem Controlling und Kontrollwahn: Mikromanagement noch kleinster Details und Bürokratierechfertigungs- und Überwachungsfluten wie im schlimmsten Grünen-Albtraum.
Es fehlen klare Grundsätze – wie zum Beispiel die Befreiung des deutschen Films durch uneingeschränkte Transparenz, Abschaffung aller Deckelungen von Referenzgeldern und Fördergeldern, die Abschaffung der Marktlogik, Filmbildung an allen Schulen – und es fehlt die Einsicht, dass Film wirtschaftlich in Deutschland auf keiner Ebene funktioniert. Dass die sogenannte Wirtschaftlichkeit des deutschen Films ein frommer Wunsch ist, erst recht bei großen
Projekten.
Stattdessen Kontrollwahn, Festhalten am Grundsatz der »Marktlogik« und das Festhalten an der fatalen Vermischung von Kultur- und Wirtschaftsförderung, die das Kino hierzulande bereits weitgehend ruiniert hat.
Claudia Roth hat den Riss in ihrer Wirklichkeit noch vor sich. Möge er bald kommen!
(To be continued)