Cinema Moralia – Folge 319
Hitler auf Naxos, Ariadne in Stammheim |
||
Was macht die Mickey Maus neben Marianne Hoppe? (Hitlers Hollywood) | ||
(Foto: Farbfilm) |
»Eines der größten Rätsel der deutschen Filmgeschichte läuft eher auf diese Frage hinaus: Woran liegt es, dass, zum Beispiel, der Regisseur Helmut Käutner unter Goebbels' Herrschaft (und gegen dessen Intentionen) seine besten Filme drehte, nicht nur ›Unter den Brücken‹, auch ›Große Freiheit Nr. 7‹, ›Romanze in Moll‹, ›Auf Wiedersehen, Franziska‹? Und dass dieser Käutner, wie fast der gesamte deutsche Film, nach dem Ende dieser Herrschaft, in der künstlerischen Freiheit also, kaum mehr als Harm- und Geschichtslosigkeit, müde Späße und unkonzentrierte Inszenierungen zustande brachte?
Was aber eine andere Geschichte wäre.«
Claudius Seidl in seiner Rezension zu »Hitlers Hollywood«; FAS, 28.02.2017
Wer ist am kommenden Dienstag, den 2.April in Frankfurt? Dann kommt doch alle in die Naxos-Halle. Im dortigen Kino läuft in der Reihe »Dokumentarfilm & Gespräch« um 19 Uhr mein Film Hitlers Hollywood über das deutsche Kino der Nazi-Zeit. Anschließend gibt es ein Filmgespräch zwischen mir und Meinrad v. Engelberg vom Fachgebiet Architektur- und Kunstgeschichte der TU Darmstadt. Und danach bestimmt Äppelwoi. Erbarme! Zu spät!!
Die im Prinzip sehr schöne, architektonisch besondere und seit den 1990er Jahren zu einem Frankfurter Kulturzentrum restaurierte Naxos-Halle ist übrigens für diese Vorstellung prädestiniert, wie wenige andere Orte in Frankfurt. Denn diese Halle war, wie selbst der entsprechende Wikipedia-Eintrag von 1907 nach 1980 springend, schamhaft verschweigt, als Teil der Firma »Naxos-Union« im Besitz einer Familie, die 1935 infolge der »Nürnberger Rassegesetze« enteignet wurde. Von 1942 bis 1944 mussten mehr als 700 Bürger europäischer Staaten bei der Naxos-Union Zwangsarbeit leisten.
+ + +
Wer hätte das gedacht? Ich nicht, das gebe ich gerne zu. Und darum möchte ich heute Abbitte leisten, Abbitte an die Deutsche Filmakademie.
Es gibt ja ohne Frage mit guten Gründen eine Menge zu kritisieren an der Deutschen Filmakademie und vielleicht schon überhaupt an der Existenz dieser Einrichtung. Und auch an der Art, wie der Deutsche Filmpreis vergeben wird. Nach wie vor glaube ich, dass über die Jahre hinweg die weitaus besseren, also interessanteren Ergebnisse erzielt
würden, wenn die deutschen Filmemacher und alle anderen Mitglieder der Filmakademie und Angehörigen der sogenannten deutschen Filmkultur sich entschließen könnten, einer Jury und einem Juryverfahren zu vertrauen. Also einfach einer wechselnden, aber stark begrenzten Zahl von Personen, die gemeinsam alle infragekommenden Filme ansehen – unter den Bedingungen, für die sie gemacht wurden, also im Kino.
Und es spricht natürlich auch nicht für den Deutschen Fimpreis, dass er
genau an dem Wochenende vergeben wird, an dem die »Kurzfilmtage Oberhausen« ihr 70. Jubiläum feiern.
Wir erinnern uns: »Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen. Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.«
+ + +
Aber aber aber... Ausgerechnet nachdem sich die deutsche Filmakademie endgültig vom letzten Rest des eigentlich richtigen Jury-Prinzips verabschiedet hat und die Lex Petzold, die die sogenannte Kulturstaatsministerin Claudia Roth per ordre de Mutti verkündet hat und der Filmakademie auch ein bisschen aufzwang, was dazu geführt hat, dass es von Anfang an nur noch Massenabstimmungen gibt, wenn auch beschränkt auf die einzelnen Filmsektionen, ausgerechnet in diesem Jahr, in dem zum ersten Mal dieses auch intern von der Leitung durchaus ungeliebte Verfahren angewandt wurde, setzten sich – vielleicht auch einfach mangels schlechterer Konkurrenz – erstaunlich gute Filme und zumindest in vielem die Besten des Jahrgangs durch.
Es ist so großartig wie erstaunlich wie verdient, dass Ayse Polats sensationll guter Film Im toten Winkel die drei wichtigsten Nominierungen – Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch – erhielt, dass Matthias Glasners auch erstaunlich guter wilder ebenfalls mutiger Sterben etliche Nominierungen bekam.
Ich kann nicht anders als zugeben, dass mir diese Preise
und Nominierungen auch besser gefallen als manche Nominierungen und erst recht spätere Preise, die mein eigener Verband, der Verband der deutschen Filmkritik, mit dem eigentlich viel besseren Jury-Prinzip entschieden hat. Da kommt es aber natürlich auch auf die Besetzung an.
+ + +
Wenn auch, apropos Sterben, hier wieder der große Fehler und blinde Fleck der Akademie erkennbar ist: Dass nämlich viele nicht begreifen, dass der beste Teil dieses Films der mit Lilith Stangenberg ist, nicht jenes vielgelobte Tischgespräch von Mutter Harfouch und Sohn Eidinger. Sondern die verachteten Szenen mit der vom Regisseur/Bruder verachteten Schwester und Alkoholikerin.
Lilith Stangenberg hätte unbedingt eine Nominierung als Beste Hauptdarstellerin gebührt.
+ + +
Ein deutscher Erinnerungsort ist Stammheim. Jutta Brückner, Ehrenpreisträgerin des Verbands der Filmkritik, ist eine der wenigen, die sich dem bislang gestellt haben. In ihrem Stück »Bräute des Nichts«, aber nicht im Film leider, allerdings wohl auch, weil ihr dafür keiner Geld gegeben hat.
Zumindest der berühmte Gerichtssaal in Stammheim wird abgerissen, die sogenannte Gerichtsfestung, die eine große Arena der Auseinandersetzung von Staat und Terrorismus gewesen ist.
Wenn der deutsche Film Tiefe hätte, dann würde er aus diesem Ort viel mehr machen, als er bisher gemacht hat, dann würde man z.B – nicht zuletzt vor dem Hintergrund jetziger terroristischer Aktionen – noch mal einen Blick zurück in die 70er Jahre werfen und dann wieder einen Blick zurück vom RAF-Terrorismus zu früheren und anderen Terrorismen der Geschichte zu den Dämonen Dostojewskis, aber vielleicht auch zu den Frauen und Männern der terroristischen Regierung des
»Dritten Reichs«. Das hat bisher nur Jutta Brückner gewagt.
Aber eine »Antigone in Stammheim« steht noch aus. Oder »Ariadne in Stammheim«.
+ + +
Allmählich in Fahrt kommt die Diskussion um das Filmfördergesetz (FFG). Genau gesagt um den Entwurf zur Novellierung dieses Gesetzes, das eigentlich schon längst novelliert gehört hätte. Allmählich melden sich die Verbände.
Wir teilen hier eine gemeinsame Stellungnahme von der unabhängigen »Initiative Zukunft Kino + Film«, der auch der Verband der Filmkritik angehört.
Es gibt
dazu wieder mal einiges zu sagen, aber ein andermal.
+ + +
Das argentinische Kino – erst letzte Woche schrieben wir hier über den wunderbaren Spielfilm Los delincuentes von Rodrigo Moreno –, das argentinische Kino steht unter Attacke. Der sogenannte »libertäre Anarchist« auf dem Präsidentensessel, Javier Milei, glaubt, ohne Filmförderung gäbe es das bessere Kino und sowieso sei staatliche Förderung Teufelswerk.
Für das Kino, jedenfalls das deutsche, wäre ein solcher Totalverzicht auf Filmförderung sogar ein instruktiver Feldversuch, dessen Ergebnisse ich gern mal sehen würde. Es wären, glaube ich, eher die Richtigen, nämlich die allzu Mainstream-hörigen mittelgroßen Konzerne, die darunter leiden würden, denn Autorenfilmer werden in Deutschland sowieso vergleichsweise mit Brosamen abgespeist. Aber das ist ein anderes Kapitel (siehe oben). Jedenfalls erreicht uns jetzt eine Mischung aus
Hilferuf und Solidaritätsaufruf von den Kollegen aus dem Nachbarland Uruguay.
Wir zitieren:
»Hallo, Freunde! Die Cinemateca Uruguaya verfolgt sehr aufmerksam, was mit dem argentinischen Kino und der argentinischen Kultur geschieht, und in diesem Moment, in dem unser 42. Internationales Filmfestival von Uruguay stattfindet, wollen wir diese Situation so gut wie möglich sichtbar
machen.
Das Festival wurde mit dem argentinischen Film ›La práctica‹ von Martín Rejtman eröffnet, und ich wollte die kurze Ansprache von Alejandra Trelles, der Direktorin des Festivals, anhängen, damit Sie sie, wenn Sie möchten, in den Medien und Netzwerken, die Ihnen zur Verfügung stehen, verbreiten können.«
Darin heißt es unter anderem:
»Dieses Kino mit einer so breiten und talentierten Tradition, das nicht nur unser Festival eröffnet, sondern es auch mit 20 weiteren Filmen in den verschiedenen Sektionen bereichert, mehrere davon Koproduktionen mit Uruguay, gedreht in Landschaften, die uns sehr vertraut sind, und mit Schauspielern und Schauspielerinnen, die wir sehr gut kennen.
Wir können uns ein Festival ohne sie nicht vorstellen, es wäre eine unannehmbare kulturelle Leere, wenn die in diesen
dramatischen Tagen angekündigte Politik in ihrem Land vollzogen wird.
Hätten wir uns gestern vorstellen können, dass eine öffentliche Politik darin bestehen würde, Filmfestivals zu hassen?
Hätten wir uns gestern vorstellen können, dass im Land von Borges und Piazzolla, von Leonardo Favio und Marta Argerich, von Lucrecia Martel und Ricardo Piglia, von María Luisa Bemberg und Victoria Ocampo ein offizielles Kommuniqué verfasst wird, das in dem berüchtigten Satz gipfelt: 'Die
Jahre, in denen Filmfestivals mit dem Hunger von Tausenden von Kindern finanziert wurden, sind vorbei'?
Aber, wie Sie wissen, ist in jedem Verbot auch ein Lob enthalten.
Warum scheinen Filmfestivals so relevant zu sein, dass sie zum Fetisch werden, das, was ganz oben auf der populistischen und reaktionären Agenda steht, wenn es darum geht, angegriffen oder von der Landkarte getilgt zu werden?
Es ist notwendig, darüber nachzudenken, warum ein Filmfestival in dieser
entfremdeten Zeit des individualistischen Konsums zu einem subversiven Akt geworden ist.«
»Ein Festival ist eine demokratische Zusammenkunft, bei der wir sensible Werke genießen können, die von den Zerbrechlichkeiten einer Welt sprechen, in der sich die Gewalt scheinbar festgesetzt hat.
Ein volles Kino, in dem man sich gemeinsam an so unterschiedlichen Geschichten wie Landschaften, Kulturen, Sprachen und Völkern erfreuen kann, ist der beste Ausdruck einer demokratischen Agora.«
»Es ist ein Ort, an dem es keine Gewissheiten, sondern Zweifel gibt, ein offenes Fenster, durch das Luft eindringen und unsere Überzeugungen, Mythen und wertvollsten Annahmen bis ins Mark erschüttern kann.
All das ist es, was die Barbaren und ihr so genannter Kulturkrieg, der in Wirklichkeit nichts anderes als ein Kreuzzug gegen die Kultur ist, verabscheuen.
Aber das Kino als populäre Kunst und als Mobilisator des Bewusstseins ist die Wurzel dieser Zeit. Und zweifeln Sie
nicht daran, dass nicht die Schließung, sondern die Öffnung der Kinosäle dem 'Hunger der Kinder' ein Ende setzen wird, aber auch der Demütigung, sich hinter ihrem Leid zu verstecken, um Ungerechtigkeiten zu rechtfertigen.«
CINE ARGENTINO UNIDO ruft zu einem Foto der Solidarität und Unterstützung des argentinischen Kinos seitens der Regisseure und Kulturschaffenden auf, um die Politik der Kürzungen und der Aushöhlung des Kinos, des Filminstituts und der Kultur im Allgemeinen zu verdeutlichen.
+ + +
Neulich im Gespräch mit einer Freundin, einer Dokumentarfilmemacherin, kam ich auf Lutz Dammbeck. Dieser Dokumentarfilmregisseur gehört zu den in Deutschland sträflich unterschätzten und noch viel sträflicherweise eigentlich komplett ignorierten Filmemachern. Dabei macht Dammbeck Filme, die in die Breite gehen ohne an Dichte einzubüßen und die eigentlich genau so sind, wie man Dokumentarfilme machen muss. Das meinte auch die befreundete Filmemacherin, um gleich hinzuzufügen, dass sie zur nicht lange zurückliegenden Zeit ihres eigenen Filmstudiums nicht eine Silbe über Lutz Dammbeck gehört hätte, geschweige denn auch nur einen einzigen seiner Filme zu sehen bekam. Warum eigentlich? Was macht Lutz Dammbeck falsch? Sind seine Filme zu klug? Oder zu eigenwillig?
Man kann sich ja mal auf seiner angenehm eigenwilligen Website umschauen, oder seinen neuesten Radioessay anhören, oder in seinen Ausstellungen herumschmökern, oder am besten seine Filme ansehen, zum Beispiel Das Meisterspiel [auf Youtube] dann weiß man, was daran so herausragend und spannend ist. Oder man sollte besser aufhören, sich ernsthaft mit Film zu beschäftigen.
Stattdessen werden die armen noch unwissenden Filmstudies zugekübelt mit illustrativem 08/15-Kram, mit inhaltistischen Dokumentationen, zu sogenannten »wichtigen« oder »bedeutenden« oder »relevanten« Themen, oder einfach purem Subjektivismus, Dokumentationen, die nur so tun, als seien sie DokumentarFILME.
Und das immer wieder und immer wieder und immer wieder, bis sie irgendwann diesen schmierigen unteren Durchschnitt für das einzig Mögliche halten müssen –
weil sie es nicht besser wissen können, weil ihr Hirn inzwischen zugeklebt ist.
Natürlich liegt dieser missliche Zustand letztendlich an den Studenten selbst, die zwar jetzt »Studierende« genannt werden wollen und hochempfindlich sind gegenüber allen möglichen eher dem Ästhetischen fernen Fragen. Aber da, wo es um ihr ureigenes Thema, nämlich um ästhetische Bildung geht, sind sie oft genug stumpf wie Holzklötze. Ich werde die Studenten erst dann Studierende nennen, wenn sie wirklich studieren, also von ihren Filmhochschulen nicht »Repräsentation« von wasauchimmer einfordern, sondern dass ihnen endlich gute und wichtige und auch im internationalen Zusammenhang bedeutsame Filme und Filmemacher vorgeführt werden. Dass sie sich nicht an irgendeinem durchschnittlichen Fernsehkram abarbeiten müssen, der in fünf Jahren vergessen sein wird, sondern an Filmemachern wie Lutz Dammbeck.