28.03.2024
Cinema Moralia – Folge 319

Hitler auf Naxos, Ariadne in Stammheim

Hitlers Hollywood
Was macht die Mickey Maus neben Marianne Hoppe? (Hitlers Hollywood)
(Foto: Farbfilm)

Wortmeldungen in eigener Sache: Filmgespräch, Filmförderung, dies und das und eine Abbitte an die Filmakademie – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 319. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Eines der größten Rätsel der deutschen Film­ge­schichte läuft eher auf diese Frage hinaus: Woran liegt es, dass, zum Beispiel, der Regisseur Helmut Käutner unter Goebbels' Herr­schaft (und gegen dessen Inten­tionen) seine besten Filme drehte, nicht nur ›Unter den Brücken‹, auch ›Große Freiheit Nr. 7‹, ›Romanze in Moll‹, ›Auf Wieder­sehen, Franziska‹? Und dass dieser Käutner, wie fast der gesamte deutsche Film, nach dem Ende dieser Herr­schaft, in der künst­le­ri­schen Freiheit also, kaum mehr als Harm- und Geschichts­lo­sig­keit, müde Späße und unkon­zen­trierte Insze­nie­rungen zustande brachte?
Was aber eine andere Geschichte wäre.«

Claudius Seidl in seiner Rezension zu »Hitlers Hollywood«; FAS, 28.02.2017

Wer ist am kommenden Dienstag, den 2.April in Frankfurt? Dann kommt doch alle in die Naxos-Halle. Im dortigen Kino läuft in der Reihe »Doku­men­tar­film & Gespräch« um 19 Uhr mein Film Hitlers Hollywood über das deutsche Kino der Nazi-Zeit. Anschließend gibt es ein Film­ge­spräch zwischen mir und Meinrad v. Engelberg vom Fach­ge­biet Archi­tektur- und Kunst­ge­schichte der TU Darmstadt. Und danach bestimmt Äppelwoi. Erbarme! Zu spät!!

Die im Prinzip sehr schöne, archi­tek­to­nisch besondere und seit den 1990er Jahren zu einem Frank­furter Kultur­zen­trum restau­rierte Naxos-Halle ist übrigens für diese Vorstel­lung prädes­ti­niert, wie wenige andere Orte in Frankfurt. Denn diese Halle war, wie selbst der entspre­chende Wikipedia-Eintrag von 1907 nach 1980 springend, schamhaft verschweigt, als Teil der Firma »Naxos-Union« im Besitz einer Familie, die 1935 infolge der »Nürn­berger Rasse­ge­setze« enteignet wurde. Von 1942 bis 1944 mussten mehr als 700 Bürger europäi­scher Staaten bei der Naxos-Union Zwangs­ar­beit leisten.

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Wer hätte das gedacht? Ich nicht, das gebe ich gerne zu. Und darum möchte ich heute Abbitte leisten, Abbitte an die Deutsche Film­aka­demie.
Es gibt ja ohne Frage mit guten Gründen eine Menge zu kriti­sieren an der Deutschen Film­aka­demie und viel­leicht schon überhaupt an der Existenz dieser Einrich­tung. Und auch an der Art, wie der Deutsche Filmpreis vergeben wird. Nach wie vor glaube ich, dass über die Jahre hinweg die weitaus besseren, also inter­es­san­teren Ergeb­nisse erzielt würden, wenn die deutschen Filme­ma­cher und alle anderen Mitglieder der Film­aka­demie und Angehö­rigen der soge­nannten deutschen Film­kultur sich entschließen könnten, einer Jury und einem Jury­ver­fahren zu vertrauen. Also einfach einer wech­selnden, aber stark begrenzten Zahl von Personen, die gemeinsam alle infra­ge­kom­menden Filme ansehen – unter den Bedin­gungen, für die sie gemacht wurden, also im Kino.
Und es spricht natürlich auch nicht für den Deutschen Fimpreis, dass er genau an dem Wochen­ende vergeben wird, an dem die »Kurz­film­tage Ober­hausen« ihr 70. Jubiläum feiern.

Wir erinnern uns: »Wir sind gemeinsam bereit, wirt­schaft­liche Risiken zu tragen. Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.«

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Aber aber aber... Ausge­rechnet nachdem sich die deutsche Film­aka­demie endgültig vom letzten Rest des eigent­lich richtigen Jury-Prinzips verab­schiedet hat und die Lex Petzold, die die soge­nannte Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth per ordre de Mutti verkündet hat und der Film­aka­demie auch ein bisschen aufzwang, was dazu geführt hat, dass es von Anfang an nur noch Massen­ab­stim­mungen gibt, wenn auch beschränkt auf die einzelnen Film­sek­tionen, ausge­rechnet in diesem Jahr, in dem zum ersten Mal dieses auch intern von der Leitung durchaus unge­liebte Verfahren angewandt wurde, setzten sich – viel­leicht auch einfach mangels schlech­terer Konkur­renz – erstaun­lich gute Filme und zumindest in vielem die Besten des Jahrgangs durch.

Es ist so großartig wie erstaun­lich wie verdient, dass Ayse Polats sensa­ti­onll guter Film Im toten Winkel die drei wich­tigsten Nomi­nie­rungen – Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch – erhielt, dass Matthias Glasners auch erstaun­lich guter wilder ebenfalls mutiger Sterben etliche Nomi­nie­rungen bekam.
Ich kann nicht anders als zugeben, dass mir diese Preise und Nomi­nie­rungen auch besser gefallen als manche Nomi­nie­rungen und erst recht spätere Preise, die mein eigener Verband, der Verband der deutschen Film­kritik, mit dem eigent­lich viel besseren Jury-Prinzip entschieden hat. Da kommt es aber natürlich auch auf die Besetzung an.

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Wenn auch, apropos Sterben, hier wieder der große Fehler und blinde Fleck der Akademie erkennbar ist: Dass nämlich viele nicht begreifen, dass der beste Teil dieses Films der mit Lilith Stan­gen­berg ist, nicht jenes viel­ge­lobte Tisch­ge­spräch von Mutter Harfouch und Sohn Eidinger. Sondern die verach­teten Szenen mit der vom Regisseur/Bruder verach­teten Schwester und Alko­ho­li­kerin.

Lilith Stan­gen­berg hätte unbedingt eine Nomi­nie­rung als Beste Haupt­dar­stel­lerin gebührt.

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Ein deutscher Erin­ne­rungsort ist Stammheim. Jutta Brückner, Ehren­preis­trä­gerin des Verbands der Film­kritik, ist eine der wenigen, die sich dem bislang gestellt haben. In ihrem Stück »Bräute des Nichts«, aber nicht im Film leider, aller­dings wohl auch, weil ihr dafür keiner Geld gegeben hat.

Zumindest der berühmte Gerichts­saal in Stammheim wird abge­rissen, die soge­nannte Gerichts­fes­tung, die eine große Arena der Ausein­an­der­set­zung von Staat und Terro­rismus gewesen ist.

Wenn der deutsche Film Tiefe hätte, dann würde er aus diesem Ort viel mehr machen, als er bisher gemacht hat, dann würde man z.B – nicht zuletzt vor dem Hinter­grund jetziger terro­ris­ti­scher Aktionen – noch mal einen Blick zurück in die 70er Jahre werfen und dann wieder einen Blick zurück vom RAF-Terro­rismus zu früheren und anderen Terro­rismen der Geschichte zu den Dämonen Dosto­jew­skis, aber viel­leicht auch zu den Frauen und Männern der terro­ris­ti­schen Regierung des »Dritten Reichs«. Das hat bisher nur Jutta Brückner gewagt.
Aber eine »Antigone in Stammheim« steht noch aus. Oder »Ariadne in Stammheim«.

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Allmäh­lich in Fahrt kommt die Diskus­sion um das Film­för­der­ge­setz (FFG). Genau gesagt um den Entwurf zur Novel­lie­rung dieses Gesetzes, das eigent­lich schon längst novel­liert gehört hätte. Allmäh­lich melden sich die Verbände.
Wir teilen hier eine gemein­same Stel­lung­nahme von der unab­hän­gigen »Initia­tive Zukunft Kino + Film«, der auch der Verband der Film­kritik angehört.
Es gibt dazu wieder mal einiges zu sagen, aber ein andermal.

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Das argen­ti­ni­sche Kino – erst letzte Woche schrieben wir hier über den wunder­baren Spielfilm Los delin­cuentes von Rodrigo Moreno –, das argen­ti­ni­sche Kino steht unter Attacke. Der soge­nannte »libertäre Anarchist« auf dem Präsi­den­ten­sessel, Javier Milei, glaubt, ohne Film­för­de­rung gäbe es das bessere Kino und sowieso sei staat­liche Förderung Teufels­werk. Für das Kino, jeden­falls das deutsche, wäre ein solcher Total­ver­zicht auf Film­för­de­rung sogar ein instruk­tiver Feld­ver­such, dessen Ergeb­nisse ich gern mal sehen würde. Es wären, glaube ich, eher die Richtigen, nämlich die allzu Main­stream-hörigen mittel­großen Konzerne, die darunter leiden würden, denn Autoren­filmer werden in Deutsch­land sowieso vergleichs­weise mit Brosamen abge­speist. Aber das ist ein anderes Kapitel (siehe oben). Jeden­falls erreicht uns jetzt eine Mischung aus Hilferuf und Soli­da­ri­täts­aufruf von den Kollegen aus dem Nach­bar­land Uruguay.
Wir zitieren:
»Hallo, Freunde! Die Cine­ma­teca Uruguaya verfolgt sehr aufmerksam, was mit dem argen­ti­ni­schen Kino und der argen­ti­ni­schen Kultur geschieht, und in diesem Moment, in dem unser 42. Inter­na­tio­nales Film­fes­tival von Uruguay statt­findet, wollen wir diese Situation so gut wie möglich sichtbar machen.
Das Festival wurde mit dem argen­ti­ni­schen Film ›La práctica‹ von Martín Rejtman eröffnet, und ich wollte die kurze Ansprache von Alejandra Trelles, der Direk­torin des Festivals, anhängen, damit Sie sie, wenn Sie möchten, in den Medien und Netz­werken, die Ihnen zur Verfügung stehen, verbreiten können.«

Darin heißt es unter anderem:

»Dieses Kino mit einer so breiten und talen­tierten Tradition, das nicht nur unser Festival eröffnet, sondern es auch mit 20 weiteren Filmen in den verschie­denen Sektionen berei­chert, mehrere davon Kopro­duk­tionen mit Uruguay, gedreht in Land­schaften, die uns sehr vertraut sind, und mit Schau­spie­lern und Schau­spie­le­rinnen, die wir sehr gut kennen.
Wir können uns ein Festival ohne sie nicht vorstellen, es wäre eine unan­nehm­bare kultu­relle Leere, wenn die in diesen drama­ti­schen Tagen angekün­digte Politik in ihrem Land vollzogen wird.
Hätten wir uns gestern vorstellen können, dass eine öffent­liche Politik darin bestehen würde, Film­fes­ti­vals zu hassen?
Hätten wir uns gestern vorstellen können, dass im Land von Borges und Piazzolla, von Leonardo Favio und Marta Argerich, von Lucrecia Martel und Ricardo Piglia, von María Luisa Bemberg und Victoria Ocampo ein offi­zi­elles Kommu­niqué verfasst wird, das in dem berüch­tigten Satz gipfelt: 'Die Jahre, in denen Film­fes­ti­vals mit dem Hunger von Tausenden von Kindern finan­ziert wurden, sind vorbei'?
Aber, wie Sie wissen, ist in jedem Verbot auch ein Lob enthalten.
Warum scheinen Film­fes­ti­vals so relevant zu sein, dass sie zum Fetisch werden, das, was ganz oben auf der popu­lis­ti­schen und reak­ti­onären Agenda steht, wenn es darum geht, ange­griffen oder von der Landkarte getilgt zu werden?
Es ist notwendig, darüber nach­zu­denken, warum ein Film­fes­tival in dieser entfrem­deten Zeit des indi­vi­dua­lis­ti­schen Konsums zu einem subver­siven Akt geworden ist.«

»Ein Festival ist eine demo­kra­ti­sche Zusam­men­kunft, bei der wir sensible Werke genießen können, die von den Zerbrech­lich­keiten einer Welt sprechen, in der sich die Gewalt scheinbar fest­ge­setzt hat.
Ein volles Kino, in dem man sich gemeinsam an so unter­schied­li­chen Geschichten wie Land­schaften, Kulturen, Sprachen und Völkern erfreuen kann, ist der beste Ausdruck einer demo­kra­ti­schen Agora.«

»Es ist ein Ort, an dem es keine Gewiss­heiten, sondern Zweifel gibt, ein offenes Fenster, durch das Luft eindringen und unsere Über­zeu­gungen, Mythen und wert­vollsten Annahmen bis ins Mark erschüt­tern kann.
All das ist es, was die Barbaren und ihr so genannter Kultur­krieg, der in Wirk­lich­keit nichts anderes als ein Kreuzzug gegen die Kultur ist, verab­scheuen.
Aber das Kino als populäre Kunst und als Mobi­li­sator des Bewusst­seins ist die Wurzel dieser Zeit. Und zweifeln Sie nicht daran, dass nicht die Schließung, sondern die Öffnung der Kinosäle dem 'Hunger der Kinder' ein Ende setzen wird, aber auch der Demü­ti­gung, sich hinter ihrem Leid zu verste­cken, um Unge­rech­tig­keiten zu recht­fer­tigen.«

CINE ARGENTINO UNIDO ruft zu einem Foto der Soli­da­rität und Unter­s­tüt­zung des argen­ti­ni­schen Kinos seitens der Regis­seure und Kultur­schaf­fenden auf, um die Politik der Kürzungen und der Aushöh­lung des Kinos, des Film­in­sti­tuts und der Kultur im Allge­meinen zu verdeut­li­chen.

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Neulich im Gespräch mit einer Freundin, einer Doku­men­tar­fil­me­ma­cherin, kam ich auf Lutz Dammbeck. Dieser Doku­men­tar­film­re­gis­seur gehört zu den in Deutsch­land sträflich unter­schätzten und noch viel sträf­li­cher­weise eigent­lich komplett igno­rierten Filme­ma­chern. Dabei macht Dammbeck Filme, die in die Breite gehen ohne an Dichte einzu­büßen und die eigent­lich genau so sind, wie man Doku­men­tar­filme machen muss. Das meinte auch die befreun­dete Filme­ma­cherin, um gleich hinzu­zu­fügen, dass sie zur nicht lange zurück­lie­genden Zeit ihres eigenen Film­stu­diums nicht eine Silbe über Lutz Dammbeck gehört hätte, geschweige denn auch nur einen einzigen seiner Filme zu sehen bekam. Warum eigent­lich? Was macht Lutz Dammbeck falsch? Sind seine Filme zu klug? Oder zu eigen­willig?

Man kann sich ja mal auf seiner angenehm eigen­wil­ligen Website umschauen, oder seinen neuesten Radio­essay anhören, oder in seinen Ausstel­lungen herum­schmökern, oder am besten seine Filme ansehen, zum Beispiel Das Meis­ter­spiel [auf Youtube] dann weiß man, was daran so heraus­ra­gend und spannend ist. Oder man sollte besser aufhören, sich ernsthaft mit Film zu beschäf­tigen.

Statt­dessen werden die armen noch unwis­senden Film­stu­dies zugekü­belt mit illus­tra­tivem 08/15-Kram, mit inhal­tis­ti­schen Doku­men­ta­tionen, zu soge­nannten »wichtigen« oder »bedeu­tenden« oder »rele­vanten« Themen, oder einfach purem Subjek­ti­vismus, Doku­men­ta­tionen, die nur so tun, als seien sie Doku­men­tarFILME.
Und das immer wieder und immer wieder und immer wieder, bis sie irgend­wann diesen schmie­rigen unteren Durch­schnitt für das einzig Mögliche halten müssen – weil sie es nicht besser wissen können, weil ihr Hirn inzwi­schen zugeklebt ist.

Natürlich liegt dieser missliche Zustand letzt­end­lich an den Studenten selbst, die zwar jetzt »Studie­rende« genannt werden wollen und hoch­emp­find­lich sind gegenüber allen möglichen eher dem Ästhe­ti­schen fernen Fragen. Aber da, wo es um ihr ureigenes Thema, nämlich um ästhe­ti­sche Bildung geht, sind sie oft genug stumpf wie Holz­klötze. Ich werde die Studenten erst dann Studie­rende nennen, wenn sie wirklich studieren, also von ihren Film­hoch­schulen nicht »Reprä­sen­ta­tion« von wasauch­immer einfor­dern, sondern dass ihnen endlich gute und wichtige und auch im inter­na­tio­nalen Zusam­men­hang bedeut­same Filme und Filme­ma­cher vorge­führt werden. Dass sie sich nicht an irgend­einem durch­schnitt­li­chen Fern­seh­kram abar­beiten müssen, der in fünf Jahren vergessen sein wird, sondern an Filme­ma­chern wie Lutz Dammbeck.