USA/CZ 2024 · 133 min. · FSK: ab 16 Regie: Robert Eggers Drehbuchvorlage: Bram Stoker, Henrik Galeen Drehbuch: Robert Eggers Kamera: Jarin Blaschke Darsteller: Aaron Taylor-Johnson, Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Emma Corrin u.a. |
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Blutiges Grauen | ||
(Foto: Universal Pictures) |
Ein flackerndes Licht durchbricht die Dunkelheit und eine fast greifbare Spannung und Vorfreude breitet sich im Kinosaal aus.
Das Spiel von Licht und Schatten ist tief im Wesen nicht nur von Film, sondern vom Kino an sich verankert.
Kaum ein Werk hat das Zusammenspiel von Licht und Dunkelheit so ikonisch geprägt wie Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens. 1922, als Film und Kino noch jung waren, schuf Murnau nicht nur einen der ersten Horrorfilme, sondern lieferte nachfolgenden Generationen von Genrefilmregisseur*innen geradezu eine Blaupause für die Bildsprache und Inszenierung des filmischen Schreckens.
Unheilvolle Schatten, die sich an Wänden emporziehen und verzerrte Schreckensgestalten, winkelige Gänge, in denen man vom rechten Weg abkommt und sich wie von Geisterhand öffnende Türen – all das sind Motive, wie sie seither in Hunderten von Horrorfilmen, mal mit mehr und mal mit weniger Effekt – eingesetzt wurden.
Nach Werner Herzog mit Nosferatu – Phantom der Nacht verneigt sich nun also Robert Eggers vor dem Klassiker des Genres.
Eggers sucht nach Innovation in der Vergangenheit – ein Paradoxon, das durch die Neugier und das fundierte Filmwissen des Regisseurs funktioniert. Er belebt nicht nur alte Techniken neu, sondern verleiht ihnen eine zeitgemäße Energie. Die Kamera gleitet durch die Szenerien, jede Bewegung ist bewusst.
Er kopiert nicht einfach die Vorlage, sondern sucht nach Wegen, mit den Erzähltechniken der frühen Filmgeschichte ein modernes, abgebrühtes Publikum zum Schaudern zu bringen. Sein Nosferatu ist ein Stummfilm mit Tonspur und ein Schwarzweißfilm in Farbe. Das Ergebnis ist mehr als eine Hommage an die Ursprünge des Horrorfilms. Es ist eine Reflexion über das Kino selbst.
Eggers’ Liebe zu Mythen durchzieht sein gesamtes Werk – von der Volkssage The VVitch über das klaustrophobische Legendengemisch aus The Lighthouse bis hin zu einem Ur-Hamlet in The Northman. Auch in Nosferatu verschmelzen diese lange nur mündlich überlieferten und weitergeflüsterten Erzählungen mit der filmischen Tradition: Es ist ein Schauermärchen; ein »Es war einmal«, das nicht beruhigt, sondern beunruhigt. Die Ikonographie des Films ist tief in Murnaus Original verwurzelt, doch Eggers wendet sie, verdreht sie und macht sie sich zu eigen.
Murnaus Vampir war ein Wesen, das nur noch in Umrissen menschlich schien: Knochige Hände mit spindeldürren Fingern streckten sich einem entgegen, die Silhouette wirkte so langgezogen, als müsse sich der Vampir bücken, um noch ins Bild zu passen. Graf Orlok ist trotz seines Adelstitels beileibe nicht so aristokratisch wie andere Blutsauger, die später auf die Leinwand kamen. Nosferatu ist ein Polyp, der seine Beute in den Tentakeln hält, eine Venusfliegenfalle, die über ihrem Opfer zuschnappt.
Eggers hingegen gibt seinem Nosferatu (gespielt von Bill Skarsgård) eine fleischlichere Präsenz. Auf den ersten Blick wirkt er zu groß, zu breit, zu wuchtig. Seine Konturen vermitteln ebenfalls nicht die verführerische Eleganz späterer Dracula-Interpretationen, sondern eine animalische Bedrohung. Man kann Skarsgårds Vampir fast durch die Leinwand riechen: modrig und siffig, ein Wesen der Verwesung.
Das Fleischliche ist ein zentraler Aspekt in Eggers’ Film. Ist das Deutschland der Romantik hier ein blasses, kühl gezeichnetes Land, platzt unversehens das Groteske ins Bild und bricht mit der gewollt lethargischen Ästhetik der Filmwelt. Satt-rotes Blut quillt aus den Adern, Maden winden sich über die seit Jahrhunderten verrottende Haut, als hielten sie den verfallenden Körper künstlich am Leben. Es ist ein Tod, der keine Schönheit kennt, keine romantische Hingabe an die Vergänglichkeit. Stattdessen wird die rohe, abstoßende Natur des Verfalls zur Schau gestellt. Die finale Begegnung zwischen Ellen (intensiv gespielt von Lily-Rose Depp) und dem Vampir ist keine erotische Todessehnsucht, sondern ein brutaler, abstoßender, fleischlicher Akt; der Tod ist hier keine romantisierte Erlösung, sondern ein entmystifiziertes Ereignis.
Mit dem ersten Hahnenschrei endet der Spuk. Warmes Licht durchflutet die Dunkelheit, der Vorhang schließt sich und die Kinotüren entlassen uns zurück in die Welt. Doch der Tanz aus Licht und Schatten wird uns schon bald wieder in seinen Bann ziehen.
»Der Trailer war echt gut geschnitten«, sagte eine Zuschauerin direkt nach der Weltpremiere von Nosferatu – Der Untote», am 2. Dezember im Berliner Zoo-Palast. Eine typische Zuschauerreaktion nach einem Film, der im Trailer und der übrigen Marketingkampagne schon ein bisschen sehr aufgeblasen daherkommt.
Die Geschichte von Nosferatu, grob angelehnt an Bram Stokers weltberühmten Roman ›Dracula‹ dreht sich um
einen mächtigen Vampir. Und wieder einmal ist das Opfer einer Frau nötig, um das Monster zu besiegen. Friedrich Wilhelm Murnau hat diese Geschichte 1922 erstmals verfilmt, und damit den Grundstein für alle Vampirfilme gelegt. Werner Herzog 1979 und Francis Ford Coppola 1992 haben sie neu verfilmt, mit jeweils sehr eigener Note – jetzt hat sich der US-amerikanische Horrorspezialist Robert Eggers des Stoffes angenommen: Nosferatu – Der Untote heißt
sein Remake.«
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»I will show you fear in a handful of dust«, schrieb T.S.Eliot 1922, im gleichen Jahr, in dem Murnaus Nosferatu erschien.
Und Heidegger versuchte sich 1927 in »Sein und Zeit« (§ 30) an einer Begriffsscholastik des Horrors: »Das Wovor des Erschreckens ist zunächst etwas Bekanntes und Vertrautes. Hat dagegen das Bedrohliche den Charakter des ganz und gar Unvertrauten, dann wird die Furcht zum
Grauen.
Und wo nun gar ein Bedrohendes im Charakter des Grauenhaften begegnet und zugleich den Begegnischarakter des Erschreckenden hat, die Plötzlichkeit, da wird die Furcht zum Entsetzen.«
Furcht und Schrecken, Grauen und Entsetzen, Schaudern und Angst bestimmten das Lebensgefühl der 20er Jahre, dem Jahrzehnt nach dem »Großen Krieg« 1914-1918, in dem die modernen Vampirgeschichten des Kinos, zusammen mit denen anderer Monster, geboren wurden.
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In Nosferatu adaptierte Friedrich Wilhelm Murnau 1922 Bram Stokers Roman »Dracula« für das immer noch neue Medium des Kinos. Man kann daher bereits diesen Film selbst als ein Remake oder eine Kopie bezeichnen. Allerdings fügte Murnau den Worten der Erzählung etwas Neues, Unvergleichliches hinzu: Bilder, die kraftvoll und poetisch unmittelbar das Publikum berührten und den inneren Vorstellungen der
Leser unerahnte äußere Abbilder hinzufügten, deren starker sinnlicher, erschütternder Wirkung auch auf das Unterbewusste es sich kaum entziehen konnte: »Nosferatu« traf mit seinen Licht-Schatten-Effekten und seinem Naturalismus das Publikum ins Mark, ließ auch durch Max Schrecks abgründige Vampirfigur erschauern, und war damit tatsächlich eine bis in die Gegenwart unter die Haut gehende »Symphonie des Grauens«, wie es der Untertitel versprach.
Der Film wurde so ähnlich
epochemachend wie die Vorlage, und direkt nach seinem Erscheinen ein sofortiger, sehr wirkungsvoller Klassiker und Grundstein wie Auslöser einer ganzen Welle von Horror-Literaturverfilmungen und Nachahmungen (deren berühmteste Dreyers Vampyr von 1932 war).
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Ähnliches wird man bei allem Respekt in 50 oder 100 Jahren über Robert Eggers’ Remake Nosferatu – Der Untote wohl nicht behaupten können. Dafür ist das Original vielleicht einfach zu stark; vor allem aber ist dieser neue Film selbst viel zu respektvoll. Eggers, in dem manche mit guten Gründen einen Genre-Auteur und Begründer des »Art Horror«-Booms erkennen, jedenfalls aber ein origineller und eigenwilliger Regie-Kopf, erstarrt hier allzu sehr in Ehrfurcht vor seinem erklärten Lieblingsfilm, den er im Alter von acht Jahren erstmals gesehen haben will.
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Eggers' Nosferatu ist ein in seiner Erzählung über weite Strecken haargenaues Remake des Murnau-Films: Es geht um einen unbedarften, frisch verheirateten Jüngling namens Hutter (hier gespielt von Nicholas Hoult), der aus seiner Heimatstadt Wisborg (Drehort war Wismar) in die Karpaten geschickt wird, um dort in wichtigen Geschäften den mysteriösen Grafen Orlok (Bill Skarsgård) aufzusuchen. Die ganze Reise lässt bereits Schlimmes ahnen: Die Menschen aus dem
Volk reagieren abergläubisch auf die Erwähnung seines Reiseziels, Hutter wird gewarnt, böse Vorzeichen häufen sich, seine Umgebung meidet ihn wie einen Aussätzigen, er wird Zeuge von Zigeunerfolklore und von Ritualen, die vielleicht heidnisch, vielleicht satanistisch sind, und in denen unbekleidete junge Frauen eine zentrale Rolle spielen.
Endlich auf gefahrvollen Wegen im Schloss des Grafen angekommen, entpuppt Orlok sich bald als Vampir. Knapp dem Tod entronnen, hat Hutter
aber das Monster nun auf die Spur seiner Braut Ellen (Lily-Rose Depp) gesetzt. Per Schiff reist es nach Wisborg, im Gefolge eine pestübertragende Rattenschar, und bringt der Stadt Tod und Verderben, bevor Ellen sich opfert und dadurch auch Orlok in den Tod reißt und den Fluch beendet.
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Diese Story erzählt Eggers getreulich nach, gegenüber Murnau erweitert um Farbe und Ton – aber auch dies ist nicht grundsätzlich neu. Werner Herzog hat es bereits 1979 in seinem ansonsten sehr antiquarischen Remake – mit Klaus Kinski als Vampir – unternommen. Und Francis Ford Coppolas Glam-Variante von 1992 (Bram Stoker’s Dracula) erzählt die ganze Story einerseits weitaus schneller, abgespeckter und ökonomischer, zugleich aber betont Coppola den Charakter dieser Geschichte als einer männlichen Phantasie – und malt die sexuellen Verführungen für Hutter stärker aus, ebenso die Erotik des Vampirs und seines Blutdurstes.
Zugunsten von Eggers könnte man sagen, dass er die weibliche Seite, Ellens Begehren und Sehnen stärker macht – aber Nein! Auch das gelang Coppola besser: Im Zusammentreffen von Winona Ryder und Gary Oldman sprühten jede Sekunde mehr Funken, als zwischen Lily-Rose Depp und Bill Skarsgård im ganzen Film.
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Warum also der ganze Aufwand, außer um einen Klassiker zeitgeistig und etwas modisch für die Tik-Tok-Generation aufzupeppen? So wie jede Zeit ihren Shakespeare hat, darf es auch alle paar Dekaden ein neuer »Nosferatu« sein. Vielleicht genügt diese Feststellung.
Nosferatu – Der Untote ist ein gut gemachter, technisch zum Teil perfekter Film. Seine Bilder und Effekte erlauben es, sich gepflegt zu gruseln – der perfekte Date-Movie, bei dem die
Publikumsleiber sich schutzsuchend aneinanderschmiegen können.
Aber es ist kein Film, der das große Vorbild an irgendeiner Stelle erweitert, überschreitet oder gar konterkariert. Ihm fehlt die Seele und die Poesie, das Ungreifbare, das große Filme unvergesslich macht. Auch damit verrät Nosferatu – Der Untote uns allerdings einiges über den herrschenden Zeitgeist: Zum einen über ein Kino, das selbst in seinen ehrgeizigeren Teilen künstlerisch wenig bis gar nichts wagt, das sich lieber risikoscheu auf
vertrauten Bahnen bewegt. Wo die schlichteren Gemüter mit der x-ten Variante eines Marvel-»Epos« abgespeist werden, bekommt die Arthouse-Fraktion eben einen »Nosferatu«, der es bei der Hommage belässt, aber weder ernsthaft schockiert, noch die Vorlage infrage stellt.
Es ist nichts weiter als ein weitgehend biederes und wie man so sagt zeitgemäßes Remake. Bloß keine Fehler machen, scheint sich Eggers gedacht zu haben. Diese Haltung ist nicht genug.
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In Eggers’ historistischer Herangehensweise liegt aber noch ein zweites, beunruhigenderes Element: Schon Murnaus Zeitgenossen bemerkten ein klischiertes Bild Osteuropas, das schmutzig, gefährlich, ein bisschen pervers, höchst mysteriös und entweder von Idioten oder von Monstern bevölkert erscheint. Und »das Fremde« war in Nosferatu 1922 ausschließlich mit Krankheit und Tod
konnotiert, nicht ohne Untertöne, die manchen gar als »antisemitisch« erschienen. Zumal der »Blutsauger« schon bei Marx zudem ein Kapitalist ist.
Auch diese Bilder werden von Eggers’ Adaptation getreulich reproduziert, aber nie gebrochen. Zumindest in dieser Hinsicht wendet sich die beflissene Verehrerhaltung gegen den Film selbst.
Nicht besser wird es, weil hier Horror nicht benutzt wird, um die Gesellschaft infragezustellen, zu destabilisieren, sondern um sie im Gegenteil zusammenzubinden. Wie bei den Taliban sind Frauen hier die Sünderinnen, die die patriarchale Welt destabilisieren durch ihre Träume, Wünsche, Gelüste. Wer sündigt, der muss sterben.
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Die eigentliche Frage, die dieser Film aber aufwirft, ist: Wozu gibt es ihn überhaupt? Was will Robert Eggers von »Nosferatu«? Von Murnau? Und vom Vampirstoff?
Wo ist der Punkt?
Man kann den Film »nach Corona« nicht sehen, ohne auch eine Pandiemiemetapher zu entdecken, an Ausgangssperren und Ansteckungsdiskurse zu denken. Auch als solche ist Nosferatu – Der Untote ein reaktionärer Film, der in der Angst der Menschen nicht den Wahn und das soziale Konstrukt findet, sondern die Wahrheit, die »reale« Ursache, die nur Idioten leugnen oder in ihren Gefahren minimieren.
Bei Eggers gibt es auf sie auch nur eine Antwort, und
einige wenige »große«, »einzelne« Männer, die sie kennen und durchzusetzen wissen. Und wenn Eggers uns diese Geschichte erzählt, meint er es ernst.
Es war die vor genau 20 Jahren gestorbene US-amerikanische Jahrhundertintellektuelle Susan Sontag, die 1977 in ihrem berühmten Essay »Krankheit als Metapher« forderte, Krankheiten ausschließlich als physiologische Phänomene zu verstehen und nicht in sie den Befund hineinzuinterpretieren, dass etwa Krebs eine Krankheit »unzureichender Leidenschaft sei, die diejenigen befalle, die sexuell unterdrückt, gehemmt, unspontan sind und unfähig, Wut auszudrücken«. Oder 1989 (»Aids und seine Metaphern«), dass Aids als Bestrafung für »fehlgeleitetes« sexuelles Verhalten oder Drogenkonsum interpretiert würde.
Filme wie dieser und Eggers’ ganzes Werk hätten, so vermute ich, Susan Sontag ebenso fasziniert wie abgestoßen. Vielleicht hätte sie ihn zum Anlass genommen, in einem Essay darüber nachzudenken, wo die von Heidegger differenzierten Kategorien Schrecken, Furcht, Grauen und Entsetzen ihren Ort in der Gegenwart haben?
Mit Susan Sontag können wir nach dem Horror und seinen Metaphern fragen. Inwieweit fallen wir in ein neues Zeitalter der Angst? Und welche Funktion hat das Phänomen des neuen Art-Horrors, haben Filme wie die von Eggers für unsere Gesellschaft?
Den Irrationalismus feiert Eggers in Nosferatu auf die gleiche Weise, wie er in den Wikingern seines Northman den Exzess und das Barbarische entdeckte, nicht die frühe Hochkultur. Das Zurück zur Natur, nicht, das, was ihr abgerungen wird.
Hier ist es ähnlich: Der Vampir ist weniger eine andere Kultur, ein entfernter Verwandter des Menschen, als »das Andere« der
Gegenkultur. Es ist etwas, das getötet werden muss, nicht erlöst.