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Hamburg, ja Hamburg. Im letzten Jahr hatte es uns da ja gar nicht
gefallen. Zu endlos weit die Wege zwischen den Kinos, zu schlecht
oder belanglos die Filme, die man zu sehen bekam und Partys gab es
nur eine, und die veranstaltete - natürlich - ein Münchner Verleih.
Wieder einmal hatten wir uns an den schönen Ausspruch des
gebürtigen Hamburgers Karl Lagerfeld erinnert, dass Hamburg zwar
das Tor zur Welt sei, aber eben nur das Tor. Und "Filmfest"? Nein,
so durfte sich das nicht nennen lassen, jedenfalls nicht von uns,
die - trotz allem, was man jetzt auch sagen könnte - doch wissen,
was ein richtiges Filmfest ist, und was wir alle hier in München
davon haben. Schon um sich daran zu erinnern lohnte auch ein
zweites Mal die Reise in die Hansestadt.
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Mit "Fest" hatte es auch diesmal nix zu tun, aber vielleicht
dachte sich das Team um Leiter Josef Wutz (so heißt er wirklich),
dass man die öffentlichen Gelder lieber für das ausgeben sollte,
worum es hier auch wirklich geht. Davon könnten sich andere gleich
ein paar dicke Scheiben abschneiden, wobei der Partyverzicht auch
deshalb klug war, weil Hamburg in manchen Stadtvierteln auf jeder
Straße mehr gute Bars, Kneipen und andere Lokale zu bieten hat, als
ganz München. Um so mehr ging es um Filme, und darum ist hier
die Stunde der Abbitte gekommen. Denn was Hamburg da diesmal zu
bieten hatte, das verschlug einem stellenweise die Sprache.
Vielleicht hatten wir einfach Glück bei der Auswahl, aber insgesamt
war es schon gerade in seiner Mischung aus Abseitigem, selten oder
nie mehr bei uns zu Sehendem und überdurchschnittlich gutem
Hollywood-Film ein hervorragendes Programm. Weniger Filme, aber
klar besser, als das, was andere Festivals zeigen - die großen
drei, vier, fünf einmal ausgenommen.
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Schon der Trailer: ein geschmackvoller Zusammenschnitt von
Ausschnitten gezeigter Filme - dazu Musik von Georges Delerue aus
Godards DIE VERACHTUNG. Das schlug selbst die alte
Berlinale-Fanfare, und die ist ja seit diesem Jahr abgeschafft.
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Ein Remake von CLEOPATRA. Die ägyptische Königin gespielt von
Asia Argento, mit Robert de Niro als Marc Anton. Nein, leider doch
kein neues Hollywood-Projekt, sondern nur einer von unglaublich
vielen Einfällen aus SCARLET DIVA. Das ist tatsächlich schon der
dritte Spielfilm (wenn man ihn so nennen will) von Asia Argento,
unserer Lieblingsitalienerin und Tochter von Dario. Allein ihr
persönlicher Auftritt war die Reise schon wert, und passte auch
deswegen großartig, weil Hamburg bekanntlich das beste Festival in
Deutschland ist, wenn man sich gern asiatische, vor allem
japanische Filme anguckt.
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DEAD OR ALIVE zum Beispiel, von Takashi Miike. Der kommt im
Januar auch in deutsche Kinos, und gab den Takt vor für die anderen
Filme, die noch folgen sollten. Rasant, zugleich in einzigartigen
Bildern, die fortwährend eine beklemmende Stimmung erzeugen - weil
die Ausschnitte oben zu eng und unten irgendwie zu früh
abgeschnitten wirken, mit Absicht natürlich - schildert er den
Zweikampf eines Cops und eines chinesischen Mafiosi, der nach
eineinhalb Stunden in zwei krassen Shootouts zuende geht. Nun
gibt es im Kino Zweikämpfe, die mit der gegenseitigen Anerkennung,
mit einem Patt enden. Andere mit einer klaren Entscheidung, mit
Sieger und Besiegtem. Miike hat für seine zwei SF-haften Ritter
eine dritte Variante gewählt, die diese beiden klassischen Muster
sprengt - im Wortsinn. Dazwischen Gefühle: ein Polizist, der sogar
jemand tötet für seine kranke Tochter, die Geld für eine Operation
braucht. Aber zugleich kann er seine Liebe nicht zeigen, und muss
damit leben, dass ihn die Tochter ein wenig verachtet. Daneben auch
Ironien: "Hier kommt die letzte Szene" sagt der Chinese kurz vor
Schluß. Ganz ernst gemeint ist aber wieder das
darunterliegende Hauptthema: "Was ist nur dieser menschliche
Körper? Was kann er alles aushalten?" Der das weinend fragt, ist
nicht nur Gangster, sondern sadistischer Mädchenmörder. Einmal
sehen wir eine junge Frau nackt in einem Bottich in ihren eigenen
Exkrementen liegen. Der Sadist drückt sie schließlich unter Wasser,
bis sie stirbt. Es hört sich schrecklich an, aber das ist ein
schönes Bild. In genau dieser Erfahrung liegt der Reiz solchen
Kinos.
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"If you do things for passion, you never win" - da meinte Asia
Argento sich selbst. Vor Filmbeginn baute sie schon mal eventuellen
Enttäuschungen vor, aber SCARLET DIVA kam dann doch ganz gut an.
Klar, schließlich bestand der vollbesetzte Raum auch vor allem aus
Fans. Und die erlebten eine Selbstinszenierung, wie man sie nicht
oft zu sehen bekommt. Ein gehöriges Stück Exhibitionismus, auf
seine Art mutig, aber auch größenwahnsinnig. Zwei Stunden lang
spielt sie - vielleicht sich selbst: eine junge Schauspielerin, die
sich zwischen Pseudo-Ruhm und abgefucktem Privatleben treiben läßt,
die viele "dirty things" tut, schlechte Erfahrungen mit Produzenten
und Liebhabern macht. Im Hintergrund laufen Lieder mit Texten wie
"Desillusioness for ever." Anfangs wie ein Videoclip gefilmt, und
ganz unterhaltsam, gerät alles zunehmend aus dem Ruder. Man sieht
Zungen, die sich berühren und Männerärsche, aber keine Geschichte.
Aber in aller Konfusion gibt es dann wieder Szenen, wie die eine,
in der sie plötzlich vor dem Spiegel steht, und minutenlang beim
Schminken, Lippen nachziehen, bei der Achselrasur gezeigt wird -
bevor ihr das frischgeschminkte Gesicht durch Tränen wieder
zerrinnt. Nach Ende des Films redet sie sich dann noch manches
von der Seele: "Actress in Italy is bullshit. I want to become a
real artist." Und als ein amerikanischer Zuschauer nach dem Sinn
des Films fragt, bekommt er zu hören: "Are you american? That is
your problem: That you want to explain everything. This is
interactive. This is the future. 'Shit man' - this is the only way
to answer."
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Trotzdem ist Asia Argento wie sich bald herausstellt, ganz nett,
überhaupt nicht arrogant und überraschend unzickig. Später, auch
das ist Hamburg, kann man sie nämlich tatsächlich an der Kinobar
treffen, und noch ein wenig plaudern: "Silence is sexy" erzählt sie
da, und "Porn is okay with me". "I'll do everything, but no italian
cinema. I dont want to muddle with this fuckers. The italian cinema
fucked up, except my father and Sergio Leone." Da mussten wir
lachen und Asia meinte "Yeah, film is energy, I heard you lough."
Wie vorher im Kino. Nur "Do you wanna dance with me?" hat sie dann
nicht gefragt.
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Was der Körper des Menschen alles auszuhalten vermag, erprobt
auch HYSTERIC von Takahisa Zeze. Ein ungleiches Paar, das weder
auseinander, noch zusammenkommen kann. In verschachtelten
Rückblicken wird ihre Geschichte erzählt. Es beginnt in einer
kleinen, dreckübersähten 1-Zi-Wohnung. Eine Frau stranguliert einen
Mann, doch bald hört sie auf, tränenüberströmt. "Wir sterben
zusammen." sagen sich die beiden. Doch wer weiß, ob sie recht
haben? Sterben muss zuerst einmal ihr Nachbar: er wird beraubt, und
dann zum Objekt planlosen Spieltriebs: Ein bißchen Sex, ein bißchen
Tod, die Frage "Wie zum Teufel kannst Du einen Steifen kriegen,
wenn Du kurz davor bist, zu sterben?" und am Ende des Experiments
tatsächlich das schwere Sterben des Mannes. In blassen Farben,
ganz reduziert und hyperrealistisch erzählt Zeze von der Genese der
Gewalt aus Langeweile und Hoffnungslosigkeit. In einem Japan, das
sich aus Videos, Trash und Supermärkten zusammensetzt, versuchen
sich zwei am radikalen Leben: "short, sweet and out with a bang".
Und man erlebt eine Frau immerhin schon als gleichberechtigten Teil
eines Duos.
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Die Machtübernahme der Frauen zeigen zwei ganz unterschiedliche
Filme: KOROSHI von Masahiro Kobayashi ist scheinbar dem
europäischen Kino Melvilles verpflichtet. Im Zentrum steht ein
Arbeitsloser, ein Looser des Nippon-Kapitalismus. Eisig wie die
Gesellschaft ist auch die Schneelandschaft, in der er lebt. Weil er
sich zuhause schämt - wie der Bulle in DEAD OR ALIVE hat er dort
Frau und Tochter, vor denen er nicht das Gesicht verlieren will -
erzählt er nichts von seinem Mißgeschick. Während er behauptet,
weiter ins Büro zu gehen, arbeitet er in Wirklichkeit bald als
Auftragskiller. Aber am Ende ist es die Frau, die das Urteil
spricht, und alle Illusionen beseitigt: "Er ist zu nett." Der
gleiche Darsteller, der etwas untersetzte Ryo Ishibashi, der immer
gut träge Durchschnitts-Typen spielen kann, fällt in AUDITION
(Regie noch einmal Takashi Miike) endgültig einem Rollentausch zum
Opfer. Zwar beginnt alles wie eine eher langweilige
verquatschte Komödie, gespickt mit den üblichen
Gesellschaftsdiagnosen: "The whole of Japan is lonely"; "Japan is
finished", usf. Doch dann schlägt alles um, aus der Komödie wird
ein Horrorfilm, und die Obsession japanischer Männer für junge
Frauen wird grausig bestraft. Der Sadismus hat das Antlitz eines
schönen Mädchens, die mit Kindchenstimme die schlimmsten Foltern
verkündet. Auch wieder der archaische Glaube daran, dass, wenn man
nur den Leib aufschneidet, irgendetwas zu finden wäre, oder sich
ereignen könnte. Vielleicht geht es aber auch um eine andere
Einsicht: "Words create lies, pain can be trusted." Also doch
Wahrheit. Die Wahrheit in AUDITION bleibt offen, zu sehr
verschlingt sich das Spiel der Erwartungen und Illusionen. Es
bleibt der Gedanke, das hinter aller Unschuld etwas lauern
könnte.
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Von Unschuld ist in Virginie Despentes BAISE-MOI nichts zu spüren.
Der in seinem Heimatland Frankreich derzeit verbotene Skandalfilm
läßt sie allenfalls noch in dem schönen Anarchismus ahnen, in der
puren Lust, "einmal richtig zurückzuschlagen". Hier liegt viel mehr
Provokation, als in ein paar eher matten pornographischen Momenten.
Frauen dürfen nicht grundlos auf Männer schießen, zumindest nicht
im Kino. Ansonsten bleibt von dem Skandal eine schwarze,
realistische Version von THELMA & LOUISE, weniger gelackt und
elegant, dafür gewalttätig und unpsychologisch, stellenweise aber
auch sehr ironisch, gerade in den Gewaltszenen. Ganz gut gespielt,
schöne Musik, allemal sehenswert.
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"I am the most naughty girl in the world." - "How sad." - "No,
it's not sad, it's just the way it is." - das ist nicht aus
BAISE-MOI, sondern einer der hübschesten Sätze aus SCARLET
DIVA.
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Einen anderen Ton schlagen die beiden asiatischen Filme an, die
wohl die europäischsten in Hamburg waren. BROTHER von Takeshi Kitano,
einmal mehr ein Meisterwerk. Das wundervolle Poem über Freundschaft
unter Fremden, ein lakonischer Gangsterfilm über einen immer schon
todgeweihten Japaner in Amerika. Vom Töten erzählt Kitano im Stil
eines französischen Liebesfilms. Hier sieht man auch einmal Männer
weinen, und nicht um Frauen kämpfen, sondern mit sich selber. Und
am Ende eine lange Einstellung auf ein Gesicht. Das Thema:
Liebe. Darum geht es auch in IN THE MOOD FOR LOVE, dem
neuesten Film des Hongkong-Chinesen Wong Kar-wei. Etwas ganz
Seltenes ist ihm da gelungen: Fast ausschließlich zwei Personen
stehen im Zentrum, ihre langsam wachsenden, immer diskreten Gefühle
füreinander. Kein Kuss, nicht viele Worte, nur Blicke. Blicke der
Kamera, versteckt zwischen Möbeln, in Schränken, Türen Gängen, und
man fühlt die Dichte und Enge körperlich als Zuschauer. Diese Enge
ist nicht allein die Hongkongs und seiner Lebensbedingungen, auch
nicht die der frühen Sechziger, als IN THE MOOD FOR LOVE spielt,
sondern die innere Handlungsfreiheit der Figuren. Lange hat keiner
mit so wenig Gesten, soviel Sparsamkeit der Mittel so viel gesagt,
wie Wong Kar-wei in diesem Fall. Da übertrifft er noch FALLEN ANGELS, seinen bisher
besten Film um Längen.
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Lakonie und Gefühle, Gewalt und Schönheit - so perfekt zusammen
geht das nur im asiatischen Kino. Nun gab es auch ein paar
westliche Filme, die alldem jedenfalls in dem Sinn vergleichbar
sind, dass sie sich um ähnliche Erfahrungen bemühen, darum, dem
Alltäglichen Tiefe und Bedeutung abzugewinnen, und so am
Grundsätzlichen zu kratzen, ohne es in falschem Pathos zu
beschwören. Bereits ins Kino gekommen ist Barry Levinsons
LIBERTY HEIGHTS, zwar eine Komödie, aber doch ein Film der leisen
Töne und der genauen Beobachtungen. Zwei Abende im Leben von zwei
Brüdern aus dem jüdischen Viertel Baltimores in den 50er Jahren
werden zum Angelpunkt einer elegischen Geschichte über das
Überschreiten innerer wie äußerer Grenzen und über die Würde
liberaler Lebensführung. Der Katalysator ist natürlich wieder
einmal die Liebe. Und spätestens wer dann die Original-Stimme von
Rebekah Johnson hört, der erfäht auch selbst wieder einmal dieses
Wunder des Kinos: Eintauchen, dahinfließen. Das konnte man auch
in WONDER BOYS, Curtis Hansons neuem Film der - an einem Wochenende
- eine wunderschöne Geschichte über die Midlife-Crisis eines
Literaturprofessors erzählt. Michael Douglas spielt ihn ganz
herrlich, und man leidet und fühlt in jeder Sekunde, was dieser
Alt-Hippie an jedem "One fucked-up day" alle erlebt. Um alles geht
es da gleichzeitig: Um die Suche nach der verlorenen Jugend, und
nach der zweiten, dritten, vierten, die man immer wieder noch
finden kann; um die geistreiche Ost-Küsten-Klasse Amerikas, die
eine ganz eigene Art hochgezüchteter Tiere darstellt; um die
Bedingungen und den Preis der Kreativität; um ein Kleid von Marylin
Monroe und einen toten Hund. Nebenbei trifft man John Boy Walton
wieder, hört von Tyrone Power und "Our good old friend, Mr.Codein".
Überhaupt, schöne Sätze: "Was kümmert es, was irgendeiner denkt?
Die wenigsten Leute denken überhaupt. Und wenn, dann im seltensten
Fall an Bücher." Die entschädigen auch für die Familiy Values, ohne
die so ein Film offenbar nicht auskommt. Und auch in Rob
Schmidts CRIME AND PUNISHMENT IN SUBURBIA ignoriert man sie nicht
völlig, obwohl es sich um eine ganz andere Art Kino handelt. Nicht
rundum perfekt, aber zehnmal mutiger als die beiden anderen
US-Filme wird hier Dostojewskis "Schuld und Sühne" in ein
Pop-Amerika versetzt. Ein super Soundtrack, grandiose Kamera,
und viel Tempo - unwillkürlich denkt man bei dem modernen Kinostück
an Baz Luhrmanns ROMEO AND
JULIET. Und an Asia Argento, die hier gerade noch gefehlt
hätte: "This is the future".
Rüdiger
Suchsland
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