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05.10.2000
 
 
   
 

Asia-tische Woche
Notizen vom Hamburger Filmfest

 
Takeshi Kitano in seinem neuen Film BROTHER
     
 
 
 
 

Hamburg, ja Hamburg. Im letzten Jahr hatte es uns da ja gar nicht gefallen. Zu endlos weit die Wege zwischen den Kinos, zu schlecht oder belanglos die Filme, die man zu sehen bekam und Partys gab es nur eine, und die veranstaltete - natürlich - ein Münchner Verleih. Wieder einmal hatten wir uns an den schönen Ausspruch des gebürtigen Hamburgers Karl Lagerfeld erinnert, dass Hamburg zwar das Tor zur Welt sei, aber eben nur das Tor. Und "Filmfest"? Nein, so durfte sich das nicht nennen lassen, jedenfalls nicht von uns, die - trotz allem, was man jetzt auch sagen könnte - doch wissen, was ein richtiges Filmfest ist, und was wir alle hier in München davon haben. Schon um sich daran zu erinnern lohnte auch ein zweites Mal die Reise in die Hansestadt.

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Mit "Fest" hatte es auch diesmal nix zu tun, aber vielleicht dachte sich das Team um Leiter Josef Wutz (so heißt er wirklich), dass man die öffentlichen Gelder lieber für das ausgeben sollte, worum es hier auch wirklich geht. Davon könnten sich andere gleich ein paar dicke Scheiben abschneiden, wobei der Partyverzicht auch deshalb klug war, weil Hamburg in manchen Stadtvierteln auf jeder Straße mehr gute Bars, Kneipen und andere Lokale zu bieten hat, als ganz München.
Um so mehr ging es um Filme, und darum ist hier die Stunde der Abbitte gekommen. Denn was Hamburg da diesmal zu bieten hatte, das verschlug einem stellenweise die Sprache. Vielleicht hatten wir einfach Glück bei der Auswahl, aber insgesamt war es schon gerade in seiner Mischung aus Abseitigem, selten oder nie mehr bei uns zu Sehendem und überdurchschnittlich gutem Hollywood-Film ein hervorragendes Programm. Weniger Filme, aber klar besser, als das, was andere Festivals zeigen - die großen drei, vier, fünf einmal ausgenommen.

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Schon der Trailer: ein geschmackvoller Zusammenschnitt von Ausschnitten gezeigter Filme - dazu Musik von Georges Delerue aus Godards DIE VERACHTUNG. Das schlug selbst die alte Berlinale-Fanfare, und die ist ja seit diesem Jahr abgeschafft.

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Ein Remake von CLEOPATRA. Die ägyptische Königin gespielt von Asia Argento, mit Robert de Niro als Marc Anton. Nein, leider doch kein neues Hollywood-Projekt, sondern nur einer von unglaublich vielen Einfällen aus SCARLET DIVA. Das ist tatsächlich schon der dritte Spielfilm (wenn man ihn so nennen will) von Asia Argento, unserer Lieblingsitalienerin und Tochter von Dario. Allein ihr persönlicher Auftritt war die Reise schon wert, und passte auch deswegen großartig, weil Hamburg bekanntlich das beste Festival in Deutschland ist, wenn man sich gern asiatische, vor allem japanische Filme anguckt.

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DEAD OR ALIVE zum Beispiel, von Takashi Miike. Der kommt im Januar auch in deutsche Kinos, und gab den Takt vor für die anderen Filme, die noch folgen sollten. Rasant, zugleich in einzigartigen Bildern, die fortwährend eine beklemmende Stimmung erzeugen - weil die Ausschnitte oben zu eng und unten irgendwie zu früh abgeschnitten wirken, mit Absicht natürlich - schildert er den Zweikampf eines Cops und eines chinesischen Mafiosi, der nach eineinhalb Stunden in zwei krassen Shootouts zuende geht.
Nun gibt es im Kino Zweikämpfe, die mit der gegenseitigen Anerkennung, mit einem Patt enden. Andere mit einer klaren Entscheidung, mit Sieger und Besiegtem. Miike hat für seine zwei SF-haften Ritter eine dritte Variante gewählt, die diese beiden klassischen Muster sprengt - im Wortsinn. Dazwischen Gefühle: ein Polizist, der sogar jemand tötet für seine kranke Tochter, die Geld für eine Operation braucht. Aber zugleich kann er seine Liebe nicht zeigen, und muss damit leben, dass ihn die Tochter ein wenig verachtet. Daneben auch Ironien: "Hier kommt die letzte Szene" sagt der Chinese kurz vor Schluß.
Ganz ernst gemeint ist aber wieder das darunterliegende Hauptthema: "Was ist nur dieser menschliche Körper? Was kann er alles aushalten?" Der das weinend fragt, ist nicht nur Gangster, sondern sadistischer Mädchenmörder. Einmal sehen wir eine junge Frau nackt in einem Bottich in ihren eigenen Exkrementen liegen. Der Sadist drückt sie schließlich unter Wasser, bis sie stirbt. Es hört sich schrecklich an, aber das ist ein schönes Bild. In genau dieser Erfahrung liegt der Reiz solchen Kinos.

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"If you do things for passion, you never win" - da meinte Asia Argento sich selbst. Vor Filmbeginn baute sie schon mal eventuellen Enttäuschungen vor, aber SCARLET DIVA kam dann doch ganz gut an. Klar, schließlich bestand der vollbesetzte Raum auch vor allem aus Fans. Und die erlebten eine Selbstinszenierung, wie man sie nicht oft zu sehen bekommt. Ein gehöriges Stück Exhibitionismus, auf seine Art mutig, aber auch größenwahnsinnig. Zwei Stunden lang spielt sie - vielleicht sich selbst: eine junge Schauspielerin, die sich zwischen Pseudo-Ruhm und abgefucktem Privatleben treiben läßt, die viele "dirty things" tut, schlechte Erfahrungen mit Produzenten und Liebhabern macht. Im Hintergrund laufen Lieder mit Texten wie "Desillusioness for ever." Anfangs wie ein Videoclip gefilmt, und ganz unterhaltsam, gerät alles zunehmend aus dem Ruder. Man sieht Zungen, die sich berühren und Männerärsche, aber keine Geschichte. Aber in aller Konfusion gibt es dann wieder Szenen, wie die eine, in der sie plötzlich vor dem Spiegel steht, und minutenlang beim Schminken, Lippen nachziehen, bei der Achselrasur gezeigt wird - bevor ihr das frischgeschminkte Gesicht durch Tränen wieder zerrinnt.
Nach Ende des Films redet sie sich dann noch manches von der Seele: "Actress in Italy is bullshit. I want to become a real artist." Und als ein amerikanischer Zuschauer nach dem Sinn des Films fragt, bekommt er zu hören: "Are you american? That is your problem: That you want to explain everything. This is interactive. This is the future. 'Shit man' - this is the only way to answer."

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Trotzdem ist Asia Argento wie sich bald herausstellt, ganz nett, überhaupt nicht arrogant und überraschend unzickig. Später, auch das ist Hamburg, kann man sie nämlich tatsächlich an der Kinobar treffen, und noch ein wenig plaudern: "Silence is sexy" erzählt sie da, und "Porn is okay with me". "I'll do everything, but no italian cinema. I dont want to muddle with this fuckers. The italian cinema fucked up, except my father and Sergio Leone." Da mussten wir lachen und Asia meinte "Yeah, film is energy, I heard you lough." Wie vorher im Kino. Nur "Do you wanna dance with me?" hat sie dann nicht gefragt.

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Was der Körper des Menschen alles auszuhalten vermag, erprobt auch HYSTERIC von Takahisa Zeze. Ein ungleiches Paar, das weder auseinander, noch zusammenkommen kann. In verschachtelten Rückblicken wird ihre Geschichte erzählt. Es beginnt in einer kleinen, dreckübersähten 1-Zi-Wohnung. Eine Frau stranguliert einen Mann, doch bald hört sie auf, tränenüberströmt. "Wir sterben zusammen." sagen sich die beiden. Doch wer weiß, ob sie recht haben? Sterben muss zuerst einmal ihr Nachbar: er wird beraubt, und dann zum Objekt planlosen Spieltriebs: Ein bißchen Sex, ein bißchen Tod, die Frage "Wie zum Teufel kannst Du einen Steifen kriegen, wenn Du kurz davor bist, zu sterben?" und am Ende des Experiments tatsächlich das schwere Sterben des Mannes.
In blassen Farben, ganz reduziert und hyperrealistisch erzählt Zeze von der Genese der Gewalt aus Langeweile und Hoffnungslosigkeit. In einem Japan, das sich aus Videos, Trash und Supermärkten zusammensetzt, versuchen sich zwei am radikalen Leben: "short, sweet and out with a bang". Und man erlebt eine Frau immerhin schon als gleichberechtigten Teil eines Duos.

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Die Machtübernahme der Frauen zeigen zwei ganz unterschiedliche Filme: KOROSHI von Masahiro Kobayashi ist scheinbar dem europäischen Kino Melvilles verpflichtet. Im Zentrum steht ein Arbeitsloser, ein Looser des Nippon-Kapitalismus. Eisig wie die Gesellschaft ist auch die Schneelandschaft, in der er lebt. Weil er sich zuhause schämt - wie der Bulle in DEAD OR ALIVE hat er dort Frau und Tochter, vor denen er nicht das Gesicht verlieren will - erzählt er nichts von seinem Mißgeschick. Während er behauptet, weiter ins Büro zu gehen, arbeitet er in Wirklichkeit bald als Auftragskiller. Aber am Ende ist es die Frau, die das Urteil spricht, und alle Illusionen beseitigt: "Er ist zu nett."
Der gleiche Darsteller, der etwas untersetzte Ryo Ishibashi, der immer gut träge Durchschnitts-Typen spielen kann, fällt in AUDITION (Regie noch einmal Takashi Miike) endgültig einem Rollentausch zum Opfer.
Zwar beginnt alles wie eine eher langweilige verquatschte Komödie, gespickt mit den üblichen Gesellschaftsdiagnosen: "The whole of Japan is lonely"; "Japan is finished", usf. Doch dann schlägt alles um, aus der Komödie wird ein Horrorfilm, und die Obsession japanischer Männer für junge Frauen wird grausig bestraft. Der Sadismus hat das Antlitz eines schönen Mädchens, die mit Kindchenstimme die schlimmsten Foltern verkündet. Auch wieder der archaische Glaube daran, dass, wenn man nur den Leib aufschneidet, irgendetwas zu finden wäre, oder sich ereignen könnte. Vielleicht geht es aber auch um eine andere Einsicht: "Words create lies, pain can be trusted." Also doch Wahrheit. Die Wahrheit in AUDITION bleibt offen, zu sehr verschlingt sich das Spiel der Erwartungen und Illusionen. Es bleibt der Gedanke, das hinter aller Unschuld etwas lauern könnte.

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Von Unschuld ist in Virginie Despentes BAISE-MOI nichts zu spüren. Der in seinem Heimatland Frankreich derzeit verbotene Skandalfilm läßt sie allenfalls noch in dem schönen Anarchismus ahnen, in der puren Lust, "einmal richtig zurückzuschlagen". Hier liegt viel mehr Provokation, als in ein paar eher matten pornographischen Momenten. Frauen dürfen nicht grundlos auf Männer schießen, zumindest nicht im Kino.
Ansonsten bleibt von dem Skandal eine schwarze, realistische Version von THELMA & LOUISE, weniger gelackt und elegant, dafür gewalttätig und unpsychologisch, stellenweise aber auch sehr ironisch, gerade in den Gewaltszenen. Ganz gut gespielt, schöne Musik, allemal sehenswert.

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"I am the most naughty girl in the world." - "How sad." - "No, it's not sad, it's just the way it is." - das ist nicht aus BAISE-MOI, sondern einer der hübschesten Sätze aus SCARLET DIVA.

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Einen anderen Ton schlagen die beiden asiatischen Filme an, die wohl die europäischsten in Hamburg waren. BROTHER von Takeshi Kitano, einmal mehr ein Meisterwerk. Das wundervolle Poem über Freundschaft unter Fremden, ein lakonischer Gangsterfilm über einen immer schon todgeweihten Japaner in Amerika. Vom Töten erzählt Kitano im Stil eines französischen Liebesfilms. Hier sieht man auch einmal Männer weinen, und nicht um Frauen kämpfen, sondern mit sich selber. Und am Ende eine lange Einstellung auf ein Gesicht. Das Thema: Liebe.
Darum geht es auch in IN THE MOOD FOR LOVE, dem neuesten Film des Hongkong-Chinesen Wong Kar-wei. Etwas ganz Seltenes ist ihm da gelungen: Fast ausschließlich zwei Personen stehen im Zentrum, ihre langsam wachsenden, immer diskreten Gefühle füreinander. Kein Kuss, nicht viele Worte, nur Blicke. Blicke der Kamera, versteckt zwischen Möbeln, in Schränken, Türen Gängen, und man fühlt die Dichte und Enge körperlich als Zuschauer. Diese Enge ist nicht allein die Hongkongs und seiner Lebensbedingungen, auch nicht die der frühen Sechziger, als IN THE MOOD FOR LOVE spielt, sondern die innere Handlungsfreiheit der Figuren. Lange hat keiner mit so wenig Gesten, soviel Sparsamkeit der Mittel so viel gesagt, wie Wong Kar-wei in diesem Fall. Da übertrifft er noch FALLEN ANGELS, seinen bisher besten Film um Längen.

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Lakonie und Gefühle, Gewalt und Schönheit - so perfekt zusammen geht das nur im asiatischen Kino. Nun gab es auch ein paar westliche Filme, die alldem jedenfalls in dem Sinn vergleichbar sind, dass sie sich um ähnliche Erfahrungen bemühen, darum, dem Alltäglichen Tiefe und Bedeutung abzugewinnen, und so am Grundsätzlichen zu kratzen, ohne es in falschem Pathos zu beschwören.
Bereits ins Kino gekommen ist Barry Levinsons LIBERTY HEIGHTS, zwar eine Komödie, aber doch ein Film der leisen Töne und der genauen Beobachtungen. Zwei Abende im Leben von zwei Brüdern aus dem jüdischen Viertel Baltimores in den 50er Jahren werden zum Angelpunkt einer elegischen Geschichte über das Überschreiten innerer wie äußerer Grenzen und über die Würde liberaler Lebensführung. Der Katalysator ist natürlich wieder einmal die Liebe. Und spätestens wer dann die Original-Stimme von Rebekah Johnson hört, der erfäht auch selbst wieder einmal dieses Wunder des Kinos: Eintauchen, dahinfließen.
Das konnte man auch in WONDER BOYS, Curtis Hansons neuem Film der - an einem Wochenende - eine wunderschöne Geschichte über die Midlife-Crisis eines Literaturprofessors erzählt. Michael Douglas spielt ihn ganz herrlich, und man leidet und fühlt in jeder Sekunde, was dieser Alt-Hippie an jedem "One fucked-up day" alle erlebt. Um alles geht es da gleichzeitig: Um die Suche nach der verlorenen Jugend, und nach der zweiten, dritten, vierten, die man immer wieder noch finden kann; um die geistreiche Ost-Küsten-Klasse Amerikas, die eine ganz eigene Art hochgezüchteter Tiere darstellt; um die Bedingungen und den Preis der Kreativität; um ein Kleid von Marylin Monroe und einen toten Hund. Nebenbei trifft man John Boy Walton wieder, hört von Tyrone Power und "Our good old friend, Mr.Codein". Überhaupt, schöne Sätze: "Was kümmert es, was irgendeiner denkt? Die wenigsten Leute denken überhaupt. Und wenn, dann im seltensten Fall an Bücher." Die entschädigen auch für die Familiy Values, ohne die so ein Film offenbar nicht auskommt.
Und auch in Rob Schmidts CRIME AND PUNISHMENT IN SUBURBIA ignoriert man sie nicht völlig, obwohl es sich um eine ganz andere Art Kino handelt. Nicht rundum perfekt, aber zehnmal mutiger als die beiden anderen US-Filme wird hier Dostojewskis "Schuld und Sühne" in ein Pop-Amerika versetzt.
Ein super Soundtrack, grandiose Kamera, und viel Tempo - unwillkürlich denkt man bei dem modernen Kinostück an Baz Luhrmanns ROMEO AND JULIET. Und an Asia Argento, die hier gerade noch gefehlt hätte: "This is the future".


Rüdiger Suchsland

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