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Die junge Frau ist selbstbewusst bis zur Arroganz. Zu
Beginn von Ang Lees CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON hat man diese
Jen (Zhang Ziyi) gesehen, wie sie voller Lust und Faszination das
grüne Jade-Schwert der Wudan-Kämpfer betrachtet. "Es muss aufregend
sein, als Krieger." Nun hat sie ihr Ziel erreicht, ist im Besitz
des Schwertes, und lebt als Frau den männlichen Heldentraum von
Macht, die auf Stärke und Gewalt beruht. Doch man will sie nicht
akzeptieren, scheint sie doch selbst die Regeln andauernd zu
brechen, scheint sie das Wichtigste, die Demut, zu ignorieren.
"Schon wieder einer, der mir was beibringen will." sagt sie einmal
zornig zu dem älteren Krieger, der eine Art Ziehvater ist. Und
schraubt sich in die Luft. Und fliegt. Und kämpft. Auch Jake
(Tobey Maguire), der Hauptfigur von RIDE WITH THE DEVIL, dem
zweiten Ang Lee-Film, der jetzt in die Kinos kommt, haben die
Älteren wenig zu sagen. Zwar warnt ihn sein Vater noch am Beginn
des amerikanischen Bürgerkriegs davor, sich auf die Seite der
"Rebellen" des Südens zu schlagen. Doch Jake muss und will seine
eigenen Erfahrungen machen, und wird ein "Bushwhacker", einer
derjenigen Guerilleros, die abseits der Linien ihren eigenen gar
nicht edlen Partisanenkrieg gegen den Norden kämpfen. Und zumindest
am Anfang überwiegen in Ang Lees Inszenierung – auch das gehört zum
realistischen Bild - Romantik und Spaß, der Krieg als – auch
lustvoller – anarchischer Freiheitstraum. Was macht einen
Helden aus? "Freiheit von und über den Dingen" – so beantwortet Ang
Lee diese Frage und weist darauf hin, dass man, auch als
Filmemacher, "manchmal die Regeln ein bisschen ändern" müsse. In
seinen beiden neuen Filmen, die beide von Helden handeln, die auch
Outsider sind, und von der Frage, ob und wo Gewalt frei macht, und
überhaupt nötig ist, hat er das jedenfalls getan, und sich,
gemessen am eigenen Werk, überraschende Freiheiten und Anarchismen
gestattet.
Anerkennung der Ordnung
Dass die Anerkennung der Ordnung, und nur sie, Schutz bieten
könnte vor den Unsicherheiten der Existenz, das schien bislang die
wichtigste Botschaft der Filme Ang Lees zu sein. Oft genug reizte
der aus Taiwan stammende, aber seit über 20 Jahren in New York
lebende Regisseur die Konflikte seiner Figuren dabei aus bis an die
Grenze, um sie dann doch in idyllische Bilder von Einverständnis
und Versöhnung münden zu lassen. "Father knows best" hat er
seine erste Trilogie getauft – THE WEDDING BANQUET (1993) und EAT
DRINK MAN WOMAN (1994) liefen auch hier erfolgreich [mit diesen
Filmen begann auch Lees Zusammenarbeit mit James Schamus, dem in
seiner Heimat sehr renommierten Produzenten von US-Independent-Kino
jenseits der engen Standards von Hollywood. Seitdem hat Schamus
alle Filme Lees produziert, und bei den meisten von ihnen, so auch
bei den beiden neuen, den größten Teil des Drehbuchs geschrieben]
-, und dieser Titel war nur halb ironisch gemeint. Denn in diesen
Generationskonflikten zum Teil im Westen lebender asiatischer
Familien, in denen Lee auch sein eigenes Schicksal spiegelte, muss
zwar der Vater jeweils das Ende der Tradition und den Anbruch einer
neuen Zeit mit ihren neuen Werten akzeptieren. Doch wahres Glück
konnte es da jenseits der Familie auch für die Kinder nicht
wirklich geben, ihr Aufbruch war nie ein Bruch mit der Herkunft und
mündete am Schluß immer in die Einsicht in das Recht der Älteren
(die eben auch nicht störrische Alte waren, sondern letztlich immer
genug Weisheit hatten, um der Jugend ihr Recht zu geben).
Auch in seinen nächsten beiden Filmen, jeweils
Literaturverfilmungen, schien dieses Muster von Lernprozessen mit
harmonischem Ausgang vorzuherrschen, und Ang Lees Ruf als
handwerklich einfallsreicher, aber inhaltlich konservativer
Regisseur noch zu untermauern. Mit SENSE & SENSIBILITY
drehte Lee die bruchloseste aller Jane-Austen-Verfilmungen der
letzten Jahre. Doch für den Regisseur war dieser Film in vielerlei
Hinsicht ein Schritt vorwärts. Nicht allein indem er mit einem
überaus einträglichen A-Movie die Massentauglichkeit seines Kinos
demonstrierte, und sich mit dem in England angesiedelten Kostümfilm
aus der Beschränkung auf das Milieu der eigenen ethischen Herkunft
befreite. Bei aller Süßlichkeit der Inszenierung legt SENSE &
SENSIBILITY auch den Zwangscharakter der Sozialmoral und
bürgerlichen Rituale des 19.Jahrhunderts bloß, und entlarvt die
ökonomische Basis des nur vermeintlich auf Emotionen gegründeten
Familienglücks. Wer frei sein will, ist zur Passivität verdammt.
Zwar wird schließlich die Ordnung noch einmal von allen zumindest
indirekt anerkannt; Glück gibt es hier für die sichtbar im
Spinnennetz der Konventionen gefesselten Charaktere aber nur im
Ausnahmefall, in dem die Stimme des Herzens und der Befehl der
Geldbörse die gleiche Sprache sprechen – ein Happy End, das Ang Lee
mit Jane Austen zwar seinen Zuschauern gönnt, das aber nicht mehr
entscheidend ist. Noch ärger kommt es in THE ICESTORM nach dem Roman
von Rick Moody. Zunächst dominiert die gnadenlose Abrechnung mit
den halbherzigen kulturellen Aufbrüchen der US-Mittelklasse zur
Zeit des Watergate-Skandals. Doch überwiegen bei der
Wiederversöhnung der Familie am Schluß die depressiv-resignativen
Töne. Als Happy End kann sie kaum wahrgenommen werden, was bleibt,
ist ein bitterer Nachgeschmack. Reaktionär ist die Story nur dort,
wo Unabhängigkeitsdrang in der Figur der von Sigurney Weaver
gespielten fremdgehenden Ehefrau dezidiert bestraft wird. Was das
alles in den Schatten stellt, ist aber die Fassungslosigkeit, mit
der die Kinder völlig abgekoppelt und distanziert den dummen
Spielen der Erwachsenen zusehen. Ein Bruch der Generationen, der
kaum mehr zu kitten scheint.
"Anti-Patriot"
In seinen beiden neuen Filmen, die er im Stil eines
Entwicklungsromans erzählt, schlägt sich Ang Lee nun ganz auf die
Seite der Jungen. RIDE WITH THE
DEVIL dürfte der durch seinen Verzicht auf alle Parteinahme
wahrscheinlich ungewöhnlichste Civil-War-Film sein, der je in
Amerika gedreht wurde. Was Lee hier interessiert, ist kaum, wer
politisch recht hat, ist nicht die pathetische Inszenierung von
Motivationen und Gesinnungen. Fast in jeder Hinsicht, in punkto
Geschmack, Zurückhaltung, Intelligenz und Feinheit von Handlung wie
Stil handelt es sich bei diesem epischen Drama vielmehr um das
direkte Gegenstück zu Roland Emmerichs martialischem "Patriot", der
ebenfalls ein hochsensibles Kapitel der inneramerikanischen
Geschichte behandelte. Stattdessen zeigt der Regisseur dieses
"Anti-Patriot" das beklemmende Nebeneinander von Wahnsinn und
Normalität, die völlige Willkür der immer neuen Konstellationen, in
denen hier Nachbarn gegen Nachbarn kämpfen. Natürlich muss man
diese Geschichte auch vor der Hintergrund der Bürgerkriege und
Kulturkämpfe unserer Tage lesen.
Doch was dominiert, sind die individuellen Schicksale. Die äußere
Erscheinung der Kämpfer, ihre wilden schmutzigen Bärte und
Zottelhaare, symbolisieren die auch innere Barbarisierung, das
Unzivilisierte des Krieges. Im Zentrum stehen zwei Außenseiter, der
deutschstämmige Jake und der befreite Negersklave Holt (Jeffrey
Wright), der – eine bizarre aber historisch belegte Episode – mit
dem Süden für die Verteidigung der Sklaverei kämpft. Jake muss
erwachsen werden, Holt sich aus dem Anerkennungsverhältnis zu
seinem Befreier lösen. Es sind berührende Momente, in denen Ang Lee
die allmählich wachsende innere Distanz seiner Figuren zum äußeren
Geschehen beobachtet, wie er beispielsweise das Vorlesen fremder
Briefe, die den Soldaten zufällig in die Hände fielen, als
gemeinsames Ritual geheimer Flucht aus der Gegenwart inszeniert.
Ein weiteres Leitmotiv in Lees Kino wird hier deutlich: die
Verschränkung von Grenzziehung und Grenzüberschreitung, die
kulturell, sozial oder persönlich gemeint sein kann. Am Ende steht
diesmal noch eine Familie. Mit ihr zieht Jake nach Westen gen
Sonnenuntergang; der Bart ist ab, die Haare gestutzt, der Krieger
ist wieder zum Zivilisten geworden, so scheint es; verheiratet sein
macht friedlich. Konservative Family Values? Nein. Denn
genaugenommen ist die Konstellation ganz künstlich, gar nicht den
Idealvorstellungen irgendwelcher Traditionalisten entsprechend. Der
junge Gatte ist der dritte Mann der Frau. Das Baby stammt nicht von
ihm, und zur Heirat wurde er fast genötigt. Ganz pragmatisch ist
dieses Bild, trotzdem glücklich und in dieser Verbindung auch ein
Programm. Ebenso wie die Tatsache, dass noch einer davonreitet:
Holt, allein, mit einer Waffe, die er und seinesgleichen noch
brauchen werden für lange Zeit.
Action-Offenbarung: Fliegende Körper, große Räume
In CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON - ausgerechnet dem Film, der
mit dem phantastischen traumartigen "alten China" in der
traditionellsten Landschaft angesiedelt ist - ist die Familie dann
ganz imaginär geworden. Sie ist nur noch in den zwei Paaren, dem
jungen und dem alten präsent, die in gewissem Sinn auch ein
Eltern-Kind-Verhältnis verbindet. Die Älteren sind in nobler
Melancholie eingebunden in den strengen konservativen Regelkanon
des Wudan-Kriegerordens. Trotz ihrer Zuneigung füreinander sind sie
nicht imstande, sich aus dem engen Korsett aus Ehre und
Pflichterfüllung zu befreien. Das junge Paar, Jen und der
Wüstenbandit Lo, verkörpert eine offenere Zukunft. Besonders Jen,
die eigentliche Heldin des Films, ist auch eine Rebellin gegen die
alte Ordnung. Für ihre Befreiung zahlt die (imaginäre) Tochter
teuer: Sie erkauft sie mit dem Tod des (imaginären) Vaters. Doch am
Ende steht eine - in vielem zutiefst europäische - Freiheit, die
darin liegt, das jeder für sich er selber wird. "Versprich mir
eins: Bleib Dir treu" gibt am Ende der sterbende Li Jen mit auf den
Weg. Die ältere Generation gibt in dieser Saga von Heldentum und
Schuld, von Konventionen und ihrer anarchischen Durchbrechung den
Stab an die jüngere weiter.
Harmonie liebt Ang Lee auch hier noch immer, doch ein weiteres
Mal ändert er die Regeln. Ein Frau als Star eines Martial
Arts-Kampffilms ist für sich schon ungewöhnlich genug. Doch wie
CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON zunächst einmal ganz als Form
inszeniert ist, sprengt alle Gewohnheiten. Die Geschichte – einmal
mehr Emanzipation einer jüngeren Generation – ist bei allem
Interesse das Unwichtigste an diesem Film. Was über alles
Maßen fesselt, und CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON zu einem
Filmereignis ersten Ranges macht, zu einem – das kann man schon
jetzt sagen – der großen Filme des Jahres, ist die elegische
Schönheit der Bilder, in die Lee sein postmodernes Märchen kleidet.
Choreographiert im Stil eines Hongkong-Movie lässt er die Körper
freischweben, sie pausenlos und jenseits aller Gravitationsrealität
durch die Luft wirbeln. In ihrer Virtuosität, Poesie und
Verführungskraft stellen diese Szenen, in denen die Menschen in den
Bäumen tanzen, auch MATRIX
weit in den Schatten [Kollege Willmann dessen schöne Filmrezension
Sie hier nachlesen können,
weist an diesem Punkt gewiß nicht zu Unrecht darauf hin, dass
MATRIX in technischer Hinsicht allenfalls das Verdienst zukomme,
die Martial-Arts im Westen popularisiert zu haben. Der eigentliche
Vergleichsmaßstab seien die chinesischen Filme des Genres]. Alles
in allem eine Offenbarung, Action, wie ich jedenfalls sie noch nie
im Kino gesehen habe. In manchem wirkt CROUCHING TIGER, HIDDEN
DRAGON auch wie ein Western. Die Bildsprache, die großen Räume, das
Spiel von Ruhe und Geschwindigkeit ähneln einander. Doch die
romantischen, perfekt komponierten Bewegungs- und Kampfszenen
erinnern – nicht zuletzt in ihrem Humor - noch mehr als an das
wilde freie Ford-Country auch manchmal an die Filme mit Douglas
Fairbanks und Erol Flynn.
Man kann Ang Lees Karriere also auch anders sehen: Als die eines
Regisseurs, der noch immer experimentiert, der zwischen Genres und
Epochen hin- und herpendelt, dabei immer wieder neues wagt, und
sich dabei allmählich selber befreit: aus Konventionen, aus den
engen Interieurs seiner frühen Filme hin zu den großen Räumen und
Landschaften. Mit jedem seiner Filme öffnet sich die Perspektive,
wird das Kino von Ang Lee größer, erobert er sich ein Stück mehr
Bewegungsfreiheit. Und wer in CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON die
Menschen in aller Leichtigkeit fliegen sieht, ahnt, dass Ang Lee
hier kurz die Disziplin verliert, und sich für Augenblicke ganz
seinen Leidenschaften hingibt. Man wünschte sich, er würde das noch
öfters tun.
Rüdiger
Suchsland
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