Dogville Kills Bill
II. Im Kino |
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Zuschauer in Dogville | ||
(Foto: Concorde) |
Zwei Ansichten Amerikas, zwei rächende Frauen im Zentrum, zwei eigenwillige Regieleistungen, in sich grundverschieden
Von Frank Müllers
Wenn wir nun auf zwei Filme zu sprechen kommen (aber in Wahrheit sprechen wir ja schon die ganze Zeit von ihnen), und beide einen Wettlauf antreten lassen, um die Stelle, welches der Filme den richtigen Weg in die Zukunft weist, dann sollte man gar nicht so tun, als ob der Ausgang dieses Rennens nicht schon längst entschieden wäre. Es ist nicht zu leugnen, dass der Blick auf den momentanen Zustand des Kinos, der sich im Zustand unserer eigenen Saturiertheit spiegelte, sich dem Film Dogville bereits schon verdankt. Das sich daraus ableitende Anforderungsprofil ist daher auf Dogville schon so perfekt zugeschnitten, dass Kill Bill von vornherein als aussichtsloser Bewerber sich die Füße vor der Tür vertreten kann. Bei einer Stellenausschreibung in der lebensfremden Politik oder in der kunstfernen Wirtschaft müsste man hier von unsauberen Wettbewerbsdingungen sprechen, aber im Bereich der Kunst, wie im wirklichen Leben, ist der Weg bekanntlich das Ziel: Es kommt nicht darauf an, zu welchem Endergebnis man kommt, sondern es kommt darauf an, welche Einsichten über die Filme und über die Natur des Films man auf dem Weg findet. So macht es auch nichts, den Ausgang des Rennens schon im Titel verraten zu haben (ebenso wie der reine Spannungsfilm ist auch der reine Spannungsessay allerunterste Schublade, und daher tunlichst zu vermeiden).
Der Zufall, der beide Filme fast zeitgleich im Abstand von einer Woche in unseren Kinosälen starten ließ, ließ in all ihrer Gegensätzlichkeit ihrer Herkunft und ihrer Absichten auch ihre innere Verwandtschaft erkennen, die vor allem darin besteht, dass beide denselben Platz beanspruchen: nämlich den Anspruch, eine Alternative zum Hollywood-Kino darstellen zu wollen. Diese wichtigste und erste Gemeinsamkeit – ihr gemeinsamer Anspruch – zeigt sich in ihrer Abkehr auf den von der Hollywood-Filme typischen Abbildillusion, und der Hinwendung zu eigenen ästhetische Welten. Allein diese Eigenschaft, als »Filme« hervorzutreten, lässt sie zu Leuchttürmen innerhalb einer verflachten, nivellierten Kinolandschaft werden. Die Wege, die beide Filme weisen, sind gänzlich entgegengesetzt, die Tatsache aber, dass sie überhaupt in den Himmel ragen, zeigt ihren gemeinsames Wollen, einen Weg jenseits des gängigen Hollywood-Kinos zu beschreiten. Vorab gesagt: Es wird sich erweisen, dass es sich hierbei nicht nur um die Konkurrenz zweier einzelner Filme handelt, sondern dass sich dahinter alte Fehden verbergen, die sich bis in die Anfänge des Kinos zurückverfolgen lassen: nämlich der Kampf zwischen dem »totalen Kino«, das allein auf die Eigenmächtigkeit der Bilder setzt, und einem Kino, das von dieser Radikalität und Einseitigkeit absieht, und sich vielmehr als Medium versteht. Der Streit, der hier zwischen beiden Filmen in meinem inneren Rubriken-Bewertungskästchen losbrach, ist also nicht nur durch die Gegensätzlichkeit von zufällig zur gleichen Zeit gestarteten Filmen verschuldet, sondern – wie es sich für jeden vernünftigen Streit gehört – grundsätzlicher Natur.
Neben diesen morphologischen Gemeinsamkeiten trat aber noch eine weitere Gemeinsamkeit hinzu, sicherlich die verblüffenste, nämlich eine inhaltliche: die Gemeinsamkeit des Sujets. Nicht nur, dass beide Filme von Rache handeln, sie widmen sich der Rache auch in ähnlich positiver Weise: beiden Filmen stehen weibliche Heldinnen voran, die sich für erlittene Demütigungen und Verletzungen rächen; beide Filme wollen den Zuschauer in Versuchung bringen, den Racheakt ihrer Heldinnen für gut zu befinden. Wenn man bedenkt, dass ein Rachakt unserem Lebensgefühl als modern fühlende und denkenden Menschen völlig widerspricht, und wir auch im Kino den Rachakt nur als Notbehelf für fehlende Gerechtigkeitsinstanzen in archaische Zeiten dulden (was die verächtliche Rezeption der Death-Wishes-Filme in den 70ern, und der Rambo-Serie in den 80ern beweist), dann stellt die Wiederaufnahme der Rache als legitime, positive Handlung in unserem kinematographischen Wahrnehmungsfeld sowohl eine moralische Provokation, wie aber auch ein gemeinsames ästhetisches Versprechen dar: nämlich das Versprechen, im Verlauf des Films aus unseren gewohnten Denk- und Fühlgleisen weggeführt zu werden. Daher könnte man auch geneigt sein, den Zufall – das gemeinsame Sujet – nicht für einen Zufall zu halten, sondern gewissermaßen als eine Notwendigkeit zu erkennen, die sich aus dem Anspruch ableitet, dem Zuschauer eine einzigartige emotionale und kognitive Erfahrung zu ermöglichen. Aber selbst, wenn man diese Zusammenhänge bestreiten wollte, die Gemeinsamkeit des Sujets ist gegeben, was ideale Wettbewerbsbedingungen schafft: Beide Filme lassen sich daran messen, wie weit es ihnen gelingt, sich der Herausforderungen des Themas zu stellen, und dem Zuschauer eine ungewöhnliche Erfahrung zu ermöglichen.
Und noch etwas: Bei der Innenbesichtigung beider Filme werden wir wiederholt auf den bekannten und viel veröffentlichten Filmkritiker, Filmessayisten und Filmwissenschaftler Georg Seeßlen stoßen. Das ist weder Zufall, noch beabsichtigt, sondern dem schlichten Umstand geschuldet, dass Seeßlen eine diametral verschiedene Position einnimmt, die er wiederholt in den verschiedensten Veröffentlichungen dargelegt und beschrieben hat: Seeßlen ist ein Bewunderer Tarantinos und hat sich auf der anderen Seite 1999 in einem Artikel in der „Zeit“ als Bekämpfer der Filme Lars von Triers und der Dogma-Filme hervorgetan. Aber wenn auch nicht beabsichtigt, so kann der Umstand, dass mit Seeßlen ein Kontrahent mit ins Boot der Expedition kommt, dafür sorgen, dass die Fahrt nicht allzu schnell in den trüben Fluss monologischer Denkbewegungen gerät.