05.10.2006

Weg mit den Sehgewohnheiten!

»Evolution of a Filipino Family« von Lav Diaz
Familienchronik: The Evolution of a Filipino Family von Lav Diaz
(Foto: Underdox | Lav Diaz)

Das Festival UNDERDOX will neue Kinematographien bekannt machen

Von Dunja Bialas

Heute beginnt UNDERDOX – ein Festival für Dokument und Expe­ri­ment. Es ist ein neues Film­fes­tival in München, das artechock-Redak­teurin Dunja Bialas und Werk­statt­kino-Betreiber Bernd Brehmer zusammen gegründet haben. Sie wollen neue und andere Wege einschlagen, und Filme zeigen, die man sonst garan­tiert nicht zu sehen bekommt, weder im Kino­alltag noch auf den etablierten Festivals in München. Dunja Bialas über die Erwar­tungen an das eigene Festival und mit Hinweisen auf einige Filme.

Eines ist uns besonders wichtig: Wieder in Erin­ne­rung zu rufen, das Kino eine Ausdrucks­form der zeit­genös­si­schen Kunst ist. Unser Programm richtet sich an ein Publikum, das in München zu finden unter Umständen gar nicht so einfach sein kann: die Film- und die Kunst­in­ter­es­sierten. Also all jene, die Film leiden­schaft­lich lieben, die abseits von Kinostarts Neues entdecken wollen, und die Kunst­leute, Kunst­ma­cher und Ausstel­lungs­geher, die selbst oft einen großen Bogen ums Kino machen, wenn sie hören, dass dort Kunst geboten wird. Man darf also gespannt sein, wie sich das Publikum letzt­end­lich zusam­men­setzen wird.

Die Über­schnei­dungen zwischen Kino und Kunstraum aber haben selbst schon die Regis­seure unseres Programms vorge­nommen. Sie sind zum Teil in Kunst­ga­le­rien mit ihren Foto- und Video­ar­beiten vertreten, oder sind bekannt in der inter­na­tio­nalen Expe­ri­men­tal­film­szene, sind Kino­künstler.
Vor allem aber, jenseits dieser Filme mit deut­li­chem Kunst­an­spruch, ist UNDERDOX ein Festival für den außer­ge­wöhn­li­chen Doku­men­tar­film. Wir zeigen Doku­men­ta­tionen, die erzählen, heraus­for­dern, bisweilen verwirren, oder einfach nur genuss­voll sind. Taimagura Grandma des Japaners Yoshihiko Sumikawa ist so ein genuss­voller Film.
Wir zeigen auch Fake-Docu­men­ta­ries, die das Herstellen von Wirk­lich­keit als echte Täuschung meistern, und die erweitern, was Doku­men­tar­film sein kann. Zwei unechte Doku­men­ta­tionen haben wir in unserem Programm, auf die wir hier besonders hinweisen möchten: Der Eröff­nungs­film Inter­komsos des Ameri­ka­ners Jim Finn lässt ostdeut­sche Weltraum­träume wahr werden, und die britische Skan­dal­künst­lerin Tracey Emin insze­niert in Top Spot Inter­views, die ihre eigene kata­stro­phale Jugend erzählen.
Wir zeigen auch einen Spielfilm, der doku­men­ta­risch erzählt und dadurch zu einer der radi­kalsten Position im zeit­genös­si­schen Kino findet, der Dauer. The Evolution of a Filipino Family des Phil­ip­pi­ners Lav Diaz erzählt in nicht weniger als zehn Stunden die Chronik der Familie Gallardo unter dem dikta­to­ri­schen Marcos-Regime. Eine Heraus­for­de­rung an unser Publikum, der wir mit Kaffee, Kuchen und heißer Suppe begegnen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass man beim Sehen eines Films, der einen ganzen Tag dauert, gefähr­lich an die Grenze des physisch zumut­baren geht. Bei uns kann jeder den Film verlassen und später wieder­kommen. Aber wir wissen auch, dass man diesen Film nie vergessen, dass sich die Bilder im Gedächtnis nieder­legen werden, gegen die Flüch­tig­keit des kine­ma­to­gra­phi­schen Mediums. The Evolution of a Filipino Family ist so in zweierlei Hinsicht ein groß­ar­tiger Meilen­stein im Gedächtnis, des phil­ip­pi­ni­schen Volkes und in jedem, der ihn gesehen hat.

Diese Filme, auch wenn sie in München bislang durch die Festi­val­raster gefallen sind, sind allesamt Filme, die wir auf bedeu­tenden inter­na­tio­nalen Festivals in Europa unter der Vielzahl der Film­pro­duk­tionen entdeckt haben, die teilweise Preise bekommen haben.

Im Vorpro­gramm zu den Haupt­filmen präsen­tieren wir zudem Video-Arbeiten aus der Münchner Kunst­szene und wollen damit auch Forum für orts­an­säs­sige Nach­wuchs­künstler sein. Dieses Jahr mit dabei sind Arbeiten der Instal­la­ti­ons­künst­lerin Alexandra Ranner, der Foto­grafin Cora Piantoni, und der Video­künstler Shirin Damerji, Andrea Faciu und Oliver Pietsch. Passend dazu präsen­tieren wir den Film Künst­le­rinnen, ein Ensemble-Porträt 23 Münchner Künstler(innen) von Ulrich Mannes (den man als Heraus­geber des Sigi-Götz-Enter­tain­ment kennt) und Wolfgang Leitner als work in progress.