25.09.2008

Die Banalität des Terrors

TIRO EN LA CABEZA
Im Blick des Zivilfahnders :
Eta-Aktivist in Tiro en la cabeza

Ein kontroverser Film über ETA-Mord beim Filmfestival von San Sebastian

Von Rüdiger Suchsland

San Sebastian, im September. Die RAF ist in Deutsch­land nur derzeit in allen Gazetten. Die ETA in Spanien ist dagegen alltäg­liche Realität. Erst in der letzten Woche versetzten drei Attentate kurz hinter­ein­ander mit einem Todes­opfer und zahl­rei­chen Verletzten das nord­spa­ni­sche Basken­land in Angst und Schrecken. Seit den 60er Jahren existiert die Orga­ni­sa­tion, die sich von der links­na­tio­na­lis­ti­schen »Befrei­ungs­be­we­gung«, die im Wider­stand gegen Francos Diktatur Sympa­thien bis in konser­va­tive Kreise hatte, und sogar von der katho­li­schen Kirche unter­s­tützt wurde, in den letzten drei Jahr­zehnten in eine Mörder­bande wandelte, die man am ehesten mit der Mafia verglei­chen kann: Man kassiert Schutz­gelder, finan­ziert sich mit Drogen­ge­schäften, und verbreitet Angst: Bis heute wagt es kaum einer im nord­spa­ni­schen Basken­land, öffent­lich gegen die ETA einzu­treten – weil man dann ihn wie auch Angehö­rige mit dem Tod bedrohen würde.
Beim Film­fes­tival in der baski­schen Haupt­stadt San Sebastian, einem der ältesten und besten der Welt, hatte jetzt ein spani­scher Film Premiere, der das Thema des ETA-Terrors, das die spanische Gesell­schaft noch immer spaltet, direkt angeht – und für heftige Kontro­versen sorgte.

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Tiro en la cabeza heißt der Film, zu deutsch etwa: »Kugel im Kopf«. Er stammt von Jaime Rosales, einem aus Barcelona stam­menden Regisseur, der zu den viel­ver­spre­chendsten Nach­wuchs­ta­lenten des spani­schen Kinos in der Gene­ra­tion nach dem über­mäch­tigen Pedro Almodovar zählt. In allen seinen bisher drei Filmen – La soledad, vielfach preis­ge­krönt, hatte 2007 in Cannes Premiere – beschäf­tigte sich Rosales mit Terror und Gewalt, jeweils jedoch auf eine indirekte, fast private Weise.

Es gibt zwei Arten, Tiro en la cabeza zu sehen: Wenn man weiß, dass alles auf einem realen Fall basiert, läßt sich der Film fast als Doku­men­ta­tion über die ETA betrachten.
Weiß man das nicht, begleitet man als Zuschauer einen etwa 45-jährigen Mann durch seinen ganz normalen Alltag. Alles wirkt eine ganze Weile wie eine etwas lang­wei­lige Milieu­studie. Man sieht ihn in seiner Wohnung in San Sebastian, mit seiner Freundin, mit seiner Schwester und deren Kind auf dem Spiel­platz. Unge­wöhn­lich ist die Art des Erzählens: Denn der Film hat kaum versteh­bare Dialoge, man hört vor allem Hinter­grund­geräu­sche. So ähnelt der Blick des Zuschauers dem einer Über­wa­chungs­ka­mera, oder dem eines Zivil­fahn­ders, der aus der Distanz beob­achtet, und sich vieles aus der Verket­tung von Indizien erschließen muss. Im letzten Drittel dann bekommt dies große Inten­sität, denn man erkennt, wie sich die Haupt­figur verdächtig benimmt, wie sie hinter der nahen fran­zö­si­schen Grenze zwei Komplizen trifft, wie die Drei zwei Zivil­fahn­dern auffallen, wie sie das irgend­wann umgekehrt bemerken. Ein Katz-und-Maus-Spiel der Blicke – an deren Ende dann die Haupt­figur die beiden Zivil­fahnder erschießt und die drei Täter fliehen.

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Rosales zeigt die Banalität des Terrors. »Es war mir wichtig, zu zeigen, dass auch Mörder ansonsten ein ganz normales Leben führen«, so Rosales im Gespräch. Er wirft der spani­schen Gesell­schaft vor, zu verdrängen, dass die ETA-Täter, mag sie sich auch längst von ihren heroi­schen Anfängen des Anti-Franco-Wider­stands entfernt haben, und eine Mörder­bande geworden sein, aus ihrer Mitte stammt. Es bringt nichts, das zu verdrängen, den Dialog mit den Tätern abzu­lehnen, und nur die Opfer zu sehen, so Rosales, »wenn wir so weiter­ma­chen, wie bisher, vererben wir die Gewalt den nächsten Gene­ra­tionen.«

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Nach der Premiere kam es bei der Pres­se­kon­fe­renz zu zum Teil heftigen Kontro­versen. »Torque­mada« wurde Rosales beschimpft, wie der furcht­bare Großin­qui­sitor des 16. Jahr­hun­derts, und einzelne Teil­nehmer kriti­sierten, der Film zeige den Täter zu freund­lich, und meinten, dass Festival hätte ihn gar nicht zeigen dürfen. Mehr­heit­lich nahm die spanische Presse Rosales' Film positv auf. Denn ist das Böse nur glaubhaft, wenn es mit mons­trösen Zügen gezeigt wird? Oder gerade nicht? Es ist die alte Kontro­verse, die man in Deutsch­land aus dem Zusam­men­hang mit den Nazi-Verbre­chern kennt: Menschen können freund­liche Fami­li­en­väter sein, sensible Musik­lieb­haber, oder lang­wei­lige Spieß­bürger – und im gleichen Moment eiskalte Mörder und sadis­ti­sche Folterer. Es ist diese einfache, traurige Wahrheit, an die Rosales' hervor­ra­gender Film eindring­lich erinnert.