Auf den Schotterwegen der kinematographischen Landkarte |
![]() |
|
Laurin Federleins Build A Ship, Sail To Sadness | ||
(Foto: Laurin Federlein) |
Von Dunja Bialas
Unwägsamkeit, Abgelegenheit – das, was die meisten Festivals und der Alltag der Kinowirtschaft tunlichst meiden, das wagt UNDERDOX, das internationale Festival für »Dokument und Experiment«, wie es sich im Untertitel nennt. Deshalb kann man getrost sagen, dass UNDERDOX, weit davon entfernt, die breiten Landstraßen der kinematographischen Landkarte zu befahren, sich die kleinen, abgelegenen, oftmals noch unentdeckten Schotterwege sucht, um auf ein völlig idealistisches Ziel hinzufahren, das da heißt, Grenzen einzureißen zwischen den Genres von Dokumentar- und Spielfilm, Experimente zuzulassen, und sei es das Experiment dieses Festivals, das am heutigen Donnerstag seine dritte Eröffnung feiert.
34 Lang- und Kurzfilme sind in vier Tagen in einem verdichteten Programm im Filmmuseum München und im Werkstattkino zu sehen, und dann noch drei weitere Tage lang in der Geburtsstätte des »Entlegenen und Verwegen«, wie einst eine Salonreihe im Werkstattkino untertitelt war.
UNDERDOX hat sich dieses Jahr in einem seiner Schwerpunkte Spanien zugewandt.
In einem Doppelprogramm wird José Luis Gueríns Dyptichon En la ciudad de Sylvia und Unas fotos en la ciudad de Sylvia gezeigt, zwei Filme, die man unbedingt zusammen sehen sollte und die letztes Jahr auf den großen Festivals für Furore gesorgt haben und so manche Top-Ten-Liste des Jahres 2008 schmücken werden (Sa. 18:30 und 20:30 Uhr,
Filmmuseum).
UNDERDOX hat dieses Jahr auch Gäste: Erwähnt sei die Gastkuratorin Jenny Gil Schmitz (»Cahiers du Cinéma«, Spanien), die aus Barcelona Filmkunst mitbringt mit namhaften Videokünstlern wie Jordi Colomer (mit seiner neuesten Arbeit) oder Iñaki Garmendia, der zur Vorstellung anwesend sein wird (So. 20:30 Uhr, Filmmuseum).
Khavn is a bad boy. Aber anders als zwischenzeitlich gedacht, kann nun doch die Vorstellung von Philippine Bliss des Filippino-Digital-Fassbinders Khavn de la Cruz stattfinden – er ist eben von den Jungen Wilden der Filippino New Wave der mit Abstand unbezähmbarste und sorgt immer für Spannung (Sa., 20:15 Uhr, Werkstattkino). Ebenso spannend, aber im Vergleich zu Khavn um vieles etablierter und auch zahmer, sind die Arbeiten seines Regiekollegens Brillante Ma. Mendoza. Sein Film Tirador wurde auf der diesjährigen Berlinale mit dem Caligari-Preis ausgezeichnet und läuft am Dienstag um 20:15 Uhr im Werkstattkino. Aus Asien kommt außerdem große Dokumentarfilmkunst mit Arbeiten der Chinesen Wang Bing und Zhao Liang, ersterer ist bekannt geworden durch seine neun-Stunden-Doku West Of The Tracks, letzterer ist schon lange ein großer Name in der internationalen Kunstszene. He Fenming – Fenming, A Chinese Memoire von Wang Bing läuft am Mittwoch um 20:15 Uhr im Werkstattkino und Crime & Punishment, ein bitterernstes Räuber-und-Gendarm-Stück an der Grenze Chinas zu Nordkorea ist am Freitag um 18:00 Uhr im Filmmuseum sehen. Aus Thailand kommt die Videoarbeit des Regie-Genies Apichatpong Weerasethakul Emerald – Morakot, die in der ZKMax-Unterführung rund um die Uhr als ganzwöchige Installation gezeigt wird. Wer den Film auf Großleinwand im Kino sehen will, sollte zur Eröffnung kommen (Do. 20:30 Uhr, Filmmuseum). Schließlich HO, ein Film aus Vietnam führt uns die komplexe Geschichte Asiens, in der Thailand, Japan und Vietnam eng miteinander verwoben sind. Auch die Regisseurin Gaëlle Vu Binh Giang wird zur Präsentation ihres Films vor Ort sein (So., 18:00 Uhr, Filmmuseum).
Einen weiterer Gast wird bei Vorführung von Build A Ship, Sail To Sadness zugegen sein. Regisseur Laurin Federlein wird Rede und Antwort stehen, wenn es gilt, sein absurdes, musikalisches Roadmovie zu erläutern, in dem ein moderner Don Quixote durch die schottische Hochebene fährt und versucht, der isolierten und sturen Bevölkerung seine »mobile Disko« schmackhaft zu machen (Fr., 22:15 Uhr, Werkstattkino).
Einen besonderen Hinweis verdienen auch zwei Filme, die den War Against Terror und den Krieg in Afghanistan zum Thema haben. Standing Up von Waise Azimi (Sa. 22:15 Uhr, Werkstattkino) fängt schonungslos die Ausbildung der Rekruten der afghanischen Nationalarmee durch die Alliierten ein, und in Why Didn’t Anybody Tell Me It Would Become This Bad In Afghanistan (Mo. 22:25 Uhr, Werkstattkino) seziert ein Afghanistan-Heimkehrer in seiner niederländischen Heimatstadt einen Krieg-im-Frieden-Zustand zwischen Immigranten, der Polizei und der Gesellschaft. Übrigens der erste abendfüllende Film, der mit einem Mobiltelefon gedreht wurde.
Und dies ist typisch für UNDERDOX: sich anderen, noch nicht etablierten Formen des Filmens zu öffnen, auf der Suche zu sein nach den Experimenten des Kinos. Klar schweift in diesem Kontext dann auch der Blick nach Österreich, wo sich Avantgarde-Filme nicht nur einer mittlerweile schulfähigen Tradition erfreuen dürfen, sondern wo eben auch das experimentelle Filmschaffen nach wie vor gefördert, von einem Verleih unterstüzt und folglich auch gezeigt wird. »Sixpack«, das wissen die Eingeweihten, ist das Label, unter dem man diese experimentellen Austria-Produktionen beziehen kann. UNDERDOX hat einen Abend mit Sixpack-Kurzfilmen zusammengestellt, der wieder zeigt, wie wagemutig Österreichs (und überhaupt) Filmproduktion sein kann.
Einen besonderen Tipp verdient noch das Programm »Animationen & Animateure« (So. 22:15 Uhr, Werkstattkino). Nicht nur erhalten die Zuschauer die authentischen Erfahrungsberichte über das »erste Mal« in vier Animations-Variationen (Never Like The First Time des Schweden Jonas Odell), auch können sie den verstorbenen Werner Guhl, Sänger und Musiker der Münchner Fraunhofer Schoppenstube, wiedererleben. Im Anschluss bietet sich ein Besuch im benachbarte Etablissment an...
Zuletzt sei noch hingewiesen auf eine Gesprächsrunde: Dokumentarfilmer und Videokünstler sprechen über Stationen ihrer beruflichen Ausbildung, ihren professionellen Weg und über die Schwierigkeit, sich mit ihren Arbeiten im kulturellen Leben zu positionieren. Unter anderem mit Peter Goedel, dem Regisseur von Schoppenstube und Alexander Riedel, Regisseur von Draußen bleiben. Es wird eine verbale Ergänzung werden zu den visuellen »Schotterwegen«, die Schwierigkeiten des Parcours aufzeigt, wenn man versucht, seinen Idealen treu zu bleiben, auf der grob gezeichneten Karte inmitten des Mainstreams. Und das kann dann durchaus auch für UNDERDOX gelten.
Die Autorin ist Mitbegründerin und Co-Leiterin von UNDERDOX.