Die schönste Zeit im Kinojahr |
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Still Walking von Koreeda Hirokazu | ||
(Foto: Kool Filmdistribution Ludwig Ammann & Michael Isele / Die FilmAgentinnen) |
Von Dunja Bialas
Man kann das Jahr gut und gerne nach den Festivals takten, die landauf, landab stattfinden. Rhythums gebend ist im Jahreszeitverlauf für den (süddeutschen) Cineasten in jedem Fall die Viennale, die sich nicht von ungefähr auf die im Zweijahreszyklus ereignenden Kunst-Biennalen reimt und ähnlichen Pilgerstatus hat. Die Viennale ist wie die Kunstausstellungen Rückschau, visionärer Ausblick und noch zu entdeckende Werkschau, in der neue, unentdeckte Kino-Formen zur
Sichtbarkeit gebracht werden. Sie formuliert in ihrer Programmierung einen selbstbewussten Kunstanspruch an das Kino, der sich fern von kommerziellen Marktaspekten in den wunderschönen Filmtheatern Wiens feiern lässt.
Anders als für große Festivals üblich – und zu diesen kann sich die Viennale mit ihren rund 180 Filmen, die sie vom 17. bis 29. Oktober präsentiert, in jedem Fall zählen – hat es Wien geschafft, sich die althergebrachten Kinos als lebendige
Spielstätten des Festivals zu erhalten. Gigantisch ist das Gartenbaukino aus den 60er Jahren, aus der Blütezeit des Kinosaals bis heute unverändert erhalten. Mit seinen 740 Sitzplätzen bietet es während der Viennale mit seinem einen Saal, der immer gut gefüllt ist, überzeugend gegen die Multiplexe auf. Historisch-nostalgisch kann im Stadtkino zwischen Holzvertäfelung und elegantem Foyer der Kinobesuch zelebriert werden; es unterhält unter seinem Namen außerdem einen Verleih,
dessem scheidenden Leiter Franz Schwartz die Viennale mit einer Spezialreihe Tribut zollt. Dann gibt es noch das Kino im Künstlerhaus, das seit gut 60 Jahren im Seitentrakt des Ausstellungshauses aus dem 19. Jahrhundert aufzufinden ist, und sich durch seine Architektur gleichfalls als Pilgerstätte eignet. Das Metro nimmt sich gegen diese Kinos eher bescheiden aus, im Untergeschoss und mit eher minderer Projektionsqualität; aber auch dieses Kino lernt man schätzen, u.a.
wegen seines ausgesuchten Avantgarde-Filmprogramms.
Die Viennale ist also der seltene Fall eines dezentralisierten Festivals, in dem der gesamte Innenbezirk der Stadt am Kinogeschehen teilhat. Die »Viennale Zentrale« in der Urania, die vom Festival zum Zentrum des Geschehens erhoben wurde, ist dagegen, wenn nicht gerade Filmemacher oder namhafte Künstler an den Plattentellern stehen (letztes Jahr grandios dilettantisch: Tex Rubinowitz), ein eher lebloser Ort. Hier wird teures, möchtegern szeniges »Unten ohne«-Ottakringer Bier getrunken. Da lohnt sich der Ausflug in ein »Beisl«, und auch im Gartenbaukino gibt es Musik bis in die Morgenstunden für alle, die nach dem Sitzen im Kinosaal noch Lust auf Tanz und Bewegung haben.
Die zwölf Tage Viennale muss sich der Festivalreisende zwangsläufig auf wenige Tage zusammenkürzen (es sei denn, er genießt den Luxus eines Festival-Urlaubs). Mit der zugleich vorauseilenden und wiederholenden Programmierung und dem »Bonus-Track«, in dem begehrte Filme noch einmal nachgeholt werden können, kann der Besucher aber auch in kurzer Zeit einen guten Einblick in das Festival erhalten. Auch wenn natürlich immer der Eindruck zurückbleibt, dass die Filme, die einen am meisten interessieren, genau in der Zeit laufen, in der man noch nicht da ist, oder schon wieder weg.
Weil aus diesen Gründen mit Sicherheit einzelne Filme verpasst werden, sollte unbedingt die sorgfältig kuratierten Reihen besucht werden. Auch hier kann man nur einen Einblick erhalten: In den Tribute für den bereits erwähnten Franz Schwartz. In den Tribute für Werner Schroeter, Urgestein des deutschsprachigen Kinos und neben Fassbinder, Herzog, Wenders und Kluge zentrale Figur des Neuen Deutschen Films der 70er und 80er Jahre. In den Tribute für Bob Dylan, kuratiert vom »Vertigo«-Herausgeber Cyril Neyrat, der das Werk von Dylan in einen »assoziativen Zusammenhang mit dem Kino« setzen will und neben Filmen, in den Dylan Auftritte hat auch seine Regiearbeiten präsentiert. Seine Anti-Dokumentation Eat the Document aus dem Jahre 1972 und Renaldo & Clara von 1978 sind unbedingte Kandidaten für die »Lost & Found«-Liste.
Zwei junge und unkonventionelle Filmemacher stehen im Fokus der diesjährigen Special Programs. John Gianvito hat letztes Jahr mit seinem Essay Profit Motive and the Whispering Wind auf den internationalen Festivals für Aufsehen gesorgt. Ihm widmet die Viennale eine umfassende Werkschau, in der neben seinem bislang einzigem Spielfilm The Mad Songs Of Fernanda
Hussein von 2001 auch seine eigenen Einflüsse gezeigt werden, die von der Rezeption einer widerständigen Geschichte des Kinos zeugen: The Story Of Kindness von Tran Van Thuy (1987) und Interviews With My Lai Veterans (Joseph Strick, 1970) waren jahrzehntelang zensuriert.
Zu entdecken gilt es auch den portugiesischen Filmemacher Miguel Gomes, der semi-dokumentarisch arbeitet und seit seinem Filmdebüt von 2004, A Cara Que Mereces, Fiktion mit dem Dokumentarischem verbindet.
Unter den einzelnen Filmen, die sich wohlausgewogen auf die Sparten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilm verteilen, gibt es einige Namen, die alte Bekannte der Viennale sind: zu sehen sind u.a. der neueste Film des Argentiniers Lisandro Alonso, Liverpool, der experimentelle Dokumentarfilmer Jem Cohen mit Evening’S Civil Twilight In Empires Of Tin, oder der Österreicher Nikolaus Geyrhalter, der seinen neuesten Dokumentarfilm, 7915 KM, präsentiert. Viel französisches Kino ist zu sehen, viele Asiaten (u.a. Jia Zhangke und Koreeda Hirokazu), die Arbeiten der »Golbal Players« der internationalen Kinowelt, und die vieler Unbekannte, die es zu entdecken gilt.
Wer diesen kleinen Ausblick auf ein großes Festival vertiefen möchte, sollte entweder zur Viennale fahren, auf www.viennale.at schmökern oder aber die »artechock«-Berichterstattung mitverfolgen.