20.05.2010

DOK.25 – eine Festi­val­kritik

Das neue DOK.fest-Plakat
DOK.perso­nal­pro­nomen:
»Dich« ist kein Wort,
sondern eine gram­ma­ti­ka­li­sche Form

Die neue Leitung des Münchner Doku­men­tar­film­festes hat zum 25. Jubiläum vieles geändert

Von Claus Schotten

Vom 5. bis 12. Mai fand wieder das Inter­na­tio­nale Doku­men­tar­film­fes­tival München statt – zum 25. Mal. Von kleinen Anfängen im Maxim-Kino und der längst geschlos­senen Lupe2 hat es sich zu einem der größten Festivals für Doku­men­tar­film in Deutsch­land gemausert. In den letzten Jahren ging die Bedeutung jedoch zurück. Dies liegt zum einen an der chro­ni­schen Unter­fi­nan­zie­rung des Festivals, zum anderen para­do­xer­weise am zuneh­menden Erfolg von Doku­men­tar­filmen an der Kinokasse. Zur Grün­dungs­zeit des Festivals waren Doku­men­tar­filme im normalen Kino­pro­gramm die absolute Ausnahme. Wer einen Doku­men­tar­film auf der großen Kino­lein­wand sehen wollte, musste auf das Dok-Fest warten. Das hat sich geändert. Die Konkur­renz für das Dok.Fest wird härter. Mitt­ler­weile haben sich zumindest in Metro­polen wie München Doku­men­tar­filme einen festen Platz im Kino­pro­gramm erobert. Woche für Woche laufen 5-10 Stück über unsere Leinwände. Bis auf wenige Ausnahmen sind dies zwar Nischen­pro­gramme wie Sonn­tags­ma­ti­neen oder die 18-Uhr-Schiene in kleinen Programm­kinos, aber wer einen Doku­men­tar­film im Kino sehen will, kann dies nun auch außerhalb von Festivals tun.

Von der anderen Seite verschärfen das große Münchner Filmfest Ende Juni und Festivals in anderen Städten die Konkur­renz um die inter­es­santen Filme, weil auch sie verstärkt Doku­men­tar­filme in ihr Programm aufnehmen.

DOK.neu

Nachdem Hermann Barth, der lang­jäh­rige Festi­val­leiter im vergan­genen Jahr das Handtuch geworfen hat, trat dieses Jahr mit dem Doku­men­tar­filmer Daniel Sponsel von der HFF als künst­le­ri­schem Leiter und dem Münchner Kino­ma­cher (Monopol, Neues Arena) und Schau­spieler Christian Pfeil als Geschäfts­führer eine neue Doppel­spitze an. Sie haben der Jubiläums­aus­gabe des Festivals deutlich ihren Stempel aufge­drückt. Von den Plakaten über die Programm­struktur bis zu den Kinos ist kaum etwas beim Alten geblieben. Selbst die Schreib­weise des (Kurz-)Namens wurde geändert. Statt »DOK.FEST« groß­ge­schrieben heißt es nun »DOK.fest« kursi­viert, in einer Mischung aus groß und klein. Überhaupt wartete das neue Festival-»Branding« mit vielen gewöh­nungs­be­dürf­tigen »DOK.dingsbums« auf.

DOK.orange

Als erste Neuerung stach das Plakat­de­sign buchs­täb­lich ins Auge. Gerade hatte man sich daran gewöhnt, die Plakate der »Ära Hermann Barth« mit den Dok-Fest zu asso­zi­ieren, muss man sich auch schon wieder umge­wöhnen. Das neue Design, wie auch die Vorgäng­er­serie aus dem Hause Gerwin Schmidt, ist längst nicht mehr so schön: eine satte, grell-orange Fläche, schräg darüber ein kurzes Wort in schwarzer Schrift. Die einzige Verbin­dung zum alten Design: Auch beim neuen Konzept stellt das einzelne Plakat­motiv keine gedank­liche Verbin­dung zum Doku­men­tar­film her. Ein Sinn ergibt sich erst aus der Zusam­men­stel­lung der verschie­denen Einzel­pla­kate. In der richtigen Reihen­folge ergeben sie das Motto »Ich sehe Dich«.

Das im Dok-Fest-News­letter gefeierte »leuch­tende« Orange als neue Festi­val­farbe zieht sich auch durch die Neuge­stal­tung von Programm­flyer und Katalog. Über den neuen Programm­flyer kann ich immerhin zwei positive Dinge berichten. Er spart Papier, weil er dünner ist, und er erlaubte mir im Foyer des Film­mu­seums folgende Fetzen aus dem Dialog zweier Damen aufzu­schnappen:

»Also ich mag ja Orange. — Eigent­lich. —
Aber das ist... nun ja ... grmm … hm ... das ist
sehr Orange!«

Ansonsten sind die Film­be­schrei­bungen im Flyer deutlich knapper und nichts­sa­gender, das Layout unruhiger und schwerer lesbar geworden. Zudem ist er unüber­sicht­li­cher als sein Vorgänger. Obwohl es deutlich weniger Seiten gibt, musste ich erheblich mehr blättern um für meine persön­liche Programm­pla­nung die – spär­li­chen – Filminfos und die Anfangs­zeiten zusammen zu bekommen. Ob nun ein Film oder ein Video gezeigt wird, erfährt man aus dem Flyer überhaupt nicht mehr. Die Lust auf einen Festi­val­be­such steigert das nicht.

Beim Katalog ist die Lage ähnlich. Zwar blieb hier der Infor­ma­ti­ons­um­fang weit­ge­hend erhalten – einige Filmo­gra­fien fielen den Spar­maß­nahmen zum Opfer – aber die Lesbar­keit hat erheblich gelitten. Besonders die Credits in einem unstruk­tu­rierten Block aus abwech­selnd schwarzem und weißen Text auf orangem Hinter­grund sind eine Zumutung für die Augen. Den alten Katalog konnte ich auch noch vor und nach der Vorstel­lung im spärlich beleuch­teten Kinosaal nutzen. Das geht beim neuen Layout nicht mehr. Will man so für das nächste Jahr Roden­stock als Sponsor gewinnen?

DOK.schreib­ma­schine

Leider ziehen sich die visuellen Zumu­tungen auch durch die neuge­stal­tete Webseite. Schwarzer und hell­or­anger Text vor dunkel­o­r­angem Hinter­grund oder hell­grauer Text auf weißem Grund. Und weil dies die Lektüre offenbar noch nicht schwer genug macht, wurde eine Schreib­ma­schi­nen­schrift mit fester Laufweite gewählt. Die soll wohl besonders »authen­tisch« oder »doku­men­ta­risch« wirken. In der Praxis ist sie nur lese­feind­lich. Wohl dem, der bei seinem Browser server­sei­tige Style­s­heets und Java­script ausschalten kann. Danach wurde die Seite bis auf ein paar Probleme in der Navi­ga­tion fast benutzbar. Wenn man dann im Archiv liest, dass Christian Pfeil bei seiner Vorstel­lung letzten Sommer den Wunsch äußerte, über einen neuge­stal­teten Webauf­tritt ein breiteres Publikum anspre­chen wollte, wirkt dies fast wie Hohn.

DOK.trailer

Aber genug gemeckert. Wer sich trotz dieser Widrig­keiten ins Kino gewagt hatte, wurde von einem neuen Festi­val­trailer begrüßt, einer echten Verbes­se­rung. Ließen die Trailer der Vorjahre den Betrachter ob ihrer expe­ri­men­tellen Found-Footage-Ästhetik ziemlich ratlos zurück, traf man dieses Jahr drei Mädels in Kino­sitzen, die sehr altklug über Qualität und Anspruch von Doku­men­tar­filmen philo­so­phierten. Eine gelungene, humor­volle Einstim­mung. Die Trailer sind zwar ein bisschen lang geraten, aber bevor die Witze sich ob ihrer ständigen Wieder­ho­lung abstumpften, war das Festival auch schon wieder vorbei.

DOK.reihen­flut

Große Umwäl­zungen hat es auch bei der Programm­struktur gegeben. Hier ist das neue Team offenbar nach dem Motto »Aus eins mach zwei« vorge­gangen. Der Wett­be­werb wurde in eine »inter­na­tio­nale« und eine »deutsch­spra­chige« Sektion DOK.deutsch geteilt. Ebenso erging es den »Hori­zonten«, wo die afri­ka­ni­schen Filme mit DOK.guest eine eigene Reihe bekamen, oder dem ehema­ligen inter­na­tio­nalen Programm, jetzt DOK.forum. Was die Anzahl der Reihen und Sektionen angeht, kann das Dok-Fest fast schon mit der mit deutlich mehr Filmen aufwar­tenden Berlinale mithalten.

Dies hat auch Auswir­kungen auf die Vergabe der Preise. Die Jurys für die beiden Wett­be­werbe hatten nur noch die Auswahl aus jeweils acht Filmen. Ein bisschen mager. Der neu gestif­tete, 5.000€ schwere BLM-Filmpreis für den deutsch­spra­chigen Wett­be­werb (vormals als 2.500€-BLM-Neben­preis im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb vergeben) nimmt sich als deutliche Aufwer­tung für den deutsch­spra­chigen Doku­men­tar­film durch das Dok-Fest aus. Aller­dings sind diese Filme im Gegenzug von der Vergabe des Haupt­preises ausge­schlossen, des wie bisher mit 10.000€ dotierten, von der Telepool gestif­teten Doku­men­tar­film­preises. Der war für die acht Filme der Sektion DOK.inter­na­tional reser­viert. Noch bedau­er­li­cher war, dass die afri­ka­ni­schen Filme nicht mehr um den Horizonte-Preis konkur­rieren durften, sondern von Beginn an jeglicher Chance auf einen Preis beraubt waren.

DOK.kartell

Wenn nur acht Filme um ein Preisgeld von 10.000€ konkur­rieren wird die Teilnahme am inter­na­tio­nalen Wett­be­werb für die Film­pro­du­zenten durch die guten Gewinn­aus­sichten natürlich sehr attraktiv. Umso seltsamer nimmt es sich da aus, wenn mit Les arrivants ein Film, der bereits auf dem Dok-Fest Leipzig mit dem dortigen, ebenfalls von der Telepool gestif­teten und gleich­falls mit 10.000€ ausge­stat­teten Haupt­preis bedacht wurde, auch in München den 10.000€-Telepool-Preis durch die Jury zuge­spro­chen bekommt. Da mag man der Jury eine Fehl­ent­schei­dung vorhalten. Nach gängigen Usancen bekommen Filme, die bereits einen großen Preis gewonnen haben, höchstens noch Neben­preise oder lobende Erwäh­nungen. Aber was hatte die Jury für Alter­na­tiven? Dreien der Filme, die ich im Wett­be­werb gesehen habe, hätte ich als Jury­mit­glied niemals einen Preis zuerkannt. Und der – aus meiner Sicht – preis­wür­dige Alamar hatte mit dem Tiger-Award vom Film­fes­tival in Rotterdam schon einen inter­na­tional noch viel reno­mier­teren Preis in der Tasche. Es ist also ein deut­li­cher Fehler der Festi­val­lei­tung. Les arrivants, jetzt der doppelte Telepool-Gewinner, hätte nicht im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb laufen dürfen. DOK.forum wäre der richtige Platz für den Film gewesen.

DOK.spezl

Als Hermann Barth die Festi­val­lei­tung abgab, geschah dies offiziell wegen »unter­schied­li­cher Auffas­sungen über die zukünf­tige Ausrich­tung des Festivals«. Hinter den Kulissen wurde gemunkelt, dass Barth die knappen Ressourcen darauf konzen­trieren wollte, möglichst inter­es­sante und viel­sei­tige Filme aus aller Welt nach München zu holen, während im Träger­verein Münchner Doku­men­tar­filmer den Ton angeben, die vor allem an einem Schau­fenster für ihre eigenen Produk­tionen inter­es­siert sind und Barth die Einstel­lung der Sektion »Neue Filme aus Bayern« übel nahmen. Um so genauer schaut man natürlich auf die Film­aus­wahl des dies­jäh­rigen Festivals. Der Anteil der Filme mit deutscher Betei­li­gung ist in der Tat stark gestiegen. Das liegt aber zur Hälfte an der dies­jäh­rigen Retro, die Volker Koepp gewidmet ist. Eine Sektion »Neue Filme aus Bayern« gibt es offiziell nicht, aber sie hat mit »DOK.spezial Münchner Premieren« einen Nach­folger gefunden. Das mag man – je nach eigenem Inter­es­sen­schwer­punkt – begrüßen oder bedauern. Dass im Abspann des Eröff­nungs­films, der im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb läuft, der Name eines der beiden Festi­val­leiter steht, stimmt aber schon bedenk­lich.

DOK.über­schnei­dung

Beim Zusam­men­stellen meines persön­li­chen Festi­val­pro­gramms machte ich dann weitere unan­ge­nehme Entde­ckungen. Unter der Woche entfielen die Nach­mit­tags­vor­stel­lungen im Film­mu­seum. Das Programm fing meist erst zwischen 17 und 18 Uhr an und sonntags war schon um 21 Uhr Schluss. Für gele­gent­liche Festi­val­be­su­cher aus München, die nach der Arbeit mal einen Doku­men­tar­film schauen wollen, ist das egal. Akkre­di­tierte, auswär­tige Besucher und Besitzer von Dauer­karten, die sich einen Überblick über das aktuelle Angebot an Doku­men­tar­filmen verschaffen wollen, ärgern sich aber, denn sie können so deutlich weniger Filme sehen.

Auch abends konnte man nicht so ungehemmt wie erhofft der Filmlust frönen. Dafür sorgte die unglück­liche, gedrängte Termi­nie­rung und der Verzicht auf feste Zeit­schienen. Wenn man aus dem Kino kam, hatte man den Anfang des inter­es­santen Films im anderen Kino meist um ein paar Minuten verpasst. Wer also eifrig Filme sehen oder seine eigene Auswahl treffen wollte, hatte es schwer. Aber auch wer DOK.guest, den Afrika-Schwer­punkt des Festivals, komplett sehen wollte, hatte keine Chance. Die Vorfüh­rungen der Filme über­schnitten sich. Als Resultat dieser Termi­nie­rung habe ich wohl noch nie in einer ganzen Festi­val­woche so wenige Filme gesehen.

Eine andere Möglich­keit mit den Unbillen der Terminüber­schnei­dungen umzugehen, ist natürlich, sein Programm nur nach Kino und Uhrzeit zusam­men­zu­stellen und sich dann über­ra­schen zu lassen, welcher Film gerade kommt. So völlig unbe­lastet von jeglicher Erwar­tungs­hal­tung kann man dabei angenehme Entde­ckungen machen, wie bei dem wunder­baren Daniel Schmid – Le chat qui pense, den ich mir wohl nie ange­schaut hätte, wenn er nicht so günstig zwischen zwei anderen Vorstel­lungen gelegen hätte. Ande­rer­seits war die Qualität der dies­jäh­rigen Film­aus­wahl eher mittel­mäßig, so dass man bei diesem Verfahren unwei­ger­lich Nieten zog, etwa den nervigen The Living Room of the Nation.

DOK.retro

Auf der sicheren Seite war man da bei der schönen aber knappen Volker-Koepp-Retro, die gut mit dem 25. Jubiläum des Festival korre­spon­dierte. Vom aktuellen Berlin – Stettin, bei dem Koepp auf die ersten 65 Jahre seines Lebens und seine Filme zurück­blickt, spannte sich der Bogen in 5 Filmen, die jeweils für eine halbe Dekade standen, zurück bis Leben in Wittstock, Koepps erstem abend­fül­lenden Film, der auch schon 1985 auf dem ersten Dok-Fest gezeigt wurde. Nur der Hinweis des Mode­ra­tors zum Abschluss der Diskus­sion nach Berlin – Stettin, dass »in den nächsten Tagen die wich­tigsten Filme von Volker Koepp« auf dem Festival gezeigt würden, war ein faux pas erster Güte. Hatte er nicht gerade Berlin – Stettin gesehen? Dann hätte er merken müssen, dass Volker Koepp viel mehr »wich­tigste« Filme gemacht hat, die man gerne auf dem Festival (wieder)gesehen hätte, die bei der Kürze der Retro aber leider fehlten. Diesen Mangel machte Koepp mit seinen Filmen aber teilweise selbst wett, denn immer wieder blickte er auf frühere Filme zurück, besuchte die Prot­ago­nisten noch einmal und baute ein paar Film­aus­schnitte von damals ein. So bekam man auch einen Eindruck von vielen Filmen, die in der Retro fehlten.

Den magischsten Moment des Festivals konnte man deshalb auch zweimal in unter­schied­li­chen Filmen erleben, obwohl der Film, aus dem er ursprüng­lich stammt, überhaupt nicht auf dem Festival lief: Stupsi aus Mädchen in Wittstock von 1974 erklärt, wie sie sich einen Spielfilm vorstellt. Welch Kontrast zu den Mädels von heute, die im Festi­val­trailer über Doku­men­tar­filme reden.