Beim nächsten Film wird gar nichts anders |
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»Dramaturgien des Films. Das etwas andere Hollywood« S. Fischer Verlag, 24,95 Euro |
Das Bild ist tiefschwarz. In der 112 Minute von David Lynchs wunderbarem Mulholland Drive verschränken sich die Geschichten zweier Frauen, irgendwo in Hollywood. Die Schlüsselszene für diesen Film, der funktioniert wie ein Möbiusband, aber auch für dieses Buch, das zwar genausowenig wie Lynch das letzte Geheimnis um den blauen Würfel im Film lösen wird, aber doch immerhin in höchst aufregender Weise Neues über diesen Film vermittelt, und über die Industrie, der er entstammt. Dieses Buch zeigt, warum auch Lynchs radikales hypnotisch-surreales Traumspiel noch in Hollywoods klassischen Kanon integriert ist – und das die Frage nicht ist, welche der beiden Seiten des Films besser oder realer ist, sondern wie beide zusammengehören.
Filmwissenschaften führen in Deutschland ein Schattendasein. Unbegreiflicherweise gibt es kaum filmwissenschaftliche Lehrstühle. Auch Michaela Krützen lehrt nicht an einer Universität, sondern an der Münchner Hochschule HFF und zwar »Kommunikations- und Medienwissenschaft«; seit 2002 ist sie überdies Vizepräsidentin. In den letzten Jahren hat sich die 1964 geborene Krützen trotzdem zur markantesten jüngeren Stimme in der deutschen Filmwissenschaft entwickelt. Ihr Interesse gilt in den letzten Jahren ganz dem gegenwärtigen US-Film, mit gutem Grund, denn Hollywood ist nach wie vor der Nabel des Weltkinos. Hier werden die Muster vorgegeben, hier werden die Einfälle der Begabungen aus aller Welt aufgegriffen und auf die Verständnismuster des globalen Markts heruntergebrochen – Hollywoods Dramaturgien, so Krützen in ihrem gleichnamigen Buch, geben nicht nur den Ton im Gegenwartskino an, sie haben sich über die Jahre auch weniger gewandelt, als man glauben mag. Verständlichkeit, klare Motivation und ein Verhalten der Figuren, das zielorientierter ist als oft im wahren Leben, dominieren. »Sogar die Aktlängen entsprechen den seit Jahrzehnten gültigen Proportionen.« Hollywoods »Trick« sei es, schrieb schon David Bordwell, »das Neue auf eine Weise mit vertrauten Strategien zu verbinden, die den Zuschauer weder verwirrt noch langweilt.«
Wie das im Einzelnen vor sich geht, ist die Fragestellung des Buchs, das zugleich auch eine Fortsetzung von Krützens Habilitationsarbeit über »Dramaturgie des Films« ist. Auf über 600 Seiten finden über 500 Filme Erwähnung, etwa 25 davon werden genauer, zum Teil sehr detailliert auf 50 oder mehr Seiten, betrachtet. Der Untertitel »Das etwas andere Hollywood« sollte nun keineswegs zur Annahme verleiten, hier ginge es nur ums amerikanische Independentkino. Bei den näher vorgestellten Filmen handelt es sich durchweg um Großproduktionen, Star-gespickte, viele Millionen schwere Arbeiten bekannter Namen. Allerdings hier wiederum um vergleichsweise riskante und formal innovative Arbeiten, um die Autorenfilmer im US-Mainstream – wie Altman, Fincher, Gilliam, Lynch, Soderbergh, Tarantino.
Gegliedert wird nach formalen Dramaturgie-Typen. Drei Hauptschneisen schlägt Krützen dazu ins Gestrüpp der Phänomene: »Unzuverlässige Erzählungen«, die irgendwann mit schockierenden Wendungen aufwarten, die, wie etwa Fight Club dem Zuschauer die Betrachtungsgrundlage vor den Augen wegziehen; dann die die Zeitverschiebungen in achronologisch erzählten Filmen wie Memento; und schließlich multipolare Filme, die wie Altmans Short Cuts mehrere Handlungsstränge parallel verschränken, bündeln und wieder auseinanderziehen. Genau genommen arbeitet die Betrachtung also mit den klassischen Kategorien von Kants transzendentaler Ästhetik: Während einmal der Raum und einmal die Zeit zum eigentlichen Thema der Darstellung werden, ist es in den »Unzuverlässigen Erzählungen« die sinnliche Wahrnehmung selbst, die infrage gestellt – und nach ihrer Erschütterung oft genug wieder neu etabliert wird.
Was hier fehlt, ist allerdings auch festzuhalten: Angehörige von Minderheiten wie Spike Lee und Ang Lee ebenso, wie eine der spärlichen Regisseurinnen Hollywoods. Und auch eine gewisse Kontextualisierung wäre hilfreich gewesen – oder sollte der Boom der diskontinuierlichen Erzählformen und »Cyberfilme« um 1999 so gar nichts mit den neuen Medien zu tun haben?
Der Autorin schwebt eine »allgemeinverständliche Einführung in die Analyse aktueller Hollywoodfilme« vor. Diese Einschätzung wird man teilen, mit der – bedeutenden – Einschränkung, dass die meisten von ihr untersuchten Filme aus den 90er Jahren stammen, die neuesten kamen 2002 ins Kino. Es handelt sich also genau genommen um die Analyse der jüngsten Vergangenheit Hollywoods, nicht seiner Gegenwart. So taugt Krützens Kompendium auch ganz gut zur Erinnerung an all das, was Hollywoods Kino in den letzten Jahren verlorenging. Oder war Fincher je wieder so radikal und gut wie in Fight Club? Lynch war schon immer ein Einzelgänger, aber er hat seit Mulholland Drive nichts Gleichwertiges mehr gedreht. Und die komplexe Erzählstruktur von Memento fand keine Nachfolger.
Zu recht bewundert und verteidigt die Autorin in ihrem insgesamt hochinteressanten Werk die »enorme Adaptionskraft« Hollywoods. Den letztendlich konservativen Schluss, den Krützen zieht, wenn sie gegen alle, die auch in Hollywood längst »postklassische« Erzählweisen entdecken, die ewige Wiederkehr des klassischen Storytelling betont, muss man allerdings nicht teilen. Vielleicht ist die Oberfläche doch entscheidender, als man es wahrhaben möchte, sind die Variablen wichtiger als die Konstanten.
Michaela Krützen: »Dramaturgien des Films. Das etwas andere Hollywood«
S. Fischer Verlag, 24,95 Euro