15.11.2012

The Guilty Pleasures

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Sex in der Wüste:
Station Six Sahara (1962)

Die geheimen Vorlieben des Martin S.

Von Michael Haberlander

Im Film­mu­seum läuft noch bis Dezember eine Martin Scorsese-Retro­spek­tive, auf die wir unter dem Titel The Five Obses­sions regel­mäßig hinweisen. Als inter­es­sante Ergänzung zu dieser Werkschau, die ausschließ­lich Filme mit Scorseses Betei­li­gung zeigt, präsen­tiert das Werk­statt­kino vom 15.11. – 21.11.12 drei Filme, die den Regisseur beein­flusst haben. Besonders spannend sind diese drei, da aus den tausenden Filmen, die der film­ver­rückte Scorsese kennt und schätzt, einige seiner »guilty pleasures« ausge­wählt wurden. Diese »pein­li­chen Vorlieben« hat Scorsese bereits 1978 bekannt, in der heutigen Zeit würde eine Frage danach ins Leere laufen. Der Trash, das kulturell und moralisch Zwei­fel­hafte, das Billige, die Exploi­ta­tion und selbst der süßliche Kitsch hat spätes­tens seit Regis­seuren wie Quentin Tarantino seine peinliche Anrüchig­keit verloren, heute darf man sich ganz ungeniert zu so ziemlich allem bekennen, gilt dadurch oft sogar als besonders cool.
Das heißt wohl­ge­merkt nur, dass man heute niemanden für seine »guilty pleasures« mehr verur­teilt, ob man diese zwei­fel­haften Vergnügen auch gut findet, steht auf einem ganz anderen Blatt. So wird auch mancher, der Scorsese vor allem für seine Filme der letzten Jahre schätzt, von der Mini-Reihe im Werk­statt­kino wenig begeis­tert sein, für jeden aufge­schlos­senen Film­freund bietet sich aber die Möglich­keit einer inter­es­santen Ergänzung zur Retro im Film­mu­seum.
Station Six Sahara (15.11.+16.11.12), Katanga (17.11.-19.11.12) und Ein dreckiger Haufen (20.11.+21.11.12) heißen die drei gezeigten Filme (jeweils um 22.30 Uhr), es geht um Söldner, Aben­teurer, Gewalt und schlechtes mensch­li­ches Verhalten, produ­ziert wurden sie in England (und z.T. in Deutsch­land) in den 1960er Jahren mit durchaus namhaften Darstel­lern wie Peter van Eyck, Rod Taylor oder Michael Caine. Wer Skrupel hat, sich so »anrüchige« Filme anzu­schauen, kann sich immer damit recht­fer­tigen, dass sie der große Martin Scorsese auch gut findet.

Zu einer wirklich allum­fas­senden Retro­spek­tive eines Regis­seurs sollte neben den Einflüssen und dem eigenen Werk eigent­lich auch noch ein dritter Punkt zählen, nämlich das, was daraus geworden ist, also der »impact« seines Schaffens. Im Fall von Scorsese wäre eine Vorfüh­rung der von ihm beein­flussten Filme wohl ähnlich maßlos wie die der Filme, die ihn beein­flussten. Riesig ist alleine schon die Zahl der Refe­renzen auf Taxi Driver, die hier auf www.imdb.com aufge­führt sind. Ich habe bei 50 aufgehört die »You talkin' to me?«-Zitate zu zählen und war noch nicht bei der Hälfte der Liste (eine ganz wunder­bare Referenz zu diesem Kino­klas­siker aus dem Internet ist übrigens dieser Walt Disney’s Taxi Driver-Mashup.) – wobei an dieser Stelle nicht unerwähnt gelassen werden soll, dass schon Scorseses »You talkin' to me?«-Szene Zitat und Hommage an einen Klassiker ganz anderer Art ist: George Stevens SHANE.
Auf eine sehr gelungene Hommage an einen von Scorseses weniger bekannten Filmen hat mich der Kollege Purr kürzlich hinge­wiesen. Die vermeint­lich dümmliche Komödie Bad Sitter, die Ende Mai diesen Jahres in den Kinos lief, ist eine absurd schräge (stel­len­weise fast schon surreale) Neuauf­lage von Scorseses After Hours. Der Film ist keine große Kunst, manchmal auch albern und derb, aber insgesamt doch ein intel­li­gentes Vergnügen, das man jetzt auf DVD in einer verlän­gerten Version und unbedingt in der engli­schen Origi­nal­ver­sion nachholen sollte. Wem es peinlich ist, einen solchen Film gut zu finden, der kann ihn unter »guilty pleasures« verbuchen.